Als wir in Pothia/Kalymnos von Bord gehen sehen wir etwas weiter vorne am Anleger auf der linken Seite die „Nissos Kalymnos“ liegen. Die war heute schon in Astypalea. Daneben liegt das einem Landungsboot ähnelnde Schiff der ANEM Ferries, die „Olympios Zeus“. Es pendelt nach Mastichari, vermutlich sind wir hier richtig. Gegenüber ist ein Ticketschalter, an dem auch der Fahrplan hängt. Wir haben Glück: in einer halben Stunde fährt das Schiff hinüber, fünf Euro pro Person werden dafür fällig. Mit lästigen Formalien wie Namen hält man sich hier nicht auf, das Ticket erinnert an frühere Zeiten: auf dünnem Papier mit Durchschlag, außen mit perforierter Lochung für den Transport.
Auch zwei Schiffe der konkurrierenden ANEK verkehren zwischen Pothia und Mastichari, die „Kalymnos Star“ und die „Kalymnos Dolphin“. Diese sind kleiner, schneller (dass es sich wie bei gtp verzeichnet um Tragflügelboote handelt, halte ich dennoch für ein Gerücht), teurer (die Überfahrt kostet sechs Euro) und können keinen Autos mitnehmen. Dafür fahren sie noch später am Abend und früher am Morgen – wir werden sie noch in Anspruch nehmen.
Bis zur Abfahrt des Schiffes haben wir noch etwas Zeit, und so erkundige ich mich im Tourismus-Büro gegenüber dem Anleger wann und wo denn das Schiff nach Pserimos fährt. Ich frage auf Griechisch woraufhin mich der junge Mann dort mit einem griechischen Wortschwall überschüttet, dem ich mit Mühe entnehmen kann, dass das Schiff auf der anderen Seite des Hafens, an der Paralia (neben den Ausflugsseglern) abfährt, und zwar täglich um 9.30 Uhr. „Maniaï“ heißt das Schiff, fünf Euro kostet die Überfahrt.
Dann gehen wir an Bord der „Olympios Zeus“. Das Gepäck bleibt Open Air unten (Erinnerungen an eine unangenehme Überfahrt von Gavdos kommen auf), wir gehen auf das Sonnendeck, wo sich eine Schar drahtiger junger Männer verschiedener Nationalitäten tummelt. Sie turnen auf dem Deck herum, einer schwingt sich wie ein Affe von einem Querholm der (unbestückten) Sonnenabdeckung zum anderen – ein respektables Kunststück! Es sind Freeclimber auf der Heimreise, am Wochenende hat das „Kalymnos Climbing Festival“ auf der Insel stattgefunden, wie ich einem riesigen Plakat am Touristenbüro entnehmen konnte. Kalymnos ist ja schon länger eine angesagte Location für Kletterer, die Klettermöglichkeiten sorgen inzwischen für mehr Bekanntheit für Kalymnos als die Schwammtaucherei (Die Schiffe der Schwammtaucher sieht man auf Kalymnos nur wenn sie im Frühjahr für Monate aufs Mittelmeer hinaus fahren oder von dort zurückkommen – die Ägäis gibt längst nicht mehr genug Schwämme für das Dutzend Schiffe her. Aber gefährlich ist das Ganze immer noch, denn es wird immer noch mit sehr einfacher Ausrüstung getaucht, und keineswegs mit Druckluftflaschen – zu teuer!)
Unsere Fähre legt pünktlich ab, die bronzene Meerjungfrau an der östlichen Hafenmauer winkt uns nach. Auf halber Strecke begegnet uns die „Kalymnos Star“, sonst sind nur noch zwei Kaikia zu sehen. Nach einer Dreiviertelstunde legen wir dann in Mastichari an. Und wieder ist da dieser charakteristische schwefelige Gestank, den eine Reiseleiterin mir mit Fäulnisgasen von Seealgen zu erklären versuchte. Nach unseren äolischen Vulkanerfahrungen vom Frühjahr vermute ich eher eine Fumarole in Hafennähe, Kos und die Nachbarinsel Nisyros sind ja diesbezüglich durchaus aktiv.
Ich mache mich auf Quartiersuche. Nach den schönen Unterkünften der letzten Zeit möchte ich unbedingt etwas mit Meerblick und suche entlang der Straße, die vom Fähranleger parallel zu Strand nach Süden führt. Da hab ich aber wenig Glück – entweder ausgebucht, oder ich treffe niemand an, oder ein Blick auf das offerierte Zimmer findet nicht meine Gegenliebe (zu klein, zu verkruschtelt). Es ist schwül heute, ich komme ins Schwitzen. So nehme ich einen Anlauf auf das Hotel „Sea Breeze“ an der Hafenfront obwohl mir eine Freundin abgeraten hatte – der Wirt sei ein „Betonkopf“.
Er offeriert mir ein Zimmer mit Meer- und Hafenblick für 45 Euro, lässt sich aber auf 40 Euro herab handeln. Frühstück nicht inklusive, aber buchbar für weitere fünf Euro pro Person. Das Zimmer ist mäßig groß und etwas abgewohnt, aber sauber. Ich schlage schließlich ein. Auf einem Fresszettel notiert Kostas, so heißt unser Wirt, an der Rezeption den vereinbarten Preis, die Zahl der Nächte und meinen Namen. Computer, ein modernes Buchungssystem, die Frage nach unserer Adresse – Fehlanzeige. Einen Beleg bekommen wir am Ende unseres Aufenthaltes natürlich auch nicht – vielleicht sollte das Finanzamt mal im „Sea Breeze“ vorbeischauen…. Die Krise ist von Mastichari noch weit entfernt.
Das sehen wir auch am nächsten Tag, als Gärtner (mit Ape-Dreirad!) und Straßenkehrer an den Grünanlagen am Hafen in Aktion sind. Selten eine so gepflegte griechische Insel gesehen wie Kos.
Vor dem Abendessen bummeln wir noch ein wenig durch Mastichari. Der Ort ist fest in deutschsprachiger Hand und bestehe neben Tavernen und Bars mit aufdringlichen „Hereinziehern“ an der Hafenfront vor allem aus kleinen Pensionen und Läden mit Touristenbedarf. Garniert mit Autoverleihern und Ausflugsveranstaltern. Schön ist der Ort nicht – viel Beton, viel Zweckbau, wenig Malerisches. Ein paar Palmen immerhin. Da macht unser Hotel keine Ausnahme. Die großen Hotels mit all-inclusive befinden sich etwas abseits direkt an den Stränden (vom benachbarten Mastichari-Bay-Hotel dringen allabendlich die Synthesizerklänge und Lautsprecherdurchsagen – bingo! - der Abendunterhaltung zu uns herüber – brrrr….)
Ob dieser Ort ohne Tourismus noch eine Daseinsberechtigung hätte? Wohl kaum. Immerhin wohnen auch im Winter noch Leute hier und es gibt eine dörfliche Infrastruktur. Aber wenn wir in Griechenland nur das kennen würden – wir wären kaum zu Fans dieses Urlaubslandes geworden.
Der dicke Pluspunkt von Kos sind die Strände. Hier in Mastichari reicht der weit nach Westen, feinster Sand. Durch die dem Wind ausgesetzte Lage nach Norden auch mit ordentlichen Wellen. Kinder und unsichere Schwimmer müssen aber keine Angst haben – es geht sehr flach hinein. Wellenhüpfen kann man hier bestens. Und natürlich gibt es reichlich Strandliegen und Sonnenschirme zu mieten. Wer es lieber einsamer und vielleicht hüllenlos mag, braucht nur ein paar hundert Meter weiter nach Westen gehen, wo man in den wacholderbewachsenen Dünen ruhige und ungestörte Ecken findet. Der Strand ist dort aber etwas felsiger.
Wir trinken einen Ouzo vor dem Abendessen in der Bar Borsalino und träumen von eingelegtem Oktopus oder leckeren Meze dazu: hier gibt es nur schnöde Chips. War Lipsi schön…. Aber jetzt sind nur eben da, machen wir das Beste daraus.
Dazu steuern wir etwas später die Taverne „Traditional (Greek) House“ an. Sie liegt als letzte nach Südwesten hin zurückgesetzt am Strand (Herr Bötig, „nördlich des Hafens“ liegt das Meer! Aber danke für die Empfehlung! A. hatte sie noch bestätigt.) Die meisten Tische auf der teilüberdachten gemütlichen Terrasse sind schon belegt, und zwar von Stammgästen überwiegend germanophoner Herkunft im Rentenalter. Wenig später werden wir wissen warum.
Der Laden wird geschmissen von zwei nicht mehr ganz jungen Männern, der eine bittet uns gleich in die Küche um die Tagesessen zu begutachten. Wir entscheiden uns für einen göttlichen Kürbiskuchen als Vorspeise, und Kaninchenstifado bzw. Thunfisch mit Kartoffeln und Gemüse aus dem Ofen als Hauptgang. Begleitet von einem halben Liter Rotwein. Das Essen ist saumäßig gut und hat nur einen Nachteil: es ist zu viel, wir können nicht alles schaffen. Was in Griechenland eigentlich kein Problem ist, aber unsere schwäbische Seele stört. „To much“ ist denn auch der meistgehörte Satz an den Nachbartischen.
Der Wirt Savvas lässt sich Zeit für den Smalltalk mit seinen Gästen, der andere Mann muss als Kellner springen. Eine Gelegenheit für mich mein Griechisch zu üben und der schönen Hintergrundmusik zu lauschen. Savvas offeriert uns ein Getränk aufs Haus – nach dem üppigen Essen können wir gut einen Schnaps vertragen. Den bekommen wir – Tzikoudia selbstgebrannt, jeder ein großes Wasserglas gut halbvoll! Da müssen wir nach der vollständigen Vernichtung (Ehrensache!) aufpassen, dass wir den aufrechten Gang nicht verlieren… (wir werden es schaffen).
Die Rechnung für das reichlich sättigende Mahl beträgt 27 Euro. Der handschriftliche Beleg wird mit dem Geld einbehalten, das Wechselgeld gibt es ohne. Und wir beschließen, auch am nächsten Tag hier einzukehren – die Tavernen vor am Hafen mit ihren Anwerbern und russischen Speisekarten sind eh nicht unser Fall. So schnell wird man Stammgast.
Auch im trunkenen Zustand sind die nächtlichen Schnaken leider nicht zu überhören. Sie stehen auf deutsche Touristen mit Rakí im Blut. Nach vergeblichen Ignorierversuchen sind ein paar Jagdszenen angesagt ehe die Bettschwere doch siegt. Mistviecher!
Kindergeschrei weckt uns am Morgen. Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz am Meer haben zwei Roma-Familien übernachtet, die Kinder toben nun herum. Eine Morgenzeremonie mit (Weih?)Rauch findet statt. Der Kleinste wird gemaßregelt und trotzt nun, weigert sich plärrend der aufbrechenden Familie in die zwei Autos zu folgen. Schließlich wird er einfach in das Auto verfrachtet wo er weiter bocken kann. Auch unsere französischen Balkonnachbarn haben das Schauspiel mit Amüsement beobachtet und kommentiert.
Wir probieren heute das Hotelfrühstück aus. Es wird im Innenhof, ja eher Garten des Hotels serviert. Für die fünf Euro pro Person gibt es Nescafé satt, Brötchen und Brot, Marmelade, Orangensaft, Butter, Honig und auf Wunsch ein hartes Ei, Omelette, Spiegeleier, Käse, Schinken. Der Wirt Kostas, seine Frau Eleni und seine Tochter sorgen dafür, dass alles schnell und wie gewünscht da ist – wir sind zufrieden. Am langen Nachbartisch sitzt eine große Gruppe Schweizer, ein gutes Dutzend Leute, mehrere Kinder beim stundenlangen Frühstück (das Müesli haben sie vermutlich mitgebracht). In manchen Schweizer Kantonen sind schon Herbstferien – das ist auf Kos, speziell in Mastichari, nicht zu überhören. Bei Kostas kann man auch Apartments mit Küche mieten, sie befinden sich im Seitenflügel. Sicher gut geeignet für einen preiswerten familiären Urlaub ohne große Ansprüche an Stil oder Aussicht.
Später bummeln wir ein wenig durch den Ort und sichten das Mitbringselangebot. Ein paar Läden mit netten Dingen hat es schon, der eine ist allerdings sehr heftig von Katzen okkupiert. Ich mag Katzen, aber das ist sogar mir fast zu viel. Eine Passantin, die sich diesbezüglich missverständlich äußert, wird von der Ladenbesitzerin heftig verbal angegangen. Sie kann sich gar nicht wieder beruhigen, schüttet uns danach das Herz aus. Wir versuchen vergeblich uns dem zu entziehen, schaffen es endlich uns zu verdrücken und machen danach einen Bogen um den Laden.
Es gibt sehr viele Katzen in Mastichari, und keine sieht mager aus, im Gegenteil: das Modell „Garfield“ ist vorherrschend. Fette Monsterkatzen.
Dann ziehen wir weiter an der Uferpromenade nach Südwesten. Nach etwa zwei Kilometern soll es bei dem Hotel Achilleas Beach die Reste einer frühchristlichen Basilika geben, die wollen wir uns ansehen. Nahe am Ort ist der Strand mit Sonnenliegen bestückt, die auch sehr gut belegt sind. Dann kommt das Surf Center „Water Proof“ (Wind- und Kitesurfen) und der Strand wird leerer. Zum Weg hin wird er durch Dünen und Wacholderbüsche abgegrenzt. Auch FKK ist hier üblich.
Die Basilikafundamente sind beschildert, vor dem AI-Hotel Achilleas Beach (weitläufige, mäßig schöne Bungalow-Anlage mit mäßigem, steinigem Strand) muss man links eine kleine Böschung hinauf und ein paar Meter zurück. Erkennbar sind die Fundamente eines Taufbeckens und ein paar Mauern, ein paar Säulen liegen herum. Jo, kann man sich angucken, muss aber nicht sein.
Auf dem Rückweg suchen wir die rechts des Weges gelegen Strandbar „Aplo“ auf einen Imbiss auf: Omelette und Thunfischsalat, ein Viertele Wein dazu. Kostet 12,60. Faire Preise. Wie Kos überhaupt preislich kein bisschen überteuert ist.
Viele Informationen über Mastichari (auf Englisch) gibt es übrigens auf der empfehlenswerten Website http://www.mastihari-uncovered.com
Dann muss ich noch natürlich noch ins Meer.
Beim Surf-Spot hat es genug Platz. Der Untergrund ist feiner Sand, im Wasser wird es relativ langsam tiefer. Durch die Lage im Wind gibt es hier schöne Wellen, Wellenhopsen fällt leichter als Schwimmen. Das Meer hat immer noch 26°C. Nur Kite-Surfen möchte jetzt leider keiner, schade, hätte ich mir gerne aus der Nähe angesehen. Die Drachen trocknen in der Sonne und werden wenig später vom Personal zusammengepackt – Feierabend für heute.
Am Abend sind wir wieder im „Traditional House“ zum Essen. Nach den Erfahrungen von gestern wollen wir die Vorspeise auslassen, aber das Fava sieht so verlockend aus, da können wir nicht widerstehen. Als Hauptgang gibt es Lachanodolmades und gefüllte Auberginenscheiben, sehr habhaft das Ganze, und so müssen wir wieder einiges übriglassen. An den Tischen weitgehend die gleiche Besetzung wie gestern, fasziniert beobachten wir den Weinkonsum am einen Tisch, lauschen den Inseltipps am anderen. Alles Mastichari-Wiederholungtäter. Na, für Kos ist es schon in Ordnung hier. Aber so richtig ans Herz wird uns die Insel nicht wachsen.
Der Tzipurro fällt auf unseren ausdrücklichen Wunsch dieses Mal ganz klein aus. Trotzdem fallen in der Nacht wieder die Stechmücken über uns her, da hilft auch die chemische Keule aus dem Mückenstecker wenig. Ich hab ja eh den Verdacht, die dampft etwas aus was zwar die Mücken nicht stört, die Menschen aber betäubt so dass sie die Mistviecher nicht mehr hören…
Für morgen haben wir den Wecker gestellt, da müssen wir zeitig raus.
Oktober 2012