Auf dem Luftweg gibt es mehrere Anreisemöglichkeiten auf die Äolischen Inseln: nach Catania, Palermo oder Neapel. Aber die über Neapel ist die Schönste. Sag ich jetzt mal so. Die Schnellste ist es aber nicht unbedingt. Und es muss auch nicht die Bequemste sein.
Nachdem unser erstes Inselziel Alicudi sein sollte, dieses ab Neapel mit der Fähre und nicht dem Tragflügelboot (Aliscafo) erreichbar war, und die Flüge mit AirBerlin nach/von Neapel preiswert (unter 200 Euro pro Person inklusive Gepäck hin und zurück) und passend zur Fähre waren, entschied ich mich für Neapel.
Die Fährtickets buchte ich bei okferry, die auf italienische Fährverbindungen spezialisiert sind. Die Agentur von Armando Farina, bei der man bis vor kurzem noch bequem in Deutschland die Tickets kaufen konnte, gibt es nicht mehr. Von Neapel auf die Äolen fährt außerhalb der Hochsaison nur Siremar. Wir gönnten uns eine Doppelkabine außen auf der "Laurana", für die Strecke Neapel - Alicudi (mit Umsteigen in Filicudi) und Stromboli - Neapel bezahlten wir ziemlich genau 300 Euro, Buchungsgebühren inklusive. Am 16. September sollte es losgehen.
Allerdings erlitt die "Laurana" Mitte August einen Motorschaden, dessen Reparatur sich hinzog. Das Ersatzschiff, die "Isola di Stromboli", hat zwar die gleiche Passagierkapazität wie die "Laurana", aber keine Kabinen. Ich sah uns schon Deckklasse oder poltrone schlafen, aber dann kam - gerade rechtzeitig - die erlösende Nachricht: die "Laurana" ist wieder unterwegs. Abends um 20 Uhr würde sie in Neapel ablegen, anderntags um 9.30 Uhr würden wir Filicudi erreichen, von wo aus wir nach gut zwei Stunden Aufenthalt mit einer anderen Fähre in einer Stunde nach Alicudi weitertransportiert würden. Bestens.
Auf die Kabine legten wir schon deshalb wert, weil unser Flug von Stuttgart nach Neapel schon um 6.30 Uhr abfliegen würde und wir uns nach einer schlafarmen Nacht (auf dem Stuttgarter Flughafen - das kann man auch nicht mehr empfehlen) einen ganzen Tag in Neapel würden herumtreiben müssen.
Kurz nach halb neun landeten wir also in Napoli-Capodichino. Auf dem Hinflug hatte AirBerlin uns noch mit einem Snack und einem Gratisgetränke "verwöhnt", auf dem Rückflug gab es nichts mehr umsonst und für die Halbliterflasche Wasser wurden stolze drei Euro fällt. Dürfte aber AirBerlin auch nicht mehr retten.
Man kann nun mit dem Bus zum Hafen fahren, aber wir gönnten uns ein Taxi zum Porto. Dreißig Euro kostet die Fahrt. Die berechtigte Frage des Taxifahrers, wohin genau wir dort wollten - es gibt mehrere Häfen in Neapel - beantworteten wir mit "Porto di Massa" und "deposito bagagli". Entsprechend wurden wir leider etwas weit östlich abgesetzt. Die Gepäckaufbewahrung sei da vorne. Hmm, da sah ich nur ein Parkhaus. Dort vorbei gingen wir nach Westen, wo eine Halle mit Ticketschaltern ist. Beim Siremar-Schalter bekam ich mit unserem Buchungscode unsere richtigen Fährtickets und fragte nach der Gepäckaufbewahrung. Es gäbe eine in dem Parkhaus und eine zweite an der Piazzale Immacolatella, noch weiter westlich, wo auch vorne am Anleger schon unsere "Laurana" liegt.
Weil die im Parkhaus recht improvisiert und nicht sehr vertrauenserweckend aussah, zogen wir weiter zur Piazzale Immacolatella, wo in einem neuen flachen Backsteingebäude ein Ticketschalter und tatsächlich auch die Gepäckaufbewahrung war. In Form von Schließfächern, die nicht so aussahen als würden sie unser beider Gepäck aufnehmen können. Aber eine nette Dame am Schalter erklärte, wir könnten unsere Trolleys in einem Hochsicherheitsraum (hinter Panzertüre!) einschließen, was wir dann für je drei Euro auch machten. Vorher hatten wir alles an Wertsachen und Taschen mit dort verstaut um den neapolitanischen Langfingern und Mopeddieben keine Gelegenheit zu bieten. Vor diesen war ich mehrfach und eindringlich gewarnt worden, so dass ich schon leicht paranoid war.
Mit kleiner Geldbörse und Fotoapparat in der Gürteltasche bzw. Stofftasche stürzten wir uns also nun ins pralle Napoli.
Das Wetter ist bewölkt und drückend. Laut Wetterapp soll es nicht regnen, und ich hab den Schirm nicht mitgenommen. Dabei war ich auch gewarnt worden, dass es in Neapel im September immer regnet.
Vom Kreuzfahrtterminal, wo das Monsterschiff "Harmony of the Seas" neben einem nur unwesentlich kleineren MSC-Riesen liegt, überqueren wir die mehrspurige Hauptstraße und erreichen die Piazza Municipio, eine Dauerbaustelle, flankiert von der dunklen Burg des Castel Nuovo mit seinen mächtigen Rundtürmen. Das Portal, der hell abstechende Triumphbogen von Francesco Laurana sehen wir uns von Nahem an, immer noch leicht paranoide in einer großen Gruppe von Asiaten. Nein, jetzt keine Kultur, jetzt eine Pause.
Wir wenden uns nach Norden Richtung Altstadt, als es zu regnen beginnt. Erst wenig, dann stärker. Wir flüchten an die überschirmten Plätze einer Bar, deren eifriger Wirt uns aktiv einlädt. Schon gleich ein Fehler, wie wir später erkennen als wir für zwei frischgepresste O-Saft, eine kleine Pizza und eine aufgeschwätzte neapolitanische Süßigkeit knapp achtzehn Euro bezahlen müssen. Der erste Schock - ja, wir sind hier nicht in Griechenland.
Andererseits ist es nett zu beobachten, wie fliegende Händler mit Schirmen aus allen Ecken kommen und Käufer finden. Plötzlich laufen alle Leute mit den ähnlichen bunten Schirmen herum. Es gibt den großen Stockschirm und den kleinen Faltschirm. Letzteren werde ich später auch einen erstehen, für fünf Euro. Und muss an Athen denken, wo wir vor Jahren an einem verregneten Maiabend das Gleiche erlebten.
Unser Ziel ist nun das Kloster Santa Chiara, beziehungsweise dessen Kreuzgang. Durch regennasse Gassen suchen wir unseren Weg, irgendwie fehlt mir noch die Gesamtorientierung. Immer wieder fallen uns die kleinen Altäre oder Heiligenbilder auf, die abwechselnd mit Obst- und Gemüseläden bunte Akzente in den grauen Häuserschluchten bilden. Es sind kaum Leute unterwegs, wir bewegen uns offenbar abseits der gängigen Touristenrouten.
Schließlich taucht das mächtige Kirchengebäude mit dem angegliederten Kreuzgang auf, den wir uns zuerst ansehen wollen (falsche Reihenfolge: die gotische Kirche wird nachher - im Gegensatz zum Kreuzgang - Mittagspause machen und geschlossen sein). Der Kreuzgang kostet sechs Euro Eintritt, Senioren bezahlen 4,50.
Das besondere an diesem Kreuzgang ist, dass er mit Majolika-Fliesen ausgestattet ist. Der im vierzehnten Jahrhundert angelegte Kreuzgang wurde in der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhundert umgebaut und damals mit Majolikabildern geschmückt. Der bedeckte Himmel lässt uns als ersten Eindruck mit den gefliesten Pfeilern, die im Inneren des Kreuzganges stehen, Tarnfarbe assoziieren. Aber das täuscht natürlich: es sind die Blumenranken, die sich auf der Keramik die freistehenden oktogonalen Säulen hinaufziehen. Zwischen den Säulen hat es blau-ockerfarbene Bänke mit Jagd- und Landschaftsszenen, alles in Majolika. Hübsch.
Der Kreuzgang ist ganz schön weitläufig, es hat Brunnen, gepflegte Bäume und Hecken. Die äußeren Bogengänge sind unverziert mit gotischen Spitzbogen nach außen, die Wände zum Gebäude teilweise mit Fresken bemalt. Der Regen hat zum Glück aufgehört, aber die schlaflose Nacht macht sich jetzt mit Vehemenz bemerkbar: wir sind plötzlich hundemüde. Praktischerweise hat zieht sich entlang der Kreuzgangmauer eine Bank, auf der wir ungestört ein Nickerchen machen können.
So erfrischt sehen wir uns noch das Klostermuseum an. Im Außenbereich gibt es archäologische Fundamente, drinnen allerlei Religiöses auf vielen Jahrhunderten.
Es ist halb zwei vorbei als wir Santa Chiara verlassen. Essenszeit. Wir gehen auf der Spaccanapoli, einer schnurgeraden Straße, nach Westen Richtung Via Toledo, der Haupteinkaufsstraße Neapel. Die Altstadt mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten liegt im Osten - das schaffen wir heute nicht. So wenig wie das archäologische Museum, den Dom San Gennaro, die Krippengasse und und und. Neapel alleine wäre einen mehrtägigen Aufenthalt wert, von der Umgebung ganz zu schweigen. Wir schnuppern nur mal rein.
Jenseits der Via Toledo liegt ein buntes Altstadtviertel, das Quartieri Spagnoli, das sich zu den Hängen des Hügels Vomero hinaufzieht. Unten hat es Obst- und Gemüseläden, Metzger, Süßwaren, Fischläden - was des Genießers Herz begehrt. Und dann hat es kleine Tripperien, Lokale mit Verkaufsstand, in denen man Kutteln kaufen kann, zum Straßenverzehr. Dekorativ hängen die gekochten Innereien im Schaufenster. Ein paar Tische im Haus - das sieht gut aus, da gehen wir rein.
Nein, wir trauen uns nicht an den Pansen, sondern bestellen, übersetzungstechnisch beraten von den anderen Gästen, Pasta. Mit Tomaten und mit Oktopus, dazu ein offener Weißwein. Schmeckt gut, ist preiswert, und die herzliche Atmosphäre versöhnt uns mit dem bisherigen Napoli, verregnet und teuer.
Und nun? Ich möchte gerne mit der Standseilbahn, der Funicolare (genau, die von dem Lied funiculì, funiculà, wobei darin eine andere neapolitanische Seilbahn besungen wurde) auf den Vomero hinauffahren. Die Talstation ist etwas südlicher in der Via Toledo, und als wir dort sind, erfahren wir, dass die Bahn derzeitig wegen Bauarbeiten geschlossen ist. Noch das ganze Jahr 2016, Wiedereröffnungsdatum ungewiss. Pech!
Was nun? Entlang der Via Toledo und vorbei am traditionsreichen Café "Gambrinus" (auch nicht gerade preiswert, aber teurer als unser Frühstückslokal wäre es vermutlich auch nicht gewesen) bummeln wir Richtung Meer mit dem Ziel Castel dell'Ovo. Es ist nun schwülwarm, ein Parkbank lädt zu einer Pause ein. Wir sind übernächtigt und müde.
Dann entlang der Uferstraße zur "Eierburg", der ältesten Festung Neapels, die sich auf einer vorgelagerten Insel namens Megaride befindet. Über einen Steg geht es hinüber. Hier soll im sechsten vorchristlichen Jahrhundert die griechische Kolonie Parthenope gegründet worden sein, aus der später Neapolis wuchs.
Hinauf zu obersten Aussichtsplattform. Die Aussicht ist nicht schlecht, vom Vesuv im Osten über den Hafen mit den gigantischen Kreuzfahrtschiffen hinauf zum Vomero mit den bordeauxroten, knastähnlichen Gebäuden der Caserma Nino Bixio davor, einer ehemaligen Kaserne. Gut, Kasernen sind irgendwie auch Knäste, und dieser hier soll zu einem Kulturzentrum mit Bibliotheken umgebaut werden. So wie es aussieht, dürfte das noch dauern.
Es hat zu wenig Schatten hier, keine Sitzgelegenheiten. Schließlich wird eine Mauernische frei, in der wir ein Schläfchen machen können. Fast fünf Uhr, in zwei Stunden können wir aufs Schiff, endlich.
Die Zeit vergeht zäh, zu Fuß entlang des Ufers zum Hafen, hier noch eine Granita, dort noch etwas Proviant einkaufen. Um sieben holen wir unser Gepäck ab und gehen zur "Laurana". Es ist einiges los am Hafen, einige Fähren werden demnächst abfahren und auch die Monsterkreuzfahrer machen sich fertig zum Ablegen, die "Harmony of the Seas" zieht um halb acht davon. Ein Flugzeugträger ist auch nicht größer....
Mit unserem Ticket bekommen wir am Rezeptionsschalter auf dem Schiff die Plastikkarte, die als Schlüssel für unsere Kabine dient, und zwei Handtücher. Die "Laurana" legt recht pünktlich ab, wir warten auf Deck bis die Lichter Neapels in der Ferne entschwinden, den Vollmond leuchtet dazu. Den Rotwein, den wir als Schlummertrunk gekauft haben, brauchen wir nicht: wir schlafen früh und tief, sanft gewiegt von den Wellen.
Gegen sechs Uhr am Morgen bin ich wieder auf Deck: mit Verspätung erreichen wir zum Sonnenaufgang Stromboli. Leider hängt der Vulkan in Wolken, keine Eruptionen sind zu beobachten. Schade, denn das war beim letzten Mal einfach bezaubernd.
Weiter auf Strombolis andere Seite, nach Ginostra, wo überraschend viele Menschen die Fähre verlassen. Ein Esel steht als Gepäckträger bereit, die meisten müssen selber schleppen.
Nächster Hafen ist Panarea, dann geht es - Salina links liegen lassend - nach Filicudi.
Wir sitzen schon im Warteraum, als eine - ausschließlich italienische - Durchsage, die Passagiere mit Ziel Alicudi zum Schalter ruft. Ich erkundige mich, was los ist: Wir müssten hier in Filicudi schon umsteigen und nicht in Salina, da die "Laurana" eine gute halbe Stunde Verspätung hat, und das zu knapp ist für den Anschluss dort.
Ähm, gut, wir wollten hier sowieso runter, und entsprechend sind unsere Tickets ausgestellt. Ein älteres deutsches Paar hat die Durchsage auch richtig verstanden, aber es gäbe zwei Mitreisende, die des Italienischen nicht mächtig wären, und die seien noch in der Kabine. Ob man die Durchsage noch auf Englisch machen könnte? Dies geschieht in mäßig verständlichem Englisch, und wir begeben uns hinab in den Laderaum zum Aussteigen.
Als wir und das deutsche Paar dann in Filicudi an Land stehen und zurückschauen, sehen sie oben auf dem höchsten Deck das andere Paar stehen und hinabgucken. Die Frau brüllt hinauf "il faut descendre" (klar, nur Franzosen sind so ignorant anderen Sprachen gegenüber) und bittet die Besatzung, zu warten. Die Franzosen haben es endlich kapiert, aber bis sie dann erhobenen Hauptes und in gemäßigtem Tempo von Bord gehen, vergehen lange zehn Minuten, die die Verspätung vergrößern. Die Besatzung und das Hafenpersonal applaudieren, und wir fallen ein.
In zwei Stunden geht es weiter nach Alicudi.