"...Fínika Parakópi, Galisá ke Delagrátsia..."

Lothar hatte angeboten, gemeinsam mit mir über die Insel zu fahren. Und ein Mietauto hat er auch. Beim Licht des eher trüben nächsten Tages betrachtet beschließe ich, sein Angebot anzunehmen. Schließlich kennt er sich auf Syros aus, und zu zweit ist es auch netter.

 

So kurven wir zunächst Richtung Norden aus Ermoupoli heraus. Unser Ziel ist zunächst Papouri, wo wir Thanasis einen Besuch abstatten wollen. Aber da haben wir kein Glück: er ist nicht da, das Haus verschlossen. So hinterlassen wir nur einen Zettel mit Grüßen. Thanasis wird Lothar später anrufen, aber da sind wir schon irgendwo an der Südküste.

Schön gelegen ist die Taverne "T' Aloni" auf alle Fälle, aber mit Laufkundschaft kann man hier definitiv nicht rechnen. Falls es sowas in Griechenland überhaupt gibt, ein Grieche läuft ja nicht wenn es sich vermeiden lässt. ;-)

Um nun nach Kini zu gelangen, müssen wir nach Ermoupoli zurück, denn es gibt keine Direktverbindung im Norden. Lothar biegt dann oberhalb der Hauptstadt nach Alithiní (auch einer der vertrauten Orte aus der Frankosyriani) ein.

Das Dorf überzeugt mit seiner Aussicht auf die Küste und die Stadt mit den beiden Kirchen auf dem Doppelhügel. Im August gibt es hier ein Vollmondfest, erzählt Lothar, mit Inselmusik, jeder Menge zu essen, und natürlich auch zu trinken. Ja, die Feste wäre mal ein (für mich der einzige) Grund, Griechenland im August zu besuchen. Bestimmt sehr stimmungsvoll.

In wenigen Minuten geht es hinüber auf die andere Inselseite, wo wir in einer runden Bucht den Ort Kini liegen sehen, überblickt vom Kloster Agia Varvara, das wie ein Pförtner an der Straße liegt. Das Nonnenkloster war früher ein Waisenhaus mit Schule. Heute leben noch ein paar Nonnen hier, es gibt einen Verkaufsraum mit Handarbeiten.

 

Wir steuern aber nach Kini hinab und parken an der Strandpromenade. Dort sticht mir ein monströses Denkmal ins Auge, eine Meerjungfrau (Fotopflicht für die Gorgonensammlung), die einen ertrunkenen jungen Mann im Arm hält, ja fast säugt. Eine moderne Pieta der gruseligsten Sorte vom Bildhauer Giorgos Xenoulis, 2003 errichtet um den im Meer umgekommenen Menschen zu gedenken. Da schaudern Erwachsene, und Kinder bekommen Alpträume. Die Griechen haben definitiv einen Hang zu Pathos und Kitsch.

 

Die Paralia zeigt sich in der Sonne hübsch und von der angrenzenden Gastronomie bestimmt, deren Häuser aber für dieses Jahr schon den Betrieb eingestellt zu haben scheinen. Man könnte hier Studien darüber anstellen wie man Stühle platzsparend für den Winter stapelt.

Ein Minibummel entlang des kleinen Hafens: ein paar Bötchen liegen hier, sehr beschaulich, aber unbelebt. Das Nachsaisonleben findet auf Syros vor allem in Ermoupoli statt, das war schon klar. Dort hat am Morgen übrigens der Bär gesteppt, toute Syros schien beim Einkaufen. Auch die 560 Einwohner von Kini?

Zum längeren Verweilen lädt hier nichts ein, die Nachsaison macht sich hier zum ersten Mal vehement bemerkbar. Na, ich wußte schon warum ich Ermoupoli als Quartier ausgewählt habe.

 

Galissas ist auch nicht besser, im Gegenteil: der Strand ist zwar schöner, aber der Ort verliert sich im Hinterland. Auf dem die Bucht begrenzenden Felsen liegt das "Dolphin Bay Hotel", und das ist auch so ziemlich alles, an das ich mich von einem früheren Besuch (1997?) her erinnere. Hübsch ist die Kapelle auf den Felsenkap daneben, der mir völlig unbekannten Agia Pakou geweiht (und katholisch). Woher sich der Namen der Kapelle herleitet, ist unklar. Vielleicht von einer antiken Göttin Epíkoo, vielleicht von der Muttergottes, die zuhört = που ακούει.

Klar ist aber, dass es zum Sonnenuntergang hier stimmungsvoll sein könnte. Da sind wir aber definitiv nicht mehr hier.

In Finikas stören wir Silvia und Stefan in deren Haus über dem Ort bei einer kleinen Pause auf der Gartenbank, die sie sich vom Fitmachen des Anwesens für den angesagten Regen gönnen. So sei das immer: da mache man mal eine kurze Pause nach mehrstündiger Arbeit, und prompt entstehe der völlig falschen Eindruck, man würde den ganzen Tag nur herumsitzen. Wir glauben ihnen aber, denn Haus und Garten sehen unglaublich gepflegt aus, das passiert nicht von alleine.

 

Wir wollen sie nicht länger von der Arbeit abhalten, und fahren hinab zur Marina. Die ist recht gut belegt, und es kommen gerade zwei Segelboote herein, suchen Platz. Andere liegen rechts in der Hafenbucht. Und weil auch die Taverne "Limanaki" geöffnet ist, und Lothar sie empfehlen kann, kehren wir dort auf einen Choriatiki und eine Skordalia ein. Es geht doch nichts über einen gepflegten Salat am Mittag, begleitet von etwas Weißwein.

Auch wenn das Wetter heute nicht mit dem gestrigen zu vergleichen ist - mehr Wolken, mehr Wind, weniger Sonne, so hab ich doch Badelust. Die Strände hier sind auch wirklich schön sandig, wenn auch nicht richtig einsam, da zu ortsnah. Und Lothar hat seine Badehose vergessen. Wir müssen uns also ein abgelegeneres Plätzchen suchen, und fahren weiter bis zum Diakofto-Halbinsel, um uns dann am Strand von Agathopes kurz und intensiv ins Wasser zu stürzen. Draußen schwimmen zwei dunkle Felseninselchen auf dem Meer, das haifischflossenförmige Strogilo und das langgestreckte Schinonisi. Aus dem Wasser schnell wieder umziehen - es ist kühl.

 

"...Galisá ke Delagrátsia..." -  heute heißt Delagratsia Posidonía und ist mit über 700 Einwohnern kein ganz kleiner Ort. Ganz Syros hat übrigens 21.500 Einwohner und ist damit die Kyklade mit den meisten Einwohnern - vor dem gut viermal größeren Naxos (17.900). Und die am viertdichtesten besiedelte Insel Griechenlands nach zwei Mini-Binneninseln und der Athener Vorortinsel Salamina (siehe hier). Das merkt man nicht nur in der Stadt, sondern auch im Inselsüden, der für meinen Geschmack entlang der Küste etwas sehr zersiedelt ist. Und wenn man dann noch bedenkt, dass der Inselnorden ja fast unbewohnt ist...

 

Posidonia beeindruckt mit seinen Sommervillen, die aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stammen. Bombastische Treppenaufgänge führen hinauf, man hatte ja zu repräsentieren. Neoklassizistisch pompös oder romantisch verspielt - nicht alle so richtig geschmackssicher, und irgendwie reichlich mitteleuropäisch. Und oft in verwilderten Gärten gelegen, durch hohe Zäune abgesperrt oder durch Nichtnutzung und Erbstreitigkeiten dem Verfall preisgegeben. Die fetten Jahre sind lange vorbei, oder liegt diese morbide Stimmung nur am sich mehr und mehr bewölkenden Himmel und der Nachsaison?

 

Manche der Häuser wurden, wie auch in Ermoupoli, der Gemeinde geschenkt, so dass nun Ämter und Behörden nobel in neoklassizistischen Palazzi residieren. Zum Beispiel das Rathaus von Posidonia, die "Villa Tsiropina", das mich irgendwie an einen deutschen Bahnhof erinnert. Hoffentlich sind sie halbwegs beheizbar, aber bei den hohen Decken kann ich mir das kaum vorstellen.

Die Südküste passieren wir ohne große Fotostopps. Mégas Gialós, Vári und Azólimnos hinterlassen keine bleibenden Eindrücke bei mir. Zu viele Orte in zu kurzer Zeit. Selber schuld, weil ich ja morgen nach Milos weiter will. Aber wenn ich mehr Zeit hätte, ich ginge wohl eher nochmals in den Norden.

 

Am südlichen Rand der Bucht von Ermoupoli liegt der Flughafen. Olympic Airlines hat Syros nicht mehr im Programm, aber die kretische Sky Express fliegt von hier nach Athen und wartet dafür gelegentlich sogar mit Schnäppchen um 13 Euro auf. Wenn man sich auf 15 Kilo Gepäck beschränken kann. Üppig sind die Verbindungen nicht, und unwürdig einer Metropolinsel wie Syros. Aber man ist ja mit der Fähre flugs in Attika. Nach Milos wird es allerdings länger brauchen.

 

Vor dem Flughafen an der Küste liegen die verrottenden Gebäude von Lazareta, der ehemaligen Quarantänestation. Als wichtiger Handelshafen war hier ein Kommen und Gehen, entsprechend waren die hygienischen Vorkehrungen zur Seuchenbekämpfung. Mit der Eröffnung des Kanals von Korinth und der Verlagerung der Schifffahrtsrouten war Syros plötzlich nicht mehr gefragt, der Abstieg war unaufhaltsam. Gerade noch die Werft "Neorion" zeugt noch von vergangenen Zeiten, und das auch mehr schlecht als recht - gebaut wird hier kaum mehr, allenfalls repariert.

Das Lazarett wurde später zum Gefängnis und steht heute leer. Ein paar Menschen, offenbar Migranten, hausen hier in Bretterbuden. Aber es gibt Pläne, die Universität von Ermoupoli hierher zu verlegen. Bevor alles ganz zusammenfällt. Mehr als Ruinen ist das eh nicht mehr ...

Dass Ermoupoli als Tagungs-und Kongressstandort noch sehr gefragt ist, sehen wir am Hubschrauber, der am Rande des Lazaretthügels geparkt ist. "Seajets" steht darauf, und erinnert mich daran, dass heute ein nationales Treffen hier stattfindet, dass die Verbesserung der Fährverbindungen auf den Kykladen zum Thema hat. Hoffentlich bewirken sie auch, dass die geliebte "Skopelitis" über den 1. November weiterfahren darf!

In Ermoupoli schließt sich der Kreis, den wir auf der Insel gedreht haben. Ich bin aber noch zum Kaffee in Parakopi eingeladen, und es ergibt sich, dass ich auch zum Abendessen bleibe.

 

Spät und müde zurück in der Stadt vergesse ich, dass Lothar mir doch noch dringend das "Laoutári" ans Herz gelegt hatte, ein "Kafrenio" (kein Tippfehler, aber vielleicht eine Kombination von Kafenio und fréno = Bremse?) direkt in der Nachbarschaft des "Ostria".

Und irgendwann um halb zwölf kommt auch noch die "Aqua Spirit" vor meiner Haustüre an und bleibt über Nacht, leise wummernd. Mein nächstes Quartier wird weit weg vom Meer sein, ländlich, mit krähenden Hähnen in der Nacht statt Schiffsmotoren.

 

*

 

Um 13.30 Uhr soll mich die "Artemis" in Ermoupoli abholen und in einer zehneinhalbstündigen Kreuzfahrt durch die halbe Ägäis nach Milos bringen. Und das Ganze zum Spottpreis von 13 Euro 50. Diese Route gehört zu den subventionierten Strecken, denn Ermoupoli ist Verwaltungshauptstadt für die Region "Südliche Ägäis", die alle Kykladen und Dodekanes umfasst. Das macht es notwendig, den Menschen dort die Wege zu ihrer Verwaltungsstadt möglichst einfach zu machen.

Ich komme also nach Milos ohne umzusteigen, bin aber nicht so optimistisch zu glauben, dass die "Artemis" pünktlich kurz vor Mitternacht in Adamas sein könnte. Das war sie die letzten Wochen selten, wie ich bei marinetraffic beobachten konnte. Das wird aber nichts machen, denn der Zimmerschlüssel auf Milos wird (hoffentlich) in der Türe stecken, bereit, mich auch mitten in der Nacht einzulassen. Dazu später mehr.

 

Ich habe  also noch den Vormittag Zeit und packe meine Trolley soweit wie möglich. Meine Wirtin ist nicht da, ich sollte sie anrufen, will aber zuerst noch das Ticket und Reiseproviant einkaufen gehen. Der prognostizierte Regen ist bisher ausgeblieben, der Himmel im Osten klar, im Westen drohen finster erste Wolken. Chalvadopittes und eine Schachtel Loukoumia wandern in meinen Rucksack, dazu Graviera und ein halber Liter offener Rotwein, Brot und später noch eine Ladung süßer Weintrauben (der Verkäufer packt so großzügig ein, dass ich einen Teil des Einkaufes auf Syros bei Lothar und Therese lassen muss).

 

Die Stadt brummt wieder, es ist unglaublich.

Eigentlich sollte ich noch rauf zur orthodoxen Anastasi-Kirche auf dem rechten Hügel. Die Zeit dürfte reichen, und so erklimme ich die ersten Stufen und bewundert ein neonazifeindliches Spray-Graffiti nebst antifaschistischen Plakaten an den Wänden. Hätte ich dem so bürgerlich scheinenden Syros gar nicht zugetraut.

Der Himmel drückt nun doch ein paar Tropfen heraus, und ich hab den Schirm nicht dabei. Egal, jetzt bin ich schon fast oben, und warm ist mir auch geworden. Der offene Platz vor der großen Anastasi-Kirche glänzt vom Regen auf den glattpolierten Steinplatten, aber der Himmel ist schon wieder blau. Die Kirche ist offen und beeindruckend prächtig. Aber eigentlich bin ich wegen der Aussicht gekommen. Die ist nicht so panoramös wie gewünscht - mal versperren die Kiefern die Sicht, die im kleinen Park um die Kirche stehen, mal ragen die obligatorischen Leitungsmasten ins Bild. Und die Sonne zickt auch herum. Aber die Fernsicht ist toll, vor Mykonos kann ich einen weißen Kasten ausmachen - einer der Monster-Kreuzfahrtkästen. Und die Unterstadt von Ermoupoli in Weiß, Gelb und Rosa sowie einer blauen Kuppel sieht von hier auf doch wirklich ein bißchen wie Santorin aus. Aber nur ein bißchen.

Nun aber fix zurück in die Pension! Meine Wirtin erwartet mich schon, das Zimmermädchen will mein Zimmer putzen und hat sich nicht hereingetraut. In zehn Minuten packe ich alles zusammen und räume die Bude. War eine gute Wahl wenn man nicht allzu lärmempfindlich ist und die stufenlose Nähe zum Hafen schätzt. Eine Quittung gibt es unaufgefordert als ich bar bezahle - das ist inzwischen eigentlich Standard.

 

Ich sitze wieder ins (genauer: vors) "Amvix", dessen Küche aber offiziell erst um 13 Uhr öffnet. Einen Nescafé krieg ich vorher schon. Und meiner Marinetraffic-App entnehme ich, dass die "Artemis" mal gerade Paros verlassen hat. So schnell ist sie also noch nicht da. Lothar kommt, er hatte Mühe, einen Parkplatz zu finden, die Stadt ist voll. Therese kommt nach, wir trinken noch einen Abschiedswein, essen Focaccia und Salat. Bis die "Artemis" in Sicht kommt, ist es längst 14 Uhr vorbei. Und bis sie anlegt, vergehen nochmals zehn Minuten.

 

Zeit zum Abschied.

Es waren schöne Tage auf Syros. Alleine hätte ich sie bestimmt nicht so nett verbracht. Danke!

 

Und nun Milos.