So ganz hat das mit den Wetterversprechungen nicht geklappt: auch am Dienstagsvormittag regnet es. Morgen soll es allerdings noch schlechter werden, und für den Mittag wird Sonne versprochen.
Also werden wir heute einen weiten Ausflug unternehmen, und nach Elafonisi fahren. Von diesem Traumstrand hatte ich viel gehört, aber auch, dass er von Mai bis November total überlaufen ist.
Jetzt im Januar dürfte das anders sein. Auch wenn das Meer vermutlich kaum die für ein Bad von mir präferierte Temperatur über zwanzig Grad erreichen dürfte.
Gegen zehn Uhr fahren wir in Chania los, für die Hinfahrt haben wir die Küstenstraße via Kissamos ausgewählt, der Rückweg soll dann durch die Berge gehen.
Im Hafen von Kissamos liegt eine gute alte Bekannte, die "Vitsentzos Kornaros". Sie fährt mehrmals die Woche von Piräus via Peloponnes, Kythira und Antikythira nach Kissamos und retour. Die höchstsubventionierte Fährroute in Griechenland, und es ist erst zwei Jahre her, da wollte man diese Route einstellen. Die Einwohner von Kythira und Antikythira wehrten sich dagegen, und konnten sich durchsetzen. Morgen, am Mittwoch, wäre sogar ein Tagesausflug von Kreta aus nach Antikythira möglich. Ich hatte das erwogen, aber am muss früh weg (Abfahrt der Fähre um 7.30 Uhr), und kommt spät zurück (23 Uhr), und Antikythira dürfte im Winter ziemlich verlassen sein. Also nein.
Immer wieder tröpfelt der Regen auf die Windschutzscheibe, als wir die Küste verlassen und den Zipfel der Gramvoussa-Halbinsel abschneiden. Es ist hier bergiger als ich gedacht hatte. Weniger schön ist der Anblick der vielen Gewächshäuser in der Ebene bei Falassarna.
Aber ab hier wird die Landschaft wilder und einsamer und schöner. Wir durchfahren verlassen wirkende Dörfer, scheuchen Ziegen und Schafe von der Straße und wundern uns darüber, dass der Fernwanderweg E4 hier kilometerlang (bis Elafonisi) auf der Straße verläuft, sorgsam markiert mit entsprechenden Schildern.
Da will man dem Wanderer, der Asphalt weniger mag und Fußwege sucht, zeitraubende Abwege ersparen. Dafür muss man endlos Täler auslaufen. Immerhin, die schöne Aussicht auf die Küste entschädigt dafür.
Bei Kambos machen wir einen Fotostopp, vor uns am Himmel kreisen große Raubvögel, die ich mit dem Fernglas als Geier identifizieren kann. Leider entschwinden sie schnell in die Höhe.
Hinter Keramoti liegt in einer Kurve ein Bretterbudenkiosk. Theo schreit "halt", denn er hat die Bude als die der polnischen Saftverkäuferin Beata aus einer einer Fernsehreportage wiedererkannt. "Open" verheißt ein Schild, aber das wurde wohl im Herbst vergessen, unsere kurze Hoffnung auf einen frischen Saft löst sich in Luft aus. Dabei gäbe es jetzt frische Orangen zum Abwinken.
Die gastronomische Versorgung ist im Januar wirklich ein Problem je weiter wir abseits kommen.
Von hier aus können wir unser Ziel Elafonisi schon liegen sehen. Noch hängen die schweren Regenwolken darüber. Das wäre echt nicht nett, aber wir vertrauen der Wetterprognose, die Besserung verspricht.
Der nächste größere Ort ist Kefali, hier zweigt auch die Route über die Bergen in den Inselnorden ab. Wir registrieren, dass die Taverne von "Lefteris" geöffnet aussieht, eher wir die Straße bergab zur Küste nehmen. Zwölf Uhr ist es inzwischen, die Bergsträßchen lassen sich nicht schnell befahren. Möchten wir auch nicht, schließlich sind wir im Urlaub, und nicht auf der Flucht.
Einen großen Laden mit lokalen Produkten bei Plokamiana lassen wir links liegen, und erreichen zehn Minuten später Kloster Chrissoskalitissa. Ein Pflichtstopp. Theo ziert sich mal wieder (Angst vor Nonnen oder Mönchen) und lässt mich alleine zur Kirche auf dem Felsen hinaufgehen. Da liegen Datteln auf dem Weg, von einer großen Dattelpalme gefallen. Kann man die eigentlich direkt so essen? Keine Ahnung.
Bevor die namensgebende Treppe kommt - wer ohne Sünde ist, soll hier eine goldenen Stufe erkennen - steht rechts in einer Nische eine Ikone, die mit einer doppelreihigen Girlande von Tamata geschmückt ist. Ich liebe solche Fotomotive. Die goldenen Stufe ist dann unter dem Dreck echt schwer zu erkenne, aber natürlich sehe ich sie... 0:-)
Auf einer kleinen Plattform auf dem dreißig Meter hohen Felsenklotz befindet sich dann die Kirche Panagia Chrissoskalitissa. Mönche sehen ich keine (das Kloster ist wohl eher das rechteckige Gebäude, das am Fuße des Felsens steht), aber drei Arbeiter sind am Werkeln. Sie grüßen freundlich.
Die Kirchenpforte ist nicht abgeschlossen, und so trete ich ein. Eine freundliche, helle Kirche, und ja, man soll dort eigentlich nicht fotografieren. Und Kerzen nach dem Anzünden wieder löschen. Das tue ich brav.
Wieder draußen freut sich ein fröhlicher Hund stürmisch über meine Anwesenheit. Ein hübsches Tier. Und siehe da, da kommt Theo doch noch. Nein, in die Kirche will er nicht, aber sich das sehr kleine Museum mit Webstuhl, Ikonen und Mönchszelle ansehen. Immerhin mal ein geöffnetes Museum, auch wenn man (wegen des niedrigen Türbalkens) auf seinen Kopf aufpassen soll.
Und dann kommen tatsächlich noch andere Fremde. Eine nordeuropäische-blonde Familie, ziemlich alternativ verzottelt aussehend, und mit zwei Kleinkindern. Wohnen die hier? Der Nebenraum ist offen, aber Baustelle. Eines der Kinder krallt sich eine Katze, die anderen Miezen fliehen. Und der Hund freut sich vorsichtig distanziert über so viel Leben. So viele Leben in einem Kloster, ist das erlaubt?
Wir gehen dann mal lieber. Wollten eigentlich von den Datteln probieren, aber ein junger Mann mit leichter geistiger Behinderung hat sie gerade zusammengekehrt - Ordnung muss sein. Chance verpasst.
Unten auf der Straße sitzt dann doch noch ein Mönch. Ein ziemlich betagter mit langem Rauschebart, wartet er auf irgendetwas oder irgendwen.
Das Wetter hat sich jetzt echt gemacht, die Sonne ist da, und bis Elafonisi ist es auch nur noch ein Katzensprung auf einer breiten, geraden Straße, die durch flaches Gelände führt. Natürlich wollen wir so weit wie möglich fahren, aber nach der - natürlich geschlossenen - Taverne "Panorama" (von wegen "open all day") hat die Piste so tiefe Schlaglöcher, dass wir wenden und das Auto am Straßenrand abstellen. Zu Fuß geht es Richtung Strand und Insel. Schnell ist uns klar, dass wir hier nichts zum essen bekommen werden. Es ist nämlich einfach niemand da. Niemand außer uns. Wir stellen uns vor, was hier im Sommer los ist: parkende Autos, Sonnenschirme, Sonnenliegen, Eisverkäufer, Souvlakibuden, brüllende Kinder, rotgebrannte Urlauber. Und jetzt: nix. Tipota. Wir sind alleine. Toll!
Klar, es gibt hier keinen echten Ort, keine Anwohner, keinen Grund, hier auch im Winter zu bleiben.
An der Wohnwagenburg grasen die Ziegen, die einzigen Lebewesen. Wintercamping ist hier wohl nicht so gefragt. Und dann liegt der Strand von Elafonisi vor uns: weit sandig, leicht rosa, und wunderschön! Der Himmel hat inzwischen ordentlich an Bläue zugelegt, und das Meer strahlt in Türkis. Wow! So habe ich mir das vorgestellt. Nein, so konnte ich mir das nicht vorstellen - es ist noch besser. Ich erliege einem anhaltenden Fotorausch.
Ein schmaler Kanal trennt die Insel Elafonisi von Kreta. Natürlich möchte ich hinüber, aber das Meer hat nicht unbedingt Badetemperatur (später werde ich 15°C messen). Allerdings ist der Kanal nur ein paar Meter breit und sehr seicht - je nach Meeresströmung und der richtigen Stelle drei, vier bis maximal fünfzehn Zentimeter. Ich probiere es also in meinen Wanderstiefeln, die sich bisher als wasserdicht erwiesen haben. Kein Problem.
Theos Stiefeln hat schon neulich der Regen in Chania zugesetzt, er verweigert die Kanalüberschreitung. Kommt, Theo, zieh die Stiefel doch aus, und komm barfuß rüber. Nein, er will nicht. Gut, werde ich mir Elafonisi eben alleine ansehen.
Am Kanal ist die Insel ganz flach und sandig, Wind und Meer haben die weite Fläche mit einer regelmäßigen Wellenstruktur graviert. Voll schön!
Die eigentliche Insel ist dann etwas felsiger, entlang der Südküste ziehen sich flache Sandbuchten, durch Felsen unterbrochen. Feiner, leicht rosafarbener Muschelsand, Mitnehmen verboten. Das Hinterland besteht aus Dünen, das Betreten ist aus Naturschutzgründen verboten. Die absperrenden Bänder haben sich allerdings in Wohlgefallen aufgelöst. Ist ja noch Zeit bis Saisonbeginn.
Ob es hier einen Weg auf die andere Inselseite gibt? Deutlich auszumachen ist nichts, auf die Dünen soll man ja nicht. So gebe ich nach einem kurzen Versuch auf.
Ich bin vom Licht- und Farbenspiel weiterhin fasziniert und knipse was der Akku hergibt. Herrlich, dass die Sonne nun da ist und mir einheizt, so dass ich die Jacke ausziehe. Herrlich auch, das so alleine und ungestört erleben zu dürfen.
Ob ich bis zum Westende der Insel gehen soll? Auf einem felsigen Hügel sehe ich dort eine Kapelle. Auch ein Denkmal für das 1907 vor Elafonisi gestrandete Passagierschiff "Imperatrix" gibt es dort. 38 Menschen kamen damals ums Leben, als der Dampfer vor Elafonisi auf Grund liefe und sie versuchten, mit einem Rettungsboot das Ufer zu erreichen. Seither gibt es auch einen Leuchtturm hier.
Nein, das ist jetzt zu weit weg. Theo wartet vermutlich, und außerdem hab ich allmählich Hunger. Und wenn wir nicht im Dunkeln über die Berge fahren wollen, dann sollten wir uns so langsam auf Tavernensuche machen.
Also gehe ich auf dem gleichen Weg entlang des Strandes zurück, nutze noch reichlich die Panoramafunktion meines iPhones, und überschreite den Kanal. Theo, da hast du was verpasst! Theo trägt es mit Fassung.
Und plötzlich findet eine wahre Strandinvasion statt: ein Paar kommt von der Küste herüber, und die Aussteigerfamilie, die wir schon Chrissoskalitissa getroffen haben. Mit Kinderwagen geht es über den Kanal.
An der Taverne "Panorama" sind in viele Kakteen lachende Gesichter geschnitzt. Vorhin haben wir das gar nicht gesehen. Schräg irgendwie.
Es hat keinen Sinn, in dieser verlassenen Gegend eine geöffnete Taverne zu suchen. Und weil wir sowieso wieder über Kefali fahren müssen, werden wir es dort bei "Lefteris" probieren.
Tatsächlich ist das Lokal geöffnet, wir setzen uns in den Wintergarten. Auf unsere Frage nach Essbarem meint die Wirtin allerdings, die hätte eigentlich nur Getränke. Aber gut, wenn wir etwas Zeit haben, dann könne sie uns ein paar Souvlakia auf den Grill schmeißen (eine gut bestückte Tiefkühltruhe ist doch immer Gold wert). Wir haben vor allem Hunger, und so nehmen wir ihr Angebot freudig an.
Sitzt sich nett hier in dem verglasten Raum, in dessen Mitte ein eindrucksvoller Ofen steht. Nein, um dieses Jahreszeit kommen hier keine Touristen vorbei, erklärt die Wirtin., als sie jedem von uns einen Teller mit drei schönen Fleischspießen und Pommes hinstellt. Die wir restlos verdrücken.
Ach, geht es uns gut!
Statt Raki gibt es zur Abwechslung mal Mandarinen aufs Haus - sozusagen die Autofahrervariante. 17 Euro 50 bezahlen wir - kann man nicht meckern für die Extrawürste, ähm - spieße.
Es ist vier Uhr vorbei, wir müssen weiter. Da die Anfahrt entlang der Westküste viel länger gedauert hat als gedacht, vermutlich ich dies auch von der Rückfahrt. Die Fahrt führt über Elos und die Topolia-Schlucht (auf der Terrain-Karte als Topoliano-Schlucht bezeichnet) Richtung Kissamos und dann wieder auf der Nationalstraße ostwärts nach Chania.
Die Straße ab Elos ist neu und breit ausgebaut, und die Fahrt verläuft deutlich zügiger als auf der Westküstenstraße durch bergiges und waldiges Gelände. Ein Tunnel ist nur einspurig zu befahren, eine Ampel regelt die Durchfahrt. Gelegenheit, einen Blick in die Topolia-Schlucht zu werfen. Wegen möglicher Schluchtwanderer wird auf einem Schild gebeten, nichts in die Schlucht zu werfen. Na, jetzt dürfte da unten niemand unterwegs sein - die Schlucht führt reichlich Wasser. Aber wir werfen sowieso nicht mit Steinen, die kommen eher vom netzabgespannten Steilhang über der Straße.
Von der Fahrt ab Kolymbari auf der Nationalstraße ostwärts sehen wir die Weißen Berge frei in frischer Schneepracht. Hoffentlich nicht zum letzten Mal, zum Fotografieren ist es hier nicht so günstig.
Früher als gedacht sind wir um halb sechs wieder in Chania. War eine ausgesprochen schöne und lohnenswerte Ausfahrt heute.
Fürs Abendessen wollen wir heute in eines der Lokale in der Odos Hatzimichali Daliani. "Stis Annas" sieht zu leer aus, unsere Wahl fällt schließlich auf das "Inopiío" (Οινοποιείο), ein retromäßig-freundlich eingerichtetes und gut gefülltes Lokal. Ich kriege leider einen Platz an der aufklappbaren Glasfront, hier zieht es von hinten. Sonst ist aber nichts mehr frei. Das Touristenpaar da drüben haben wir gestern im Museum gesehen, es sind Deutsche. Unsere ersten deutschen Touristen in diesem Urlaub. Kurzer Small-Talk als sie gehen.
Weil wir heute Nachmittag schon reichlich Fleisch hatten, entscheiden wir uns für vegetarische Speisen: Rote Beete, Fava und Kastanien-Stifado. Alles schmeckt sehr gut und ist so reichlich, dass wir übriglassen müssen.
Essenstechnisch wird uns der Abschied von Chania auf alle Fälle schwerfallen. Aber morgen haben wir noch einen Tag an der Nordküste. Weil leider schon wieder Regen prognostiziert wird, werden wir kurzfristig planen.