Koufonissi - der zweite Versuch. Regen.

Grau in Grau ist Donoussa am frühen Morgen, als Christos uns zum Hafen bringt – dieses Mal mit dem Kleinbus, nicht auf der Ladefläche des Pickup. Ein paar Regentropfen fallen, und es werden mehr während wir auf die „Scopelitis“ warten. Praktisch, dass wir im Auto sitzen bleiben können, denn einen Unterstand Modell „Viehkral“ gibt es auf Donoussa nicht, da tut es „To Kyma“. Das abweisende Touristen-Paar wartet auch, sie stehen im Regen. Dann kommt die Kleinfähre, es ist schon unsere dritte Fahrt mit ihr in diesem Urlaub. Der junge Pappas wartet auch mit einem kleinen LKW mit dem er auf die Fähre geht, dort aber nur etwas ablädt und dann mit dem Auto wieder vom Schiff fährt. Ankommende Touristen – Fehlanzeige. Und die anderen sind mit uns abgereist, Donoussa scheint nun touristenfrei, trist und versunken im Wolkenmeer liegt es  hinter uns.

Man könnte nun Geschichten erzählen von ewigen Freundschaften, die wir geschlossen haben – wer will widersprechen? Aber es ist nicht so. Wir verlassen die Insel ohne Spuren zu hinterlassen. Warum sollten Nikos oder Christos oder Sofia noch an die drei Frauen denken? Touristen, wie viele andere. Fremd sind wir gekommen, fremd gegangen. Aber wir haben unser Stück Donoussa kennen gelernt, unser persönliches Stück selbst erfahren, aus ersten Hand, für uns unvergesslich. Etwa Wehmut ist da schon dabei.

Das Meer vertreibt die trüben Gedanken, denn die nächste Stunde verläuft kurz vor der Kotzgrenze. Wir flüchten in den Salon der „Scopelitis“, draußen ist es kalt und nass. Drinnen ist es warm und stickig, die Kaffeelust vergeht uns. Kurz bewundere ich noch die prachtvollen Matrosenleuchter im Salon, versuche, mich zu entspannen. Lesen geht gar nicht. Das von Naxos’ breitem Rücken nicht geschützte Stück Ozean zwischen Donoussa und Koufoniossi produziert Wellen, die es in sich haben. Ich erinnere mich an eine ähnlich üble Überfahrt von Naxos nach Katapola mit der „Express Paros“ auf diesem Meeresabschnitt. Es hilft nichts, will ich keinen Bröckelchen lachen, muss ich aufs Deck. Stelle mich in der Regenjacke auf die Treppe, was macht schon ein wenig Wasser. Das abweisende Paar steht über mir, im Schutze des Fahrerhauses, gut verzurrt in ihre Anorake (wieso muss ich jetzt an Schinznach denken?), keine Miene verziehend, cool, lässig. Ich bin es nicht, und froh, dass wir heute nicht bis Iraklia oder Naxos fahren müssen.

 

Epano Koufonissi rückt näher, und das Meer wird etwas ruhiger. Der Regen lässt nach. Wir fahren ein Stück die Ostküste entlang (die ich kaum wiedererkenne ob der fortgeschrittenen Bebauung), legen schließlich in Agios Giorgos an, verlassen das Schiff. Es sind keine Zimmervermieter da. Nicht einer. Nur geschäftiges Be- und Entladen. Niemand spricht uns an, wir stehen da wie bestellt und nicht abgeholt. Die Tante und ich ziehen los, auf Zimmersuche, die Mutter bleibt mit dem Gepäck in der noch leeren, geschlossenen Taverne am Hafen. Wir wollen am liebsten ein Quartier im östliche Ortsteil jenseits des Strandes, nahe am Meer.

 

Am Strand kommt uns eine Frau entgegen, sie steuert auf uns zu: „You are looking for room?“ „Nä“ antworte ich, und meine natürlich ja - „tria atoma, tris gynaikes“. Wir folgen ihr über den Strand und auf der anderen Seite den Weg direkt am Ufer entlang, etwa 50 Meter bis zur Pension „Acrogiali“. Ob wir Mutter und Tochter wären, fragt sie, und stellt sich als Giorgia vor. Ich erkläre ihr unsere Verwandtschaftsverhältnisse, und das gefällt ihr. Sie zeigt uns ein Zimmer im Erdgeschoss, mit drei Betten ist es recht voll, aber es hat eine schöne Terrasse davor, und es gefällt uns. 30 Euro pro Nacht sind auch völlig in Ordnung. Ihr Sohn wird mit dem Auto Mutter und Gepäck am Hafen abholen, ich komme mit, und fix sind wir wieder zurück. Die Tante ist inzwischen ein Zimmer weitergezogen, denn dieses Zimmer hat über der Terrasse einen großen (Sonnen-)Schirm, und der wird uns noch nützlich sein.

Giorgia fragt ob wir einen Kaffee haben wollen, aber wir werden frühstücken gehen, vorausgesetzt, wir finden eine geöffnete Lokalität. Erst sieht es schlecht aus, alles geschlossen, fast ausgestorben. Überdimensionierte Pizzerien, eine große Bauruine an zentraler Stelle, auch sonst jeder Menge Bauarbeiten – Koufonissi erwartet den großen Boom. In der Vorsaison wirkt das eher bedrückend, oder liegt es am grauen Himmel?

 

Ganz neu das große Bild des Heiligen Georg an der (geschlossenen) Hauptkirche. Daneben ein hölzernes Tor mit zwei Meerjungfrauen drauf, finster-abwehrend gucken sie in die Gegend, wirken indianisch, nicht griechisch. Und überall an den Häusertüren frische Maikränze, schon leicht welk, aber noch nicht getrocknet.

Geöffnet finden wir schließlich die Taverne „Melissa“, bestellen Rührei und Kaffee. Die Tavernenstühle sind in allen Farben gestrichen, die Buntheit tut uns gut. Und der Kaffee auch. Man hat noch nicht wirklich mit Gästen gerechnet, muss erst Brot und Eier einkaufen. Wir haben es nicht eilig.

Auf dem weiteren Weg finden wir den Bäcker, versorgen uns mit Brot, und auch die drei Mini-Märkte garantieren gute Versorgung – was der eine nicht  hat, hat der andere garantiert. Das Leitungswasser sollte man auf Koufonissi nicht trinken, schade, dass wir nicht noch was von Donoussa mitgebracht haben, nun müssen wir wieder Wasserflaschen kaufen und schleppen.

Von Westen kommt die Schnellfähre „Aiolos Kenteris“ auf ihrer wöchentlichen Tour durch die kleinen Ostkykladen, immer montags. Schnell zum Anleger, gucken, zuletzt hatten wir nur nächtliche Ankünfte der „Blue Star“ was große Fähren betrifft.

 

Die „Aiolos Kenteris“ dreht langsam, einer der Fischer rennt mit dem Seil für das tau, barfuss ist er, und das hat seinen Grund: Die Welle der Fähre überschwemmt den ganzen Anleger, nun wissen wir auch warum hier heute früh überall das Wasser stand, wir fliehen zurück. Der Anleger ist sehr niedrig auf Koufonissi, und ich erinnere mich an einen Halt hier, als wir von der Fähre aus beobachten konnten wie die Heckwelle bei der Abfahrt einen großen Karton überspülte, der von der Fähre geladen und nicht weit weg genug abgestellt worden war – ich glaube, es war ein Fernseher drin :-(

Die Fähre lässt sich bei der Abfahrt unendlich viel Zeit beim Drehen, sie muss auch nicht schnell sein, denn sie verkehrt als Ersatz für die „normalen“ NEL-Fähren (um nicht zu sagen, Rostlauben), die im Herbst aus dem Verkehr gezogen wurden. Rentabel ist die Strecke sowieso nicht, da kann man auch langsam fahren. Wir gucken noch ein wenig den Fischern im Hafen zu, dann ziehen wir uns in die Pension zurück, wo Giorgia uns mit frischgebackenen Spinat- und Käsetaschen empfängt – lecker!

Später gehe ich alleine ein wenig durch den Ort. Der wirkt immer noch ausgestorben, aber es gibt eine Apotheke, ein Reisebüro und einen Zeitungs-und-Kartenladen. Alle geschlossen, allenfalls vormittags geöffnet. Die Dorfstraße führt dann hinunter zu einem kleine Kiesstrand, ein paar Meter weiter ist die kleine Werft, in der Jannis die schöne Holzkaikia repariert – gesehen in den „Seebären der Ägäis“. Ein ganze Menge der Fischerboote liegt da, die Arbeit geht Janni wohl nicht aus. Die Nikolaos-Kapelle (kommt beim nächsten Kapellenrätsel ;-) ) und den kleinen Friedhof dort sehe ich mir auch an. Das Grab eines Mannes beeindruckt mich, sehr jung gestorben, ein Marmorrelief mit einem Schiff darauf auf dem Grab – wie er wohl ums Leben kam? In der hinteren Friedhofsecke ein Knochenhaus, nein, es ist kein Haus, sondern ein offenes Grab, gefüllt mit Knochen, Schädeln. Kommt den Griechen nicht so makaber vor wie uns.

Weiter am - inzwischen hohen – Ufer entlang, tolle Gesteinsschichtungen und –farben! Dazu blühende Natur, violette Blümchen, Mohn, blau leuchtender Borretsch. Nach zehn Minuten erreiche ich die fast kreisrunde Bucht von Parianos, als Hafen für die Kaikia genutzt, knapp zwanzig größere zähle ich, und nochmals so viel Ruderboote. Auf einigen arbeiten Männer, und zwei oder drei  Schiffe sind auch mit Maikränzen geschmückt. Ich umwandere die Bucht und finde am anderen Ende eine kleinen Kiesstrand mit Kieseln in tollen Farben, die Naturstufen hinunter sind marmoriert. Hier muss es doch Naxos-Augen geben! Die Stelle muss ich meinen votsalo-philen Begleiterinnen zeigen!

Wie ich so herumsuche, fängt es an zu regnen. Ich habe meine Regenjacke an, kein Grund zu Panik. Nur wird der Regen immer stärker, und ich trete den Rückzug an.

Gut zwanzig Minuten braucht man doch zurück, und ich bin reichlich durchnässt. Den halben Strand – man muss ihn überqueren – bringe ich auch noch mit, gut nass verteile ich, was ich nicht vor der Türe abtreten konnte, im Zimmer. Den Rest des Tages wohnen wir, draußen prasselt der Regen, drinnen fangen wir an zu frieren, kriechen in die Betten. Nachteile der Frühjahrs. Gelegenheit, zu lesen, zu faulenzen, zu entspannen.

 

Die „Scopelitis“ kommt, von unserem - vom Sonnenschirm überdachten - Balkon aus können wir sie gut beobachten. Ein paar Touristen kommen, mit Rucksäcken. Es geht ihnen wie uns – niemand am Hafen! Und das im strömenden Regen, so hatten sie sich Inselspringen bestimmt nicht vorgestellt! Erst am Strand zeigt sich der erste Zimmervermieter – die sind bequem und sparen sich den Weg zum Anleger, die Zimmersuchenden kommen ihnen ja eh entgegen! In dem Fall gefällt das Nachbarhaus wohl nicht, und Giorgia tritt auf den Plan: sie manövriert die Touristen nach oben, und das Zimmer scheint zu gefallen, man bleibt.

Koufonissi ist unübersichtlicher als Donoussa, keine Ahnung, wie viele Urlauber sich hier gerade aufhalten, bisher hatten wir noch niemand gesehen

Als wir später Essen gehen, fragen wir Giorgia, wo es geöffnete Lokale hat. Sie sag, es gäbe zwei (tatsächlich sind es sogar drei) und empfiehlt uns „To Nikitouri“, die untere Gasse hinein, oberhalb vom Anleger, wir sollen von ihr grüßen. Wir essen auch ganz gut dort, die Tante Shrimps, wir Meerestierverächter lieber Biftekia. Außer uns speist noch eine griechische Familie, die Küchenhilfe gähnt in der Küche – nix los...

Wir beobachten ein anlegendes Passagierkaiki, aus dem einige Leute aussteigen – wo die wohl herkommen? Vom Shopping auf Kato Koufonissi oder Keros wohl kaum...

 

Es regnet immer wieder in der Nacht – so wird Koufonissi den Negativeindruck von vor 14 Jahren nicht wettmachen können...

 

Immerhin, am Morgen hat der Regen aufgehört, es ist zwar noch reichlich nass auf der Terrasse, und bewölkt, und kühl, aber wir können draußen frühstücken.

Im Nachbarhaus auf der linken Seite wohnt eine Fischerfamilie, sie kommen vom Fischen zurück, ihr Kaiki liegt in der Bucht vor uns. Mit einen kleine Boot rudern sie an Land, tief liegt es im Wasser. Vater, Mutter, Tochter, Sohn. Der Sohn, vielleicht 15 Jahre alt, sieht völlig übernächtigt aus. Hoffentlich hat sich die Fahrt gelohnt, später wird der Mann auf den Felsen am Ufer Oktapodia klopfen. Und wir beschließen, heute Abend unbedingt Fisch zu essen.

Als wir gerade fertig sind mit Frühstück, klopft es an der Türe: Giorgia bringt uns drei Spiegeleier. Sie ist wirklich sehr nett und um ihre Gäste bemüht. Englisch spricht sie nicht viel, aber nachdem sie mitgekriegt hat, dass ich etwas Griechisch kann, redet sie mit mir Griechisch. Das klappt prima – und mein griechischer Name Katharina ist auch mal wieder ein Türöffner :-)

Die Spiegeleier verdrücken wir auch noch. Und beschließen, unseren eigentlich nur auf zwei Tage geplanten Aufenthalt um mindestens einen Tag zu verlängern. Ich will nämlich zur Ormos Pori, und das Wetter ist heute nicht so geeignet dafür. Morgen wird es sicher besser – wir sind Optimisten.

Nach einem Einkaufsbummel – Schmuckladen, Apotheke, Ticketbüro zwecks Fahrplanstudien - gehen wir alle den gleichen Weg wie ich gestern, erst zur Werft und zur Nikolaos-Kapelle, dann weiter zur Parianos-Bucht.

Ausgiebiges Steinesuchen und –finden, aber leider erfolglos was das Finden von Naxos-Augen betrifft. Wir wandern noch weiter die Küste entlang nach Norden, wo die Straße ein einem großen, abgezäunten Gebäude endet. Laut Dieter Graf kann man hier weiter, wir sehen aber keinen Weg, alles ist abgezäunt, und wir haben keine Drahtschere dabei. So schlagen wir uns seitlich über Stock und Stein durch die Pampa und erreichen nach ein paar Minuten eine Straße Richtung Koufonissi. Ein Rohbau hat etwas orientalisches. Das Wasser steht auf der Straße, ich matsche mir komplett den linken Schuh mit Lehm ein als ein Auto vorbei und mich in die Pfütze drängt. Na super! Wenigstens hat es uns nicht noch geduscht.

 

Am Hotel „Koufonissia“, im MM-Führer gepriesen, kommen wir vorbei, das sehen wir uns an. Es hat noch nicht geöffnet, die Anlage ist gepflegt, der Pool groß – braucht man so was auf dieser Insel? Wir ziehen unsere meeresnahe und persönliche Unterkunft vor. In einem Bogen Richtung Finikas kommen wir an einem Strand vorher raus, die Straße ist hier komplett aufgebuddelt, das Wasser steht in der Grube. Einer der Bauarbeiter erklärt uns, dass es sich hier um eine Abwasserleitung handelt (was den Geruch erklärt). Bloß wo landet das Abwasser? Kläranlage? Meer? So nah an Ort und Strand? Igitt...

Die Gullis auf der Straße nach Koufonissi sind geöffnet, aus einem ragt gerade noch der Kopf eines Arbeiters heraus. Absperrung? Wozu. Zieht er eben den Kopf ein, und wer ins Loch fährt, ist selbst schuld. Kommt ja auch kein Auto, denn weiter vorne ist die Straße offen, und wohin sollte man schon fahren?

An der Ecke wieder so eine überdimensionierte Café-Bar mit Pool (schlammgrüne Füllung, fehlen nur noch Frösche), dahinter Bautätigkeit. Und gegenüber auch – der Rohbau einer Kapelle – Kapellenneubauten - das hat man selten!

Wieder zurück bei „Akrogiali“ sitzen wir den Rest des Tages auf der Terrasse, beobachten wie gestern das Ankommen der „Skopelitis“. Man sieht sie schon lange von Schinoussa kommen, über dem Wartehaus am Hafen, und würde sie vielleicht sogar am Horizont von Naxos nach Iraklia queren sehen wenn das Wetter gut wäre. und man Lust hat, so lange zu gucken.

Die „Scopelitis“ gibt hier auf den Erimonissia den Rhythmus vor, nicht die „Blue Star“. Die kleinen Ostkykladen wären nicht mehr die gleichen ohne sie. Es gibt Gerüchte über Ausschreibungen und möglicherweise ausbleibende Subventionen, die den Eigner Giannis Skopelitis zu einem neuen Schiff drängen, es wäre dann die „Skopelitis 3“. Solange es kein Highspeedschiff ist..... „Flying Scopelitis“, „Scopelitis Sea Runner“ oder „Scopelitis Dolphin“ (wobei, das ließe ich mir ja gefallen, Delfine sieht man immer mal wieder von der „Scopi“). Hauptsache, Small Cyclades Lines!

 

Abendessen gehen wir bei „Melissa“. Und bestellen Fisch, zwei große für drei Personen, Pommes dazu, das reicht schon.

 

 

Es ist Vollmond, und das Meer leuchtet silbern, wunderschön!

 

Morgen wird das Wetter schön - es muss!