Heute, am Mittwoch, hab ich größeres vor: Ich will nach Egiali wandern, von Chora aus. Den Mittwoch habe ich mir extra ausgesucht, denn falls der Bus nicht fährt oder ich ihn verpasse kann ich abends immer noch mit der „Scopelitis“ nach Katapola zurückfahren, die mittwochs die große Runde macht (Zumindest bis Mai, dann wechselt der Rhythmus). Brav ist die „Scopelitis“ auch um 6 Uhr unten vor der Pension vorbeigedampft – wenn sie die kurze Route direkt über Koufonissi nimmt, fährt sie erst um 7 Uhr weg. Der gültige Busfahrplan weist um 9.30 Uhr einen Bus nach Chora aus, und den nehme ich.
Da die Tour doch recht lange ist, gehe ich alleine. Vor fünf im Jahren hab ich die Langwanderung zum ersten Mal gemacht, die Mutter war damals mit dabei. Große Aufstiege sind in der Richtung nicht zu bewältigen, aber die Tour zieht sich, wird je nach Wanderführer zwischen 12 und 15 Kilometern und 4 bis 5 Stunden angegeben. Ich hab Lust, die Tour nun nochmal im Frühjahr zu machen.
Das Wetter ist nicht so sonnig wie gestern, dunkle Wolken – es wird doch nicht regnen? Ich warte an der offiziellen Bushaltestelle – da hat doch einer glatt seinen Esel im absoluten Parkverbot abgestellt! Wo befestigt man an einem Esel eigentlich einen Strafzettel?
Der Bus kommt pünktlich, ich steige ein, Ticket muss ich wohl erst oben kaufen. Nein, auch oben wird mir beschieden, die Fahrt wäre gratis. Eine Aufmerksamkeit der Fremdenverkehrsverbandes Ostkykladen für Vorsaisonler? Da sagt man danke!
In der Chora ist es wieder äußerst frisch, wie gewohnt, und windig natürlich auch. Noch dunklere Wolken. Ich kaufe noch ein wenig Proviant. Der MM-Führer „Kykladen“ rät dazu und schreibt, auch in der neuesten Auflage 2009: „...unterwegs gibt es, außer in der Taverne von Agios Pavlos, keine Verpflegungsmöglichkeit...“. Ein Unding, denn der Ahnungslose könnte so auf den Gedanken kommen, er können in Agios Pavlos einkehren. Nur dass dieser „Abstecher“ von der Route nach Agios Pavlos mehrere Kilometer und ein paar hundert Höhenmeter Umweg ausmacht (Und die Taverne im April sowieso zu hat)!
Gleich in Chora versemmel ich den Einstieg, gehe am Friedhof runter, muss wieder zurück, denn der Treppenweg zum Kloster Chozowiotissa geht am hinteren Dorfplatz ab – falsche Erinnerung, tzz. Dafür dort ein hübscher Wegweiser, der das Ziel in vier Stunden in Aussicht stellt – dann mal los! Der Zick-Zack-Weg bis zur Straße ist prima, schön der Blick auf Agia Anna, das uns dieses Mal wieder nicht als Badegäste sehen wird. Nach einer halben Stunde zügigen Marsches bin ich am Kloster. Dieter Graf, der Turbo unter den Inselwanderern, veranschlagt bis hier 40 Minuten – so was, wo er mich doch sonst gnadenlos abhängt! Am Parkplatz stand kein Auto, und auch keine Gäste sind am Kloster. Nur die Katzen sind da. Heute zieht es mich gleich weiter, durch das Gatter hinter dem Kloster leicht bergan, dann die Postkartenansicht vom Kloster mit der Zisterne im Vordergrund.
Die Wolken werden etwas heller, die Windjacke kann ich ausziehen. Es geht auf einem gut sichtbare Weg, ziemlich schottermässig. Nicht stolpern, sonst geht es abi ins Meer, da nützt dann auch das Handy nix mehr. Vor mir die wolkenverhangene Südküste. Etwas weiter vorne kommen mir zwei junge Männer entgegen, sind die in Egiali los und schon hier? Scheint so – vielleicht wollen sie das Kloster besuchen, das schließt ja um 13 Uhr....
Über den Sattel geht es auf der anderen Inselseite weiter. Der Weg ist immer gut markiert (roter Punkt), gelegentlich helfen Steinmännchen aus. Weiterhin führt er durch steiniges Gelände. Unten die Straße, von der ich mich nun peu à peu entferne und eine Art Hochebene erreiche. Das folgende Stück habe ich länger in Erinnerung, der Weiler Agrilas fällt mir nicht wirklich als solcher auf. Bei Asfodilitis werde ich rasten, nehme ich mir vor, dann habe ich gut die Hälfte des Weges. Über eine Kuppe weg, dann sehe ich die Häuser, na ja, einfache steinfarbene Hütten von Asfodilitis mit der Kapelle liegen, Schafe überall, und auch ein Mensch in roter Jacke, der sich um sie kümmert, abseits der Straße, auf die der Wanderweg hier trifft. Ganz vorne ein Turm, dort geht der Weg später über den Sattel wieder auf die andere Inselseite.
Der Hof vor der Kapelle (Agios Nikolaos geweiht) ist von einer meterhohen Mauer eingefasst, innen wunderbar zum Sitzen. Geschützt von Wind und Blicken von außen (von Ziegen und Schafen ;-) ) raste ich.
Über mir flattert die griechische Fahne.
Der weitere Weg geht an mehr oder weniger verfallenden Häusern vorbei, entlang einer Steinmauer leicht ansteigend. Steinig, der Weg, aber nicht mehr als vorher (Warum Dieter Graf das auf einmal erwähnenswert findet? Inzwischen hat er mich locker wieder abgehängt... virtuell, mit der RGZ, der reinen Gehzeit in seinem Wanderführer). Das nächste Zwischenziel ist Oxo Meria, wo der Turm zu sehen ist. Ein Bauernhof mit Eseln, Hühner, Truthähnen, Ziegen, Schafen, scheint unverändert seit fünf Jahren, und ich treffe mal wieder zwei Wanderer, ein italienisches Paar, älter schon, und sehr langsam unterwegs, mit suchendem Blick. Was suchen sie? Pilze? Kräuter? Blumen?
Nun wieder die Nordküste unter mir, steil und schön terrassiert, und grüner als die Südseite. Die vorgelagerte Insel Nikouria hab ich schon hinter mir gelassen. Zottelige Schafe gucken skeptisch, fliehen beim Näherkommen. Beeindruckend der düstere Felsenkessel, den ich nun umrunde, dann die Kapelle Agios Mammas, die Hirtenkapelle, in exponierter Balkonlage (geöffnet, ebenso wie die Nikolaos-Kapelle in Asfodilitis). Vor mir das Ziel, Egiali, darüber Tholaria, rechts blitzt noch Langada heraus. An der Kapelle eine Italienerin, sie spricht mich an: Ob ich ihren Fotoapparat gefunden hätte? Eine sehr kleine Digikam, sie ist ihr aus der Tasche gerutscht. Danach haben ihre Landesleute wohl gesucht, leider kann ich ihr nicht helfen. Sie ist erst gestern auf Amorgos angekommen, von Potamos heraufgekommen, findet es wunderschön hier. Recht hat sie! Ich empfehle ihr die Wanderung nach Agios Ioannis Theologos, die wir gestern gemacht haben.
Nun kommt wirklich das Sahnestück dieser Wanderung! Bergab geht es nach Potamos. Links blühende steile Terrassen, rechte Feigenbäume, Oleander (für dessen Blüte ist es noch etwas früh), dazwischen der wie gepflastert wirkende Weg, uralt sicher, und wunderbar zu laufen. (In der Gegenrichtung würde ich die Tour aber nicht so gerne machen). Schließlich erreiche ich Pano Potamos, wo eine Taverne kurz lockt. Aber das Wetter macht nicht durstig, und gegessen hab ich auch erst.
Weiter bergab durch das malerische Potamos, nun das untere, Kato Potamos, mit großer Kirche. Letztes Mal waren hier überall Esel angebunden, die unser Kommen lautstark verkündeten, die hat man nun wohl in die Inselmitte verlegt. Einheimische beim Plausch, freundlich grüßend.
Den Sunset-Boulevard hinunter nach Egiali, vorbei an einem gepflegten, frisch grün glänzenden Weinberg. Es ist dreiviertel drei, seit ich in Chora aus dem Bus ausgestiegen bin, sind ziemlich genau fünf Stunden vergangen. Und bis der Bus nach Katapola fährt, habe ich noch fast zwei Stunden Zeit.
Ein schneller Bummel durch die nachmittäglich ausgestorbenen Gassen. Da sieht so gar nichts einladend aus. Dann lege ich mich eben an den Strand, für ein ausgedehntes Nickerchen. Vorher noch die Füße ins Wasser – ist das kalt!! In der Taverne hinter dem Strand sitzt eine große Gruppe Wanderer, recht lautstark. Ob es die Hermann-Richter-Gruppe ist, die gerade auf Amorgos sein soll? Klingt aber nicht deutsch, und den Chef, Hermann Richter mit seinem Ziegenbalg-Rucksack, sehe ich auch nicht. Außerdem sowieso egal.
Wie ich so vor mich hin träume, höre ich ein dauerndes leises Gepiepse, später sehe woher es kommt: An der Hafenpromenade steht das Auto eines fliegenden Händlers mit Junggeflügel. Der Eiernachschub auf Amorgos ist gesichert (und der Kotopoulo-Nachschub auch).
Um Viertel nach Vier begebe ich mich zum Buswartehäuschen, das nur aus ein paar Balken ohne Dach besteht. Zwei Frauen und ein Mann warten, Engländer wie mir scheint, mit vollem Gepäck. Der Bus kommt (von Langada) – und fährt aber erst noch nach Tholaria rauf, die Engländer wollen schon einsteigen, werden abgewimmelt. Ich lausche der frotzelnden Unterhaltung über das andere Zeitgefühl der Griechen und die Freundlichkeit des Busfahrers – das wird bei den U-Bahn in London vermisst. Na, nicht nur das...
Pünktlich um halb ist der Bus wieder da, wir steigen ein, los geht’s. Mein Geld werde ich wieder nicht los. Als Passagierin kann ich die Fahrt noch mehr genießen als als Fahrerin. Erst unten am Ufer entlang bis Agios Pavlos, dann hinaufschraubend - immer wieder schön, die kurvige Strecke, die Aussichten, die Ziegen und Schafe. Ich versuche, Blicke auf meine Wanderroute zu erhaschen.
Um fünf ist der Bus in Chora, nach Katapola muss ich umsteigen in den schon wartenden Nachbarbus – Fahrt ebenfalls gratis, die Engländer sind darob verwirrt.
Um viertel nach fünf bin ich wieder in Katapola und treffe gleich Mutter und Tante, die den Tag zum Einkaufen genutzt haben (Ja, das kann man gut in Katapola, es gibt eine Klamotten-Boutique mit einem sehr netten Besitzer und schöne Sachen, außerdem den Buch-und-CD-Laden, ein Schmuck-und-Krimskrams-Boutique und einen Laden mit amorgiotischen Produkten). Außerdem waren sie an der Kapelle Agios Panteleimonas auf der anderen Buchtseite, da will ich dann morgen hin weil ein Aufenthalt auf Amorgos ohne einen Besuch dort für mich nicht komplett ist.
Der Sonnenuntergang auf dem Balkon ist auch heute wieder echt nicht schlecht. Links am Ufer ragt immer die Figur der Erato ins Bild, der Muse der Lyrik und des Gesanges mit der Lyra. Nicht antik, sondern eine Spende eines lokalen Fabrikanten. Ihr Pendant gegenüber auf der anderen Buchtseite im Meer vor dem Friedhof, die Afrodite, kommt inzwischen ein wenig kopflos daher.
Die Taverne „Corner“ ist unser Abendlokal. Österreichische und Schweizer Segler am Nebentisch, und ein alleinstehender, älterer Herr, sein Essen mümmelnd, Deutscher schätze ich. Ordentliches Essen, sehr reichlich, leider ohne Schnaps hinterher, den brauchen wir jetzt dringend als Verdauungshilfe.
Also in den „Amorgos Market“, einen kaufen, aber Tsipurro gibt es nur in Literflaschen :-( Nun, wir haben dem Supermarktchef natürlich erzählt, dass wir in seiner Nobeltaverne gegessen haben und alles gebührend gewürdigt. Deshalb füllt er uns auch gerne einen halben Liter Rakomelo (hausgemacht nach Familienrezept) ab, und will nur fünf Euro dafür. Vielleicht hätten wir doch eine Eineinhalb-Liter-Flasche nehmen sollen?
Am nächsten Tag ist das Wetter sehr sonnig, nun gehe ich noch ein wenig einkaufen, unter anderen eine CD mit Musik von Amorgos, „Αμοργιανό μου Πέραμα“ von Antonis Wazaios. Am Nachmittag dann rüber nach Agios Panteleimonas, vorbei am Kopfsalat vor dem Bürgermeisteramt (Griechen lieben diese Statuen, ich kenne keine Insel ohne), dann an der kopflosen Afrodite (im Reiseführer als „Venus“ bezeichnet, also bitte!).
An der Kapelle auf dem Felsenvorsprung möchte ich gerne baden, bloß sind im Meer lauter Quallen! Quallen sind mir bisher beim Inselhüpfen sehr selten vorgekommen, hier schwimmen sie gleich in Mengen. Schwarz sind sie, und sehen aus wie ein Haarreif, lange Tentakel kann ich aber keine sehen. Mist! Da kann ich nicht rein!
Ich gehe also noch weiter, zum Maltezi-Strand. Alle (also vier) Badegäste liegen hüllenlos am Strand, da fühle ich mich im Bikini reichlich overdressed. Also aus mit dem Teil, und ab ins Wasser, schnell und ohne zu zögern, es ist nämlich kalt – nur 18°C – brrr! Kaum mache ich fünf Schwimmzüge, da kommen von rechts und links am Strand zwei der (logischerweise nackten) Badegäste und machen heftige Gesten, ich solle sofort wieder rauskommen. „Seashells“ schreit die eine! „Muscheln – häh, wo ist das Problem?“ aber wer weiß schon gleich was Qualle auf Englisch heißt (jellyfish) oder auf Griechisch (Medusa, μέδουσα)?
Also nach dem ausgesprochen kurzen Badevergnügen fix wieder ans Land, wo mich gleich der dritte Strandnachbar (der mümmelnde Deutsche von gestern Abend) darüber aufklärt dass er hier zum ersten Mal Quallen sieht um die Jahreszeit (ich auch, überhaupt in Griechenland, von Kastellorizo mal abgesehen) und dass das ungewöhnlich sei. Blöde Mistviecher!
So textilfreie Unterhaltungen bin ich nicht gewohnt und leicht gehemmt, andererseits ist das Trocknen in Wind und Sonne ohne störenden Badebekleidung einfach klasse. Leider kommt dann irgendwann ein Boot von Katapola herüber mit einer Schar Junggriechen an Bord (bekleidet), die sich für ne Strandparty einrichten, vielleicht auch für ein Fest zum morgigen 1. Mai (Walpurgisnacht auf Griechisch?), und dann bedecke ich mich doch lieber wieder schicklich. Ist auch schon spät, und Zeit zurück zu gehen. In Xilokeratidi ist die Taverne Gavallas noch nicht geöffnet, wäre sonst ne Option für den Abend. Die beiden Seemienen, die früher bei „Vitsentsos“ und etwas weiter hinten am Uferweg einbetoniert waren, sind übrigens weg – unser Dorf soll schöner werden!
So essen wir nochmals im „Mythos“ und sind wieder zufrieden. So allmählich heißt es Abschied nehmen von Amorgos, denn die nächste Insel lockt.