Wanderungen zum Meer

Der kleine Tisch auf der Terrasse ist am Morgen dicht mit Saharastaub bedeckt, den der Südsturm mitgebracht hat. Das Wetter ist komisch in diesem Mai, untypisch: Viel Südwind, kaum Nordwind. Aber eigentlich war das Wetter schon die letzten Monate nicht normal: erst das extrem trockene Jahr 2018, dann der regenreiche und kühle Winter. Und die Temperaturen kommen im Mai noch nicht so recht auf Touren, das Meer ist zwei Grad kälter als sonst um diese Jahreszeit.

Zum Wandern ist es aber optimal. Trotz des immer noch starken Windes, der am Nachmittag nochmals auffrischen soll und den Fährverkehr weiter einschränkt (ich sehen den ganzen Tag keine Fähre), scheint die Sonne. Außer am Profitis Ilias, da hängen die Wolken.

 

Der Busfahrplan hat gewechselt, es gibt nun einen Bus um 10.15 Uhr von Artemonas nach Cheronnisos. Auf den warten an der Bushaltestelle in Artemonas einige Leute, fast alles Touristen im Wanderoutfit. Ich stelle wieder fest, dass das Konzept mit den Sifnos Trails und dem Wandertourismus voll aufgegangen ist. Ist ja auch wunderschön, hier zu Fuß unterwegs zu sein, zumal wenn die Wiesen so herrlich blühen wie gerade.

Ich löse das Ticket bis Troulaki, wo ich um halb elf als einzige aussteige. Heute will ich mal nicht auf den Berg, sondern ans Meer. Auf Umwegen natürlich, aussichtsreichen Umwegen.

Ich habe mir den Sifnos Trail Nr. 9 vorgenommen, den ich aber schon weiter oberhalb beginne. Kurz hatte ich erwogen, noch die Kirche des heiligen Nikitas nördlich oberhalb von Troulaki mitzunehmen, aber ich kann schlecht einschätzen, wie lange ich brauche, und ich will es entspannt angehen. So wandere ich ab Troulaki auf der Straße nach Norden bis an der Kapelle Agios Antonios hinter einem Tor ein schöner Fußweg beginnt, der die weite Kurve der Straße abschneidet. Dieser Weg gehört nicht zu den Sifnos Trails und ist später etwas mit Brennnesseln zugewachsen, aber offenbar eine alte Wegverbindung, wunderbar mit Steinplatten gepflastert, von Mauern eingesäumt und sehr breit.

Bei Diavroucha, einer Siedlung aus fünf Häusern, trifft der Weg wieder auf die Straße.

Die Wanderkarte von Terrain verzeichnet ab hier einen weiteren Fußweg parallel zur Straße, den ich mir aber schenke - ich bleibe auf der Straße. Die Wiesen sind hier gelb von Wucherblumen, Mauern unterteilen das Gelände. Links unten erahnt man die Bucht von Vroulidia, später sieht man sie. Eine Piste führt in weiten Schleifen hinab, im Sommer sollen dort am Strand sogar zwei Tavernen geöffnet haben. Ich bleibe aber oberhalb, auf der Straße. Unten am Hang sehen ich irgendwo zwei Wanderer und gerate kurz auf die falsche Fährte - sollte der Trail 9 schon hier abbiegen? Ich sehe keinen Weg, und schon gar nicht den typischen Wegweiser. Der wartet ein Stück hinter der Kapelle Agios Grigoris auf mich. 2,4 Kilometer, fünfzig Minuten bis zu den Kirchen Agios Nikolaos und Filippos, dann wieder einen Großteil zurück ehe der Weg nach Cherronissos links abzweigt. Fünfeinhalb Kilometer insgesamt, müsste in zwei Stunden gut zu schaffen sein. Ab Cherronissos fährt der Bus um 16 Uhr 20 zurück nach Artemonas. Jetzt ist es Viertel vor zwölf, ich hab reichlich Zeit.

 

Der Weg verläuft zwischen zwei niedrigen Mauern leicht bergab. Nach einer Viertelstunde erreiche ich den "See von Ambourdektis", einen von Wacholderbüschen teilweise eingerahmten Tümpel, der von Herbst bis ins Frühjahr Wasser führen soll (der Name Ambourdektis soll von Ombrodektis = "wo Regenwasser empfangen wird" kommen). Tatsächlich steht hier das Wasser laut einer Markierung aktuell etwa eineinhalb Meter hoch. Nix für regenverwöhnte Nordeuropäer, aber für die trockenen Kykladen durchaus erwähnenswert. Daneben gibt es die Grundmauern eines Turmes zu bewundern.

 

Nach dem Tümpel teilt sich der Weg, der Weg nach Cherronissos geht nach Norden, der zu meinem Ziel Agios Nikolaos nach Westen. Er verläuft zunächst auf einem niedrigen Bergrücken, von dem aus man einen guten Blick auf das sifnische Nordkap mit der Kapelle Agios Georgios und die dahinterliegende Insel Serifos hat. Eine kleine Bucht (Tsoulades) lockt davor, das Meer in tiefem Knallblau.

Links hängt die Bergkette mit Agios Simeon und Profitis Ilias Troukaliou in dem Wolken, die davorliegenden Hänge präsentieren irlandgrüne Terrassen unterschiedlicher Zersetzungszustände.

 

Der Weg führt schattenlos über das Felsenkap, er zieht sich etwas, ist aber nicht wirklich weit und in gutem Zustand. Die Blumenwiesen sind längst hellen Felsen und darin verteilten Frygana-Polstern gewichen. Die Meeresbrandung ist die bestimmende Geräuschkulisse.

25 Minuten nach der Abzweigung kommt mein Ziel in Sicht: das Gebäude der Kirche Agios Nikolaos, das weiß leuchtend etwas oberhalb der zerklüfteten Felsenküste liegt. In fünf Minuten bin ich da, ein wunderbar einsamer Platz mit einer schattigen Terrasse, über die der Wind zieht. Die Kirche ist geöffnet, der Heilige links der Panagia weist sie als Agios Filippos aus. Und wo ist der heilige Nikolaos? Eine zweite Kapelle ist nicht zu sehen, aber zwei Nikolaos-Ikonen. Offenbar teilen sich die beiden Heiligen die Kirche. Löblich, und im Trend der Zeit: Teilen ist in.

Ich singe ein wenig ehe ich zwei Kerzen entzünde. Das wird allmählich inflationär hier auf Sifnos. Dann schlendere ich über das Gelände hinter die Kirche, wo Stapel von Schieferplatten darauf harren, als Bodenbelag verarbeitet zu werden.

Schließlich suche ich mir ein sonniges und windgeschütztes Plätzchen für die Mittagsrast. Schön hier so am Inselrande, mit Blick entlang der wolkengekrönten, bergigen Küste und auf das stürmisch antobende Meer.

 

Die Stufen zum Bootsanleger gehe ich auch hinab, und bemerke von hier unten, dass das Kreuz auf der Kirche ziemlich windschief ist. Hoffentlich hält das! Die griechische Flagge, die darüber im Wind weht, hat schon die Hälfte ihrer Fläche eingebüßt, aber das Kreuz ist noch da, und das ist ja das wichtigste.

Wieder auf dem Rückweg kommen mir gleich mehrere Gruppen Wanderer entgegen. Zuerst zwei, dann vier Franzosen. Mit ihren Turnschuhe sind nicht wirklich optimal ausgerüstet, aber der Weg ist hier problemlos. Wie schön, dass ich die Kirche alleine erleben konnte.

Kurz vor dem Tümpel treffe ich dann ein deutsches Paar, aus München. Sie sind zum ersten Mal auf Sifnos und begeistert von den Wandermöglichkeiten und der Insel. Sollten hier neue Wiedergänger wachsen? Wir schwätzen lange, so lange, dass die erste französische Truppe schon wieder zurückkommt - haben es ja nicht lange an der Kirche ausgehalten.

Aber schließlich geht es weiter, die Bayern zur Kirche und ich nach Cherronissos, wohin es nicht mehr weit ist. Auf dem Hügel schwenken zwei große Windräder ihre Arme, und links wird nun die tiefe Bucht von Cherronissos mit ihren Häusern und den im Fjord schwimmenden Bötchen sichtbar. Dahinter die Schneise der Straße zur Georgskirche, unbarmherzig auf den Hügel gefräst - die Kirchgänger sollen es ja leicht haben. Ich erinnere mich an den unbeleuchteten Rückweg vom Panigiri dort vor Jahren, und mir blutet leicht das Herz.

Aber jetzt freue ich mich auf ein schönes Radler und eine Kleinigkeit zum Essen. Und vielleicht ein Bad im Meer.Vorher kommen mir aber nochmals zwei Wanderer entgegen, zwei junge Frauen in luftigen Kleidchen. Ob sie auch zur Kirche wollen?

 

Um halb drei bin ich dann unten am Ufer und hab zwei Tavernen zur Auswahl. Im "Ammoudia" war ich schon öfters, dessen Terrasse liegt aber jetzt komplett im Schatten, es hat keine Gäste dort. Weil mir schon wieder kühl ist, verwerfe ich die Idee auf ein Bad und wähle die andere Taverne, "Cherronissos", bei der einige der Tische entlang des Ufers in der Sonne liegen wo und ein paar Gäste sitzen.

Die Wirtin bringt eine unübersichtliche Karte, ich frage aber lieber nach den Tagesspezialitäten. Ein Fehler, wie ich noch merken werde. Sie preist diverse Fische an und nennt auch Oktopussalat. Ich hab noch die leckeren Teile von gestern im Kopf und bestelle einen Oktopussalat, dazu Brot, ein Bier und eine Zitronenlimo.

Vor mir liegt das glitzergrüne Meer der Bucht mit darin schwebenden Kaikia, und ich bin tief zufrieden. Das Radler schmeckt köstlich, und auch der Achtfüßler ist gut, aber etwas wenig gewürzt. Mehr Zitrone würde nicht schaden, aber ich habe keine bekommen. Aber in dieser Kulisse ist das wirklich nur ein Detail.

 

Ich sitze lange und beobachte die zahme Möwe, die zur Taverne gehört und von der Wirtin mit Brotresten gefüttert wird. Was das Tier nicht wirklich goutiert, ihm steht der Sinn nach besserem: Gibt es keinen Fisch? Oder es ist satt.

Ich bestelle schließlich die Rechnung, und erlebe eine Überraschung: Mit 14 Euro 50 schlägt der Oktopussalat zu Buche, mit Brot, Limo und Bier summiert sich das Ganze auf stolze 21 Euro 50. In einem edlen Stadtlokal mag das ein angemessener Preis sein, aber für eine ländliche und einfache Fischtaverne am Ende von Sifnos ist das deutlich zu viel (und meine teuerste Essensrechnung in diesem Urlaub). Ich äußere zaghaft meinen Unmut, werde aber keiner Entgegnung gewürdigt. Die handschriftliche Quittung verschwindet mit dem Wechselgeld. Sinnlos, sich darüber zu ärgern und sich den doch so schönen Tag zu versauen, auch wenn das offenbar Methode hat (siehe entsprechende Einträge bei tripadvisor: Nr. 102 von 104 Restaurants auf Sifnos, auch eine Leistung).

Nächstes Mal wieder ins "Ammoudia". Hoffentlich färbt das nicht ab....

Ich schlendere noch etwas entlang der Bucht, die in nachmittäglicher Stille daliegt, ehe ich hinauf zur Bushaltestelle geht. Der Wind bläst kräftig über den überdimensionierten Platz, die wartenden Abfahrwilligen verteile sich auf geschützte Plätze am Rand. Da ist auch der lokale Kickplatz, nur an den beiden traurigen Toren zu erkenne, die ein Schutthalde begrenzen. Es ist nicht leicht, in Cherronissos Kind zu sein. Aber vermutlich gibt es hier gar keine Kinder mehr.

 

Ziemlich pünktlich um 16 Uhr zwanzig kommt der Bus und bringt mich zurück nach Artemonas.

Der Wind legt zum Abend wieder ordentlich zu, es stürmt als ich zu einer abendlichen Fotorunde aufbreche, die bei "Margarita" in Artemonas enden soll. Die abendlichen Fähren wurden gestrichen, aber spätestens ab Mittwoch wird das Wetter wieder prima. Das passt, denn dann will ich nach Kimolos.

Noch bin ich aber hier auf Sifnos.

Die Fotorunde mit dem abendlich-schrägen Licht liefert ein paar schöne Motive eh es zu dunkel wird. Bei "Margarita" ist heute viel weniger los, die wenigen Gäste sitzen drinnen, denn auf der Terrasse bläst es einem das Essen vom Teller. Immer noch keine Ceviche im Angebot, das wird dieses Frühjahr wohl nichts mehr. Die Wirtin ist heute selbst im Einsatz, sie empfiehlt Pilzsuppe. Die nehme ich, dazu gebratenes Fleisch in Zitronensauce. Es schmeckt wieder sehr gut, und zu fairem Preis. Da ärgere ich mich gleich wieder über den Oktopus heute Mittag.

Und was stelle ich morgen an meinem letzten Sifnos-Tag an?

 

*

 

Der Dienstag präsentiert sich mit blauem Himmel und kühlem Wind. Bestes Wanderwetter. Da hab ich die Qual der Wahl. Ich möchte Richtung Exambela wandern, eher ziellos, und dann hinab nach Apokofto und Chrissopigi. Vielleicht finde ich das Mohnfeld, das ich neulich vom Bus aus gesehen habe. Zuerst schicke ich aber eine eMail an Jürgen, ob er Zeit und Lust hat, sich in Apokofto mit mir zu treffen.

 

Gegen zehn Uhr wandere ich los, bergwärts durch Apollonia. Bei der Straßenschleife mit der Windmühle und dem Supermarkt biege ich nach Exambela ab. Ich habe keinen genauen Plan, durchquere Exambela, entdeckte die Taverne "I Ampelos", von der mir das bayrische Paar gestern vorgeschwärmt hat: gutes Essen und Stimmung, dazu Live-Musik eines (ehemaligen?) Pappas. Oder war es ein Mönch? Egal - jetzt in der Vorsaison wird es Live-Musik nur am Wochenende geben, nicht unter der Woche.

 

Ich treffe wieder auf die Hauptstraße. War hier das Mohnfeld? Rechts der Straße ist eine große Wiese, aber sie leuchtet nur noch punktuell rot. Dafür habe ich nun eine große Wandergruppe vor mir, die glücklicherweise nach Westen abbiegen.

Links wird am Ende des grünen Tales der Blick auf Kastro frei. Und rechts baut sich das Kloster Vrissi vor mir auf. Dem könnte ich auch mal wieder einen Besuch abstatten, der letzte ist lange her.

Gedacht, getan: die Stufen zum dem weißen Wehrbau hinauf, die Pforte ist zwar zu, aber unverschlossen. Durch einen Tunnel dann hinein in den blumengeschmückten Innenhof. Es ist ruhig hier, nur von irgendwoher klingt leise sakrale Musik. Die Kirche ist verschlossen, es ist auch kein Mönch zu sehen. Keine Ahnung, wie viele es im Kloster noch sind, ich erinnere mich aber noch gut an einen Ostersonntagmorgen hier, und den freundlichen Abt, der rote Eier austeilte. Nachher, als ich weiterwandere, wird mir ein Auto mit einem Mönch am Steuer entgegenkommen.

 

Es sind aber noch zwei Besucher da, zwei ältere Herren, die oben auf einer der Dachterrassen stehen. Touristen offenbar, aus Großbritannien oder Skandinavien. Dabei haben sie jeweils einen Fotoapparat der besonderen Art: antike Großbild-Platten-Kamaras mit Stativ. Solche Teile, bei denen der Fotografierende unter einem schwarzen Tuch verschwindet und das Motiv minutenlang avisiert ehe auf den Auslöser gedrückt und das Motiv auf Glasplatte gebannt wird. Slow photography. Interessant. Schweigend arbeiten die beiden Männer, fast wie ein Ritual wirkt das Ganze.

Später komme ich mit dem einen kurz ins Gespräch, er muss aufpassen, dass der böige Wind die Kamera nicht umwirft wenn er sie auf dem Mauerrand aufbaut und in den Klosterhof hinab fotografiert.

Wäre interessant zu wissen, wie so ein Foto nachher aussieht, aber die Entwicklung der Negative und die Anfertigung der Abzüge sind auch slow photography. Deshalb haben die beiden natürlich zusätzlich auch Digitalkameras dabei.

Ich genieße die Vorzüge meiner Panasonic Lumix, der sich hier unheimlich viele Motive bieten: vom weißgetünchten Kirchendach über den Glockenstuhl zum bemalten Innenhof mit seinen Blumen. Und die Umgebung: Agios Andreas am Rande des Burgberges, Kastro unten im Tal und die Wiesen rund um das Kloster. Schön hier!

Dann klingt mein Telefon. Es ist Jürgen, mit dem ich mich in um eins, halb zwei in Apokofto verabrede. Das ist in zweieinhalb Stunden und sollte stressfrei zu schaffen sein.

 

Ich verlasse das stille Kloster und biege dort auf den Sifnos Trail Nr. 3a ein, der am Hubschrauberlandeplatz und an einem Fußballfeld vorbeiführt. Immer noch blühen die Wiesen in einer üppigen Pracht. In einem Pferch melkt ein Mann sein Ziegen. Er grüßt freundlich, und ich gehe beschwingt weiter. Plötzlich fährt ein heftiger Schmerz in meinen rechts Fuß. Genauer: das Großzehengelenk. Ich habe es mir auf dem steinigen Untergrund übertreten, und mein Hallux Rigidus, der mich gelegentlich höchst unfreundlich darauf hinweist, dass ich keine dreißig mehr bin, hat diese Überdehnung des Zehs ausgesprochen übel genommen. Es ist meine Premiere mit dieser Schmerzerfahrung, und ich fluche und stöhne leise vor mich hin. Versuche den nächsten Schritt - tut übel weh bei Belastung des Vorderfußes. So ein Mist, was mache ich denn nun? Zur Straße ist es nicht weit, von dort per Anhalter weiter? Ich will mich aber nicht geschlagen geben, beiße die Zähne zusammen, probiere. Zum Glück habe ich meinen Wanderstock dabei, mit ihm kann ich den schmerzenden Fuß entlasten, vorsichtig auf der Ferse auftreten und weitergehen. Und die Wege hier sind ja halbwegs gut geräumt und zu gehen. Was mache ich aber, wenn mir das irgendwo bei einem Gipfelsturm oder sonst jwd passiert? Da kommt man ins Grübeln ... Wäre mir ja sonst auch glatt zu gut gegangen in diesem Urlaub.

Ich hatsche langsam weiter, erreiche die Straße. Nein, es wird schon gehen. Ist ja auch nicht mehr weit. Um auf den richtigen Weg zu stoßen, muss ich auf der Straße ein Stückchen Richtung Norden gehen. Ich glaube, vor Jahren sind meine Mutter und ich hier falsch gegangen, was zu unerfreulichen Um- und Abwegen führte. Wie schön, dass es jetzt die Sifnos Trails gibt.

 

Ich nutze einem Mauervorsprung für eine Rast und um ein Brufen 600 einzuwerfen. Gibt es in Griechenland rezeptfrei, und ich hab genau für solche Notfälle gerne welche dabei. Während meiner Rast werde ich von einem Paar überholt, auch heute bin ich nicht die einzige Wanderin, die unterwegs ist. Später kommt mir noch ein einzelner

Mann entgegen.

Der Weg führt nun, teilweise in einer Rinne, bergab und ist immer noch ziemlich steinig. Wenn ich vorsichtig gucke, wohin ich trete, dann geht es ganz gut. Schließlich erreicht der Fußweg am Ende eines grünen Flusstales eine Piste, und kurz darauf stehe ich am Strand von Apokofto, wo sich die Panagia Chrissopigi in großen Regenlachen widerspiegelt. Eine Stunde zwanzig Minuten habe ich trotz Handicap gebraucht, es ist halb eins vorbei. Da hab ich vor dem Treffen mit Jürgen noch Zeit, der Kirche auf dem Inselchen einen Besuch abzustatten und ein paar Kerzen für meinen großen Zehen anzuzünden.

Ich erreiche das Kirchlein kurz vor einer großen französischen Wandergruppe, der ich aber den Vortritt lasse und mich erst mal auf einen der beiden Stühle im Vorhof setze. Sofort kommt die altbekannte Klosterkatze, die inzwischen ein Glöckchen an einem Halsband trägt.

 

Ein paar Männer sind dabei, die Wände und Decken der Klostergebäude von abblätternden Farbschichten zu befreien. Wie überall hat das schlechte Wetter diese Arbeiten bisher aufgehalten, aber bis Christi Himmelfahrt ist ja noch Zeit, es findet dieses Jahr spät (6. Juni) statt. Ich mag diese entspannte Geschäftigkeit, die Arbeiter sind in Plauderlaune.

 

Die Wandertruppe lässt sich Zeit mit der Kirchenbesichtigung, also betrete ich die Kirche und zünde gleich fünf Kerzen an, zur Genesung akuter und weniger akuter Zipperlein und gegen Entrichtung eines entsprechenden Obolus, sonst wirkt es ja nicht. Dass man die Kerzen wieder auslöschen soll, steht nur auf Griechisch da (offenbar dürfen die Kerzen von Touristen brennen), und ich kann das ja nicht lesen ... ;-)

Es wirkt auch prompt, zumindest hab ich in den folgenden Stunden und Tagen keine Beschwerden über das übliche (erträgliche) Maß hinaus. Nächstes Mal hänge ich ein Fuß-Tama dort hin. :-)

 

Als die Wandergruppe gegangen ist, hab ich die Kirche für mich alleine und kann sie mir in aller Ruhe angucken. Auch hier hängt ein Schiff unterm Dach, und auch hier sind Restaurierungsarbeiten in Gange. Die Nähe zum Meer mit seiner salzigen Feuchtigkeit setzen Gebäude und heiligem Inventar zu.

Nun wird es aber Zeit für mein ραντεβού mit Jürgen. Er sitzt schon an einem schattigen Tisch in der Taverne Apokofto. Hungrig lassen wir uns in der Küche die Speisen zeigen, die mir anschließend präsentierten Souzoukakia lassen keine Wünsche offen, und auch Jürgen ist mit seinem Briam zufrieden. Wir setzen unsere Fachsimpelei vom Vorvortag bei einem offenen Weißwein fort, und die Zeit vergeht im Fluge. Hatte ich eventuell vorher noch ein Bad im Meer erwogen, so ist es mir dazu jetzt ersten zu kalt, und zweitens hab ich zu viel gegessen.

 

Irgendwann um vier Uhr verlagern wir uns mit Jürgens Mietauto eine Bucht weiter nach Faros ins "Gorgona" auf einen Kafedaki. Der Wind hat aufgefrischt, es bleibt kühl dieses Frühjahr, im Schatten sogar kalt. Ob das ab morgen auf Kimolos besser wird?

Jürgen bringt mich hinauf nach Ano Petali, wo wir uns verabschieden und ich später mein Fährticket für morgen kaufe. Hungrig bin ich am Abend eigentlich nicht mehr. Ich lande schließlich auf einen Choriatiki im "Tselementes", der Café-Ouzeri mit dem berühmten Namen bei der Hauptkirche. Man könnte schön auf der Terrasse sitzen, aber es ist nach Sonnenuntergang zu kühl. Ich bekomme ein Tischchen im kleinen Innenraum und bin zufrieden.

 

Auf dem Rückweg komme ich an einer Bar vorbei, wo Fußball über den Bildschirm flimmert. Heute ist ja schon das Halbfinal-Rückspiel von Liverpool gegen Barcelona. Da war doch erst das Hinspiel, das ich auf Milos geguckt habe? Wie schnell die Zeit vergeht ... ich schenke mir das Rückspiel aber, wegen Aussichtslosigkeit für Liverpool. Und werde prompt eines Besseren belehrt - Liverpool schlägt Barcelona mit 4:0. Aber da bin ich schon am Packen. Morgen um halb elf geht mein Schiff nach Kimolos. Ich bin gespannt und wehmütig.

 

*

 

Nach einem letzten Frühstück auf der schönen Terrasse mit dem Blick nach Osten bezahle ich mein Zimmer und verabschiede ich mich von Flora. Das bestellte Taxi - wieder Nikiforos - ist pünktlich um zehn Uhr da und bringt mich hinab zum Hafen. Und auch die Fähre, die hochgeschätzte "Artemis", ist pünktlich. Nur ein Katzensprung hinüber nach Kimolos. Allerdings werde ich der "Artemis" ein Opfer bringen, und mein Fernglas versehentlich auf Deck liegenlassen. Was ich erst zwei Tage später merken werde. Da hat es sich ein glücklicher Finder längst einverleibt. Viel Spaß damit!

 

Aber da bin ich dann schon auf Kimolos. Der ganz anderen Insel.