In der Nacht hat es schon wieder geregnet. Kein Wunder sind die nördlichen Sporaden so grün. Ich weiß nicht ob mir das so richtig gefällt, und bin auch unschlüssig was ich heute unternehmen soll.
Auf Waldwanderungen hab ich keine Lust. Vielleicht mal ein Strandtag?
Immerhin ist es schon wieder so trocken, dass ich auf der Dachterrasse frühstücken kann.
Danach breche ich zu einem Bummel durch Skopelos-Stadt auf, der am Freitag wurde ja vom Regen abgebrochen. Und falls ich ein geöffnetes Museum finden würde, wäre ich einem Besuch nicht abgeneigt. Da habe ich aber Pech: das volkskundliche Museum ist ebenso geschlossen wie das alte Herrenhaus der Familie Antigoni Vakratsa. Nicht so schlimm.
Zunächst zieht es mich die Paralia entlang vor zur Panagitsa-Kapelle und dort hinauf zum Kastro. Es gibt zahlreiche schöne Fotomotive, auch wenn der Himmel nicht so blau ist wie gestern. Dann bleibe ich auf der Höhe und umrunde die Stadt oberhalb. Dabei muss ich oft an Ermoupoli auf Syros denken - die Häuser, die sich den Hang hochziehen, die Treppen, die Gassen, die schönen Häuser, die Blumen und Bäume, die vielen Katzen. Nur die roten Ziegeldächer sind anders. Und alles höchst lebendig und bewohnt. Es ist windstill und warm, ich komme treppauf treppab ins Schwitzen.
In einem weiten Bogen stoße ich östlich des Hafens wieder auf die Paralia und kehre in mein Quartier zurück. Die Sonne hat sich freigekämpft, es reicht nun sogar für ein Sonnenbad auf der Dachterrasse.
Also doch noch an den Strand! Nur an welchen? Ich entscheide mich für den mir noch unbekannten von Milia und nehme um 13.15 Uhr den Bus dorthin. Der 17-Uhr-Bus zurück ist gestrichen, wenn ich nicht relativ schnell schon um 14.55 Uhr zurück will - was kaum lohnen würde - muss ich bis 18.10 Uhr ausharren. Tja, so ist das in der Nachsaison.
Der Bus braucht über eine halbe Stunde, ehe er mich an der Haltestelle oberhalb des Strandes von Milia absetzt. Ich bin die einzige, die hier aussteigt.
Durch den obligatorischen Kiefernwald führt die Nebenstraße etwa siebenhundert Meter weit hinab zum Meer. Am Ende der Straße ist eine Restaurant-Bar, die laut Schild sogar geöffnet hat. Gut für einen späteren Kaffee. Rechts davon erstrecken sich einige weitläufige Ferienapartments in grünem Rasen. Sieht ganz sympathisch aus.
Und der Strand ist auch schön: vielleicht sechshundert Meter lang, von einer Felsennase unterbrochen. Kein Sand, aber feiner Kies. Ein paar Sonnenschirme und Liegen stehen am Strand nördlich der Felsennase mit den vorgelagerten Steinbrocken im Meer. Und weiter draußen das waldige-grüne Inselchen Dassia.
Liegen und Schirme sind belegt, aber das macht nichts, denn die Sonne hat sich schon wieder hinter einem Wolkenschleier versteckt. Es ist plötzlich kühl geworden, und als ich gerade badefertig bin, drückt der Himmel zu allem Überfluss ein paar Tropfen heraus. Irgendwie boykottiert das Wetter ständig meine Skopelos-Pläne. Blöd, aber so wird mir der Abschied von der Insel leicht. Skopelos wird nicht in die Top 20 meiner Lieblingsinseln aufsteigen. Vermutlich nicht mal Top 40.
Das Meer ist aber immer noch akzeptabel warm, unverändert 22°C. Etwas mehr Sonnenbad wäre aber schön gewesen, so muss ich die nassen Klamotten schnell gegen trockene tauschen um nicht zu frieren.
Auf dem Meer rudern zwei Standup-Paddler vorbei und erinnern mich daran was hätte sein können - mit dem Kajak entlang der Küste, oder mit dem Ausflugsboot in den Meerespark. Der Vorteil der späten Nachsaison ist aber immerhin, dass hier kein lärmendes Unterhaltungsprogramm auf dem oder am Wasser stattfindet, mit röhrendem Jet-Ski oder lauter Beach-Bar-Musik. Und auch dem Kormoran, der seine Flügel auf einem der Felsen sitzend trocknet, scheint es das zu gefallen.
Gegen fünf treibt mich die Kaffeelust und kleiner Hunger in die Bar hinter dem Strand. Ein einfaches Omelette und ein Nescafé beleben und wärmen etwas auf. Acht Euro zusammen sind aber an der Grenze zur Unverschämtheit.
Immer noch eine Stunde bis der Bus fährt.
Genug Zeit, um bis Panormos zu gehen und unterwegs Betrachtungen über Pinien anzustellen. Diese speziell auf den Sporaden, aber auch sonst an der Ägäis oder dem Ionischen Meer in Reiseführern und Websites vielzitierten Bäume sind nämlich leider eine Fata Morgana. Es gibt sie nicht. Ich hab mir die Nadelbäume der Sporaden wirklich genauer angesehen, aber ich konnte keine einzige Pinie als solche identifizieren und fotografieren. Was nicht an meinen botanischen Unkenntnissen liegt.
Was es aber richtig viele gibt, das sind Kiefern. Aleppo-Kiefern (Pinus halepensis), und gelegentlich Kalabrische Kiefern (Pinus brutia). Nicht aber die deutsche Pinie, Pinus pinea oder auch Schirm- oder Italienische Steinkiefer, die
eine Unterart der Kiefer ist. Bei ihr sind, sagt wikipedia, die "Äste wirtelig angeordnet und bogig aufwärts gerichtet". Wirtelig? Na, also von einer Stelle zweigen mehrere Äste ab, wie bei einem Broccoli. Tun sie bei den Bäumen hier nicht. Folglich
keine Pinien.
Im Englischen heißt die Kiefer allgemein "pine", und so entsteht durch einen banalen Übersetzungsfehler gepaart mit geistiger Faulheit und fleißigem Kopieren die wunderbare Pinienvermehrung samt dazugehörigen Wäldern. Sogar wikipedia weißt auf diese gängige Verwechslung hin. Die deutsche Pinie heißt im Englischen übrigens stone pine.
Jede Pinie ist eine Kiefer, aber nicht jeder Kiefer eine Pinie. :-)
So, das musste ich jetzt unbedingt mal loswerden. Oberlehrerinnen-Exkurs auch schon wieder beendet. :-)
Durch den Kiefernwald wandere ich also auf der Straße zuerst hinauf zur Hauptstraße und dann auf dieser weiter nach Panormos. Vorbei am schon geschlossenen Hotel Adrina und den hunderten Alpenveilchen, die den Straßenrand tupfen. Schon wird der Blick auf Panormos frei, dass laut offizieller Zählung 2011 76 Einwohner hatte. Eine weite Bucht (daher der Name) mit Kiesstrand, von der eine zweite, engere Bucht namens "Blo" abbiegt, die bei Seglern als Liegeplatz sehr beliebt ist. Eine oder zwei der Tavernen am Strand sind noch geöffnet, und auch sonst ist noch nicht alles hochgeklappt. Wahrscheinlich könnte man es hier als Quartier auch aushalten.
Etwas verspätet kommt dann auch der Bus, der mich nach Skopelos-Stadt zurückbringt.
Da ich morgen in aller Frühe abreisen werde, um en passant noch Skiathos zu "sammeln" - ich glaube nicht, dass es mich so schnell wieder auf die Sporaden ziehen wird - bezahle ich mein Zimmer bei Viki, und packe meine Sachen.
Und wohin nun zum Abendessen? Ich werde noch etwas neues ausprobieren, an der Hotelmeile. Auf dem unbeleuchteten Gehweg entlang des Ufers nach Osten - Nachsaison, Sparmaßnahme oder Absicht? - peile ich das bei tripadvisor gut bewertete "Muses" an. Die überlaute Klassik-Mix-Klaviermusik aus den Lautsprechern treibt mich ebenso fast davon wie das Heer an gedressten Kellnern, das geschäftig und polyglott zugange ist. Man setzt auf internationales Publikum, nicht auf griechisches.
Aber ich ergattere ein letztes freies Tischchen am Ufer über die Straße vom Hauptlokal. Die Musiklautstärke ist hier gerade noch erträglich, und die kleine Nachttischlampe Marke Ikea auf dem Tisch sorgt dafür, dass man auch sieht was man isst.
Das gehobene Ambiente hat seinen Preis, wie mich der Blick auf die Karte lehrt. Egal, jetzt bleibe ich hier.
Ich hab heute keine Lust auf Gegrilltes und Frittiertes, entscheide mich für Pasta Skopelos, hausgemachte Nudeln mit kleinen Tomaten und Kapern, und gegen eine Vorspeise. Wasser und Wein natürlich dazu.
Als die Pasta kommt, bin ich überrascht: selten habe ich in Griechenland ein so einfaches Gericht wie Nudeln so gut zubereitet und gewürzt bekommen. Die kleinen Tomaten haben Aroma, die Pasta ist genau richtig gekocht und die Kapern sind nicht zu salzig. Da bleibt trotz der üppigen Portion kein Bissen übrig, und mit 17 Euro bleibt die Rechnung noch im Rahmen.
Das tröstet mich auch darüber hinweg, dass ich jedes Wort des schwäbischen Paares älteren Semesters vom Nachbartisch mithören muss. Er ist laut und hat die Spendierhosen an - Fisch, Dessert, Kaffee, Metaxa sieben Sterne, natürlich. Widerwillig downgegraded weil nur fünfsterniger vorhanden ist. (Dabei ist der eh besser.) Fettes Trinkgeld natürlich. Die sowieso schon servilen Kellner werden noch unterwürfiger. Es ist der letzte Abend des Paares, morgen geht der Flieger in die Heimat. Die letzten Charterflüge ab Skiathos oder Volos.
Bei mir geht morgen nur der fliegende Delphin, erst nach Skiathos.
*
Um halb sieben am noch dunklen Morgen ziehe ich meinen Trolley durch die schon wieder regennassen Gassen von Skopelos. Skopelos und Regen, das wird für mich nun zusammengehören.
Am Hafen warten doch einige Leute auf den Flying Dolphin "Erato" von Aegean Flying Dolphins, kurz afd, der täglich außer samstags um 6.30 Uhr Alonnisos verlässt, sich auf die Route Skopelos - Glossa - Skiathos - Volos macht, und am Nachmittag zurückkehrt.
Schnell ist der Passagierwechsel geschehen, mein Gepäck wird im Vorderteil des Bootes untergebracht, und ich setze mich in einen der tiefen Sitze am linken Fenster.
Die Geschwindigkeit des Flying Dolphins ist recht beeindruckend, es geht entlang der Nordküste von Skopelos und nach vierzig Minuten sind wir in Glossa. Weitere zwanzig Minuten später legen wir in Skiathos an, wo ich das Boot verlasse. Fünfzig, sechzig Menschen warten, wollen nach Volos.
Auch hier ist der Boden nass, es hat offenbar stark geregnet.
Es ist kurz nach acht, drei Stunden habe ich nun Zeit bis die "Protefs" mit Theo kommt und mich mitnimmt. Wenn sie pünktlich ist.
Ich steuere eines der Reisebüros rechts des Anlegers an, wo ich mein Ticket kaufe. 9 Euro 80 nach Alonnisos mit der Fähre, der Dolphin hatte für die kürzere Strecke 15 Euro gekostet. Mein Gepäck kann ich dort deponieren. Und nun?
Ein erster Bummel führt mich zur Bourtzi-Halbinsel. In dem waldigen Inselchen, das früher eine Festung (daher der Name, aus dem Türkischen burc für Kastell, Turm) beherbergte, versteckt sich ein altes Bauwerk mit dem Skiathos Maritime and Culture Tradition Museum. Geöffnet scheinbar ab 11 Uhr, zu spät für mich. Das Café auf der Inselrückseite öffnet auch erst später. Ist auch jetzt zu nass. Also verliere ich mich im Gassengewirr hinter der Paralia. Die fast ausschließlich auf touristische Bedürfnisse ausgerichteten Läden und Lokale sind alle noch geschlossen, was die Trostlosigkeit verstärkt. Schnell zurück zur Paralia, und dort am Seemanns-Denkmal vorbei zum alten Hafen, der westlich von Bourtzi liegt. Hier reiht sich ein Lokal ans andere, vor allem Bars, Cafés, Restaurants. Davor liegen einige Ausflugsboote, aber vermutlich werden die heute nicht auslaufen, das Wetter ist zu schlecht.
Ich hab Frühstückshunger, und die Qual der Wahl mit den Cafés und den dort angebotenen Frühstücken.
Die Wirte versuchen sofort, mich in ihr Lokal zu komplementieren sowie ich mich der Menukarte nur nähere. Eine Unsitte. Englisches Frühstück, mit Bohnen und Würstchen, kann ich jetzt nicht ertragen, deutsch mit Wurst und Käse muss auch nicht sein. Ich entscheide mich schließlich für das "Sea U", weil dort ein kretisches Frühstück für neun Euro auf der Karte steht. Es umfasst Kaffee à discrétion, Brot, Butter, frischgepressten Orangensaft, Rührei mit Feta und Tomaten, und etwas Salat. Der freundliche Wirt, froh einen Gast im "Schaufenster" zu haben, bringt mir auf meine Kaffeebestellung eine ganze Box mit Nescafé-Portionen, Teebeuteln und Zuckertütchen. Dazu Kondensmilch in Döschen. Das hinterlässt nach drei Tassen Kaffee eine ziemliche Ladung ziemlich unnötigen Müll und bei mir ein schlechtes Gewissen. Das heiße Wasser dazu im Porzellankännchen - gerade kann ich noch verhindern, dass der Wirt mir schon nach dem Zubereiten der zweiten Tasse neues Wasser bringt - ich trinke meinen Kaffee gerne heiß.
Aber Saft und Omelette sind gut, und inzwischen ist es auch etwas lebendiger geworden am alten Hafen. Auf einigen der Boote wird gearbeitet.
Und nun? Es ist fast zehn Uhr, viel Zeit hab ich nicht mehr.
Also zuerst die kurze Besichtigung des alten Hafens mit einem Denkmal für die Toten des griechischen U-Bootes "Katsonis", das am 14. September 1943 vor Skiathos von einem deutschen Schiff torpediert und versenkt wurde. Mit ihm versanken 32 Männer der Besatzung, 15 konnten sich retten und gerieten in Gefangenschaft.
Dann weiter in den westlichen Teil der Altstadt. Der wäre ganz hübsch, wenn nicht die aufgeweichte Hinterlassenschaft von Hunden überall auf dem Pflaster verteilt wäre. Eine Frau reinigte gerade die Räder ihres Kinderbuggys durch Hin- und Herschieben in einer Pfütze, das Kind im Buggy schaukelt vor und zurück und sieht schon ganz grün im Gesicht aus. So gewöhnen die Skiathioten offenbar ihren Nachwuchs an zukünftige turbulente Schiffsfahrten. Entschuldigend sagt sie zu mir "all that shit", und sie hat völlig recht. Hunde dürfen hier offenbar alles, auch auf Tischen liegen. Da sind mir ja Katzen fast lieber, die machen selten mitten auf die Gassen.
Und dann schleichen auch noch ein paar hässliche alte Frauen durch die Gassen, und lassen mich an meine nächste Lektüre denken: "Die Mörderin" des auf Skiathos geborenen Schriftstellers Alexandros Papadiamántis. Das Haus, in dem er aufwuchs und später lebte, wurde zum Museum umgebaut, aber ich bin nicht so optimistisch zu glauben, dass es geöffnet sein könnte, und so mache ich mich noch nicht mal auf die Suche.
Die nördliche Altstadt macht einen etwas freundlicheren Eindruck auf mich, und in einem kleinen Laden gibt es die leckeren Erdnüsse in Sesam, die gehackt zusammen mit Joghurt und Honig eine köstliche Frühstücksergänzung ergeben, und die ich hier in größeren Mengen bevorraten kann.
Und dann wird es schon Zeit, mein Gepäck am Hafen zu holen, denn die "Protefs" nähert sich überraschend pünktlich und schnell Skiathos. Theo steht oben auf dem Deck, umrahmt von zwei Mädels. Wo hast du die denn aufgegabelt, die wollen doch sicher nicht nach Alonnisos? Nein, sehen mehr nach Skiathos aus. Genug der Seniorenbetreuung.
Wie klein die "Protefs" ist, fällt so richtig erst auf wenn sie Klappe offen hat: ein LKW reicht, um die Ausfahrt komplett zu verstöpseln. Es dauert, bis alles unten ist, kistenweise Salat inklusive. Gibt wohl keinen Bauern mehr auf Skiathos. Da die Passagiere und Autos rechts warten, und dazwischen die LKW mit ihren Trailern auf wenig Raum herumfuhrwerken, lässt uns die Port Police ganz lange warten um keinen Unfall zu provozieren. So können wir noch den Beerdigungszug beobachten, der still hinter uns vorbeizieht. Kurzes Innehalten, froh, dass unser Leben weitergeht.
Nach fast einer halben Stunde dürfen wir dann an Bord. Gepäck nach Alonnisos links, Nach Skopelos rechts. Fix rauf aufs Deck: Hallo Theo, so ein Zufall, dich hier zu treffen! Long time no see. :-)
Dann harren wir mal der Dinge, die da auf Alonnisos auf uns zukommen.