Planänderung in Lavrio

 

Der Erzengel hat uns im Stich gelassen. Da sind wir nach mehr oder weniger gut verbrachter Vollmondnacht auf dem Athener Flughafen um halb neun endlich mit dem Bus in Lavrio angekommen (Abfahrt beim Sofitel, fährt stündlich zwischen 6.30 und 22 Uhr, Umsteigen in Markopoulo, Fahrtzeit ca. eine Stunde) um die Fähre namens „Erzengel" (= Taxiarchis) nach Agios Efstratios und Limnos zu besteigen, und dann das: wegen technischer Probleme würde die Fähre heute nicht abfahren. Morgen vielleicht… oder auch nicht, sie ist ja noch gar nicht da, tha doume.

 

Tja, da sitzen wir nun in Attikas hässlichstem Passagierhafen – ein richtiger Un-Ort – und haben den Salat. Dass die Fähre „Taxiarchis“ regelmäßig bei jeder Tour mehrere Stunden Verspätung ansammelt, konnte ich die letzten Wochen bei marinetraffic verfolgen. Und dass sie auch heute nicht pünktlich um neun Uhr abfahren würde, war mir klar als ich heute Nacht auf dem Athener Flughafen via Marinetraffic-App ihre Position checkte – gerade mal in Limnos weg. Das würde dauern.

Aber Totalausfall? Und das in diesem verlassenen Lavrio-Hafen?

 

Außer uns ist nur noch ein potentieller Passagier mit vollgepacktem Auto da. Er will nach Limnos – das wird heute nichts, schimpft er. Tja, voll wäre die Fähre wohl nicht geworden – vernachlässigteste der subventionierten Fährlinien, die Unzuverlässigkeit war schon in der Griechenland Zeitung nachzulesen. Wir unverwüstliche Optimisten hatten geglaubt, dass das trotzdem klappen könnte, und unseren Urlaub um die Ai-Strati-Fahrt aufgebaut. Und nun: denkste!

 

Wenn wir jetzt wenigstens in Piräus wären, da gäbe es zahlreiche Fähroptionen. Aber in Lavrio… da liegt nur ein Kreuzfahrtschiff namens „Louis Aura“, die „Marmari Express“ nach Kea und Kythnos (nein, da wollen wir jetzt wirklich nicht hin) und die „Aqua Maria“ von NEL. Die fährt heute Mittag um 14 Uhr nach Psara und Chios. Ok, da wollten wir eh hin. Aber erst nächste Woche….

 

Aber was bleibt uns übrig: wir entscheiden, dass wir direkt nach Psara fahren werden, und streichen Ai Stratis von unsere Reiseliste. Werden den Flug von Limnos nach Chios am Montag mit Sky Express verfallen lassen (müssen). Den hatte ich erst vorgestern gebucht nachdem klar war, dass es keinen Fähren- oder Luftfahrtstreik geben würde. Wer denkt da schon an marode Schrottfähren?

 

Über fünf Stunden müssen wir nun am Hafen Lavrio verbringen. Ein hartes Stück Arbeit! Denn dieser Hafen besteht nur aus einem riesigen Parkplatz, drei oder vier Ticketbüdchen („no left luggage“), einer versteckten, sporadisch geöffneten Imbissbude („Grillhendl“ - schön wär‘s), und einem neu aussehenden kastigen Gebäude zum Einchecken von Kreuzfahrttouristen. Und immerhin einem überdachten Warteplatz an Kai. Da ziehen wir unsere Trolleys hin nachdem mein Versuch, sie auf der „Aqua Maria“ zu deponieren, gescheitert war (ist erst eine Stunde vor der Abfahrt erlaubt).

Im Gebäude für die Kreuzfahrer treffen immer wieder Busse und Taxis ein. Ich schlappe vor und sehe mir das Schiff an. An der Außenlackierung der „Louis Aura“ wird an mehreren Stellen letzte Hand angelegt. Louis Cruises – war das nicht die Gesellschaft der vor Santorin versenkten „Sea Diamond“?

Das Schiff gehört nicht zu den ganz großen Kreuzfahrern, eher zu den preiswerten Cruisern. Aber knapp 900 Passagiere passen auch drauf. Ich beneide sie nicht.

Irgendwann nach elf Uhr legt das Schiff nach mächtigem Hupen ab – Richtung Istanbul. Die Passagiere eines Taxis, das noch heranprescht, haben Pech – das Schiff ist weg!

 

Und wir müssen noch drei Stunden warten. Auf der anderen Hafenseite schließt sich eine großzügige Marina an. Alles abgezäunt, unfreundlich, verlassen.

Schilder an der Hafeneinfahrt zeugen von Fährnamen längst nicht mehr in der Ägäis verkehrender Schiffe: „Panagia Chozowiotissa“, „Samothraki“, „Saos II“, „Panagia Tinou“…

Beim Herumschlendern entdecke ich einen kleinen Strand mit Sonnenschirmen nördlich des Hafens. Und ein Ouzeri-Cafe. Dorthin ziehen wir unser Gepäck später, als sich der Hunger meldet. Bekommen auf Empfehlung eine leckere Pikilía zum Weißwein, bestehend aus kleinen Tomaten, Oliven, Gurken, verschiedenen Käsesorten, gegrillten Kartöffelchen, Braten und gepökeltem Fleisch – lecker!! Der freundliche Wirt wird uns nachher samt Gepäck zum Hafen hinüberfahren. Nett.

 

Kurz nach ein Uhr nähert sich von Nordosten her ein stark rauchendes Schiff. Es ist die „Taxiarchis“, die laut Fahrplan eigentlich um halb acht Uhr heute früh hätte hier sein sollen. Stolze sechs Stunden Verspätung hat sie, und ganz schön viele Passagiere, die von Bord gehen. Am Montag wird das defekte Schiff nach Perama in die Werft fahren (wo es immer noch ist, jetzt wo ich das schreibe*).

Wir sind inzwischen an Bord der „Aqua Maria“ gegangen. Pünktlich um 14 Uhr legen wir ab. Preiswerte 21 Euro kostet die Überfahrt pro Person, sechseinhalb Stunden wird sie dauern.

Da wir erst im Dunkeln ankommen werden, habe ich auf Psara angerufen und ein Doppelzimmer im „Kato Gialos“ bestellt (Danke an Heidi für den Tipp!). 45 Euro soll die Nacht dort kosten, nicht gerade wenig für die Nachsaison, aber uns ist schon alles egal. Die Tochter der Vermieterin wird uns an der Fähre abholen, ihr Englisch verstehe ich so schlecht wie sie mein Griechisch. Die eigentlich vermietende Mutter ist wohl nicht da.

 

Vorbei an Makronisos, dem düsteren Inselriegel mit der Straflagervergangenheit, geht es nordöstlich, zwischen Evia und Andros durch. Schnell ist es uns auf Deck zu kühl und wir gehen in den Saloni, wo nach einer Filmklamotte aus den fünfziger Jahren ein für diese Tageszeit völlig unpassender Killerfilm von DVD-Konserve über die Bildschirme flimmert. Und wieder sitzen wir herum und warten. Seit fast einem Tag machen wir nichts anderes – in der S-Bahn, auf dem Flughafen, im Flieger, im Bus, am Hafen… können griechische Inseln weit weg sein!

Um viertel nach sieben verwöhnt uns die Sonne mit einem flammenden Untergang.

Und kurz nach acht Uhr kommen die Lichter von Psara in Sicht. Endlich sind wir da!

Nicht auf Wunschziel Nummer ein, aber immerhin auf Nummer zwei.

Da sind wir mal gespannt auf Psara.

* Am 23. Januar 2014 hat die "Taxiarchis" Perama verlassen und ist nach Lavrio gefahren. Sie soll den Verkehr auf der Route nach Ai Stratis, Limnos und Kavala wieder aufnehmen.

Kalo taxidi!

 

2015 hat NEL Lines dann Pleite gemacht....