Al primo piano

Nein, natürlich lege ich am Dienstag nicht die Füße hoch.

Dazu ist Alicudi zu interessant.

 

Die Sonne hat die Wolken vertrieben, aber das morgendliche Tragflügelboot fällt noch aus. Nach ausgiebigem Frühstück auf der bougainvilleabeschatteten Dachterrasse brechen wir zu einem Bummel zum Friedhof und zum Belvedere auf. Zunächst hinauf zur Chiesa del Carmine, die Strecke kennen wir schon. Dahinter 59 Stufen weiter bis zur nächsten Querverbindung. Es gäbe auch einen direkteren Weg (es gibt hier oft direktere Wege), aber der wäre steiler, mit mehr Stufen. Wir nehmen, der Mutter zuliebe, den weniger steilen Umweg. Wieder ist der Eselskonvoi mit Heuballen bergwärts unterwegs.

 

Der Querweg nach Westen verläuft auf der unteren Eben auf etwa hundert Höhenmetern. Hier bei der Telekommunikationsanlage soll auch die Schule sein, aber wir können sie nicht ausmachen. Unter den Häusern, die wir passieren, befinden sich einige Ferienhäuser. Hier geht es ja gerade noch mit der Weglänge hinab zum Hafen, und man meint, zum ihm hinab spucken zu können. Neben den farnähnlichen Sträuchern (Sumach?) hat es hier einige Sodomsapfelbüsche (Solanum linnaeanum) und die omnipräsenten Kapernsträucher in beeindruckender Größe. Irgendwo unterhalb der Kirche war auch ein Verkaufsstand, aber der scheint seinen Tätigkeit schon eingestellt zu haben. Schade - äolische Kapern sind die besten. Hoffentlich bekommen wir auf einer der anderen Inseln noch welche.

In der Falllinie oberhalb des Hafen befindet sich nun der Belvedere - ein halbrunder, gepflasterter Aussichtspunkt mit kleiner Kapelle, San Giuseppe. Links von ihm zweigt die Direttissima zum Hafen hinab (440 Stufen, 30 Minuten hinauf, 15 hinab), ein junger Mann mit einem verhüllten Instrument kommt gleichmäßigen Schrittes herauf, nimmt dann gleich die Treppen zur nächsten Etage in Angriff. Da ist auch der Friedhof, dessen spitzgiebelige helle Grabmonumente die Terrassen überragen und die deshalb auch von der Küste aus zu sehen sind.

 

Wir genießen aber erst die Aussicht vom Belvedere. 130 Meter unter uns liegt der Hafen. Na, der Ausdruck "Hafen" ist vielleicht etwas übertrieben: der Anleger. Daneben die Bötchen der Fischer entlang des Ufers aufgereiht. Und auf unsere Dachterrasse blicken wir auch.

In der Ferne sind die anderen Äolen zu sehen: Stromboli nur ein Schatten, Filicudi demonstriert uns seine steile, unbewohnte Seite mit dem Nadel des La-Canna-Felsens davor (da will ich hin!), dahinter der Doppelhügel von Salina, nach rechts Lipari und, schon verschwindend, Vulcano. Nur Panarea versteckt sich hinter Filicudi.

Dreißig steile Meter über dem Aussichtspunkt erstreckt sich über mehrere Terrassenebenen der Friedhof.

Auf der obersten Ebene liegen einige verstörend vernachlässigte Gräber vor einer fast leeren Gräberwand. Ein paar der namenlosen Einzelgräber - es handelt sich hier überwiegend um Kindergräber - sind mit Keramikfliesen verziert, viele sind (oder waren) mit Metallgittern eingezäunt, die sich in unterschiedlichen Zersetzungszuständen präsentieren. Immerhin: die Marmorfiguren sind noch ganz gut in Schuß.

 

Ich stelle mir vor, wie ein Begräbnis hier abläuft. Der Leichenzug von der Chiesa del Carmine her hätte zum Glück wenige Stufen, aber ich möchte hier trotzdem keinen Sarg tragen müssen.

Eine schwarze Schlange kriecht entlang der Gräberwand und lässt uns schnell auf feste Wege zurückkehren. Wir wollen ja nicht hier bleiben müssen....

Nein, es gibt keine Giftschlangen auf den Äolen. Das erfahre ich aber erst später aus dem Reiseführer.

Die untere Ebene des Friedhofes wird von einigen großen Familiengrabmälern mit spitzen Giebeln eröffnet. Daneben schließt sich eine endlose viergeschossige Gräberwand an, die deutlich gepflegter ist als die der oberen Etage. Ich finde die unterschiedlichen Friedhofskulturen ja immer sehr interessant. Natürlich werden die Gebeine hier nicht wieder ausgegraben wie an der Ägäis.

Wer war wohl H.U. Muller, der 1973 verstarb und hier begraben liegt? Wer Italienisch kann, findet hier eine makabre Geschichte zu ihm.

Und warum gibt es so viele Grabkammern mit "ignoto" = unbekannt? So viele angespülte Leichname?

 

Ein Pferd, das unterhalb des Friedhofes weidet, holt uns in die lebendige Gegenwart zurück.

Wir steigen wieder zum Belvedere zurück und schließen unsere Runde über Tonna und von dort hinab (364 Stufen, 13 Minuten abwärts) nach Perciato. Mamas Stufenbedürfnis ist damit restlos gedeckt.

Und natürlich können wir nicht am "L'Airone" vorbeigehen, ohne uns eine Granita zu gönnen.

Am Hafen lungern zahlreiche Leute mit gepackten Taschen herum, warten ob das Tragflügelboot heute kommt. Sie haben Glück, "Alijumbo Messina" braust von Filicudi heran. Und die schon früher erwähnte Touristengruppen-Invasion findet statt - vielleicht hätten sie schon gestern kommen wollen, als der Fährverkehr eingestellt war. Verbindliche Planungen sind hier schwer möglich.

Eine der Gruppen wird am Abend beim Fischer Silvio essen, dazu wird musiziert und gesungen. Vielleicht ein Gastspiel von Adrianas Vater?

Wir genießen am Abend ein letztes Mal die Küche im "L'Airone", wo wir heute die einzigen Gäste sind.

Im Licht der Laterne an einer Hauswand am Beginn der Via Roma gehen zahlreiche Geckos auf Beutetour nach Insekten.

In der Nacht wird es wieder regnen, so dass wir am Abreisetag doch wirklich drinnen frühstücken müssen weil es draußen noch zu nass ist.

 

Bis elf Uhr räumen wir unser Apartment - Lucia und Giovanni erwarten neue Gäste und müssen vorher das Apartment putzen. Weil unsere Fähre erst am Mittag geht, stellen wir das Gepäck (im ehemaligen Backofen) vor dem unteren Apartment “Rosmarino” ab, das gerade Lucias Eltern bewohnen, die auf Besuch sind. Wir dürfen es auch kurz besichtigen - es hat fünf Betten in zwei Schlafzimmern und ist etwas enger als unser Apartment. Aber auch schön eingerichtet.

 

Ich gehe noch ein Stück die steile Treppe zum Belvedere hinauf, eine neue Perspektive sammeln.

Besuche danach das Postamt um Briefmarken für Postkarten zu kaufen. Die Post hat mittwochs und freitags am Vormittag jeweils zwei bis drei Stunden geöffnet. Die Postkarten werfe ich - auf Lucias Rat hin - erst in Filicudi ein. Bis jetzt, Anfang November, sind sie noch nicht am Bestimmungsort eingetroffen. Trotz Prioritaria-Zuschlag.... da hab ich wohl die saisonale Leerung verpasst. :-(

Zwei Boote mit Tagesausflüglern kommen. Bei dem nassen Wetter sitzen viele von ihnen nach zehn Schritten entlang des Ufers gleich ins "Golden Noir", wo wir nach dem Ticketkauf (das Ticketbüro ist unterhalb des "Golden Noir" und hat etwa eine halbe Stunde vor jeder Fährabfahrt geöffnet) auch noch einen Tee trinken und die Fähre "Isola di Stromboli" sich nähern sehen.

Sie wird doch hoffentlich angelegen können!

Sie schafft es im ersten Versuch. Nur einen Neuankömmling können wir ausmachen, mit Rucksack. Alles andere ist Be- und Entladeverkehr. Der leere Heutransporter fährt an Bord. Die Fähre hat nun eine halbe Stunde Aufenthalt, was das Personal für eine Raucher- und Schwätzpause an Land nutzt.

 

Wir gehen an Bord, bleiben noch in der Öffnung der Ladeklappe stehen um letzte Ansichten von Alicudi in uns aufzunehmen.

Durch das verspritzte Heckfenster der Fähre sehen wir dann den Inselkegel sich zuerst abzeichnen und dann kleiner werden. Meine Sehnsucht nach Alicudi wird bleiben.

 

Eine absolut einzigartige Insel.

 

Aber nun Kurs auf Filicudi.