Sto Noto - im Süden

Es ist bewölkt und windig, als wir am Freitag zu unserer längsten Tagestour aufbrechen. Sie soll uns einmal um die Insel führen, denn ich möchte unbedingt nach Prasonisi an der Südspitze von Rhodos. Wir starten entlang der Westküste, Barbara fährt.

Bis Kamiros kennen wir die Strecke von gestern. Von dort ist es noch ein ganze Stück bis Kamiros Skala, dem kleinen Hafen, an dem die Fähren nach Chalki ablegen. Es sind ein paar Häuser mehr geworden seit wir 2008 dort von Chalki angekommen sind, aber immer noch kein wirklicher Ort. Die lokale Fähre "Nissos Chalki" legt frühmorgens dort an und fährt am Nachmittag zurück nach Chalki, ein Tagesausflug ist mit ihr also nicht möglich. Keine Ahnung, ob sie jetzt im Winter auch verkehrt. Vermutlich nicht, sonst wäre sie wohl da.

 

Eine Stunde sind wir ab Rhodos-Stadt unterwegs, und verlassen nun die Küste. Vor uns taucht die Burg von Kritinía auf, und erinnert auf ihrer waldigen Hügelspitze optisch an Rheinburgen. Der Name soll auf Kriti/Kreta verweisen, da Kreter den Ort Kritinia gegründet haben sollen (und später Embonas und Mandriko), was sich noch in Sprache und Tracht ausdrücken soll. Zuerst an der Küste bei Kamiros Skala, in späteren, unsichereren Zeiten wurde er dann ins Landesinnere verlegt. Man könnte hier halten und zur Burg hoch, oder auch Kritinia besuchen, das ein volkskundliches Museum hat. Aber das ist bestimmt geschlossen und wir haben gerade so schön Schwung. Und außerdem haben sich die Wolken verdichtet, es sieht sogar nach Regen aus. So sehen wir wieder nichts von Attavyros, der direkt vor uns liegen würde. Auch für das Weindorf Embonas bleibt keine Zeit. Vielleicht an einem der nächsten Tage. Wenn wir nochmals so weit in den Süden kommen. Rhodos ist ganz schön groß, und unsere Standort im Norden nötig stets zu weiten und langen Anfahrt.

Entlang der waldigen Ausläufer des Attavyros arbeiten wir uns weiter nach Süden. Es hat kaum Verkehr, die Straßen sind breit. Nach anfänglich zögerlichem Fahren - Barbara ist ein Automatik-Auto gewohnt - hat sie sich nun eingefahren und es geht flott voran. Ich genieße es, in aller Ruhe aus dem Fenster gucken zu können, wo nun schon der nächste Berg auf uns wartet: der Akramýtis vor uns, 823 Meter hoch. Auch hier hatte ich im Vorfeld eine Besteigung eingeplant, die wir nun vom Plan streichen. Auch wenn es dieses Mal keine Straße hinauf gibt. Erwähnte ich schon, dass Autofahren die Wanderlust mindert?

 

Es geht durch Siana, ein luftiges Dorf, bekannt für seinen Honig. Natürlich hat Rhodos den besten Honig, und auf Rhodos wiederum Siána. Gerne als Pinienhonig apostrophiert, aber ich fürchte, es sind dann doch nur wieder Kiefern. Egal.

Das nächste Dorf, Monólithos , ähnelt Siana, liegt aber schon wieder am Ende des Akramytis-Berges.

Und drei Kilometer weiter liegt nun das erste Ziel, über das wir nicht hinausschießen wollen: die auf einem Felsen gelegenen Burg Kastro Monolithou.

Wir parken das Auto am Fuße des namensgebenden monolithischen Burgfelsens und steigen die Stufen zur Plattform hinauf. Es ist nicht weit. Auf byzantinischen Mauern bauten die Johanniter im 15. Jahrhundert ein Kastell, von dem noch ein paar Reste übrig sind. Auf der höchsten Stelle des Plateaus sitzt die Kapelle des Agios Panteleimonas. Sie ist geöffnet und eher einfach ausgestaltet.

 

Die Überreste jahrhundertealter Gebäude, die uns nun umgeben, sind aber nur der zweite Grund warum wir jetzt hier sind. Der erste ist die Aussicht. Uns gegenüber liegt kompakt die karge Insel Chalki, und man kann gut die Häuser des Hauptortes sehen. Links darüber die Johanniterburg. Und weiter im Südwesten, mehr zu erahnen, aber mit gutem Willen doch auszumachen: Karpathos. Ein Foto geht direkt an befreundete Karpathos-Fans.

In unserer Nähe dominiert das Grün von Bäumen und Büschen, das Rhodos hier weitflächig überzieht, und aus dem nordöstlich von uns der Doppelgipfel des Akramytis steigt. Uns reicht der Anblick von unten.

Zu unseren Füßen entdecken wir Krummstäbe, eine niedrige Pflanze mit großen grünen Blättern, deren gestreifte Blütenkelche wie aufgerichtete kleinen Schlangen aussehen, und die Winterurlaubern schon ein vertrauter Anblick an der südlichen Ägäis sind.

Wir genießen noch etwas das Hiersein, eher wir wieder zum Auto hinabsteige und unsere Runde fortsetzen. Zurück nach Monolithos und dann südwärts nach Apolakkia. Die Landschaft wird weniger waldig und stärker von Landwirtschaft bestimmt, die Hügel niedriger.

 

Hinter Apolakkia erreichen wir wieder die Küste, und biegen wenig später links ab. Nach flacher Zufahrt klettert die Straße kurz darauf in Windungen entlang des Berges Vouni und wir erreichen das Kloster Panagia Skiadeni. Dessen Name klingt mir vertraut: es gibt eine Fähre "Panagia Skiadeni" der auf Rhodos ansässigen Fährgesellschaft Dodekanisos Seaways. Diese herkömmliche Fähre bedient ab Ostern die Route nach Symi (und aktuell auch die Route der durch Pleite verhinderten "Nisos Kalymnos" nach Samos).

 

Das Kloster Panagia Skiadeni oder auch Skiadi präsentiert sich schon von außen äußerst gepflegt. Lavendel und Bougainvillea empfangen uns. Kein Wunder, ist das Kloster doch eines der wichtigsten auf Rhodos. Es birgt eine alte Marien-Ikone, die der Evangelist Lukas gemalt haben soll. Dann wäre sie fast 2000 Jahre alt. Nun, Ikonen sind ja immer Glaubenssache.

Durch das geöffnete Eingangstor betreten wir die Klosteranlage. Das Kirchengebäude wurde im Jahr 1861 gestiftet und schließt in einer kleinen Kreuzkuppelkirche ab, die aus dem 13. Jahrhundert stammt. In der Kirche merkt man das gar nicht, nur von außen ist das alte Kirchlein gut zu erkennen. Es sind keine Mönche oder Nonnen sichtbar, nur die obligatorische Klosterkatze streicht herum und passt auf.

Am Kircheneingang harrt eine Auswahl an Tamata dem Kauf und der Gabe an die wundertätigen Ikone. Barbara und ich beschließen, etwas zu investieren, und kaufen je ein Tama. Barbara das Täfelchen eines Buches für die aktuelle Studienprüfung ihres Sohnes, ich einen Fuß für meine maladen Zehen und Ferse. Die hängen wir gleich an die Leine vor der Panagia-Ikone. Und ich überlege, ob diese Votivtäfelchen gleich den gestifteten und angezündeten Kerzen bald wieder abgehängt und neu verkauft werden. Im Sinne der Nachhaltigkeit wäre diese Re-Cycling durchaus, und die Gabe alleine soll ja reichen um den Wunsch nach oben zu melden. Na, ein Gebet kann sicher auch nicht schaden. Das wäre dann erledigt, nun hoffen wir das Beste.

 

Der gepflasterte und schon fast steril saubere Klosterhof ist mit Blumenkübeln und Zitrusbäumen verziert. Im Sommer schöne Schattenspender, jetzt sind sie voll mit Früchten. Die Mönche scheinen einen grünen Daumen zu haben. Oder ist es der weltliche Helfer, den wir wenig später am Ausgang treffen, wo er neben dem Kloster sein Auto wäscht? Wirklich, es ist alles sehr sauber und reinlich hier. Erst später werde ich lesen, dass Kloster Skiadi nicht mehr bewirtschaftet und von Mönchen des Klosters Tharri betreut wird.

Wieder zurück zur Küste. Schurgerade führt die Straße entlang eines endlosen und dünenbewehrten Küstenstreifens gen Süden. Wie ein riesiger Dampfer liegt ein Felseninselchen im Ozean.

Es ist ein Uhr geworden, und der Hunger meldet sich. Wir hoffen, dass Kattaviá groß genug ist, um hungrigen Gäste eine winters geöffnete Taverne anzubieten.

Und es ist. Polyglott und geradezu marktschreierisch wirbt die Taverne "Penelope" um Gäste, und der Mann, der draußen steht, holt uns auch schnell ins Lokal, wo uns eine Frau - seine Gattin vermutlich - eine Speisenauswahl aufzählt. Wir sind aber vorsichtig geworden von gestern, und bestellen Choriatiki Salata, Saganaki und Fassolia. Und haben gut daran getan, denn serviert wird uns wenig später ein riesiger Choriatiki, und auch der Saganaki kommt als doppelte Portion daher. Aber wir sind hungrig, und schaffen alles. Mit 28 Euro sind wir gut dabei, und bekommen als Dreingabe eine große Tüte Mandarine geschenkt. Die Vitamin-C-Versorgung der nächsten Tage ist gesichert.

Es ist schon zwei Uhr vorbei und es wird nun Zeit, sich unserem Tagesziel zu widmen. Bis zur Halbinsel Prasonisi an der Südspitze von Rhodos sind es nur noch ein paar Kilometer. Wir hoffen, dass es eine Halbinsel ist, denn der MM-Reiseführer schreibt, dass die schmale Verbindung zwischen Rhodos und Prasonisi durch Stürme oft unterbrochen ist, und warnt vor der Begehung wenn man durchs flache Wasser waten muss, weil das Wasser schnell steigen kann. Offenbar kam es schon zu tödlichen Unfällen. Auf die Insel würde ich aber schon gerne wollen, auch wenn sie nicht von Menschen besiedelt ist (und damit "gesammelt" werden kann).

 

Der Ort Prasonisi ist ein Ansammlung von Baracken und Pensionen, die vor allem Surfer als Zielgruppe ansprechen sollen. Denn Prasonisi ist ein großer Surfer-Hotspot. Natürlich ist jetzt nichts geöffnet, zumindest auf den ersten Blick. Aber es sind zahlreiche Handwerker zugange, so dass hier mehr Leben ist als in Lindos.

Und es sieht gut aus mit den Begehung von Prasonisi, denn die Landverbindung ist breit und nicht überflutet. Wir parken das Auto unweit des Schildes "Free Parking", wo es völlig alleine steht. In der Saison könnte das anders sein, sonst wäre das Schild wohl nicht da. Dann machen wir uns zu Fuß über den Sand auf zur Insel.

Der Boden ist mit Plastik übersät. Der grobe Müll - Plastiktütenfetzen und Flaschenteile - wird weitergetragen und findet sich nur vereinzelt. Die kleinen Plastikteilchen ergänzen aber Steinchen und Muscheln und bilden mit diesen ein weitflächiges und gleichmäßiges Bodenmosaik. Schon erschreckend, und diese kleinen Teilchen wird niemand aufsammeln bis sie zum Mikroplastik zermahlen sind. Und irgendwann im Meer enden. Wind und Meer nehmen sie mit - aus den Augen, aus dem Sinn. Wenn sie sich irgendwann in Fischen anlagern (und wir sie essen), sind nicht mehr sicht- oder spürbar. Aber die Fische werden dafür immer weniger.

 

Der Isthmus trennt West und Ost, Ägäis/Karpathisches Meer und Levantisches Meer. Während die Ägäis sich halbwegs ruhig zeigt, türmen sich auf der Ostseite die Schaumkronen. Ein Frachter kämpft sich am Horizont langsam südwärts. Bei uns hält sich der Wind in Grenzen, aber das Gehen über und durch den tiefen Sand ist mühsam.

Wir erreichen schließlich die Halbinsel, gehen auf einer Piste mit tief ausgefahrenen Spuren bergwärts. Praso-nisi heiß "grüne Insel" (oder auch Lauchinsel), und diesem Namen macht es nun alle Ehre: niedrige Vegetation in leuchtendem Grün, die an Irland erinnert, wie ich es von Fotos kenne. Der wilder Wolkenhimmel darüber. Am Rande niedrige Dünen mit vereinzeltem Wacholder.

Ein Grab steht am Rande, völlig verwittert das Kreuz, unleserlich wer hier bestattet liegt. Ein interessantes Memento Mori am Ende der (griechischen) Welt.

Wir erklimmen die erste Höhe, die mit Steinmännchen übersät ist. Das scheint irgendwie das neue "ich war hier" zu sein, wenn man sich nicht mit Gravuren oder Farbe verewigen kann. Woher kommt dieses Bedürfnis, vor Ort Spuren zu hinterlassen? Sollte man nicht irgendwann erwachsen und sich selbst genug sein? Aber die Welt wird eh immer infantiler. Und vermutlich gehört zu jedem Steinmännchen ein Instagram-Selfie, zigfach geteilt. Nicht meine Welt.

 

Ich wäre gerne bis an andere Ende der Insel gewandert, bis zum Leuchtturm am Kap Praso. Aber das ist ein ganzes Stück, und die Cousine hat keine rechte Lust. Und ist die Meerenge nicht schon schmaler geworden seit wir hier sind? Nicht dass uns der Rückweg abgeschnitten wird ....

Wir blicken also noch ausgiebig auf die schaumgekrönte Endlosigkeit des Ozeans, ehe wir wieder zur Landverbindung hinab gehen. Aus dem karpathischen Meerseite ist jetzt tatsächlich ein einsamer Windsufer unterwegs. Man muss sich seines Könnens schon gewiss sein, hier aufs Meer zu gehen zu einem Zeitpunkt, da niemand das Verschwinden rechtzeitig bemerken würde. Aber er kann es. Zieht allerdings nur wenig später Brett und Segel südlich von uns an Land. Ob er auf die anderen Seite wechselt? Wir verlieren ihn aus den Augen.

Ein Enduro-Fahrer düst nun an uns vorbei, klettert hinter uns Prasonisi hinauf. Ja, mit so eine Gerät geht das. Eine Gegend für Menschen, die sich gerne sportlich austoben, auch im Winter. Oder gerade im Winter? Und motorisch: vor uns dreht ein Auto einen Donut in der weiten Sandfläche. Der Geruch von Freiheit liegt in der Luft. Wind, Meer und Motor. Wäre da nicht das erdende Geräusch der Akkuschrauber von den Baustellen der Häuser.

Wir machen uns an die lange Rückfahrt. Etwa hundert Kilometer entlang der Ostküste. Im ersten Stück sind Militäranlagen versteckt, dezente Fotoverbote verweisen darauf.

Von Kattavia nach Osten, an Agios Pavlos vorbei. Ein von den Italiener errichtetes Mustergut zur Intensivierung des hier reichlich vorhandenen Getreideanbaus, und eine aufgegebene Seidenfabrik lassen wir rechts liegen. Unter der deutschen Besatzung wurde es zum Internierungslager vor die Soldaten der vorherigen Besatzer. Grausam soll der Umgang der SA gewesen sein, mit Todesurteilen und Erschießungen. Keine Gegend Griechenlands, die nicht vom Blut der Geschichte durchtränkt ist.

 

Unbeschwerter wird es, als ich am rechten Straßenrand eine Gruppe dunkelbraunes Wild erspähe. Das bekannte rhodische Damwild? Dass sie kein Geweih haben, macht mich nicht stutzig - im Winter werfen sie es wohl ab. Aber wo sind die Tupfen? Und sind die Tiere nicht eigentlich heller? Fünf Tiere sind es, sie fliehen, als ich mich zum Fotografieren nähere. Beim Nachlesen über Damwild (Dama dama) werden wir erfahren, dass das Haarkleid im Winter auf unauffälligeres und fleckenloses Dunkelbraun wechselt. Und dass sie das Geweih eigentlich erst im April abwerfen. Waren dann wohl alles Hirschkühe.

 

Ab Gennadi wird die Gegend bewohnter, ab Kiotari touristischer. Wir halten nochmal in Lindos für ein paar Fotos, und sind gegen halb sechs zurück in Rhodos Stadt. Mit 221 Kilometern war das heute unsere längste Tour.

In Hoffnung auf Live-Musik brechen wir am Abend ins "Drosoulites" auf. Leider wird auf der Website kein aktuelle Programm für heute angezeigt. Aber es gibt Live-Musik, allerdings nichts inseltypisches, sondern Bouzouki und Keyboard, also eher Richtung Rembetiko. Schade. Da ist es auch nicht so schlimm, dass wir drinnen keinen Tisch mehr bekommen, und auf der zum Glück überdachten und beheizten Terrasse Platz nehmen müssen. Denn wenig später bricht ein Wolkenbruch herein, völlig ansatzlos und unerwartet. Er wird die Luft für die nächsten Tage reinigen.

Wir können trotzdem im Trockenen speisen. Weil wir vom Mittag noch fast satt sind, reichen uns die köstlichen Keftedakia, Apaki (geräuchertes Schweinefleisch), und ein Tzatziki. Dazu ein knuspriges Pitta-Brot, das dünnen Pfannenkuchen ähnelt. Da geht die nette kugelförmige Katze, die mich bald belagert, leer aus.

Und rundet der Abend einen schönen Tag ab.

Morgen werden wir unseren Kreis etwas enger ziehen.