Kalamos

Leider fährt der Bus zum Kloster Panagia Zoodochou Pigis (oder offenbar auch Panagia Kalamiotissa, wie die Gipfelkapelle. So steht es zumindest auf dem Aushang an der Türe) erst um 11 Uhr. So treffen Jörg und ich uns um Viertel vor elf beim Bäcker. Natürlich sind wir von dort in zwei Minuten an der Bushaltestelle, also viel zu früh. Aber der Bus - heute in der großen, normalen Version - ist pünktlich da und bringt uns bis zu Endstation etwa dreihundert Meter unterhalb des Klosters, das malerisch auf dem Rücken der schmalen Landverbindung zwischen Anafi und dem Kalamos-Berg thront. Wer je am Kloster auf den Bus wartet: er wendet weiter unten und kommt nicht bis vors Kloster! Warum auch immer.... eventuell mangels Wendefläche in der Hochsaison. Die offizielle Haltestelle ist sogar noch weiter unten, fast am Klosterstrand.

 

Natürlich wollen wir auf den Kalamos, aber ich habe vorher noch eine Mission im Kloster.

Als ich vor 14 Jahren das letzte Mal hier war, war es noch unbewohnt, aber inzwischen leben hier drei Nonnen. Und mit einer von ihnen waren Bekannte von mir, Konrad und Margarete, in Kontakt. Es ging um ein deutsches Kirchenlied, dass die Nonne bei einem Aufenthalt in Deutschland kennen und lieben gelernt hatte. Konrad hatte ihr den Text in einem kleinen Fotobuch geschickt und wollte nun wissen, ob es gut angekommen war.

 

Sehr gepflegt und neu erkenne ich das Kloster kaum wieder als wir auf dem Parkplatz vor der hellen Front der Außenmauern stehen, hinter der die Kirchenkuppel herauslugt. Links sind ein schattiger Picknickplatz und weitere Gebäude und einer der für Anafi typischen Backöfen. Der Eingang ins Kloster liegt rechts um die Ecke. Das Kloster ist täglich von 11 bis 13 und von 16 bis 18 Uhr geöffnet, und man soll angemessen bekleidet sein. Mhh, wir haben beide knielangen Wanderhosen an. Soll ich mir mein Badetuch umhängen? Das macht die Sache optisch nicht wirklich ansprechender. Unsicher treten wir durch das Tor in den Klosterhof, wo eine junge Nonne uns empfängt. Ich entschuldige mich für unser Outfit, wir würden wandern wollen. Sie winkt uns wohlwollend herein.

Vor uns wächst das schmale, aber hohe Kirchengebäude in die Höhe, in heller Natursteinoptik sieht auch es wie neu aus. Der Hof ist auch hell gepflastert, einige große Bäume sorgen für Schatten und Atmosphäre. Große Marmorblöcke fassen den Hof ein, vermutlich antike Spolien, denn am südlichen Rande des Hofes und direkt neben dem Eingangstor steht die Ruine des Tempels des Apollon Aiglitis. Er soll von Iason und  den Argonauten erbaut worden sein, als Dank vor der Errettung aus einem Sturm. Wie oft in Griechenland wurde das antike Gebäude später für christliche Zwecke adaptiert und umgebaut, so dass sich nur noch schlecht sagen lässt, was aus antiker Zeit ist und was später. Aber mich freut es, dass das ganze Gebäudeensemble aus dem Dornröschenschlaf gerissen wurde und wieder genutzt wird.

 

Die Kirche ist geöffnet, wir dürfen sie trotz unseres unwürdigen Aussehens betreten. Vorne links in einem hölzernen Ikonostasi und mit zahlreichen Tamata geschmückt empfängt uns die silberverzierte Ikone der Panagia. Auch der Kirchenraum hat Ausstrahlung. Zeit für Kerzen.

 

So, nun zu meiner Aufgabe. Ich frage die junge Nonne ob sie E. ist. Nein, aber sie würde sie holen, und kurz darauf kommt eine andere, ältere Nonne, der ich meinen Auftrag mitteile. Sie ist sehr erfreut, und ja, sie hat das Buch bekommen - es sei ihr liebstes Buch. Wir schwätzen etwas, vor allem über Anafi in Corona-Zeiten, und dann eilt sie in den kleinen Klosterladen, wo sie zwei Tüten mit Salbei, Seife, Ikönchen und einem Kreuz befüllt. Eine Tüte für mich, die andere für Konrad, den ich nächste Woche auf Sifnos treffen möchte. Danke, das wäre wirklich nicht nötig gewesen! Ich hätte noch etwas in das Kästchen in der Kirchen legen sollen, kommt es mir zu spät. Wir verabschieden uns schließlich, denn wir haben ja noch ein Ziel.

Es ist zwölf Uhr vorbei, als wir uns an den Anstieg machen, der direkt hinter dem Kloster beginnt. Nur wenige andere Besucher sind während unseres Aufenthaltes auch im Kloster. Ob noch mehr auf den Kalamos wollen?

Der Weg ist gut sichtbar und freigeräumt, führt durch Steine und niedrige Phyrgana. Vermutlich der am meisten begangene Wanderweg auf Anafi. Schnell liegt das Kloster unter uns, dahinter wächst breit die Insel mit der Vigla empor. Weiter vor uns sehen wir noch zwei Wanderer.

Der Weg zur Drachenhöhle müsste hier irgendwo abzweigen. Ohne uns.

 

Der Anstieg fällt mir leicht, mein Training hat offenbar doch etwas gebracht. Aber die Temperaturen sind auch sehr angenehm für so einen Anstieg. An einer ausgesetzten Stelle weiter oben gibt ein niedriges Metallgeländer eher optischen als tatsächlichen Halt.

 

Wir sind jetzt schon fast auf dem Sattel zum Doppelgipfel des Kalamos, von wo aus der Weg dann nach einer Spitzkehre zur Kapelle der (Ano) Panagia Kalamiotissa führt, die unvermittelt vor uns liegt. Bisher hat der Berg sie verdeckt, nun können wir das weiße Gotteshaus, das direkt am Abgrund steht, endlich sehen. Und es sind nur noch zwei Minuten zu dem Gipfelchen, das rechts der Kirche noch ein paar Meter hinauswächst und mit einem Blitzableiter versehen ist.

75 Minuten haben wir für die 2,2 Kilometer und 350 Höhenmeter gebraucht.

Die Aussicht hier ist trotz des diesigen Wetters ein Traum. Nicht zuletzt, weil der monolithische Kalamosberg - Kalkstein und Marmor - ja fast das äußerste Ende des Insel markiert, die sich nun vor uns ausbreitet. Wir staunen und genießen.

 

Die Gipfelkapelle ist aber leider verschlossen. Da könnte sich Anafi mal ein Beispiel an Sifnos nehmen.

Der Wind ist dann aber doch frisch, so dass wir uns schließlich auf dem sonnigen, aber windgeschützten Terrasse neben den doppeltonnengewölbigen Nebengebäude zur Rast niederlassen. Das andere Wandererpaar - Griechen - sitzt beim Kircheneingang.

Als wir nach einer Dreiviertelstunde den Abstieg beginnen, kommen uns noch zwei Wanderer entgegen. Deutsche. Das Premium-Ziel auf Anafi sollte man auch unbedingt mal erklommen haben wenn man halbwegs die körperlichen Voraussetzungen dafür mitbringt.

 

Nach einer Stunde sind wir wieder am Kloster. Es ist drei Uhr mittags und der Bus fährt erst in über drei Stunden. Was also machen? Jörg würde gerne auf dem Wanderweg Nr. 2 im Inselinneren zurück nach Chora wandern. Ich würde lieber an der Küste zurück gehen bis Megalos Roukounas, da können wir unterwegs baden und einkehren. Was Jörg im Vorfeld auch vorgeschlagen hatte, und weshalb ich die Badesachen eingepackt habe. Außerdem ist mir Jörgs Vorschlag zu weit und zu steil für heute und diese Uhrzeit, das können wir dafür gerne extra und morgen machen.

Widerwillig gibt Jörg nach, nicht ohne zu betonen, dass es auch bei der Küstenwanderung ständig auf und ab ginge. Scheint ja eine steile Küste hier zu sein, war mir bisher gar nicht aufgefallen. Gut, wir werden sehen.

Durch violett blühenden Thymian und verhalten gelben Ginster wandern wir zunächst zum Klosterstrand Praises hinab. Entlang der trockenen Bachtäler blüht in einem dichten rosa Streifen der Oleander. Erstaunlich, wo diese auf meinem Balkon so durstige Pflanze hier in der Trockenheit das Wasser hernimmt. Eine einsame Palme ragt oben an der Straße in die Höhe. Bäume über fünf Meter Höhe kann man auf Anafi an einer Hand abzählen.

Sollen wir gleich hier am Strand ins Meer eintauchen? Eine durchaus verlockenden Mischung aus Sand und Kies. Ich überlasse Jörg die Führung und wir gehen weiter, wieder leicht bergwärts. Das macht Jörg jetzt absichtlich, aber die angedrohten Steigungen sind nur kurz.

 

Dann kommt die fotogene Kapelle der Agii Anargyri auf einem Felsenkap, eingerahmt von kleinen Stränden. Wir passieren sie oberhalb. Hey, ich will ins Wasser! Am einsamen Strand von Megas Potamos hat Jörg ein Einsehen, wir tauchen hüllenlos in die erfrischenden Fluten. Perfekt! Der Wind ist aber kühl und so liegen wir anschließend nicht lange. Außerdem wollen wir ja noch in die Taverne am Roukounas-Strand, und den Bus nicht verpassen.

 

An das Ensemble von Windmühlenmodell, Ziehbrunnen und Kapelle bei Agios Ioannis erinnere ich mich noch vom Erstbesuch 1999. Scheint in die Jahre gekommen. Anschließend umwandern wir die Kapelle auf einer flachen Felsenkap bei Katalimatsa. Oberhalb liegt die antike Stätte von Kastelli. Morgen vielleicht.

Der Kalamos-Felsen rückt hinter uns wieder ins Blickfeld, aber wir gehen am hohen Ufer westwärts. Kurz nach fünf Uhr langen wir am Roukounas-Strand an, der auch heute wieder ganz gut besucht ist. Wir eilen aber gleich zur Taverne. Ein griechischer Salat mit Kapern, eine Limo, ein Bier und ein Frappé erfrischen und schmecken uns. Meine Tracking-App hat knapp zehn Kilometer und einen Höhenunterschied von 554 Meter aufwärts und 639 Meter abwärts aufgezeichnet, bei drei Stunden sechs Minuten reiner Gehzeit. Nur? Na, passt schon.

Um halb sechs fahren wir mit dem Bus wieder zurück in die Chora.

Ein schöner Tag war das, und wir beschließen ihn im "To Steki" bei Fava, gebackenem Schafskäse, Soutzoukaki, Loukanika und (zu viel) Wein. Und planen für morgen. Wenn wir mal früher unterwegs wären als der Bus es zulässt. Und elf Uhr, wenn der Bus losfährt, ist schon der halbe Tag vorbei, auch wenn der Wind immer noch kühl ist und die Mittagshitze sich im Rahmen hält.