Aller schlechten Dinge sind drei, oder

Paranoia auf Griechisch

Ohne weitere Fotos - aus gutem Grund.

 

Spätestens als die beiden Düsenjets mit Karacho über uns und die Fähre "Adamantios Korais" auf der Fahrt nach Samothraki hinwegdonnerten, wurde mir klar, dass wir uns als Urlaubsziel diesen Herbst eine militärisch sensible Ecke ausgesucht hatten. Schon am Vormittag im Bus von Kavala nach Alexandroupoli hatte die Hälfte der Mitfahrenden aus jungen Wehrpflichtigen auf dem Weg zu ihren Stützpunkten bestanden. Zumindest nach dem Umsteigen in Xanthi, und der Bus ab Kavala vorher fuhr extrem langsam, bis ihm ein Taxi zwei junge Männer nachlieferte, die unterwegs auf der Autobahn bei Chryssoupoli zustiegen. Der junge Mann zwei Reihen vor mir erzählte seinem Nebenmann, dass er aus Augsburg komme und jetzt in Didymoticho einrücken müsse. Jenem von Dalaras besungenen Ort am A... von Griechenland, von dem Theo sagen würde, er hätte die höchste Mückendichte Griechenlands. Die Blutsauger stehen bestimmt auf frisch importiertes Jungsoldatenblut. Oder sollten die Türken die Plagegeister geschickt haben? Ausgerüstet mit Nano-Mikrofonen und -Kameras?

Nein, nein, nein. So gut sind die Türken ja nicht ausgerüstet. Die schicken ja lieber als inselhüpfende Touristinnen getarnte Agentinnen, die mit ihrem Panasonic-Fotoapparat demonstrativ und plump die feindlichen Linien ausspionieren.

 

Das waren meine Gedanken, als ich an unserem letzten Tag auf unserer ersten Insel Samothraki bei der Suche nach dem Kloster Agios Athanasios bei Alonia unvorsichtigerweise nicht nur einmal quer über die Gegend samt enthaltender Großkaserne, sondern auch drei mäßig versteckte Zelte neben einem Ziegenpferch samt Müllkippe fotografiert hatte. Was den überall gelangweilt herumlungernden Soldaten nicht entgangen war. Sie mir aber schon. Zurück beim Auto wartete prompt ein tarngefleckte Offizier mir unbekannten Ranges und wollte wissen, was ich fotografiert hatte. Das Klostertor und etwas so rum, meine Antwort. Nun wollte er meinen Personalausweis samt Fotoapparat sehen. Beides händigte ich brav aus, um die Fotoausbeute der vergangenen Urlaubstage fürchtend und gerne bereit, die womöglich spionageträchtigen Fotos zu löschen. Auf keinen Fall, erklärte mir der Gefleckte. Und dass nun die Polizei kommen würde und uns - Theo war auch mit dabei, hatte aber seinen Fotoapparat noch brav in der Tasche gelassen - aufs Revier bringen würde, wo über das weitere Geschehen entschieden würde. Da ich inzwischen beschlossen hatte, meine Griechischkenntnisse zu vergessen, fungierte als Dolmetscherin per Handy die Frau des Gefleckten ("Agapi mou" flötete er jeweils) und erklärt mir das weitere Procedere in sehr gutem Deutsch. Efcharisto!

Die Polizei erschien kurz darauf in Person eines staatstragend dreinschauenden Uniformierten, der zunächst alle zum Aufsetzen der Masken aufforderte. Dann übernahm er meinen Ausweis und Fotoapparat, schließlich auch den Offizier, und forderte uns auf, ihm ins Polizeirevier nach Kamariotissa zu folgen. Was wir brav taten, uns dabei auch - im Gegensatz zur Polizei - an die örtlichen Geschwindigkeitsbeschränkungen haltend.

 

Theo blieb lieber im Auto, als ich schließlich das Revier betrat. Wo der Offizier und der Polizist sich nun durch die Bilderflut auf dem kreditkartengroßen Display meines Fotoapparates klickten und sich einen Wettbewerb im Erkennen des abgelichteten Motive lieferten. Den sie nach Betrachten der letzten hundert Fotos abbrachen: alles touristische Fotos. Fein beobachtet. Außer den besagten drei Fotos, die ich nun einzeln und unter Aufsicht löschen musste oder durfte. Aber das Verhör war noch nicht beendet: woher wir kämen, wohin wir wollten? Als ich "Limnos" sagte, schwante mir, dass dieses Ziel nicht geeignet war, das Misstrauen zu vertreiben: dass Limnos erst recht eine militarisierte Insel ist, war mir vorher klar gewesen. Im Gegensatz zu Samothraki.

Nach einer Kopie von meinem Personalausweis wurde noch nach meiner Mobilfunknummer gefragt - die Fotos auf dem Smartphone waren natürlich auch gecheckt worden, aber unverfänglich.

Mhh, wollte man mich nun tracken?

Dann durfte ich gehen, ohne ein Protokoll oder ähnliches unterschrieben zu haben.

Wir hakten das Ganze als griechische Paranoia ab, und lächelten (verhalten) darüber.

 

Vier Tage später auf Limnos, Sonntag. Wir hatten uns für mehrere Tage ein Mietauto genommen, um die ÖPNV-feindliche Insel zu erkunden. Unsere zweite Fahrt sollten nach Therma, Sardes und Gomati führen, und weil in unserer Skai-Terrain-Landkarte die Strecke in den äußersten Inselnordwesten als landschaftlich besonders malerisch gekennzeichnet war, wollten wir sie auch befahren. Die Straße schlängelt sich durch einsame, sanfte Hügelgegend in beige bis ockeren Farben. Die grafische Gestaltung von hellen Feldern und dunklem Buschwerk entlockte mir das eine oder andere Wow, und so hielt ich einige Male, um diesen optischen Leckerbissen abzulichten. Wohlweislich darauf achtend, dass die beiden Hügel in nördlicher Ferne, mit Masten und großen Gebäuden bestückt, nicht ins Bild kommen. Denn dort vermuteten wir - richtigerweise - Militär. Ansonsten begegnete uns aber kein Mensch, nur die omnipräsenten Ziegen und Schafe belebten das vom Wind zerzauste Bild.

 

Die Straße stieß schließlich auf eine Absperrung mit großem Warnschild, das vielsprachig (Türkisch fehlte allerdings), aber nicht ganz verständlich ("Schmierfilmbildung verboten") darauf hinwies, dass man ab hier nicht mehr fotografieren durften. Und hier nun überhaupt militärisches Sperrgebiet begann. Keine Problem, wir drehten brav um. Theo konnte es sich aber nicht verkneifen, aus dem Auto heraus das originelle Verbotsschild zu fotografieren (das gleiche steht übrigens in der Nähe des Flughafens von Limnos, also sehr zentral auf Limnos).

Wir fuhren zurück und machten noch einen Fotostopp an der großen Mülldeponie am Wegrand, wo bunte Plastiktüten vom Starkwind fast schon künstlerisch in den Zaun geklebt wurden. Ein gleichwohl trauriges wie fotogenes Werk.

 

Bei der weiteren Fahrt Richtung Süden zur Hauptstraße sahen wir, dass uns in der Ferne ein Auto entgegenkam. Das erste bewegte menschliche Lebenszeichen hier in dieser verlassenen Gegend. Leider erwies sich das Auto als ein Polizeiauto, das uns wenig später die Straße versperrte. Ihm entstiegen zwei Männer, einer in Uniform, einer in Zivil. Sie wollten unsere Papier sehen und wissen, was wir hier machen würden. Und ob wir fotografiert hätten. Ich nannte unsere harmlosen Absichten, erwähnte die faszinierende Landschaft, und dass das doch eine öffentliche Straße sein. Und nein, natürlich hätten wir nichts militärisches fotografiert, nach entsprechenden Erfahrungen auf Samothraki.

 

Unsere Ausweise wurden kontrolliert und abgelichtet, dann wollte man die Fotos auf meiner Kamera sehen. Nichts auffälliges darauf (Gott sei Dank!). Ich musste den (leeren) Kofferraum öffnen, und mein Rucksack wurde durchsucht. Natürlich musste ich auch die Fotos auf meinem Smartphone zeigen, ebenso Theo, dessen Fotoapparat aber unbemerkt geblieben war. Theo sieht einfach zu harmlos aus, außerdem steigt er, gehandicapt, zum Fotografieren lieber nicht aus dem Auto aus, wenn es sich vermeiden lässt.

 

Sichtlich unzufrieden mit seiner erfolglosen Suche fragte der Uniformierte, wie lange wir schon auf Limnos seien, und nach unseren weiteren Reiseabsichten. Theo würde am Dienstag nach Athen fliegen, und weiter in die Heimat. Ich wollte am Mittwoch weiter nach Agios Efstratios und sagte das auch. Natürlich befindet sich auch auf Agios Efstratios ein Militärstützpunkt und überhaupt ist die Insel nicht gerade ein touristischer Hotspot, zumal in der Nachsaison. Ich machte mich also verdächtig. Wobei der Kleine in Zivil mir durch Daumen hoch signalisierte, dass er das gut fände. Vielleicht war er der Zuständige der lokalen Tourismusbüros und für Entspannung zuständig? Oder wollte mich in Sicherheit wiegen?

 

Wir wurden nochmals darauf hingewiesen, dass wir nichts militärisches fotografieren dürften, und am besten schon gleich gar nichts hier in der Gegend. Ironisch fragte ich, ob die Besteigung des Profitis Ilias nebst Fotografieren dort erlaubt wäre. Ja, das wäre unverfänglich. Dann durften wir weiterfahren. Und ich überlegte, ob sich Griechenland von mir unbemerkt zum Polizeistaat gewandelt hatte. Ob wir seit Samothraki von der Polizei beziehungsweise dem Militär beobachtet wurden? Oder vom Geheimdienst? Wir waren doch sicher nicht die einzigen Touristen, die in der Nachsaison auch abseits von Stränden und gängigen Orten unterwegs waren. Wie wohl ein Tourist mit weniger langer Griechenlanderfahrung auf so eine Kontrolle reagieren würde, bei der wir uns nichts hatten zuschulden kommen lassen? Oder war es gerade die Griechenlanderfahrung, die uns verdächtig machte?
Wir fanden das Ganze nun schon weniger lustig.

 

An meinem letzten Limnos-Tag hatte ich noch ein Erlebnis, das vielleicht gar nichts nichts mit dem Militär zu tun hatte, aber mir dennoch sehr zu denken gab:
Wir wohnten im Hotel Lemnos in Myrina an der Paralia zwischen alten Hafen und nördlichem Fähranleger, neben dem Rathaus. Schon am ersten Tag fiel mit beim Aufenthalt am alten Hafen ein Frau auf: mittelalt, schulterlanges blondes Haare, starkes Rouge, gemusterte Jacke, große Tasche. Ich sah sie in den folgenden Vormittagen oft vor oder neben dem Hotel, aber nie darin. Während wir im Erdgeschoss frühstückten, konnte ich sie hinter der Glasscheibe sehen wie sie offenbar auf jemanden wartete. Saß ich auf dem Zimmerbalkon im dritten Stock, so hockte sie bisweilen an der Paralia auf einer Bank. Auf wen sie wohl wartete? Ich konnte mir auf ihre dauernde Anwesenheit keinen Reim machen, denn sie war nie in Gesellschaft. Als ich an einem Morgen vor dem Frühstück eine Fotorunde dreht, war sie auch wieder da.

 

An meinem letzten Tag auf Limnos, Theo war bereits abgereist, frühstückte ich nicht im Hotel, sondern Bougatsa am OTE-Platz. Offenbar war mir die Frau von der Paralia gefolgt, denn ich entdeckte sie wieder drei Tische weiter, wo sie eine Flasche Wasser vor sich stehen hatte. Vorher war sie noch am Hafen gewesen. Das kam mir nun wirklich merkwürdig vor, und ich fühlte mich plötzlich verfolgt.

 

Auf meinem Weg zurück zum Hotel durch die Marktgasse betrachtet ich ausgiebig die Schaufenster, spähte nach rechts. Sie kniete zwei Läden weiter und band sich die Schuhe. Offenbar folgte sie mir wirklich. Ich ging zügig weiter, bog schnell in die nächste Gasse rechts ein, und wieder rechts. Und wartete. Und sie kam. Erschrocken prallte sie fast auf mich. "Why do you follow me?" fragte ich. "I don't follow do, I just go on my own ways", antwortete sie. Was ich ihr nicht glaubte, und durch einen skeptischen Blick auch bedeutet. Sie trollte sich nun langsam. Und stand wenig später, als ich im Ticketbüro mein Fährticket kaufte, wieder herum, nun aber weiter entfernt. Auch während ich im Hotel meine Sachen zusammenpackte, war sie wieder da, mit mehr Abstand stand sie am alten Hafen: Die Bänke auf der Paralia wurden justament an diesem Tag gestrichen, was mir entgegen kam. Ich erzählte der Rezeptionistin was ich erlebt hatte - eventuell war die Frau ja eine notorisch-bekannte Stalkerin. Die Rezeptionistin bekam große Augen, kannte die Frau aber nicht.

Als ich gegen 11 Uhr aus dem Hotel auscheckte und zur Burg hinauf bummelte - von der Rückseite des Hotels - war sie nicht mehr zu sehen. Und ich hatte Mühe, meine Paranoia beim weiteren Bummel auf dem Burgberg in den Griff zu bekommen (überall Überwachung. Soldaten. Kameras. Oder so ...). Aber niemand konnte doch so doof sein, eine derart auffällige Frau zu Beschattung anzusetzen. Aber vielleicht als Ablenkungsmanöver? Nun gut, ich hatte ja eigentlich nichts zu verbergen (ich hasse diesen Spruch, denn jeder Mensch hat Dinge zu verbergen, und ein Recht darauf).

Gut, dass ich Limnos am Nachmittag verlassen würde.

 

Ich bekam sie nicht mehr zu Gesicht, als ich am Mittag mit meinem Gepäck zu Fuß zum neuen Fähranleger hinüber ging, wo ich die Lokalfähre "Aeolis/Aiolis" betrat. Ticketkauf an Bord und Ausfüllen des Covid-Formulars, alles auf Griechisch. Vorzeigen meines digitalen Impfzertifikates. Ich war offenbar die einzige ausländische Touristin an Bord. Die Überfahrt nach Agios Efstratios verbrachte ich auf dem höchsten Deck, wo es zwar etwas schaukelte und kühl war, aber auszuhalten.

 

Ich verließ die Fähre am Ziel unter anderem in Gesellschaft einiger junger Männer, offenbar Soldaten im Stützpunkt auf Agios Efstratios. Aber ich begab mich direkt zu meinem Guesthouse, in dem ich am Vormittag telefonisch ein Zimmer reserviert hatte. Die Wirtin checkte mich anhand meines Personalausweises ordnungsgemäß ein und lobte mein Griechisch. Ein paar neugierige Fragen, kein Problem.

Den nächsten Tag wollte ich zum Walloneneichen-Wald im Nordosten der Insel wandern. Eine einsame, fast schon öde Gegend, in der mir niemand begegnete und über die der Wind mit Heftigkeit pfiff. Auf dem Rückweg zog ich die Schleife weiter nach Süden und sah natürlich auch, dass auf zwei Gipfel neben Telekommunikationsmasten auch Gebäude standen, die ich militärischen Zwecken zuordnete. Ich beschloss, mich fernzuhalten und auch den sonst für mich obligatorischen Besuch des Profitis Ilias zu unterlassen.

 

Ich kehrte in den Hafenort zurück, badete später am gepflegte Ortsstrand und sah mir dann das Anlegen der von Limnos kommenden Lokalfähre "Aiolis" an. Ich liebe diese Szenen von Fährankünften: wie Pakete und Ware (viele) abgeladen und  Menschen (wenige) in Empfang genommen werden, und wie die Lieferwägen der lokalen Mini-Märkte ihre Waren einladen. Allerdings waren auch einige Soldaten und ein Militär-LKW am Hafen, unter den Ankommenden waren Soldaten und es wurde ein kleiner Anhänger von Bord geschoben und an den LKW angehängt. Proviant wohl. Eine harmlose Szene voller Lokalkolorit, und ich drückte auf den Auslöser.

 

Anschließend drehte ich auf der Suche nach Fotomotiven noch eine Runde am Hafen, ehe ich bei einem Café zwischen zwei Häusern durchging. Da kam mir ein älterer Mann entgegen, die Maske am Kinn. Im Vorbeilaufen sagte er freundlich "ti egine, Katerina? (was ist passiert, Katharina?)." Verblüfft meinte ich mich verhört zu haben. Kannte ich ihn? Nein, definitiv nicht. Aber woher wusste er meinen Namen? Oder hatte ich mich verhört? Nein, eigentlich nicht.

Grübelnd stieg ich zu meinem Quartier hinauf. Nun war ich offenbar vollends paranoid geworden.

 

Am Abend suchte ich das einzige Restaurant im Ort auf, das mit hübscher Terrasse zwischen Hafen und Kirche liegt. Ich hatte gerade meine Bestellung aufgegeben, als zwei Männer zu mir an den Tisch kamen: ein Jüngerer im hellgrauen Jogginganzug und ein Älterer, ebenfalls in Zivil. Der Jüngere stellte sich als Inselpolizist vor und fragte, was ich am Hafen fotografiert hätte. Und ich solle doch bitte mit auf Polizeirevier kommen. Mein Verweis auf meine eben erfolgte Essensbestellung konterte er mit der Bemerkung, es würde nur fünf Minuten dauern. Und so folgte ich ihm auf nahe Polizeirevier unweit des Cafés, wo nun auch ein Soldat (Offizier?) anwesend war.
Ich hätte mit einer schwarzen Kamera am Hafen fotografiert, und zwar die Soldaten. Das sei "verboten" (auf Deutsch). Schwach verteidigte ich meine Fotointension, nun nur noch auf Englisch. Mich ärgernd, dass ich wieder in die Falle getappt war. Und über die Paranoia der Griechen. Ob mich jemand verpfiffen hatte, oder der Polizist selbst dort war? In Zivil wäre er mir ja nicht aufgefallen.
Mein Personalausweis wurde verlangt und kopiert, aber offensichtlich war mein Name schon bekannt. Vom Guesthouse? Von der Fähre? Von Limnos? Nun sollte ich die Fotos zeigen, hatte meine Kamera aber auf dem Zimmer gelassen, wo sie am Ladekabel hing.

Gut, ich solle jetzt essen und wiederkommen, wenn ich fertig sei. Dann würden wir gemeinsam zum Guesthouse gehen und er würde sich die besagten Fotos ansehen, die ich "of course" löschen müsste.

 

Der Appetit war mir vergangen. So ließ ich die Hälfte des Essens übrig und kehrte schnell und brav ins Revier zurück. Zu zweit ging es ins Guesthouse  hinauf. Natürlich wusste er, wo ich wohnte - auf Inseln dieser Größenordnung bleibt nichts verborgen, und vielleicht hatte er dort schon vorab meinen Namen erfragt. Oder ich hatte inzwischen eine Akte beim griechischen Geheimdienst.

Ich zeigte meine Fotos, er fotografiert selbst einige davon vom Display, ehe ich die "verbotenen" Bilder dann löschte und der Polizist sich verabschiedete.

 

Und ich hatte endgültig die Nase gestrichen voll von diesen Inseln mit ihre paranoiden Bewohnern. Hoffentlich würde mich die Fähre "Aqua Blue" morgen nach Kavala bringen, denn ich wollte nur noch weg. Von der Insel, von der Nordostägäis, aus Griechenland...


Ich hatte eine unruhige Nacht, da starker Wind aufgekommen war. Die "Aiolis" fuhr am frühen Morgen nicht ab. Erst als ich um halb neun bei marinetraffic sah, dass die "Aqua Blue" pünktlich in Lavrio abgelegt hatte und auf dem Weg nach Ai Strati war, ging es mir besser. Passend zu meiner düsteren Stimmung war das Wetter schlecht geworden, Wolken und später Regen, und ich trieb mich nur in Ortsnähe herum oder blieb auf dem Zimmer, wartend. Die Fähre kam mit über einer Stunde Verspätung. Noch nie habe ich so gerne eine Insel verlassen. Diese Ecke der Ägäis würde mich sicher nie wiedersehen.

 

Als die Fähre nachts nach ein Uhr mit drei Stunden Verspätung in Kavala einlief und ich mich noch an Bord unter den Wartenden einreihte, befand ich mich plötzlich unter lauten jungen Soldaten (Maske gerne auf Halbmast). Natürlich auch hier. Der Kreis schloss sich.

 

Der Tag in Kavala half, die trübsten Gedanken zu vertreiben. Aber dieser Urlaub hatte mich etwas griechenlandmüde gemacht, und ich war froh, als ich wieder in der Heimat war. Diese Erfahrungen lassen mich immer noch grübeln, und nehmen mir die Lust, über die anderen - natürlich mehrheitlich netten und unverfänglichen - Inselerlebnisse dieses Herbstes - zu schreiben.

 

Mal sehen, ob die Lust wiederkommt.*

 

 

Geschehen im September/Oktober 2021

 


Ein paar nachträgliche Anmerkungen:

 

Zur Anwesenheit des Militärs:

Wikipedia sagt: https://de.wikipedia.org/wiki/Limnos

 

"....Gemäß dem Londoner Vertrag von 1913 hatte das Osmanische Reich die Inseln in der östlichen Ägäis an Griechenland abzutreten, unter der Bedingung, dass sie nicht militärisch genutzt werden. Diese Abtretungen wurden nach dem Griechisch-Türkischen Krieg im Friedensvertrag von Lausanne 1923 bestätigt.[10] In diesem Vertrag war die Entmilitarisierung von Lesbos, Chios, Samos und Ikaria ausdrücklich festgeschrieben, die Inseln Limnos und Samothraki blieben hier unerwähnt.[11] Im parallel ausgehandelten Meerengenstatut wurde festgelegt, die griechischen Inseln Limnos und Samothraki sowie die türkischen Inseln Imroz, Bozcaada (Tenedos) und die Tavşan-Inseln zu entmilitarisieren.[12] Der 1936 ausgehandelte Vertrag von Montreux regelt die Souveränität über die Meerengen zugunsten der Türkei. Das Abkommen ersetzt den Friedensvertrag von Lausanne, gestattet die Militarisierung der Meerengen ohne die Ägäisinseln zu erwähnen. Nachdem daraufhin die Türkei die Inseln Bozcaada, Gökçeada umgehend remilitarisiert hatte, folgte auch Griechenland ab 1937 mit Remilitarisierungsmaßnahmen auf Limnos.[13] Die Türkei bezweifelte erst 1974 während der Zypernkrise die Rechtmäßigkeit der Militarisierung von Ägäisinseln besonders von Limnos und Samothraki durch Griechenland.[14] ..."

 

 

Leider habe ich keine Ahnung, ob das Vorgehen der Polizei rechtmäßig war. Ob sie z.B. meinen Rucksack oder meinen Fotoapparat durchsuchen oder mich auf Revier zwingen durften. Ob ich über meinen Rechte hätte belehrt werden müssen, oder wenigstens ein Protokoll über die Löschung der Fotos unterzeichnen.

 

Ich fand es auch in keinem Moment angebracht, mit der Polizei über die Rechtmäßigkeit deren Vorgehens zu diskutieren. Es gibt in Griechenland leider immer mehr Anzeichen von polizeilicher Gewalt, und die konservative Regierung Mitsotakis investiert lieber in Polizei und Rüstung als etwa im Gesundheit und Brandschutz.

Allerdings fühlte ich mich als deutsche Staatsbürgerin auch geschützt. Wie man wohl mit jemandem etwa aus Bulgarien oder gar der Türkei umgegangen wäre? Oder man stelle sich das Ganze mal umgekehrt in Deutschland vor. Würden solche Fotos irgendjemand interessieren? Wohl kaum.

 

Dem Tourismus sind solche Dinge mit Sicherheit nicht dienlich. Limnos hat endlose Sandstrände und hübsche Orte und auch die Landschaft hat ihren Reiz, aber so ist es schwer, die Insel entsprechend zu vermarkten, etwa für Wanderer und Naturfreunde.

Oder wie steht im Reiseführers "Griechischen Inseln" aus dem Michael-Müller-Verlag, Ausgabe von 1993:

"....Trotzdem ist es nicht einfach, die Insel bedenkenlos zu loben. Die Insel ist zu großem Teil militärisches Sperrgebiet. Zahlreiche Buchten, die verlockend einsam am Meer liegen, sind nicht nur mit Stacheldraht abgesperrt, sondern auch vermint. Das Fotografieren ist an vielen Stellen verboten. Kasernen, Waffen- und Munitionslager, Panzerstaffeln und militärisches Übungsgelände sind über die ganze Insel verteilt. Der Nordwesten von Limnos gilt als Truppenübungsplatz des griechischen Militärs. ..."

 

Und ich hatte gedacht, 1993 sei lange her, und die Zeiten hätten sich geändert. Offenbar doch nicht so sehr, wobei ich doch hoffe, das dort keine Minen mehr liegen. Und natürlich ist der Nachbar im Osten im Jahr 2021 auch alles andere als friedlich, droht 2022 unverhohlen mit Invasion.

 

Mir wurde geraten, mich an das griechische Tourismusministerium zu wenden, oder an die deutsche Botschaft in Athen. Beides werde ich nicht tun. Schließlich will ich trotz allem wieder Urlaub in Griechenland machen. Aber dann doch besser nicht mehr dort. Ein bißchen Paranoia bleibt auch bei mir zurück.

 

Katharina

 

 

 * Ja, sie ist wiedergekommen.