Paliokastro

Der Freitag bringt Sonne und etwas Wind. Bestes Wanderwetter. Ich will in die Berge, aber nicht zum Hauptziel dort, dem "Steinpilz" Skiadi - da war ich schon - sondern nach Paliokastro (auch Paleokastro). Viel zu sehen gibt es dort nicht, der Weg wird das Ziel sein.

Ich breche spät auf, weil ich erst noch mein Fernglas suche und erst jetzt dessen Verlust bemerke. Das nagt die ersten Meter an mir. Aber als ich auf der breiten Piste Chorio nach Norden verlasse, verschwinden trübe Gedanken schnell. Drei Wege sind hier beschildert, ich vermute mal, dass einer zu Skiadi führt, und einer nach Paliokastro. Der dritte? Keine Ahnung. Es soll ein lokales Heft mit Wanderwegen geben, ich habe es aber nicht gesehen. Vielleicht sind es diese hier.

 

Schon nach wenigen Meter wandere ich wieder durch gelbe Blütenwiesen. Es ist einfach unglaublich. Dann grüne Terrassenfelder, von Trockenmauern unterteilt. Es wird etwas kärger als ich höher komme. Die Sicht auf die Küste von Milos bei Pollonia wird frei, es liegen Frachter vor der Verladestelle von Voudia. Nach einer Biegung sieht man dann auch die weißen Würfelhäuser von Chorio liegen, zwischen dem Windmühlenhügel Xaplovouni und der blauen Kuppel der Panagia Odigitria. Dahinter das omnipräsente Poliégos.

 

Vor der gepflegten, geraniengeschmückten Kapelle der Agii Anargyri ist ein Wasserbecken in den Felsen gehauen, daneben eine kleine Tränke fürs Vieh. Reichlich Wasser in beidem. Ja, der Winter war sehr nass....

Die Kapelle ist offen, ich singe solo einen Kanon.

Weiter rechts am Weg steht ein Hof, ein Mann arbeitet in seinem Weinberg. Links guckt ein gesattelter Esel über eine Mauer. Hinter ihm thront auf einem Hügelgipfel eine Kapelle - der äußere Profitis Ilias (es gibt hier noch einen inneren, den ich später besuchen werde).

Der Prophet liegt zwar nicht am Weg, aber der Abstecher ist nicht weit, also rauf auf der steilen Piste, die 500 Meter weiter links abzweigt. Violette Strand-Levkojen wechseln mit Margeriten.

 

Die Kapelle ist mit einer weißen Mauer eingezäunt, beide Tore sind abgeschlossen. Blöd, aber ich kann an einer Stelle über die Mauer steigen. Die Aussicht von der Terrasse der Kapelle ist toll und reicht von Sifnos über Prassa und Poliégos bis Chorio. Rechts begrenzt der Kegel des 300 Meter hohen Petali das Panorama. Die Kapelle - interessant der blaue Glockenturm auf Natursteinunterbau - ist aber zu. Fünfzig Minuten war ich bis hier unterwegs.

Vorsichtig auf der mit losen Steinen bedeckten Piste wieder hinab zum Hauptweg. Und nach der nächsten Kurve wird dann die Sicht nach Norden frei. Auf dem nächsten Berg steht ein großes rechteckiges Schild, ein Spiegel? Ein Autokino dürfte es hier nicht sein. Wenn schon, dann ein Eselskino.

 

Die Kykladenbibel aus dem Michael-Müller-Verlag, die Kimolos schon immer sträflich vernachlässigt hat, behauptet, das wäre Paliokastro. Das ist falsch, denn die frühere Siedlung samt dem 365 Meter hohen Gipfel gleichen Namens liegt ein ganzes Stück weiter nördlich, ist also erst der nächste Gipfel. Das vorne ist der 358 Meter hohe Sklavos.

 

Vor dem Sklavos biegt das Monopati zum Skiadi und nach Paliokastro links von der Straße ab. Dieser Weg verläuft am oberen Rand eines weiten Tales. Plötzlich bewegt sich vor mir auf dem Boden etwas: es ist eine Schlange, die sich so schnell in das Gestrüpp der Böschung verkriecht, dass ich den Fotoapparat nicht schnell genug herausholen kann um sie abzulichten. Aber es ist eine ziemlich dicke Schlange, hell mit einer dunklen Zeichnung auf dem Rücken. Ich schätze, es ist eine Milos-Viper. Und die sind giftig. Ist eher nicht tödlich, aber ich doch froh, dass sie sich rechtzeitig verkrümelt hat. In dem kühlen Frühjahr suchen sie noch die Sonne, um temperaturmäßig auf Touren zu kommen. Ich trete in der Folge noch lauter auf um die Kriechtiere rechtzeitig zu warnen.

Zwei Tiere anderer Art stehe etwas weiter am Rand: zwei Esel, beziehungsweise ein Esel und ein Muli grasen auf einer Terrasse am Weg. Ich verfüttere ihnen mein Altbrot, das ich genau zu diesem Zwecke mitgenommen habe, und sie goutieren die Spende mit erwartungsvollem "mehr". Signomi, das war's.

Da bin ich aber schon vom Weg zum Skiadi nach Norden abgebogen.

Mein Ziel Paliokastro ist mehr ein virtuelles: bis ins Mittelalter lag hier, am Gipfel oder unterhalb davon die alte Inselhauptstadt. Zu sehen sei aber nichts, und auch sonst sind die Informationen spärlich (bis zu der falschen Behauptung mit dem Gipfel). Offenbar eher terra incognita hier. Touristisch, nicht landwirtschaftlich, denn die Felder werden genutzt: Strohbündel liegen bei einer Hütte, es hat Feigen- und Olivenbäume. Der Weg verläuft gut erkennbar und gepflegt westlich der Bergkette, leicht ansteigend, selten mit roten Markierungen.

Blühender Schopflavendel und kleinblütiger Ginster dominieren die Frygana. Grün-silbrige Hänge, unten knallt das Meer ist herrlicher Bläue.

 

Auf dem Sattel zwischen Sklavos und Paliokastro wird der Blick auf den nördlichen Inselosten frei. Die Straße, die sich durchs Gelände schlängelt, die würfelförmigen Kapellen, auch mal mit blauem Dach. Und direkt am Weg einen Hausruine. Ist das schon Paliokastro? Nein, das muss weiter vorne sein. Ich gehe weiter bis zum Fuß des Berges, wo es wieder ein Wasserbecken mit Tränke hat. Die hohe Vegetation füllt hier die vielen Terrassen zwischen Mauern und Steinhäufen und bedeckt, was man an Fundamenten ausmachen könnte. Gewarnt durch die Schlange verzichte ich auf Abwege Richtung Berg. Es fühlt sich ziemlich einsam an hier, das schüchtert mich irgendwie ein.

Ich gehe noch weiter am Hang des Paliokastro entlang, aber der Weg ist jetzt zugewachsener, und als es bei einem in den Felsen gehauenen Dreschplatz bergab zeigt - man kann hier bis zur Nordküste zur Bucht von Agioklima hinab - beschließe ich, dass das für heute reicht. Ein Uhr ist es jetzt.

An dem Dreschplatz kann man schön sitzen und vespern. Nach Norden ist das Meer ohne Land, helle Tuffsteinzungen schieben sich vorne an der Küste ins Meer hinein. Im Süden ist Milos zu sehen, der kleine schwarze Kegel des Kalogeros-Felsens bei Pollonia, die weiße Küste von Sarakiniko und dahinter der Profitis Ilias in Wolken.

Direkt vor mir der Bergkegel des Paliokastro, eigentlich nicht so hoch. Ich komme aber gar nicht auf die Idee, hinauf einen Weg zu suchen. Oder weglos zu gehen. Von Osten soll es besser gehen.

Stattdessen mache ich mich auf den Rückweg als mich die Stille und Einsamkeit zu sehr bedrängen.

Weitere wenige Minuten später erreiche ich eine Kreuzung. Von hier führt eine Piste hinab zum Monastiraki-Strand an der Nordküste, eine andere zu den Kirchen Panagia Chymeli und Agios Grigoris Theologos. Die Hauptdirektion erreicht die Ostküste, das ist der Weg, den ich gestern teilweise gewandert bin.

Und es gibt eine Piste nach Süden, die kurz darauf in einen Fußweg übergeht und direkt nach Chorio führt. Das ist mein Weg. Ein wunderbares altes Monopati, das in 2,4 Kilometern entlang eines weiten Tales und durch Manganfelsen hinab nach Chorio führt. Mit wunderbaren Blicken auf eine versteckte Höhle, Reihen von Bienenstöcken (Kimolos hat überhaupt den besten Honig, damit fing ja alles an ....), kleine Orchideen unbekannten Namens. Und dann wieder blühende Wiesen und das Steinbrücklein im Tal.

So allmählich merke ich die gewanderten Kilometer (etwa zwölf werden es gewesen sein) und freue mich, als endlich Chorio in Sicht kommt, eingerahmt von Ginster und Zistrosen. Einige Truthähne nähern sich freudig-hungrig über ein Feld, müssen aber leer ausgehen.

So um halb vier falle ich in einen Stuhl des "Kali Kardia" und erfrische mich mit einem schönen Frappé, der natürlich in Begleitung von Wasser kommt, wie es sich gehört. Beide Flüssigkeiten verdunsten im Nu, und so gestärkt mache ich mich dann noch zu einem Bummel durch das Kastro-Viertel auf ehe ich ins Quartier heimkehre.

Unverändert stehen im Kastro wenige weiße gepflegte Häuschen und die beiden Kapellen Christos und Ossia Methodia gegen die maroden Mauern und gestapelten rostroten Steine (auch Mangan?) dazwischen. Die wuchernde Wiese dazwischen hat man frisch gemäht und sogar Sitzplätze für eine benachbarte Bar eingerichtet. Bis sich hier Besucher tummeln muss es aber wohl Sommer werden.

Die leere Hülle eines einstmaligen Herrenhauses, die mal wohl renovieren wollte bis das Geld ausging. Oder war es nur das Tor darunter, das nicht einstürzen soll? Wer über das schon zu malerische Kastro auf Folegandros klagt, der soll mal hierher kommen.

 

Kykladenmalerisch aber wieder die Gasse südlich des Kastro mit der Kapelle der Agii Anargyri und den - leider hochgestellten - Stühlen einer Bar. Geöffnet ist um diese Zeit (halb fünf) nichts. Auch das kleine archäologische Museum an der Hauptkirche sehe ich während meines ganzen Aufenthaltes nie geöffnet.

Ich mach dann erst mal Siesta ehe ich am Abend nochmals durch den Ort bummle.

Da sind immerhin einige Läden geöffnet. Etwa der der Frau, die aus Stoffresten originelle Rucksäcke und Taschen näht. Könnte ich eine brauchen, wenn ich nicht schon so viele Taschen hätte (und doch nie die richtige). Im Käseladen gegenüber gibt es lokalen Käse mit zahlreichen Geschmäckern versetzt und praktisch für die Reise in Folie eingeschweißt: Kapern, Rigani, Oliven, und vieles mehr. Da fällt die Wahl schwer, ich darf aber einen puren und einen pikanten Käse probieren, und entscheide mich schließlich für letzteren.

Und nun? Ins "Kali Kardia"? Ich gehe dort vorbei, sehe meine britischen Nachbarn sitzen. Also rein, heute hab ich auch richtig Hunger. Als ich Gastraum bin, staune ich: was ist aus dem fast leeren Lokal von vor zwei Tagen geworden? Heute sind beinahe alle Tische besetzt von alten Herren, die Tavli und Karten spielen oder leise miteinander diskutieren. Und der Mann, der da so freundlich-zurückhaltend bedient, das ist doch Apostolis? Er ist es wirklich, auch wenn ich ihn nicht gleich wiedererkannt hätte, auch er ist älter geworden. Und dann huscht auch noch seine Mutter vorbei. Es scheint, als würde das Lokal gelegentlich ein Doppelleben führen. Vielleicht freitags?

Ich fühle mich jetzt an längst vergangene Zeit erinnert und würde die Herren liebend gerne fotografieren wie sie da so griechenlandidyllisch bei ihrem Spätschoppen sitzen. Traue mich aber nicht, probiere eine paar geklaute Handyfotos (die nichts werden) und genieße die Szene dann einfach für mich im Stillen.

Apostolis erkennt mich nicht wieder (muss er auch nicht), er offeriert als Tagesessen Rindfleisch in Zitronensauce mit Reise, und das Essen ist fast so gut wie das, was wir vor Jahren hier bekommen haben.

 

Höchst zufrieden mit diesem Kimolos-Tag muss ich feststellen, dass mir nur noch ein ganzer Tag hier bleibt. Was mach ich denn morgen?