Nach Erikoussa - Versuch und Scheitern

Von den nach wie vor unangenehmen Aufpuffgerüchen abgesehen ist die Fahrt besser als erwartet. Es schaukelt lange nicht so sehr, die Fahrtrichtung von West nach Ost ist wohl nicht so wellenausgesetzt (bin nautisch völlig unbeleckt). Eine Stunde brauchen wir trotzdem, bezahlen 2,50 Euro pro Person. Leider kann man nicht gut rausgucken oder gar fotografieren weil die Ladefläche voll ist und man sich nur an der Türe festhalten kann – nicht sehr solid auf schwankendem Schiff. Schade, wenigstens den Leuchtturm hätte ich gerne fotografiert. Die Steuerkabine oben ist von den Männer belegt. Die Frauen bleiben unten im Passagierraum, noch wohlgemut, nur eine schwächelt, muss sich von ihrem Mann Tropfen bringen lassen – zur Schau getragenes Leiden.

Wir näheren uns Erikoussa. Erikoussa, die nördlichste der diapontischen Inseln:

Viereinhalb Quadratkilometer klein, laut letzter Zählung von 2001 knapp 700 Einwohner, was ich nicht glauben kann. Im Winter sind es sicher weniger als auf Othoni, wo es immerhin mehrere Orte gibt. Also kein hundert Einwohner. Das einzige Hotel seit letzter Woche geschlossen, den per eMail hilfsbereiten Wirt habe ich telefonisch und per SMS nicht erreicht. Mal sehen was kommt....

Wir sehen zunächst, dass die „Pegasos“ heute auch hier nicht am langen Anleger halten wird, sondern weiter links, an der Marina. Durch eine Felsenwand geschützt, ist das Meer hier ruhiger, und das Boot kann wieder den Steg ausklappen und als Rutschbahn benutzen. Es hat auch mehr abzuladen als neulich, unter anderem uns. Drei oder vier PKW stehen da, und sieben oder acht Insulaner. Wir sind aber die einzigen Passagiere, die von Bord gehen, die Trolleys werden uns nachgereicht. Da stehen wir erst mal und gucken dem Verladen zu. Der blaue Pick-Up mit der Aufschrift „Snack-Bar Oasis“ ist auch wieder da, und wird beladen. Kartoffeln und Gemüse.

Wir werden von niemand angesprochen, kommen uns fast unsichtbar vor, ignoriert. Klar, die Leute sind beschäftigt. Bis zu dem, was wir als Ort ausmachen, ist es ein Stück zu Fuss. Ein erster PKW entfernt sich. Von einem zweiten Pick-Up wird nun auf das Schiff verladen: das sieht verdammt noch dem Inventar eines Ladens oder einer Café-Bar aus: Tetrapacks mit Saft, eingeschweißte Sandwichbrötchen. Und Unmengen leerer Gasflaschen. Uns beschleicht das Gefühl, dass hier gerade die Insel verladen wird. Der Typ auf dem Quad fährt auch wieder weg. Die Mutter drängt, ich solle nach einem Zimmer fragen bevor sich alle inklusive Fähre verdünnisiert haben. Ich rede eine junge Frau an „Iparchi domatio?“ Sie guckt uns an als wären wir vom Himmel gefallen und würden ein vollkommen abwegigen Wunsch äußern. Sie fragt die Nachbarin. Kopfschütteln. Der Soundso hätte schon zu, und der Xyz wäre auch nicht mehr da. *Schluck*. Der Oasis-Typ scheint auch nix zu haben. Es wird telefoniert. Erfolglos. Ich frage, ob es besser wäre wenn wir auf die „Pegaos“ zurückgehen würden und nicht hier blieben. Es wäre besser, wird uns geraten. Wir sind konsterniert. Wir haben kein Wasser, und kein Brot, nur ein paar Kekse. Ob ein Laden geöffnet ist steht in den Sternen, dito eine Taverne (die österreichischen Segler haben uns gewarnt). Das Wetter ist durchwachsen, und wir haben kein Quartier ins Aussicht.

Wir gehen zurück auf die Fähre. Und fühlen uns geschlagen.

Es hätte mein fünfzigste bewohnte griechische Insel sein sollen, Erikoussa. Es waren nur zehn Minuten  - zählen die? Keine Ahnung - die Regeln mache ich eh selbst ;-), und in dem Moment auch egal.

 

Der Kapitän der „Pegasos“ erfährt von unserem Problem, er hat da noch jemanden, der ein Haus hat. Er telefoniert mit dem Handy. Wie lange wir bleiben wollten? Zwei, drei Tage... Für fünfzig Euro pro Nacht könnten wir eine Villa haben. Aber wir haben uns schon verabschiedet von dem Gedanken an Erikoussa. Zu trostlos, zu verlassen, zu Nachsaison.

Die „Pegasos“ legt ab, und wir mit ihr.

Bye bye Erikoussa, bye Mathraki. Ein anderes Mal, im Sommer, vielleicht, nein: bestimmt!

 

Wir sind niedergeschlagen. Nun fahren wir also wieder nach Korfu, nach Paleokastritsa. Früher als geplant, mindestens drei Tage. Ein Gutes hat es aber schon: so werden wir mehr Zeit für Paxos haben. Flexibilität muss man schon haben auf den griechischen Inseln, sonst bleibt man auch mal länger als geplant, gezwungenermaßen... Und immerhin hatten wir sehr schöne Tage auf Othoni!

 

Wie wir noch an unserer Enttäuschung kauen, wird das Meer unruhiger. Wir merken es nicht gleich, und als wird es merken, sehen wir die Ursache in der nun geänderten Fahrtrichtung der Fähre nach Süden, die schon bald Mathraki passiert hat. Die Fähre schaukelt mächtig, kein Wunder, sie ist ja auch nicht groß. Die Wellenberge werden höher, der Himmel dunkel, und das Ganze macht nun überhaupt keinen Spaß mehr!

Wenig später sehe ich rechts, im Westen, erste Blitze über den Himmel zucken. Ein Gewitter – das hat uns wirklich noch gefehlt! Ich hab gedacht, eine Seefahrt könnte nicht viel schlimmer sein als letztes Jahr von Gavdos nach Kreta. Dabei war dort noch fast blauer Himmel, nur ein paar blöde Strömungen und Wellen. Und das Schiff auch nicht so klein. Der „Pegasos“ ist aber richtig klein, verschwindet im Wellental, bekommt ein Woge seitlich, und das Gepäck fährt hinten auf dem Deck spazieren. Ich muss mal gucken ob alles noch da ist, oder schon über Bord gegangen, und kämpfe mich nach hinten – immer gut festhalten! Die Trolleys sind noch da, liegen umgefallen mitten drin, das Sauerstoffgerät fährt bei jedem Schaukeln gegen meinen Trolley. Ich verbarrikadiere das Gerät mit zwei leeren Gasflaschen, die Dinge haben auch leer noch reichlich Gewicht, ächz. Schlage mir das Schienbein an der Türe an beim Hineinschwanken.

Der Dicke muss auf die Toilette. Wie er sich in den schmalen Gang zwängt, lenkt uns kurz ab. Später erklimmt er die Treppe hinauf aus Steuerdeck. Verbessert die Frachtverlagerung das Wellenverhalten der „Pegasos“? Nicht wirklich...

Jetzt wären draußen ein, besser: zwei Plätze frei. Drinnen ist es aber sicherer, auch trockener, obwohl es nicht regnet: die Gischt spritzt über das Deck, natürlich.

 

Die Fahrt dauert endlos. Die Wellen werden übler. „Panagia mou!“ schreit beim nächsten heftigen Querschaukler die ältere Griechin vor mir, die bisher noch recht gelassen getan hat, und bekreuzigt sich drei Mal. Die vorhin schwächelnde Frau rechts ist inzwischen einer Ohnmacht nahe, wird von ihrem Mann gepäppelt. Ich kämpfe mit Übelkeit und Angst, die Mutter, die ausgesprochen seefest ist, nur mit der Angst. Ich hasse Inselhüpfen! In diesem Moment habe ich nur einen Wunsch: Land! Und zwar nicht in Sicht, sondern unter den Füßen. Ja, Griechenland ist schön, Fähre fahren ist toll, weiße Häuser, blaues Meer, Herz was willst du mehr? Bloß, wenn das Wetter schlecht ist, und man auf einer Minifähre im Gewitter Achterbahn fährt, dann fühlt sich das ganz anders an!

Wie groß kann denn Korfu sein, dass das links nicht schon die Felsen bei Paleokastritsa sind?

 

Eine gefühlte Ewigkeit später sind es dann endlich doch die Felsen von Paleokastritsa, vor uns. Keinen Blick haben wir für das Kloster, und wo sich vor Tagen noch Bötchen zur Höhlenbesichtigung getummelt haben, klettern nun meterhohe Brecher die Felsen hinauf, fluten die Höhlen. Die „Pegasos“ dreht in den Hafen hinein, der geschützt und deshalb vergleichsweise ruhig liegt. Wir stolpern von Bord, nachdem ich noch die Tickets Erikoussa – Korfu nachgelöst habe. Wie schön, an Land zu sein, und es geht nicht nur uns so! Fast möchte man den Boden küssen... die Griechinnen bekreuzigen sich erneut. Panagia mou.... fast hätte ich ein Gelübde getan. Die wackere „Pegasos“ hat es doch geschafft, an der Hafeneinfahrt blinkt die Sturmwarnung. Ausfahrt nicht zu empfehlen. Die Kleinfähre wäre bestimmt nicht ausgelaufen am Morgen, hätte der Kapitän dieses Gewitter vorausgeahnt.

Wir brauchen dringend etwas fürs innere und auch fürs äußere Gleichgewicht, deshalb führt der direkte Weg in die Taverne am Hafen. Ein griechischer Kaffee soll die Lebensgeister zurückbringen, wir setzen uns auf überdachte Terrasse, Blick auf Hafen und „Pegasos“. Eine Viertelstunde später bricht ein Wolkenguss herab wie wir ihn inzwischen von Griechenland schon kennen. Wir flüchten vor dem Horizontalregen ins Taverneninnere. Sinnlos, sich auf Quartiersuche zu machen.

Eine Stunde später gießt es immer noch. Eine kurzweilige Stunde, denn ein Bootsbesitzer versucht verzweifelt, sein Motorboot irgendwie zwischen den zahllosen Miet- und Ausflugsbooten festzumachen. Nass ist er schon lange, da kann er auch in voller Montur ins Meer hüpfen, hält nur das Handy über Wasser. Der Sandstrand bringt keinen Halt für den Anker, einer der Bootsverleiher will ihm helfen, reicht ein Tau, aber er will es irgendwie anders. Nichts findet seine Zufriedenheit, alles wieder von vorne, wieder hier versuchen, dann dort, und ganz am Schluss dann den Anker im Sandstrand mit zwei Sonnenschirmständern beschweren – das hält! Beifall hätte er verdient, er flüchtet in ein Auto.

Unsere weitere Gleichgewichtsfindung wird durch einen Metaxa gefördert, der Regen hört nicht auf. Der beste Metaxa ever!! Hundert statt fünf Sterne!

Nach zwei Stunden schwächt sich der Regen ab und ich eile, mit Schirm bewaffnet, zum „Astacos“, wo wir wieder ein Zimmer für 50 Euro die Nacht bekommen. Das größte und schönste Zimmer, Platz wäre zum Tanzen. Meine Schuhe transportieren Strand samt Wasser hinein.

Später erstehen wir Briefmarken am Souvenirladen - es gibt nur welche wenn man auch Postkarten kauft, dabei hab ich doch noch welche von Othoni. Immerhin muss die Zahl der Briefmarken nicht mit der der gekauften Postkarten übereinstimmen. Wir bewundern den leeren Strand von Paleokastritsa mit seinem merkwürdigen Behindertensteg. Und wir essen – nicht so gut wie vor Tagen - im „Astacos“ – die Tomatensauce der Canelloni besteht aus Ketchup und die Dolmadakia sind aus der Dose. Die Wirtin kassiert gleich fürs Zimmer, sie muss morgen nämlich beizeiten zur Weinlese, eigener Weinberg. Einen Metaxa bekommen wir noch aufs Haus bevor wir die Treppe hinauf klettern, ins Bett sinken und von wüsten Überfahrten träumen.

Ein Absteher ins Internetcafe des Hotels Apollon bringt am Morgen die Erkenntnis: nach Paxos kommen wir frühestens um 14.45 Uhr mit dem Flying Dolphin ab Kerkyra. Wir werden mit dem Bus um 11.45 Uhr nach Kerkyra fahren, dort ein wenig bummeln, was essen. Es regnet nicht mehr, die Wellen sind mäßig, ganz sauber ist das Wetter aber noch nicht. Trotzdem finden sich schon wieder die ersten Busse ein, ein paar zögerliche Boote fahren die Leute die Küste entlang zu den Höhlen. Die Souvenir- und Strandbedarfbuden hängen ihre Waren raus, Badewetter ist das aber heute nicht.

Der Bus ist pünktlich, und ein halbe Stunde später sind wir in Kerkyra. Im Vorbeifahren sehe ich im Hafen die „Alexandros K“ liegen – eigentlich dürfte sie jetzt nicht hier sein, sondern irgendwo bei Othoni oder Mathraki. Wegen des Wetters im Hafen geblieben? Ist doch nicht annähernd so schlimm heute? Gut, dass wir nicht auf Erikoussa geblieben sind, der Tagesausflug nach Mathraki hätte nicht geklappt, und weggekommen wären wir heute auch nicht von der Hungerinsel...

Am Busbahnhof können wir für zwei Stunden das Gepäck abgeben, sogar kostenlos. Kaufen die Schiffstickets für das Tragflügelboot „Santa III“ nach Paxos (€ 16,40), bummeln durch die Altstadt, es ist viel los. Essen recht grässlich an einer Imbissbude unterhalb der neuen Festung. Es beginnt zu nieseln.

Wir holen die Trolleys ab und gehen zum Hafen. Das Schiff, vielmehr Tragflügelboot ist schon da, wir gehen an Bord.

 

Neues Ziel: Die Paxi-Inseln!