Noch zwei Tage an den Küsten

Der Sonntag verwöhnt uns mit Sonne und Windstille. Aber das Wetter wird umschlagen. Für Dienstag sind Unwetter vorhergesagt. Kefalonia, das im September 2020 von dem Medicane "Ianos" schwer heimgesucht wurde, ist hier besonders traumatisiert und vorsichtig. Sicher werden wir am Dienstag nicht kajaken. Aber heute, unter blauem Himmel, ist noch kein Gedanke daran.

 

Um neun Uhr treffen Se, Ole, die beiden Däninnen Neeta und Hanne und ich uns in der Kajak-Basis. Yvonne ist auch da, sie wird uns zum Ausgangspunkt ins nahe Lourdata/Lourdas bringen, ehe sie mit dem Linienbus gen Athen abreist. Sieben Stunden Fahrt, erzählt sie, schon zig mal absolviert. Aber Flüge sind rar und teuer. Sie wird einige Tage wegbleiben.

Und wir werden von Lourdata aus gen Osten paddeln, bis Katelios.

Ein englisches Paar und zwei deutsche Frauen warten dort, so ist unsere Truppe heute neunköpfig. Die Tagesgäste nehmen jeweils ein Doppel, wir anderen ein Einer-Kajak. Von der befestigten Uferstraße müssen wir die Kajaks hinab zum östlichen Sandstrand schaffen, was durchaus eine Plackerei ist. Se hat nur ein weinrotes Einer-Kajak dabei, das ich nehme. Ole bekommt deshalb gelb statt weinrot, was er aber kurz darauf vergessen hat, und versehentlich an meinem die gerade richtig eingestellten Pedale verstellt. So bin ich das erste Stück wieder mit falsch eingestellten Steuerpedalen unterwegs und sitze verkrampft im Cockpit, obwohl die einsame Küste, die wir passieren, tolle Eindrücke bietet. Am ersten Halt gucke ich mir dann die Chose mal genauer an, und siehe da: ist doch ganz einfach mit den Rasten und Schnüren. Wenn man weiß wie es geht.

 

Dieser erste Halt ist unterhalb von Kloster Sission östlich von Kap Katsonas. Wie am Strand von Xi kann man hier einen grauen Tonschlicker vom Felsen kratzen und sich mit Wasser vermischt als pflegende Maske ins Gesicht schmieren. Se macht es vor, und wir nach, und haben einige Gaudi damit. Heute sind wir etwas gemächlicher unterwegs als vorgestern.

Die letzten Wölklein am Himmel haben sich aufgelöst und wir fahren durch einen wunderbaren Tag. Sonntagswetter.

Die Küste wird danach steiler und bietet einige Höhlen, und unzugängliche Sandstrände. Gelegenheit zum Rockhopping, und ich bleibe auch prompt wieder auf einem Felsen stecken, kann mich aber aus eigener Kraft befreien.

Die Mittagspause verbringen wir am Strand von Koroni, einem Gemisch von Sand und Kiesel. Eine Piste führt von der Hauptstraße herab, und so hat auch anderen Badegäste, aber nur wenige, die sich zudem am weitläufigen Ufer verteilen.

Nach dem Lunch üben die Däninnen, unterstützt von Se, die Kenterrolle. Ob ich auch mal? Wäre doch die Gelegenheit... Ach, lieber nicht.

Die Küste ändert sich wenig auf der letzten Tagesetappe: sie bleibt steil und von Land aus unzugänglich und ist so perfektes, da unberührtes Paddelterrain. Das Meer ist hier klar und schimmernd, nichts von den milchigen Sedimenten anderer Kefalonia-Strände. Die Vielfalt der Insel ist beeindruckend.

Nach zwölf bis 13 Kilometern endet unsere Tour nach 15 Uhr am kleinen Hafen von Katelios, wo uns Pavlos mit Leandros und einer Spielkameradin in Empfang nehmen. Gemütlich ziehen wir die Boote an Land, laden sie auf und packen unsere Sachen zusammen. Da hat Spaß gemacht, und wir freuen uns auf morgen.

Den Nachmittag lassen wir in Trapezaki im Café Boho bei Frappé und Bier ausklingen.

 

Auf dem Weg zurück zum Quartier hat man heute eine Obstbaumwiese zu Kleinholz verarbeitet. "Real Estate - for sale" - wo die Bauspekulation blüht, haben Pfirsiche und Mandeln keine Chance mehr. Traurige Realität im Herbst 2023, aber ich genieße ja auch mein neues Feriendomizil mit Pool und Aussicht. Ole wohnt nahe der Basis im "Anastasis", das älter und einfacher ist, und ihm nicht restlos gefällt.

Eos, die Göttin der Morgenröte, macht am Abend Überstunden und beschert uns einen zartrosa Sonnenuntergang in Caspar-David-Friedrich-Manier.

Das Abendessen im "Gefiri" ist auch heute Abend wieder ausgezeichnet. Die Fava ist die beste, die ich seit langem gegessen habe, und die Tellerportion Fischsuppe mundet hervorragend. Natürlich wird gleich wieder ein Tisch für morgen bestellt.

 

*

 

Wolkengrau und windig - der Herbst kündigt sich am Montagvormittag an. Um halb acht sehe ich die Fähre, die täglich außer donnerstags von Pesada auf dem Livathos nach Agios Nikolaos auf Zakynthos und zurück fährt. Eine frühe Tour, und eine am Abend. Eigentlich hätte ich sie gerne für einen schnellen Abstecher auf die Nachbarinsel genutzt, aber die frühe Abfahrt am Morgen - wie nach Pesada kommen? - und der enge Zeitplan für meine restlichen Urlaubstage lassen das nicht zu. Nicht schlimm.

Um Viertel vor neun treffen ich mich mit Ole und den Däninnen in das Kajak-Basis. Se hat heute seinen freien Tag und wird von Haris vertreten. Der Grieche aus Trikala ist vorgestern von der Tour um Kefalonia und Ithaki zurückgekehrt, bei der ihn seine deutschen Paddelgäste an seine Grenzen gebracht hätten. Immer volle Power, und von der offenbar reichlich. Gestern hat er sich erholt, aber die große Rast finde erst nach der Saison statt, wenn er nach Trikala zurückkehre und erst mal vier Wochen schlafe.

 

Ohne Tagesgäste sind wir heute ein kleines Trüppchen. Ausgangspunkt ist der kleine Hafen von Agia Pelagia am südwestlichen Ende des Livathos. Von dort soll es nach Trapezaki gehen, mit einem Abstecher zum vorgelagerten Felseninselchen Dias. Rose, die dritte im Bunde der aktuellen Paddel-Assistenten, hilft uns, die Kajaks über die schlüpfrige Rampe ins Wasser zu bringen. Sie ist eine androgyne Erscheinung, übersät mit Tattoos. Eher schweigsam, aber offenbar mit großen Körperkräften ausgestattet, so spielerisch wie sie mit den Kajaks hantiert.

 

Schnell haben wir den Hafen hinter uns gelassen und paddeln entlang der Küste, wo ein paar Überhänge und die große Höhle von Ai Helis der Erkundung harren, und in der wir einige Fledermäuse aufstöbern. Heute hat es kleine, spitze Wellen, was bei mir zunächst die obligatorische Unbehaglichkeit auslöst, die sich dann aber schnell verflüchtigt. Mit jedem Paddeltag wächst die Sicherheit und das Selbstvertrauen, und heute sitze ich auch gut im Kajak.

Das ist auch gut so, denn unser nächstes Ziel ist das geschätzt 30 Meter hohe Felseninselchen Dias, das einen Kilometer vor der Küste liegt. Von der Ferne sieht es absolut unzugänglich aus, aber es gibt einen Treppenweg hinauf zum Kloster namens Panagia Diotissa, das aber längst unbewohnt ist. In der Antike sollen auf Dias kultische Zeremonien für Gott Zeus stattgefunden haben, die in Zusammenhang mit Riten auf dem Berg Enos standen, der von hier aus natürlich gut zu sehen ist. Wenn die Wolkenlage es zulässt. Heute nicht.

 

Als wir uns dem Felsen nähern, sehen wir, das die Brandung zu seinen Füßen beachtlich ist. Es könnte schwierig sein, hier zu landen. Aber der Zugang ist auf der anderen Seite, von Südosten, und vielleicht ist es dort besser. Wir umrunden das Eiland und sehen nun die steile Treppe, die auf die Gipfelplattform hinaufführt. Aber es gibt kein Ufer oder eine geschützte Stelle, um die Kajaks an Land zu ziehen. Dafür eine Leine, an der Boote vertäut werden können, und an der man sich ans Land ziehen kann. Wäre das Wetter so wie gestern, wäre das kein Problem, aber auf der Südseite der Insel ist die Brandung noch höher und macht bestimmt über einen Meter aus. Wir fahren auf den gischtenden Wellen auf und ab wie in einer Achterbahn, und so nahe wie möglich bis zum Zugang, müssen aber schnell einsehen, dass wir heute hier nicht landen können. Wenn ich höre wie Haris die Landeaktion schildert, klingt das sowieso nach einem ziemlich nassen Ausstieg, und ich bin nicht unglücklich über diese Entscheidung.

 

Wir belassen es also beim optischen Erleben von Dias, und fahren dann wieder zur Hauptinsel hinüber, wo wir am Strand von Nipsias (Crystal) an Land gehen werden. Die Windrichtung und die Brandung erschweren auch hier das Anlanden, und so landet Haris als Erster, um uns dann einzeln eine nach der anderen kenterfrei an den Strand zu ziehen. Ich bin die Erste, und es gelingt. Ebenso bei den Däninnen. Nur Ole steigt zu früh aus, kippt und kommt so trotz Haris' Hilfe in Genuss eines Vollbades. Nicht schlimm, auch wenn die Sonne heute beim Trocknen zurückhaltend ist.

Nach einem Snack geht es dann weiter entlang der Küste, durch schmale Kanäle und mit Rockhopping. Bei Klimatsias können wir die verbrannten Flächen des jüngsten Brandes vor einigen Tagen sehen, die sich durch die Täler bis zum Strand hinabziehen. Irgendwo dort halten wir an einem einsamen Sandstrand zum Lunch, den Haris auf einem Klapptisch auftischt. Hatte er den dabei, oder irgendwo deponiert? Dolmadakia, Feta, Tomaten, Gurken, dazu Brot und Saft. Schmeckt einfach immer wieder gut.

 

Es ist kühler geworden, aber Sonnenbaden geht trotzdem. Für Ole, Neeta und Hanne ist heute der letzte Paddeltag. Ole reist morgen ab, und die Frauen übermorgen. Ich hoffe, dass ich am Mittwoch nochmals in Kajak kann.

Vom Kajak aus kann ich nun die beiden Häuser meines Quartieres sehen, und auch, wie zersiedelt die Gegend von Trapezaki bis Lourdata ist, die sich in mehreren Etagen über die unteren Ausläufer des Enos erstreckt. Der Enos selbst ist hinter grauen Wolken versteckt. Zum Glück gibt es aber nur einen größeren Hotelkasten, das "Karavados Beach", das wohl so heißt, weil es eben nicht direkt am Strand liegt. Aber auch dessen Hotelgebäude sind maximal drei Stockwerke hoch. Eine Bauverordnung gen Erdbeben?

Ich muss mir die Gegend unbedingt mal noch genauer angucken.

 

Gegen 14 Uhr sind wir dann am Ziel in Trapezaki, wo wir östlich des kleinen Hafen anlanden. Ole wählt zum Abschied nochmal einen nassen Ausstieg. Das war eine schöne, etwa zwölf Kilometer lange Tour, obwohl der Besuch von Dias ausfallen musste. In kleinen Gruppen ist es irgendwie netter.

Schnell haben wir die Kajaks verladen und sind wieder oben in Trapezaki.

Danach erfolgt der obligatorische Frappé in Café Boho, und Relaxen am Pool.

Mit den Dänen haben ich mich am Abend um 20 Uhr im "Gefiri" verabredet, so habe ich um halb sechs noch Zeit für einen kleinen Ortsbummel. Hoch zur Straße, und dort Richtung Lourdata. Nach wenigen Metern zweigt rechts eine Piste ab. "Kanali Beach" ist ausgeschildert. Ich folge ihr. Sie endet nach zweihundert Metern an einem Anwesen mit einer kleinen Kapelle. Ein Fußweg führt nun steil an einem Brunnen vorbei und weiter im Zickzack durch einen dschungelumwachsenen Hohlweg. Die letzten Meter vor dem Strand verlaufen durch einen Schilftunnel. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, und ich komme schon wieder ins Schwitzen. Dabei haben ich doch gerade erst geduscht.

Vor mir liegt nun der weite und tiefe Kanali-Strand mit nur wenigen Badegästen. Gut, es ist ja schon sechs Uhr vorbei. Gen Westen müsste man weiter bis zum Strand von Trapezaki gehen können, wo allerdings steile Felsen sehr nahe an Meer kommen.

Ich entscheide mich für die andere Richtung, nach Lourdata. Es ist ein wunderschöner und unbewirtschafteter Strand.

Nach einige Minuten kommt eine Engstelle mit Felsen, auf der jemand mit viel Mühe Dutzende Steine aufgestellt hat. Die filigrane Balance gefällt mir. Vielleicht war der Urhebern der Nackedei, der sich einen primitiven Unterschlupf am Randes des Strandes gebaut hat. Und hoffentlich hat er auch ein festes Dach beim drohenden Unwetter morgen.

 

An einem kleinen befestigten Hafen endet der unberührte Strand, nun beginnt die lange Paralia von Lourdata mit Pensionen, Tavernen und Beach Bars mit viel üppigem Grün dazwischen, der ich ein Stück weit folge bis linker Hand die Hauptstraße bergwärts abzweigt. Schnell wird sie ordentlich steil, und die hohe Luftfeuchtigkeit in Verbindung mit meinem schnellen Gang tun das Ihrige: ich komme gehörig ins Schwitzen.

Ich passiere die Pension Trifili, die ich als Standort in Erwägung gezogen hatte, und bin froh, dass ich das nicht getan haben, denn der Weg nach Trapezaki zieht sich ganz schön. Und der Ortskern von Lourdata liegt deutlich über Meereshöhe, ist aber noch gar nicht das Ende der Steigung.

Tropfend betrete ich einen Minimarkt um mir noch etwas Proviant für morgen zu kaufen, wenn ich womöglich im Dauerregen auf meinem Zimmer festsitze.

 

Dann eile ich auf der Hauptstraße heimwärts. Über sechs Kilometer und 150 Höhenmeter hinab und hinauf war der Abendspaziergang lange. Es dämmert schon als ich fast am Ziel bin, und ich werde nicht umhinkönnen, nochmal zu duschen. Kurz vor dem Afrato Village ertönt dann plötzlich ein lauter Alarmton. Wo kommt der denn her? Ich bin alleine auf weiter Flur, aber das Klingeln kommt aus meiner Tasche. Mein iPhone hat eine Unwetterwarnung empfangen. In griechischer und englischer Sprache wird vor schweren Unwettern mit Sturm, Starkregen und Blitzschlägen auf Kefalonia gewarnt. Man möge doch die nächste 24 Stunden am besten zuhause bleiben. Cell Broadcast Warning heißt das, und alle eingeschalteten Mobiltelefon auf Kefalonia haben diese Warnung gerade bekommen. Was in Deutschland in diesem Winter erstmals ausprobiert wird, gibt es in Griechenland schon länger. Und nicht zum ersten Mal in letzter Zeit verstärkt sich mein Eindruck, dass andere Länder Deutschland in Sachen Technik längst überholt haben.

Natürlich ist die Warnung auch Thema beim Abendessen mit der dänischen Parea im "Gefiri", das ich mit hängender Zunge, aber zum zweiten Male heute frischgeduscht kurz nach acht Uhr erreiche.

Wir bestellen einen griechischen Salat und Wein zusammen, danach entscheide ich mich für das Sorigado mit Kartoffeln und Gemüse. Absolut köstlich! Neeta nimmt das Kaninchen mit Pasta, das ebenfalls ausgezeichnet aussieht. Muss ich auch noch probieren. Ole hofft, dass sein Flugzeug trotz Unwetter morgen Mittag starten kann. Ich wünsche kalo taxidi, und wir verabschieden uns einige Weine spät am Abend und mit etwas dickerer Rechnung als sonst. Aber es hat alles gepasst. War eine nette Parea.

 

Mal sehen, ob ich morgen den ganzen Tag wohnen muss.


Alle Fotos von Sea Kayaking Kefalonia hier.