Inoussa - erste Eindrücke

 

Die „Psara Glory“ nähert sich dem Hafen von Chios und legt am südlichen Anleger an. Das ist blöd, denn unser Schiff nach Inousses haben wir schon gegenüber an der nördlichen Hafenmauer liegen sehen. Luftlinie (oder Wasserlinie), nicht weit, aber zu Fuß müssen wir nun ganz um das nicht eben kleine Hafenbecken herum – ein guter Kilometer! Entlang zahlreicher Cafés, Tavernen, Mastix-Shops, Reisebüros. Kann ich gleich die Augen offen halten nach einem Ticketbüro für „unser“ Schiff, die „Oinoussai III“. Tagesausflüge in die Türkei werden angeboten, und nach Inousses. Aber nur in zwei Agenturen an der nordwestlichen Hafenecke bekommt man die Tickets für die lokale Inousses-Fähre (fünf Euro pro Person). Um 14 Uhr fährt das Schiff, da haben wir noch zwei Stunden Zeit. Das Gepäck können wir schon auf die Fähre bringen („Inousses?“ fragt uns ein Besatzungsmitglied ungläubig, als ob das so abwegig wäre) und nun etwas herumbummeln. Nach dem Mietwagenpreisen fragen (25 Euro pro Tag ab einer Woche Mietdauer für einen Kleinwagen), und was eine Übernachtung im Hotel „Aegean Sea Rooms“ direkt am Hafen kostet (50 Euro).

 

Dann landen wir im Kastro-Viertel. Eine Mischung aus renovierten alten Häusern und noch renovierungsbedürftigen Buden. An der Platia Frouriou gibt es ein nettes Café direkt am türkischen Friedhof, dort gönnen wir uns eine Bougatsa und einen Elleniko, für mich mit Mastix-Geschmack. Alles gibt es hier mit Mastix, und ich weiß noch nicht wie und ob das überhaupt schmeckt. Im Elleniko ist es gar nicht übel, wirkt nur etwas parfümiert.

Dann gehen wir entlang der langen Gasse bis zum Hamam. Das wurde gerade aufwendig und sehr schön renoviert, ist geöffnet, und der Besuch ist kostenlos. Wir sehen uns um bis der Aufseher kommt und mich – nach einer eher kurzen Erklärung der Räumlichkeiten – in ein Gespräch über die Krise und seine Meinung dazu verwickelt. Es ist eher ein Monolog, auf Englisch, ich kann kaum mehr tun als nicken oder den Kopf schütteln. Er hat Angst vor der Überfremdung durch zwei Millionen fundamentale muslimische Flüchtlinge, beklagt die Abwanderung der griechischen Jugend, würde gerne mal Merkel und Schäuble die Meinung sagen und erzählt mir von den kirchlichen „Tafeln“ in den Großstädten. Ich finde seinen Sermon anstrengend, es dauert bis wir seinen Redeschwall unterbrechen und „flüchten“ können. Er bedankt sich noch für die Diskussion (welche Diskussion?). Und wird sicher gleich wieder ein neues „Opfer“ finden. Durch die imponierende Porta Maggiore samt benachbartem Rundturm verlassen wir das Kastro-Viertel und gehen zum Hafen.

Eine Viertelstunde vor der Abfahrt ist die „Oinoussai III“ schon gut belegt. Die Fähre ist kleiner und niedriger als die „Psara Glory“, mehr in Skopelitis-Größe, aber ohne richtiges Oberdeck, da das Autodeck nach oben offen ist. Betrieben wird sie von der "Sillogos Fili Inousson" - dem Verein der Freunde von Inousses. Pünktlich verlässt sie den Hafen.

 

Wir freuen uns auf Inousses. Die Insel scheint terra incognita zu sein – die wenigen Artikel, die wir gefunden haben, bemühen das Klischee der reichen Reederinsel, die keine Touristen nötig hat und die keinen längeren Besuch wert sein. Die Bewohner wären unfreundlich und abweisend, alles wäre teuer. Einen kleinen Vorgeschmack von letzterem haben wir schon bekommen: Das einzige offizielle Hotel „Thalassoporos“ hat schon seit Jahren geschlossen, so hat man als Zimmersuchender nur ein paar Telefonnummern von der Gtp-Seite. Und die Hilfe von Heidis Inousses-Seiten, die sie netterweise für mich noch schnell geschrieben und hochgeladen hat. Da ist die Rede von einem Quartier für 50 Euro die Nacht, schön, aber eigentlich zu teuer.

Aber wir sind vom Regen in die Traufe gekommen: Von Psara aus haben ich mir eine der Nummern von Gtp ausgesucht und angerufen. In den Inousses Studios. Stolze 65 Euro möchte die Angerufene, was ich zu teuer fand und auch sagte. Frühstück wäre aber dabei, lockte sie. Sollte ich jetzt versuchen ob ich unter einer der anderen Telefonnummern mehr Glück habe? Scheint ja nicht so leicht zu sein dort jemanden zu erreichen. Nein, habe ich entschieden, in den sauren Apfel gebissen und zugesagt. Es ist ja nur für drei Nächte. Die Vermieterin wird uns am Hafen abholen, mit einem roten Auto.

 

Die Überfahrt verläuft ruhig: Rechts liegt die Türkei, ein breiter, etwa tausend Meter hoher Gebirgszug auf der Karaburun-Halbinsel. Vor uns kommt Inoússes näher. Inousses ist (mal wieder) ein Sammelbegriff für die ganze Inselgruppe. Die etwa vierzehn Quadratkilometer große Hauptinsel, auch Inoussa oder auch Egnousa genannt, ist als einzige bewohnt – 826 Einwohner wurden bei der Volkszählung im Mai 2011 verzeichnet.

 

Den Hügel mit den weißen Häusern darauf können wir bald ausmachen, eine paar vorgelagerte Inseln versperren die Sicht auf den Hafen (und schützen diesen). Vor der südlichsten Insel Agios Panteleimonas, die dem Hafen wie ein Riegel vorliegt, passieren wir eine Gorgonenstatue auf einem Felsen am Südkap. Dann dreht das Schiff nach knapp einstündiger Fahrt in den Hafen hinein und legt an.

Unsere Wirtin, die sich als Despina vorstellt, empfängt uns und fährt uns hinauf in die Oberstadt (na ja, Oberdorf passt besser). Die Straße wird oben sehr schmal, da muss sie die Spiegel einklappen obwohl sie nur ein kleines Auto hat. SUVs müssen draußen bleiben, oder riskieren Kratzer und Spiegel. Unweit der Kirche hält Despina an, wir sind da.

Über einem Laden (er gehört Despina) – eine Art Pantopoleio-Boutique - befindet sich unser Studio. Es ist sehr gut ausgestattet, auch für Dauermieter, mit Waschmachine, edler Dusche, Küche, Flachbildschirm, Wifi, aber ziemlich beengt – Esstisch, Sofa, Küche, alles braucht Platz. Der Schlafbereich befindet sich auf einer Art Galerie unter dem Dach, zu erreichen über eine steile Wendeltreppe (und recht warm nachts). Mehrstöckige Wohnungen werden wir in diesem Urlaub noch öfters haben. Der Balkon ist groß und offeriert einen tollen Blick nach Westen über den Ort, die Hafenbucht und vorgelagerten Inselchen bis zu Chios‘ mehrreihigen Bergen. Das lockende Frühstück müssen wir uns aber selbst machen – Saft, Wasser, Butter, Kaffee, Milch, Honig, Marmelade, Zwieback, Kekse – es ist alles da. Ok, ist nicht ganz was wir uns vorgestellt haben, aber wir machen einfach das Beste daraus. Mal sehen ob es hier einen Bäcker gibt – Zwieback zum Frühstück geht nämlich gar nicht.

Ich dreh dann gleich mal eine Runde. Zuerst fallen mir die unglaublich vielen Katzen auf, die sich ungestört auf den Straßen aalen – der Verkehr ist minimal. Danach die vielen Hausruinen. Es gibt hier im oberen Ortsteil bei der großen Agios Nikolaos-Kirche (sie soll innen sehr prächtig ausgestattet sein, ist aber jetzt zu) einen Minimarkt (auch dort liebt man Katzen) und eine geöffnete Taverne. Vom viel genannten großen Reichtum der kleinen Insel merkt man hier oben wenig – im Gegenteil: nach Psara kommt es mir ausgesprochen vernachlässigt und unaufgeräumt vor. Es gibt aber noch eine weitere Boutique, und als wir eine Stunde später hinab zum Hafen gehen finden wir auch eine geöffnete Bäckerei (und das geschlossenen Hotel „Thalassoporos“) mit leckeren Gutsle, Hefeteilchen und Bougatses.

Zum Hafen führt außer der Straße ein gerader breiter Stufenweg, in der Mitte mit Ziegeln gepflastert.

Der Weg mündet hinter dem Seefahrtsmuseum an die Uferpromenade. Ein Schild am Museum kündet davon, dass es täglich von 10 bis 13 Uhr geöffnet hat – mal sehen ob das stimmt.

Die Gebäude am Anleger sind ganz verlassen, die Fähre liegt dort verankert. Das Tickethäuschen ist zu, das Dimarchio ebenfalls. Fenster sind mit verblichenem Papier zugeklebt, Werbeaushänge künden von vergangenen lebhafteren Sommerzeiten.

 

An der Paralia gibt es ein Restaurant namens „Palio Telonio“ (Alter Zoll), das ebenfalls einen unbelebten Eindruck macht, später aber geöffnet ist. Außerdem weiter westlich ein großes Periptero (von dem Klaus Bötig schreibt, dass es das geräumigste und am besten ausgestattete der Ägäis sei – Champagner gäbe es dort ebenso wie eisgekühlte Torten. Für Beides haben wir aber gerade keine Verwendung), und eine Imbissbude gegenüber. Dann die kleine Marina.

 

Wir passieren einen Mini-Strand mit drei Sonnenschirmen, gehen an edlen Marine-Club vorbei und kommen zu Marineschule. An der Kirche Tris Iérarches beim Gebäude der Seehandelsakademie endet die Uferstraße. Die Sonne steht tief, es wird kühl, und die verlassene Atmosphäre trägt auch nicht gerade zur Erwärmung bei. Sind die Schulen überhaupt noch in Betrieb? Wir werden während unseres ganzen Aufenthaltes keine Studenten oder Schüler dort sehen.

Ein paar Handvoll Kaikia und zwei oder drei Segelyachten bilden freundliche Farbtupfer. Zwei See-Taxis liegen für Eilige bereit, der Trip (oneway) hinüber nach Langada auf Chios kostet sechzig Euro.

Gegenüber liegen die private Reederinselchen – Pateroniso (der Familie Pateras), Papapontikadiko und Agios Panteleimonas, sie bilden einen schützenden Riegel vor dem Hafen und machen ihn etwas gemütlicher. Es hat vor allem Kirchen darauf, und ein oder zwei flache Häuser, eher vernachlässigt soweit man das aus der Ferne beurteilen kann. Dass von Inousses so viele Reederfamilien stammen ist geschichtlich bedingt – nach dem Massaker von Chios mussten die Einwohner den Osmanen hohe Steuern bezahlen, die sie auf der Insel nicht erwirtschaften konnten. So verlegte man sich auf den Seehandel, und setzte im richtigen Moment voll auf die Dampfschifffahrt. Heute gilt Inousses als eine der reichsten Gemeinden Griechenlands.

 

Entlang der Paralia hat es zahlreiche Statuen, Büsten und Monumente: etwa die „Inoussia Mitera“ (gestiftet von S. Pateras 1979), oder das großflächige Denkmal für die Seeleute von Inousses, die ihr Grab im Meer gefunden haben (sie sind namentlich aufgeführt, mit den Schiffen, auf denen sie gefahren sind). Die größte Reederfamilie scheinen die Lemos/Limos zu sein, aber das werden wir erst morgen auf dem Friedhof sehen. Ihre Geschäftssitze haben die meisten dieser Reedereien im Ausland, vor allem in Großbritannien oder der Schweiz, wo auch das Geld versteuert wird. Hier auf Inousses hat man die Spendierhosen allenfalls freiwillig an, für Ausbildungsbetriebe, Museum, die Fähre und Denkmäler. Und ein chices Fußballstadion, aber dazu später mehr. Ein Schild des Spenders darf natürlich nie fehlen.

Im Sommer kommt man dann auf die Landsitze und Luxushäuser auf der Insel, hinter hohe Mauern, in Gärten mit Alarmanlagen. Jetzt wirkt alles verlassen und traurig.

 

Die unterkühlte Hafenstimmung macht uns frösteln und treibt uns wieder ins belebtere Oberdorf.

Vom Balkon aus gönnen wir uns einen violetten Sonnenuntergang – fototechnisch leider übel von Leitungen samt Masten durchschnitten.

Wir sind gespannt auf das „Tsoumpari“, die Taverne hinter der Nikolaos-Kirche.

Die Taverne heißt nach dem oberen Ortsteil (der untere Ortsteil beim Hafen heißt Mandraki). Laut Aushang am Hafen täglich geöffnet von 6.30 bis 24 Uhr, free transportation. Ob hier auch Inousses-Preise gelten?

 

Auf der grünüberwachsenen Terrasse finden wir geschützten Platz an einem wackeligen Tisch. Vorne an der Straße (eher Gasse, da zu schmal für viel Autoverkehr) sitzen die einheimischen Stammgäste – sie grüßen freundlich, und beäugen uns. Eine junge Frau mit aparter asymmetrischer Frisur deckt einen Tisch ein, bedient uns dann. Wir bestellen griechischen Salat, Bifteki und Hühnchen vom Grill. Alles lecker und sehr reichlich, und zu völlig normalen Preisen.

Die junge Frau hat sich inzwischen an den gedeckten Tisch gesetzt, zusammen mit zwei jungen Männern, die Pommes und Gegrilltes bestellen. Wie wir mitkriegen hat sie Geburtstag, die Parea wächst im Laufe des Abends weiter an, eine Freundin bringt schließlich eine tolle schwarz-grüne Torte (von Chios, wir haben sie auf dem Schiff gesehen), und wir kriegen auch ein großes Stück davon. Eigentlich sind wir pappsatt, aber die Torte ist weniger süß, habhaft und künstlich als sie aussieht – richtig locker lecker. Chronia polla für das Geburtstagskind!

 

Hat da jemand behauptet, die Leute von Inousses wären unfreundlich, abweisend gar? Wir können das absolut nicht finden.

Mal sehen, wie es uns morgen geht.