Byzantinisches

Am Samstagvormittag bin ich zeitig wach, packe meine Sachen und stärke mich mit dem obligatorischen Hotelfrühstück, Kaffee und Kekse. Meinen Trolley kann ich bis zum Nachmittag im Hotel deponieren, ich werde mir dann ein Taxi zum Flughafen gönnen.

 

Mein erster Besuch gilt jetzt der nahen Kirche des Heiligen Dimitrios. Der erste Kirchenbau, der schon im 4. Jahrhundert entstanden sein soll, fiel wenig später einem Brand zum Opfer. Im 7. Jahrhundert wurde das Gotteshaus als fünfschiffige Basilika neu gebaut und später zur Moschee umgenutzt. Beim großen Stadtbrand von 1917 wurde fast das ganze Gebäude mit zahlreichen Mosaiken zerstört. Bis 1949 wurde die Kirche so originalgetreu wie möglich im Stile des Baus aus dem 7. Jahrhundert rekonstruiert, dabei grub man auch die unter den Osmanen zugeschüttete Krypta wieder aus.

 

Die Gesamtanlage des Gotteshauses - gehört auch zum UNESCO-Welterbe - wirkt mir zu neu und poliert um Ausstrahlung zu haben. Aber es gibt noch einige alte Mosaiken aus dem 7. Jahrhundert auf den Pfeilern nahe des Altars. Vor grünem Hintergrund ist auf der einen Seite der heilige Sergios und auf der anderen der heilige Georg mit zwei Kindern abgebildet, die klare Darstellung erinnert mich an die beeindruckenden Mosaiken von Ravenna, Sant'Apollinare Nuovo. Irgendwo muss auch noch der Kirchenheilige selbst abgebildet sein, aber ich finde ihn nicht. Dafür liegen seine Gebeine wieder - nach einen jahrhundertelangen Abstecher im Kloster San Lorenzo in Campo bei Pesaro/Italien - in einem silbernen Schrein unter einem Marmorpavillon - Ziborium - im Hauptschiff. Angemessen einem der wichtigsten Heiligen der orthodoxen Kirche, der während der Christenverfolgung unter Diokletian in Thessaloniki gefangen gehalten und erstochen wurde.

Die Krypta wurde in diese Thermen gebaut, über eine Treppe kann man in die niedrigen Gewölbe hinabsteigen. In einer kleinen Ausstellung werden hier hübsche Fragmente aus der Kirche gezeigt, außerdem gibt es einen römischen Brunnen, der Myron, ein antikes Duftöl, verströmt haben soll.

Alles ganz schön heilig hier. Am 26. Oktober, zum Namenstag von Dimitrios, wird in Thessaloniki mächtig gefeiert, aber übers ganze Jahr kommen viele Pilger in diese Kirche.

 

Die im 14. Jahrhundert angebaute Kapelle des Heiligen Euthymios, die schöne alte Fresken enthalten soll, ist leider nicht zu besichtigen.

Gegen zehn Uhr verlasse ich die Kirche und gehe hinab zum Forum Romanum und zur antiken Agora. Ich möchte der Panagia Chalkeon noch einen Besuch abstatten, die dort an der Egnatia Odos steht. Den Beinamen hat sie von den Kupferschmieden, in deren Viertel die Kirche steht.

Hier sieht man eindrucksvoll, wie tief früher - vor allem vor dem Brand von 1917 - das Stadtniveau war: man muss auf einer Treppe mehrere Meter zur Kirche hinabsteigen, die in einem hübschen kleinen Park liegt.

 

Die kleine Kreuzkuppelkirche wurde im 11. Jahrhundert erbaut, sie beherbergt einige sehr alte und ziemlich dunkle und mäßig erhaltenen Fresken. Ein unglücklich dreinguckender Christus, umgeben von Engeln und/oder Heiligen wird mir in Erinnerung bleiben. Und das filigrane Glockengestell draußen im zypressenbesäulten Park - eine kleine Oase im Zentrum der Stadt.

Wie ein Pförtnerhäuschen steht eine kleine, knallrote Kapelle an der Ecke zum Park. Diese offenen Beikapellen haben ich auf Thassos und hier schon öfters gesehen. Für Eilige um Kerzen anzuzünden? Sozusagen to-go? Keine Ahnung.

Zum Vlali-Markt muss ich jetzt nur noch über die Straße. Ich mag die Stimmung hier und kaufen mir noch eine Käsestange als zweites Frühstück, das ich auf dem Weg zum Byzantinischen Museum verzehre. Das Museum liegt südöstlich des Weißen Turmes, da hab ich genug Zeit zum Essen.

Überhaupt ist Thessaloniki eine gute Fußgängerstadt.

 

Die Sonne schafft es heute nicht durch die Wolken, aber immerhin regnet es nicht. Im Hanth-Park zwitschern Vögel in den Bäumen. Es handelt sich um Handband-, ähm, Halsbandsittiche, die hier nicht zur ursprünglichen Fauna gehören, aber offenbar haben entflogenen Tiere im Park gute Lebensbedingungen gefunden und sich vermehrt. Solche Kolonien gibt es auch in deutschen Städten (Wiesbaden, Köln), in Stuttgart sind es sogar die größeren Gelbkopfamazonen, die ich immer wieder mal in den Bäumen am Killesberg-Park oder in Cannstatt herumturnen sehe.

Gegen elf Uhr treffe ich am Byzantischen Museum ein - offiziell Museum für byzantinische Kultur Thessaloniki, einem langgestreckten Bau mit Backsteinfassade und Innenhof, 1994 erbaut. Da sollte ich früh genug dran sein um auch bei womöglich verkürzten Öffnungszeiten ausreichend Muße zum Betrachten der Exponate zu haben. Die Öffnungszeiten sind allerdings nicht winterlich verkürzt, wie mir die Ticketverkäuferin erzählt. Dafür sind die Räume 7 bis 11 geschlossen und nicht zu besichtigen. Ob ich trotzdem ins Museum wollte? Klar! Es gäbe dann noch zwei Sonderausstellungen, einmal eine kleine Schau mit Neuzugängen sowie eine Zusammenführung von zwei Ikonensammlungen. Vier Euro kostet der Eintritt, auch hier reduzierte Winterpreise.

 

Der (halbe) Rundgang beginnt bei frühchristlichen Kirchen mit Exponaten aus Philippi (warum muss ich immer an meinen früheren Deutschlehrer denken wenn ich diesen Ortsnamen höre? Er hieß Philipp mit Nachname und sagte gerne "bei Philippi sehen wir uns wieder" - ein Shakespeare-Zitat aus "Julius Caesar", wie ich erst viel später realisierte) und führt durch weitere Räume mit Schwerpunkt auf frühchristlichen Städten nach oben, wo der Schwerpunkt auf der Grabkultur und Jenseitsvorstellungen liegt. Hier sind zahlreichen freskengeschmückte Tonnengräber zu bewundern.

Es war mir vorher nicht explizit klar, dass die byzantinische Zeit über tausend Jahre umfasst hat: vom 4. Jahrhundert bis zur Eroberung von Byzanz/Konstantinopel durch die Osmanen im Jahr 1453.

 

Mit viel Zeit und wachsendem Enthusiasmus über die interessanten Exponate und die gelungene und atmosphärisch ansprechende Präsentation durchwandere ich die Räume. Außer mir sind noch drei, vier andere Besucher da, später bin ich quasi allein im Museum, nur mit den Aufsehern, die sich aber sehr dezent im Hintergrund halten.

Ich lerne viel über die byzantinische Herrscherdynastien. Und vergesse mindestens die Hälfte davon gleich wieder, aber manche Namen (Komnenos, Paläologos) sind mir von Inselgeschichten bekannt und können nun besser eingeordnet werden.

Raum 6 stellt den byzantinischen Festungsbau vor. Auch hier staune ich über die vielen bekannten Orte. Leider wird mein Eintauchen in die byzantinische Welt hier unterbrochen: die weiteren Räume sind geschlossen. Die kleine Ausstellung mit neuen Museumszugängen haben ich schnell gesehen, für die Ikonenausstellung muss ich das Hauptgebäude verlassen, denn sie befindet sich im Nebengebäude "Kyriakos Krokos".

 

Unter dem Titel «Δύο Συλλογές σμίγουν - two Collections meet» treffen hier Ikonen der Städtischen Kunstgalerie Thessaloniki und des Museum für Byzantinische Kultur MBP aufeinander. 109 Ikonen und religiöse Gegenstände aus dem 14. bis 20. Jahrhundert waren 2015 als Leihgabe der Kunstgalerie für 30 Jahre an das MBP gegangen und werden hier gegenübergestellt.

Mal wieder schrecke ich den Wächter des Raumes auf, der sich hier einsam die Zeit vertreibt. Die Ikonen hat er sicher alle schon ausgiebig bewundert. Es sind sehr schöne Stücke darunter, voller Ausstrahlung. Eine Darstellung der Muttergottes mit Kind jenseits des klassischen Ikonenschemas gefällt mir besonders gut, und auch eine Verkündigung, die sich traditionell auf dem Flügeltüren der Ikonostase befinden. Interessant auch die Darstellung der beiden Heiligen Dimitros und Giorgos zu Pferd, einander in einer Umarmung zugewandt. Sollte hier die orthodoxe Kirche Homosexualität goutieren? Kaum vorstellbar im 18. Jahrhundert.

Als ich die Ausstellung gegen ein Uhr verlasse, schwirrt mit der Kopf vor Heiligen. Drei Stunde hab ich jetzt noch Zeit. Ich entschließe mich zu einem Bummel bergwärts, Richtung byzantinischer Stadtmauer. Dabei passiere ich den städtischen Evangelistria-Friedhof, die klassizistischen bis jugendstilähnlichen Grabmäler von einem Zypressenwald beschattet. Gegenüber beginnt die alte Stadtmauer, deren Reste hier renoviert präsentiert werden.

Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass es nur ein Katzensprung zur Kirche Agios Nikolaos Orfanos ist, eines der byzantinischen Gotteshäuser, die ich gerne noch besuchen wollte. Na dann nichts wie hin!

 

Der Eingang zur Kirchenanlage ist unscheinbar, so dass das deutsche Touristenpaar, das mich überholt, ihn verpasst. Na, vielleicht kennen sie das auch schon. Die Kirche Agios Nikolaos Orfanos wurde im 14. Jahrhundert als Klosterkirche gegründet, aber vom Kloster ist fast nichts übrig geblieben. Das äußerlich eher unscheinbare und niedrige Backsteingebäude ist kuppellos, aus dem fast flachen Dach ragt ein etwas höheres Giebeldreieck heraus. Merkwürdig und interessant.

Ein kleiner Park schließt sich an, das frische Grün tut der winterwunden Seele gut. Über Eck ist das flaggengeschmückte Haus der Aufseherin, die vor dem Haus sitzt und liest. Eine kuschelige Katze leistet ihr Gesellschaft und kommt neugierig näher.

 

Die Kirche ist folglich geöffnet. Sie ist vollständig mit gut erhaltenen und klaren Wandmalereien geschmückt. Ein beeindruckendes Bildprogramm, das bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht und meine Bibelkenntnisse völlig überfordert, aber auch Trost spendet, irgendwie. Man fühlt sich wie in einem Schatzkästlein.

Ich freue mich, dass ich dieses ungewöhnliche Kirchlein noch besucht habe und ruhe auf der Parkbank aus, neugierig gemustert von der Katze, die sich Streicheleinheiten erhofft. Keine Besucher hier außer mir.

Durch das Gassengewirr - blaue Häuser wechseln mit altrosafarbenen und beigen - suche ich noch ein Gotteshaus: die Taxiarches-Kirche. Ich finde es auch, ein neu aussehendes Gebäude, sehr sauber und gepflegt, der große Kirchhof verriegelt. Was hier noch aus dem 14. Jahrhundert sein soll, lässt sich beim Blick über den Zaun nicht sagen. Aber auch egal, ich habe jetzt so viel gesehen, es wird so schon schwer, die Bilder in der Erinnerung noch auseinanderzuhalten.

Und ich hätte jetzt Hunger. Aber hier ist nirgends ein geöffnetes Lokal zu sehen.

 

Das byzantinische Bad verpasse ich, streife dafür die Bibliothek Ano Polis und die Moschee Alatza Imaret aus dem 15. Jahrhundert, heute ein Versammlungssaal. Jetzt wäre ich schon wieder fast beim Hotel, haben aber Hunger und noch zwei Stunden Zeit.

Ich gehe einen Schlenker zur Rotunda, wo ich noch bei Zisis eine Vassilopitta kaufe als Souvenir. Die kleine alte Kirche da links, hab ich die eigentlich schon gesehen? Wie heißt sie denn? Agios Panteleimonas. Nein, noch nicht. Sie versteckt sich zur Straße hin hinter einem weißen Portal, natürlich ein (weißes) Pförtnerkapellchen davor. Von der Seite ragt sich aber über eine Mauer empor. Eine Wandelkirche, irgendwie.

Ich finde keine Gastronomie, die mir gefällt. Die Leute sind am Einkaufen, nicht am Essen. Das ändert sich im Vatikioti-Markt, wo das Restaurant "Dia Tauta" rege frequentiert wird. Der Türsteher bittet mich hinein, ich bekomme noch einen freien Tisch im vollen Lokal und eine griechisch- und serbischsprachige Speisekarte in die Hand gedrückt, was ich interessant finde.

 

Großen Hunger haben ich plötzlich nicht mehr, bestelle eine Tirosalata und Auberginen politiki, dazu das letzte Weißweinviertele des Urlaubes. Schmeckt gut, und ich bleibe noch etwas sitzen und beobachte die Gäste an den Nachbartischen. So ab halb vier bleiben die Tische länger leer.

 

Ich gehe zum letzten Mal zur Platia Aristotelous. Es ist viel los jetzt. Die Sonne hat es heute nicht durch die Wolken geschafft, die nahe auf Reede liegenden Frachter werden von schrägen Lichtbündeln angestrahlt.

Weiter oben, vor dem Denkmal von Eleftherios Venizelos und in den traurigen Relikten des abgebauten Weihnachtsmarktes, liegt ein schlafender Hund. Thessaloniki - nicht nur für Straßenhunde eine gute Stadt.

Im Hotel Orestias Kastorias bestellt man mir ein Taxi, das mich in zwanzig Minuten und für 18 Euro Fixpreis zum Flughafen bringt. Ich bin früh da und kann mir Zeit lassen. Das Einchecken geht schnell, der Flieger hat eine Viertelstunde Verspätung, aber alles im grünen Bereich. Der Rückflug mit Eurowings ist nicht so komfortabel wie der mit Aegean, die Luft ist extrem trocken. Aber passt alles schon.

 

Das waren zehn schöne und horizonterweiternde Tage an der Nordägäis. Der Januar als Reisemonat hat sich erneut - nun schon zum sechsten Mal in Folge - bewährt.

Und wenn ich da schon gewusst hätte, dass der Mai-Urlaub ausfallen muss (der im Herbst hoffentlich nicht!), dann wäre ich ein paar Tage länger geblieben ....