Auf der Küstenstraße fahren wir nach Norden, biegen dann ins Inselinnere ab. Durchfahren Pyles, Othos und Volada – diese Dörfer möchten wir uns separat angucken, verbunden vielleicht mit einer kleinen Wanderung. Bei Aperi, dank der USA-Auswanderer anscheinend eines der reichsten Dörfer Griechenlands und früher die Inselhauptstadt, biegen wir nach Norden ab auf die östliche Küstenstraße.
Vor zwölf Jahren war diese noch nicht asphaltiert, nun ist es eine wunderbare Panoramastraße, die hoch gelegen teilweise durch dichten Kiefernwald führt. Wir wollen an einen der Strände dieses Küstenabschnittes, die Auswahl bestand zwischen Achata, Apel(l)a, Kyra Panagia und Agios Nikolaos. Ich habe mich für Ápella entschieden, der Strand gilt schließlich als einer der schönsten Griechenlands.
Eine gute Straße führt von der Panoramastraße hinab zur Taverne oberhalb des Strandes. Hier an der Ostküste ist – typisch für Karpathos – viel weniger Wind und das Meer daher viel ruhiger als an der Westküste wie bei uns in Arkassa. Der Strand von Apella ist etwa fünfhundert Meter breit, besteht aus einer Mischung von Sand und Kies, das Meer leuchtet türkisgrün. Am vorderen Strandabschnitt überraschen wir ein Paar, das FKK die Sonne genießt. Ein weiteres Paar sitzt nur wenige Meter weiter, und den Rest des Traumstrandes haben wir für uns. In der Mitte hat es etwas Schatten von einem Baum, da lassen wir uns nieder und wollen dann ebenfalls hüllenlos ins hier nicht ganz so kalte Wasser.
Gerade sind wir drinnen und schwimmen ein paar Züge, da biegt um das südliche Kap ein Ausflugsschiff Typ Zweimaster und nimmt Kurs auf uns. Ja super – gleich stürmen fünf Dutzend Touristen den Strand, und wir baden hier nackig. Schnell verlassen wir das Wasser und hüllen uns in unsere Handtücher. Das Schiff legt aber ganz im Süden an, und nur eine Person geht von Bord. Es handelt sich wohl um eine Anlegeprobe zum Saisonbeginn, oder eine private Sonntagsfahrt.
Schade, wir sind trotzdem aus dem Wasser. Lassen uns aber von der Sonne trocknen und genießen den Strand. Beeindruckend die nahen, grünen Berge, die Ostausläufer des Kali-Limni-Massives. Und das Wetter ist heute auch richtig schön.
Weil die Cousine und ich heute noch ein wenig wandern wollen, reißen wir uns irgendwann vom Strand los und fahren wieder hinauf zu Panoramastraße Richtung Spoa. Eigentlich wollten wir noch an der Höhlenkirche Agios Loukas halten, aber wir verpassen sie, obwohl wir sie bei der Talfahrt gesehen hatten.
Unser Ziel ist Spoa. Wir stellen das Auto am Ortseingang ab, wo der LKW reisender Knoblauchverkäufern die Durchfahrt versperrt. Nein, das wäre gar keine Durchfahrt gewesen, hier ist „The end“ – weiter nur zu Fuß. Wir registrieren die Taverne „Foliá“ zur rechten – ist ja fast schon wieder Essenszeit. Aber erst etwas herumbummeln. Um die Mittagszeit ist der Ort richtig lebendig: da sind die Knoblauchverkäufer, die auch Kundinnen finden, zahlreiche Frauengruppen und –grüppchen, alle mit Blümchen bewaffnet. Sie grüßen uns freundlich.
Im Tal vor Kirche hat es ein großes Brunnen- und Waschhaus, sehr gepflegt und offensichtlich in neuerer Zeit renoviert. Die üppigen grünen Gärten, die gepflegten Blumen – Spoa hat ausreichend Wasser, und die Einwohner mögen und pflegen ihren Ort.
Bei der Kirche Agios Giorgos feiert man heute die Mütter – es ist ja Muttertag. Auch hier gibt es eine Tafel mit Essensausgabe – oder war es Kuchen? Inzwischen verläuft sich alles schon, ein altes Mütterchen in Schwarz wird noch fotografiert, mit den Enkeln. Vielleicht die älteste Einwohnerin bzw. Mutter des Dorfes?
Bei uns meldet sich der Hunger und so kehren wir zur Taverne Foliá (=Nest) zurück, finden einen windgeschützten Platz auf dem Balkon während die einheimische Gäste lieber drinnen sitzen. Spezialität sind die hausgemachten Sardinen. Diese werden in Salz konserviert und kalt mit Öl serviert – die Herstellung erklärt uns der freundliche Wirt gerne. Wir probieren eine Portion davon - man isst sie mit allem, muss aber wegen der feinen Gräten in dem festen Fleisch etwas aufpassen. Mhh, salzig und gewöhnungsbedürftig – muss ich nicht unbedingt nochmals haben.
Dazu gekochtes Chorta (Wildgemüse), Oktopus und mal wieder Fava. Dieser Brei aus gelben Schälerbsen kommt hier weniger fein püriert, aber gleichwohl sehr schmackhaft auf den Teller.
So gestärkt wollen die Cousine und ich nun loswandern, nach Mes(s)ochori. Die Mutter habe ich überredet, die paar Kilometer dorthin mit der Tante und dem Auto zurückzulegen – das spart uns einen Weg (was wir noch sehr zu schätzen lernen). Eigentlich sind es nur fünf Kilometer, und keine erheblichen Höhenunterschiede bzw. geht in dieser Richtung vor allem bergab. Weshalb ich das dummerweise eher als Spaziergang abtue und kein Wasser mitnehme (wir haben ja gerade erst gegessen). Allerdings haben wir die Beschreibung der Wanderung nur in der Gegenrichtung, und das hat seine Tücken. Wie wir wenig später merken werden.
Wir verabreden uns in im Café Skopi – das sollte zu finden sein auch wenn man den Ort nicht (mehr) kennt, und steigen bei den Windmühlen aus dem Auto. Gleich vier Wegweiser stehen dort, der KA 18 weist uns den richtigen Weg (ab hier geht es auch zur Lastos-Alm – sicher eine reizvolle Tor, nur wie soll man zum Ausgangspunkt zurückkommen wenn man nicht auf dem gleichen, langen Weg zurückmöchte?)
Hinter den Mühlen geht es auf einem schmalen, aber gut erkennbaren Weg abwärts bis zu einer Schotterpiste, der wir nach links folgen bis hinter einer Kapelle. Der kleinblütige Ginster fängt gerade an zu blühen, es duftet. Gelegentlich auch nach Salbei – ich pflücke etwas für einen Tee gegen meine stärker werdende Erkältung. Ansonsten hat es viel vom salbeiähnlichen strauchigen Brandkraut und Zistrosen.
Bei einem Hof wird die Wegführung unklar: durch den Hof geht es nicht, daneben ist ein Weg, der sich in einem Kieferwäldchen auch weiter abzeichnet, aber in die Irre führt: wir landen bei großen Felsen und müssen erkennen: hier sind wir falsch – zu weit oben, und weiter geht es nur für Kletterer. Muss nicht sein.
Also zurück bis fast zu dem Hof, immer wieder die richtige Abzweigung (mit der Wasserleitung) suchend. Auch der nagelneue Wanderführer von Franz Postlbauer „Karpathos – Wandern mit allen Sinnen") ist uns da in der Gegenrichtung keine Hilfe: man soll durch den Kiefernwald aufwärts - wir also abwärts. Nur wo? Nach gut viertelstündiger Suche finden wir glücklicherweise endlich eine rote Markierung und den Einstieg in richtigen Weg – schon wieder ganz vorne beim Hof.
Und jetzt geht der Spaß erst richtig los: der Weg ist da, und auch gelegentlich mit roten Punkten markiert. Was dringend nötig ist um uns bei der Stange bzw. beim Weg zu halten, denn dieser ist bis mannshoch zugewachsen (die Reiseführer-Empfehlung, lange Hosen zu tragen, liest sich da fast wie Hohn – wir empfehlen eine Lederkombi samt Helm, und eine Machete). Wäre das nicht mal eine nützliche Aktion einer Handvoll freiwilliger jugendlicher Arbeitsloser, diesen Weg zur Förderung des Fremdenverkehrs frei zu räumen?
Wenn wir gelegentlich den Blick vom Boden und der Rote-Punkte-Suche losreißen, ist die Aussicht auf die Westküste toll. Und die Kapelle des heiligen Charalambos ist auch in Sicht, es kann nicht mehr weit sein. Vorher nur noch durch ein zugewachsenes Tal, zu unserer Freude mit Spinnen und deren stabilen Netzen garniert. Die Charalambos-Kapelle ist offen, der Heilige hat ein Herz für Geckos, denn einer hängt dort an der Decke über der Ikonostase.
Immerhin ist der Weg ab hier wieder gut begehbar, und eine Viertelstunde später, unterhalb einer imponierenden Felsenwand entlang, sehen wir endlich die Kirche von Mesochori vor uns auf dem Plateau liegen, und erreichen sie fünf Minuten später. Fast zwei Stunden waren wir unterwegs, und sind erhitzt. Schön, dass im Durchgang unter der Kirche der Muttergottes gleich aus drei Mündungen frisches Wasser fließt, weshalb die Kirche auch „Panagia i Vrissiani“ heißt (Panigiri am 8. und 9. September). Die Kirche ist schön ausgemalt, und vor der Marien-Ikone (soll vom Evangelisten Lukas gemalt worden sein) hängen zahlreiche Tamata. Wir träumen aber erst mal von einem kalten Frappé zu Wiederbelebung – wo ist das Café Skopi?
Bei der Passage der am Weg liegenden Taverne „Dramountana“ erklingen von links Rufe: da sitzen die Mutter und die Tante, und natürlich haben sie Theo getroffen, der seit Mittwoch sein Quartier in Mesochori aufgeschlagen hat. Heute früh um zehn Uhr hatte ich versucht, ihn telefonisch im „To Steki“ zu erreichen – er sei aber unterwegs, wurde mir beschieden. Panagia mou, was ist nur passiert, dass Theo am frühen Sonntagmorgen schon wandert? Die Tageshitze kann es eigentlich nicht sein. Nein, er ist gar nicht gewandert, sondern hat ein traditionelles karpathiotisches Haus besichtigt, was nur zu diesem frühen Tageszeitpunkt möglich war. Und wenn ich ihn vorher hätte fragen können, so hätte er uns von der bewältigten Wanderung dringend abgeraten – auch er hat sie samt ihrer überbordenden Vegetation „genossen“ und verflucht. Den Müttern konnte er so sagen, dass wir noch nicht so schnell kommen würden, und dass wir am „Dramountana“ vorbeikommen müssten. Dem der Vorzug vor dem Café Skopi zu geben wäre weil dessen Besitzer seine Gäste ziemlich in Beschlag nehme (was nerven kann), und das Essen samt dem Kuchen hier außerdem hervorragend wären.
Die Mütter haben sich zum Muttertag schon einen Kuchen einverleibt, und wir teilen uns einen weiteren. Dazu Frappé und frisches Wasser aus der Marienquelle – was will man mehr?
Eigentlich hatte Theo uns als Taxi-Service engagiert – aber erst morgen. So lange hatte er Mesochori gebucht. Und wir hatten die heutige Wanderung deshalb erst am Montag unternehmen wollen um ihn aufzulesen. Aber nun sollte laut Wetterprognose am Montag Kali-Limni-Wetter sein, und wir hatten umdisponiert. Wir würden Theo aber trotzdem abholen und dann rauf auf die Lastos-Alm fahren. Morgen, halb elf. Eigentlich müssen Wanderer ja früh los auf den Gipfel („im Frühtau zu Berge…“), aber die große Sommerhitze auf Karpathos steht in diesem Mai noch aus (ganz im Gegensatz zu Hydra letztes Jahr, wo wir Ende April bei dreißig Grad unterwegs sein mussten).
Die Straße nach Lefkos führt durch das Gebiet eines Waldbrandes von 2004. Das ist zwar nun schon wieder zehn Jahre her, aber die Folgen des Brandes sind noch immer unübersehbar. Und man kann sich dort beim Wandern gepflegt verlaufen, haben wir von Theo gehört.
Bei Stippvisiten dieser Art bekommt man ja meist keinen richtigen Eindruck, trotzdem ist das weitläufige und seine Existenzberechtigung nur aus dem Tourismus schöpfende Lefkos auch an diesem Vorsaison-Sonntagabend nicht unser Fall. Es hat zwar tatsächlich schon mehr Gäste als wir bisher zusammen auf der Insel gesehen haben, aber der Reiz dieses Ortes ohne Ortskern erschließt sich für uns nicht so recht. Am nettesten fand ich die drei weißen Zicklein, die neugierig und fast schon angriffslustig auf uns zugingen.
Wir sind ja auch keine Badeurlauber – sonst wären wir nicht im Mai bei Meerestemperaturen unter zwanzig Grad hier. Und ehrlich: „unseren“ Saint-Nicholas-Strand, den haben wir noch fast für uns alleine (ok, tagsüber sind wir unterwegs, da geben wir ihn gerne ab), und den finden wir schöner.
Erst nach neunzehn Uhr sind wir wieder im „Glaros“ in Arkassa, da liegt „unser“ Strand längst wieder leer da, und Kassos am Horizont ist von der Abendröte umstrahlt (die Sonne geht vom „Glaros“ aus gesehen leider hinter dem Paleokastro-Felsen unter).
Weit gehen mögen wir heute nicht mehr, und so haben wir uns die Taverne „Kriti“ fürs Abendessen ausgesucht, die Richtung Strand an der Straße liegt. Es stehen Makarounes auf der Karte, und auf die freue ich mich schon seit Wochen. Die Bedienung, eine junge Frau, überschlägt sich schier vor serviler Freundlichkeit, und aufs Haus gibt es zwei Vorspeisen, hinterher Loukoumades, Orangenschnitze und ein Wein. Leider sind die Makarounes etwas fade (Die Portionen dafür überreichlich), und derart mit unverlangten Zugaben zugeschüttet zu werden hinterlässt bei mir ein unbehagliches Gefühl. Ist es das was Touristen wünschen? Offenbar ja, wenn ich von Restaurantempfehlungen lese, bei der die Zahl der Gratis-Ouza oder -Raki der entscheidende Aspekt der Bewertung zu sein scheint, und nicht die Qualität des Gekochten. Und so passt man sich in Griechenland eben an die deutschen oder mitteleuropäischen Sitten an (die Schweiz nehme ich ausdrücklich aus – Gratis-Ouzo kann sich dort kein Lokal leisten) und verkauft das Ganze als griechische Gastfreundschaft….
Morgen also auf den Kali Limi – ich bin gespannt!