Wieder von Fira nach Ía (Oia)

Der Wanderweg entlang der Caldera von Firá nach Ía (Oia) ist zur Wanderautobahn ausgebaut worden und entsprechend stark frequentiert. Stelle ich am Montagvormittag fest, und dabei ist erst der 30. April, Vorsaison also.

Es wird nicht das letzte Mal sein, dass mich die Zahl der Touristen und deren Verhalten überraschen. Aber kein Wunder, mein letzter Santorin-Aufenthalt ist fast 15 Jahre her und war Anfang Oktober. Seither hat sich nicht nur die Bevölkerungszahl gesteigert (2001: 13.670, 2011: 15.500, und inzwischen sind es sicher noch mehr geworden. Von den Saisonarbeitskräften ganz zu schweigen), sondern vor allem das Touristenaufkommen. Das dürfte sich locker verdoppelt haben. Dank des unverdrossen zuströmenden internationalen Publikums und der Kreuzfahrtschiffe. Und ich bin dieses Jahr auch dabei.

 

Gestern Abend bin ich auf Santorin gelandet. Anreise mit Aegean Airlines via Athen, beide Flugzeuge ziemlich voll und wunderbar pünktlich. Der von der Pension "Villa Argonaftes" organisierte Abholservice (15 Euro) klappte so reibungslos wie der eMail-Wechsel vorher. Ich habe ein schönes Einzelzimmer mit Balkon und Ausblick (auf die Ostküste, nicht die Caldera) für 40 Euro die Nacht bekommen, keine Anzahlung nötig, alles kein Problem. So hab ich es gerne.

 

Die Bergspitzen von Santorin hängen in den Wolken als ich lande, und am nächsten Morgen ist alles nass. Die Feuchtigkeit, igrassía, werde ich in den nächsten Tagen noch öfters erleben, und wie sie die Bewohner zum Seufzen veranlasst (ist wie Fön - man bekommt Kopfschmerzen). Dabei verdankt das regenarme Santorin ihr die Möglichkeit der Landwirtschaft: Wein, Schälerbsen, Tomaten gedeihen in Bodennähe ohne Bewässerung und mit wenig Regen. Zwar klein, aber fein.

Santorin also, oder Santoríni, wie es korrekt heißt (Grüße an Charlie!).

 

Es gab nur einen Grund für mich, dieser Rummelinsel mal wieder einen Besuch abzustatten: die Aussicht auf einen Paddelkurs. Das Seakayaken (oder Seekajaken) hatte ich letztes Jahr auf Milos entdeckt und suchte nun nach der Möglichkeit, ein paar Basics zu lernen. Nicht an der Ostsee (brrr!), sondern an der Ägäis. Und Haris von Santorini Sea Kayak hatte mir das in Aussicht gestellt: einen halbtägiger Anfängerkurs. Dazu noch eine Halbtagestour an der Südküste.

Ein paar Wanderungen würden sich auch ergeben, und einen Abstecher nach Thirassia hatte ich ebenso geplant. Da würden drei Tage nicht reichen, und weil die "Dionysios Solomos" nicht so oft von Santorin nach Serifos fährt, würde ich gleich eine ganze Woche auf Santorin bleiben (müssen). Auf ein allzu verkehrsgünstiges (und lautes) Quartier in Karterados, wie zunächst gedacht, hatte ich dann doch keine Lust, und zum Glück die "Villa Argonaftes" in Firostefáni gefunden. Ruhe pur, nur am frühen Morgen unterbrochen von den Richtung Treppenweg ziehenden Eselszügen mit ihren Glöckchen. Schön! Nach Fira sind es zu Fuß nur zehn Minuten (den Weg würde ich oft nehmen), und die empfehlenswerte Taverne von "Simos" ist direkt nebenan, dort werde ich Stammgast. Passt alles.

So bin ich nun am ersten Tag schon kurz nach zehn Uhr in Firostefani aufgebrochen, gen Ía. Ich hab es nicht eilig und bummle vorbei an edlen Ferienapartments, Tavernen und kleinen Läden. Je weiter ich weg von Fira komme, desto luxuriöser werden die Urlaubsdomizile, mal verschachtelt an den Calderarand geklebt, mal protzig in grauem Beton obenauf. Alle natürlich mit Pools und Pülchen, und nicht wirklich diskret. Billigurlaub ist hier nicht. Gut, wer das Geld, das ich für eine Woche Griechenlandurlaub brauche, in eine Übernachtung investieren will, der wird hier locker fündig. Nach oben keine Preisgrenze. Wenn ich mal im Lotto gewinne... vielleicht.

 

Der blaue Himmel lacht mit den blauen Kirchenkuppeln um die Wette. Gegenüber die weiße Reihe Häuser auf dem Thira-Pendant Thirassia. In der Caldera unten heute kein Kreuzfahrtschiff. Das wird sich die nächsten Tage ändern.

Ich erreiche Imerovigli. Auch der Fußweg zum Skarosfelsen ist gut besucht. Das heb ich mir auf, für einen Sonnenuntergang.

 

Ich bin schon eine Stunde (langsam) unterwegs, als die Bebauung entlang des Weges aufhört. Noch ein kleines Café rechts des Weges, in dem ich mir einen Frappé zum Urlaubseinstieg und Aufputschen gönne. Das gibt Energie für den weiteren Weg und ich erinnere mich daran, wie ich diese Wanderung vor 25 Jahren zum ersten Mal gemacht habe: In der Gegenrichtung, und meine Mutter und ich sind wegen des warmen Wetters erst nach 16 Uhr aufgebrochen. Hinter dem Profitis Ilias war das mitgebrachte Wasser aufgebraucht, und wir wegen des Staubes sehr durstig. Da gab es aber das Café noch nicht, und so mussten wir weitermarschieren bis wir in Firostefani das erste geöffnete Lokal fanden, wo wir unseren Durst stillen konnte. Selten haben Getränke so gut geschmeckt! Äonen scheint das jetzt her, und Santorin ist längst eine andere Welt....

Allerlei Blumen blühen entlang der Caldera, vor allem Strand-Levkojen, Margeriten und wegerichblättiger Natternkopf. Der Mohn strahlt auf Santorin vor allem in Gelb. Und das Ziel, die weißen Häuser von Ía kleben vorne auf den rötlich- grauen Felsen des Nordkaps.

 

Nun ein leichter Anstieg, vorbei an einer weißen Kapelle mit griechischer Flagge, die auf erodiertem Tuffstein mit schwarzen Lavaeinsprengseln sitzt. Das ist alles schon recht beeindruckend. Und auch der Blick auf die östliche Inselseite, die tief unten auf einer flachen Ebene liegt, hat was. Der Fotoapparat klickt fleißig.

Erstes Etappenziel ist die Kapelle des Profitis Ilias. Die Gipfel-SMS nach Köln verkneife ich mir - das war zu leicht. Aber eine Kerze kann man schon mal anzünden und um guten und unfallfreien Urlaub bitten.

Als ich die Kirche wieder verlasse, baut sich das erste von zahlreichen Hochzeits-Viererteams draußen auf, die ich heute noch sehen werde: das Hochzeitspaar (meist asiatisch und bildhübsch), ein Fotograf, und eine (häufig verhüllte) Begleiterin als Managerin, Kleidrichterin und Dolmetscherin. So urplötzlich vor die blauweiße griechische Kapelle gesetzt (man kann hier natürlich mit dem Auto her) entbehrt das nicht der Komik. Aber irgendwie sind die Fotos in der Einsamkeit des Paares auch tragisch. Wie kommt man nur auf die Idee, so eine Inszenierung fernab der Heimat zu wollen, ohne Familie? Den Griechen fiele das sicher nicht ein, aber sie verdienen gerne an den Wünschen der Gäste. Und nicht schlecht, vermute ich mal.

Ich wandere zügig weiter und treffe kurz darauf auf das Kontrastprogramm: ein alter Mann sitzt am Wegrand, bietet griechischen Kaffee an und bearbeitet so lange Kapern. Kaffeebedarf hab ich nach dem Frappé leider keinen mehr, aber der Senior lässt mich einen Blick in seinen Töpfe und Eimer werfen: da sind einmal die Kapernknospen, und auf der anderen Seite die Blätter, die extra eingelegt werden, wie er mir freundlich erklärt. Ich bewundere seine Arbeit und darf dafür ein Foto machen.

 

Der Weg wird nun schmaler und loser, er führt hinab auf den nächsten Sattel, wo er ab einer Ferienanlage kurz entlang der Straße führt und man sich wenig später an einem Imbissbüdchen stärker kann wenn man will. Oder einen Esel mieten für den nächsten Aufstieg auf den Mavro Vouno. Für beides habe ich keinen Bedarf, konstatiere aber den zunehmenden Wind. Der macht das Wandern leichter. Und der Caldera-Blick ist schon unglaublich. Oder wiederhole ich mich da?

 

Eine Zeitlang bin ich alleine gewandert, jetzt kommt Gegenverkehr. Zunächst in vierbeiniger Form: ein unbeladener Eselszug, und dann eine Gruppe Wanderer. Klar kann man den Weg auch in der Gegenrichtung machen.

Jenseits des Gipfels des Mavro Vouno steht die malerische Stavros-Kapelle (eigentlich sind fast alle Kapellen auf Santorin malerisch), von der man einen guten Blick nach Ía hat. Die Wanderer drängeln sich hier. Der kleine Glockenturm der Kapelle, mit Liebesschlössern verziert (auch so eine Pest der Overtourism-Orte), steht abseits des Gebäudes. Der Wind bläst stark um die Ecke, so dass ich im Windschatten bleibe bis ich etwas abgetrocknet bin. Man kann sagen was man will: Santorin ist schon einfach saumäßig fotogen!

 

Das findet auch das Hochzeitspaar, das sich zwanzig Minuten später am Ortseingang bei einer (weißen, malerischen) Kapelle ablichten lässt. Die High-Heels der Braut werde dafür mal vorne abgestellt, nicht dass sie beim Posen in den Abgrund stürzt. Ob es eine Statistik über beim Fotografieren auf Santorin verunglückte Menschen gibt?

Bevor ich mich ins Gewühl von Ía stürze, möchte ich etwas essen. Es ist inzwischen 14 Uhr, ich habe also fast vier Stunden gebraucht. Das Dumont-Reisetaschenbuch "Santorin" von Klaus Bötig und Elisa Hübel empfiehlt hier das "Anemomilos", das sich direkt dort befindet, wo der Wanderweg auf die Hauptstraße trifft. Ich bestelle einen Santorini-Salat und ein Viertel Weißwein, das sich als das größte Viertel meines Lebens entpuppen wird. Als beides verzehrt ist, habe ich einen schwebenden Zustand von Zufriedenheit erreicht, die Welt ist mein Freund. Schöner Urlaubsauftakt!

Es dauert dann ein bisschen, bis ich mich aufraffen kann und nach Ía hineinbummle. Hier am Ortseingang haben wir vor 25 Jahren mal zwei Wochen gewohnt, im "Oia Village" am Calderarand, unterste Wohnung, nur über zahlreiche Stufen zu erreichen. Ich finde es nicht wieder, die Bebauung ist derart fortgeschritten und verdichtet. Der Verkehr auf der Straße reißt kaum ab, und auf dem Gehweg wandeln Touristen aus aller Herren Länder Richtung Innendorf. Dann geht es in die engen Gassen der Fußgängerzone, die dominiert wird von Boutiquen, Galerien, Restaurants und luxuriösen Studios. Immer wieder mit Ausblicken auf blauüberkuppelte Kapellen und weiße Tonnengewölbe. Und die omnipräsente Caldera mit Thirassia dahinter.

Bilderbuchansichten, tausendfach in Werbebroschüren für Griechenland verwendet.

 

Überall stehen Menschen mit Handys im Anschlag, es lässt sich nicht verhindern, immer wieder ins Bild zu laufen. An einem Schulhof weist ein Schild darauf hin, dass es verboten ist, die Schüler zu fotografieren. Und es herrscht Drohnenverbot, damit die Gäste auf ihren Luxusterrassen wenigstens etwas Privatsphäre haben. Schwer genug, vor allem an den aussichts- und sonnenuntergangträchtigen Lagen.

 

Das Gedrängel nimmt zu je weiter man Richtung Kastro kommt, mein Schwebezustand hat sich verflüchtigt. Ich hätte nicht gedacht, dass es in der Vorsaison, am Mittag und ohne Kreuzfahrtsschiff in der Caldera schon so voll sein würde! Wie es wohl in Fira sein wird wenn im Dumont-Reiseführer steht, "Oia wäre das stillere Ebenbild der Inselhauptstadt (Fira)"? Hier und still? Was erwartet einen dann dort?

Einen interessanten Buchladen gibt es an der Hauptgasse, ein paar steile Treppenstufen hinab. Vor allem das Angebot englischsprachiger Titel ist groß. Ob ich "Ill Met By Moonlight" von Stanley Moss mitnehmen soll und dann auch lese? Wohl doch nicht.

 

Dann steht da mal wieder ein Brautpaar und blockiert eine Kapelle. Unten zieht die "Blue Star Delos" auf ihrem Weg nach Piräus vorbei, sie hat reichlich Nachschub an Santorin-Gästen gebracht. Uff, ich finde es allmählich ziemlich anstrengend, will aber auch bis zur Ruine des Kastro an der Westspitze von Ía vor. Die Gassen dort sind noch schmaler, kaum ein Durchkommen. Und oben auf der Mauer des Kastro posiert eine Braut in klassischem Weiß. Auf eigene Gefahr natürlich.

 

An Gitterzaun des Kastro dann wieder Liebesschlösser und bunte Bänder (die asiatische Variante der Schlösser?) Erheitert beobachte ich Touristen aus aller Herren Länder in ihren teilweise recht komischen Aufzügen. Wobei ich sagen muss, dass ich mit meinen Wanderstiefeln heute auch kein sehr elegantes Bild abgebe. Egal.

Irgendwo auf einen Frappé oder ein Eis einkehren? Der Blick auf die Preise verbietet das - panagia mou, hier nimmt man es von den Lebenden!

Und dann hab ich endgültig die Nase voll von diesem Jahrmarkt und will nur noch weg.

Der Bus nach Fira fährt häufig, der Fahrplan scheint nur eine Empfehlung zu sein. Und der Bus ist voll, so dass der hünenhafte Ticketverkäufer kaum durchkommt. Er strahlt jetzt schon eine Aversion gegen die Fahrgäste aus, bestimmt läuft er spätestens in Juni Amok. Die Sitze sind durchgesessen und übersät mit Kritzeleien. Ein Euro achtig kostet die Fahrt nach Fira, wo die zentrale Platia inzwischen verkehrsfrei ist. Nur der Bus nach Ía darf einbahnstraßengeregelt drüber.

 

Wo ich schon mal da bin, versuche ich, die Abfahrtszeiten des Bootes nach Thirassia zu erkunden. Einen Aushang am Busbahnhof gibt es nicht, und auch keinen Bus hinab von Ía nach Ammoudi. In den zahlreichen Reisebüros will man lieber Tagesausflugspakte nach Thirassia verkaufen und zeigt sich unwissend. Irgendwann hab ich Glück und eine nette Frau schreibt mir die Abfahrtszeiten auf: das Boot fährt um acht Uhr ab Ammoudi, zurück von Korfos um 12.30 und um 17 Uhr, etwas später von Riva. Danke!

 

Später, zur blauen Stunde, bin ich dann vorne am Calderarand bei Firostefani. Eine ruhige Atmosphäre, angenehm. Die ersten Maikränze hängen schon - morgen ist der 1. Mai.

Zum Essen gehe ich ins "Aktaion", wo die Portion Hühnchen mit Spinatreis ausgezeichnet schmeckt, aber auch einen etwas erhöhten Preis kostet (Calderablick, wenn auch nur für Langhälse). Fira werde ich mir dann morgen ansehen. Aber zuerst ins Kajak.

Wen der Paddelexkurs nicht interessiert: am Mittwoch stehen dann Pirgos und Emborio auf dem Programm.