Othoni – tief im Westen. Insel ohne Kinder.

Es geht zunächst an Korfus Küste entlang, nur mit dem Rausgucken ist es schwierig, denn wir sitzen drinnen. Der Wellengang ist mäßig, aber stärker als gedacht. Zusammen mit dem Aufpuffgestank im Passagierraum setzt er mir zu, ich schlucke eine Reisetablette, vorsorglich.

Am Nordende von Korfu sehen wir weiße Steilküste. Links liegt Mathraki, die Insel wird heute erst am Ende der Rundtour von der „Pegasos“ angesteuert.

Und weiter in der Ferne die erste Etappe, Eríkoussa. Nach etwa eineinhalb Stunden Fahrtzeit nähern wir uns dem Hafen. Oder was man so nennt. Genauer: es ist ein Anleger, rechts ein rosa Haus, links eine Marina vor einem Felsen. Ein paar Häuser erstrecken sich nach rechts entlang eines schönen Strandes. Menschenleer das Ganze, abgesehen von zwei Männern, die am Anleger warten. Einer nimmt die Anlegeleine. Ein paar mehr nähern sich, und der Pickup der Café-Bar „Oasis“. Das Anlegemanöver sieht für uns so aus, als würden es die Besatzung zum ersten Mal durchführen, unbeholfen, wackelig, schließlich hängen fünf Mann an der Leine, Mann gegen Boot... Die Pufferballons müssen erst noch auf die richtige Seite, Aufgabe für den Jüngsten der Besatzung, ein echter Palikari, gutaussehend, der außen am Boot entlangturnt. Die „Pegasos“ muss seitlich anlegen, da kann sie den schmalen Steg nicht ausklappen. Muskelkraft ist gefragt. Von Bord will niemand, aber kistenweise Gemüse und Obst wird über die Reling gehoben, und ein Passagier will aufs Schiff, erst sein Gepäck, dann wird er irgendwie an Bord gehievt, nicht so vertrauenserweckend. Bestimmt ein Viertelstunde hat das Ganze gedauert, dann legt das Kaiki wieder ab, Kurs nun West.

Und das Meer wird widerlicher. Welliger. Othoni sieht man schon liegen, den weißen Leuchtturm im Osten, es kann nicht mehr weit sein! Der Palikari kassiert für die Fahrt, 4 Euro pro Person, das sind doch mal zivile Preise, was zahlt man denn heutzutage in der Achterbahn? Man kann im Schiff die Treppe hinauf, wo auch das Steuer ist, die Luft ist dort besser, aber es schaukelt auch mehr. Da bleibe ich, trotzdem. Das Boot kämpft tapfer gegen die Wellen, es geht kaum vorwärts.

Als nach quälend langen 50 Minuten der Hafen von Othoni rechts von uns liegt, hab ich das Gefühl, die Minifähre steuert vorbei. Sie muss einen ganz großen Bogen machen um den Anleger gut anzusteuern. Same procedure – nein, es dauert noch länger bis die „Pegasos“ anlegen kann, nun auf der linken Seite, da kann man das Relinggeländer nicht öffnen. Ein schnauzbärtiger Mann diskutiert lautstark mit dem Palikari, ist unzufrieden mit dem Anlegemanöver. Wir stehen in den Startlöchern, kommen aber nicht hinaus. Erst wird das Gepäck hinausgegeben, ehe wir uns an der Reling durchzwängen und an Land springen. Puh, Land fühlt sich einfach gut an, und frische Luft!

Wir sehen noch ein wenig beim Ausladen zu bevor wir uns auf Quartiersuche machen, oder machen wollen. Denn nach 50 Metern kommt uns ein älterer Mann in kurzen Hosen entgegen: „Room?“ - „Nä – pu ine?“ Er zeigt mit dem Finger auf ein zweistöckiges terracottarotes Haus nicht weit entfernt, nur durch die Straße und den schmalen, felsigen Uferstreifen vom Meer getrennt. „Villa Botsoli“ heißt das Quartier. Auf einer Außentreppe geht es in den ersten Stock, alles sieht sehr gepflegt aus. Und das Zimmer ist ein großzügiges Studio mit Schlafzimmer, Küche mit Essplatz, Balkon, und Bad mit Sitzbadewanne (ohne Duschvorhang). 40 Euro möchte der freundliche ältere Herr pro Nacht, angemessen, finden wir. Ganz Gentleman trägt er unser Gepäck hinauf – beide Trolleys auf ein Mal – Respekt, aber er hat das Gewicht der Teile wohl unterschätzt (und wird bei der Abfahrt nur noch einen tragen ;-) ). Einen 10-Liter-Kanister mit Trinkwasser stellt er uns noch hin, das Leitungswasser ist nicht trinkgeeignet, aber vor dem Haus hat es einen Wasserhahn mit Trinkwasser. Einen Ausweis will er nicht – wie soll man sich auch unbemerkt von der Insel entfernen? Draußen tuckert die „Pegasos“ gen Mathraki, fast eine Dreiviertelstunde hatte sie angelegt.

Uns ist noch schwummerig von der Fahrt, deshalb legen wir uns erst ein wenig hin (nach einem Schluck Tsipurro zur Beruhigung der Magennerven). Die Brandung des Meeres ist das einzige Geräusch, das wir hören. Später Stimmen vor dem Haus – an der Stromleitung (vielmehr dem Masten vor dem Haus) wird gearbeitet. Wenn auf Othoni (körperlich) gearbeitet wird, dann sind es zu 99 Prozent Albaner, die das tun. Sie scheinen die Hälfte der Bevölkerung zu stellen. Offiziell wird die Bevölkerungszahl von Othoni mit 650 angegeben (Zählung 2001), im Winter leben tatsächlich nur noch etwa 120 Menschen hier auf dem zehn Quadratkilometern. Während der ganzen Zeit sehen wir nur zwei Kinder, im Vorschulalter. Es gibt zwar eine Schule, aber wohl keine Schüler dafür. Die größeren Kinder – falls vorhanden – müssen nach Korfu oder aufs Festland. Und die Mütter gehen scheinbar gleich mit, denn wir sehen wenig Frauen hier. Nur Männer – entweder älter und gerne in kurzen Hosen (Erbe der Engländer?), oder Albaner.

 

Später sehen wir uns den Ort an. „Ammos“ heißt er, was „Sand“ bedeutet. Einen richtigen Ortskern können wir nicht ausmachen. Nahe am Anleger hat es ein paar Tavernen, alle geschlossen. Laden? Sehen wir keinen. Eine einsame Badende steht im Wasser am Strand, der sich vor den Häusern dahinzieht und dann in Felsen übergeht. Propere Häuschen in losem Abstand, in rot, rosa oder gelb, ziegelgedeckt. Wir gehen nach Westen bis die Straße ins Inselinnere abbiegt. Alles macht so einen verlassenen Eindruck, wir sind etwas eingeschüchtert. Zurück an der „Platia“ sehen wir in einer der Tavernen einen Mann, Typ Aussteiger, mit langen Haaren. Wir fragen ob sein Lokal heute Abend geöffnet hat. Er deutet auf die leere Bucht und antwortet: „Wofür? Es ist ja niemand da.“ Er hat die Saison beendet, die hier extrem kurz ist, gerade mal ein Monat im Hochsommer, und ein paar dünne Wochen davor und danach. Nein, er bleibe den ganzen Winter hier, warum solle er weg, er wohne ja im Paradies. Ob denn eine Taverne geöffnet habe, fragen wir bange. Er erzählt etwas von Selbstverpflegung – ja super, wir haben keine Einkaufsmöglichkeit gesehen. Das Herz rutscht uns in die Hose – Fastenurlaub auf Othoni war nicht unbedingt unsere Vorstellung!

Wir gehen die Straße weiter entlang des Ufers nach Osten, vorbei an der Hafenpolizei und dem Gemeindeamt. Was es hier wohl zu tun gibt? Ich denke an den Film „Kleine Verbrechen“ – er könnte auch hier gedreht worden sein. Wobei Othoni durchaus eine kriminelle Vergangenheit hat, Schmuggler, der Stiefelabsatz Italiens liegt keine achtzig Kilometer entfernt.

 

Über die Straße neben der „Villa Botsoli“ steht ein hellgelbes Haus: die „Locanda dei Sogni“ – das Edelquartier für ab 60 Euro aufwärts fürs Doppelzimmer. Macht einen unbewohnten Eindruck, und sieht eher unscheinbar aus. Hätte mir gerne die Zimmer angesehen. Später sehe ich einen jungen Mann herumlaufen, ob das der Besitzer aus Bologna ist? Die Locanda soll laut seiner Mailauskunft bis Ende Oktober geöffnet sein. Egal, uns gefällt unser Quartier, wir würden es nicht tauschen.

 

Die cremegelbe Kirche ist zu. Sie erinnert, wie die meisten Kirchen hier in der Gegend, irgendwie an italienische Gotteshäuser. Groß das Gräberfeld des sich anschließenden Friedhofes. Es scheint als würden die Gebeine hier nicht wieder ausgegraben. Auf den Grabsteinen nur zwei verschiedene Familiennamen, „Katechis“ und „Argyros“. Katechis heißt auch unser Vermieter, Kostas Katechis, und der Hotelbesitzer auf Erikoussa mit dem ich in Mailkontakt war.

Neben dem Friedhof liegt der Stromerzeuger für die Insel. Mich faszinieren die Masten- und Kabelkonstruktionen. Noch hundert Meter weiter östlich dann der Avlakia-Hafen, eine Marina, ein kleiner Hafen für Kaikia und Motorboote. Um die Ecke eine große Baustelle – der Hafen wird für 3 Millionen Euro ausgebaut, soll dann auch bei stürmischerer See anfahrbar sein, oder vielleicht auch für größere Schiffe? Auch hier arbeiten vor allem Albaner.

Zurück in der „Villa Botsoli“. Vor dem Abendouzo gehe ich noch schwimmen. Der Strand in der Anlegerbucht ist zwar ein Kiesstrand und nicht wirklich bequem, im Wasser hat es aber feinen Sand. Allerdings muss man schon zwanzig Meter hinein bis es auch nur annähernd tief genug wird zum Schwimmen. Dafür wunderbar warm,  24°C. Zwei Segelboote nähern sich, eines von rechts (Italien), eines von links (Erikoussa). Na, da hätte eine Taverne doch potentielle Gäste heute Abend! Es ist frisch als ich aus dem Wasser komme, die heute sowieso nur sporadisch scheinende Sonne ist schon hinter dem Felsen verschwunden.

 

Ich treffe unseren Vermieter und frage ihn nach einem Laden. Doch, es gäbe einen, er hätte jetzt dann geöffnet. So gehen wir vor zum Anleger, wo wir ein kombiniertes Laden-Kafenio finden. Das Rollladentor ist zu einem Drittel geöffnet wenn der Laden offen hat, rein muss man aber durch das Kafenio. Das Sortiment ist größer als gedacht und beinhaltet auch zwei Postkartenmotive: einmal der Leuchtturm im Osten der Insel, zum anderen eine Karte mit zwei Abbildungen: der Leuchtturm links und ein schmuckes Tor rechts. Briefmarken Fehlanzeige (die werde ich auf Korfu bekommen, in Paleokastritsa, und die Karten erst dort  einwerfen. Beförderungszeit: zweieinhalb Wochen, ich male mir besser nicht aus wie lange sie von Othoni gebraucht hätten).

Brot gibt es auch – importiert von Korfu, eigene Bäckerei? Fehlanzeige.

Inzwischen hat doch eine Taverne geöffnet: neben dem Laden, wir müssen doch nicht selbst kochen oder gar hungern – was ein Glück!

Zur Abendessenszeit – eigentlich nicht vor 20 Uhr, aber hier schon auch mal früher, treffen wir im „Katrokios“ ein. Die Taverne ist gut belegt, drei Gruppen zeichnen sich ab: eine Seglertruppe aus heimischen Landen (sie haben sogar die baden-württembergische Landesflagge gehisst auf dem Boot!), eine Gruppe Albaner, und eine Gruppe älterer Einheimischer. Der Fernseher dröhnt, heute findet das große TV-Duell statt zwischen Jorgaki Papandreou und Kostas Karamanlis, in knapp zwei Wochen sind Wahlen.

Die Wirtin eröffnet uns, sie hätte heute nicht gekocht, daher gibt es nur Speisen vom Grill. Am Suflaki und dem Hähnchenfilet ist nicht auszusetzen, lecker gewürzt, große Portionen, die Pommes handgemacht wie wir sie lieben.

 

Auf der Papiertischdecke ist Korfu abgebildet, aber die diapontischen Inseln hat man einfach weggelassen – allerhand, und das auf Othoni! Mit dem Kugelschreiber nehme ich eine entsprechende Korrektur vor, und der Tavernenwirt grinst. Er ist der Typ mit dem Schnauzbart, der heute Mittag mit den Fährleuten so heftig über die richtige Art des Anlegens diskutiert hat.

Dem ersten halben Liter Wein folgt ein weiterer, gespendet von unserem Vermieter, der am Nachbartisch mitdiskutiert. Wir genießen die Atmosphäre, und werden von der landsleutigen Seglertruppe gefragt, wie es uns hierher verschlagen hätte. Sie sind von Italien herübergekommen, der Wind wäre toll gewesen.

Man muss das mögen mit den kleinen Booten, dem Wind und den Wellen.

Wir sind lieber an Land.

 

Morgen werden wir das Inselinnere erkunden.