Heute am Donnerstag ist es wieder sonnig und warm. Das Wetter ist sehr wechselhaft diesen Mai, aber immerhin weniger kühl als die letzten Jahre. Nach dem Frühstück bezahle ich mein Hotelzimmer (bar), verlade meine Sachen ins Auto und verabschiede mich von Walli. Sie hat viel geschlafen, ist immer noch recht mitgenommen und muss die Geschehnisse verdauen. Am Samstag wird sie mit dem Taxi zum Flughafen fahren und via Athen zurück in die Heimat fliegen. Ich möchte am Sonntag weiterreisen. Blue Star hat es geschafft, endlich den Fahrplan zu veröffentlichen, wobei ich die ganze Zeit fest davon ausgegangen bin, dass irgendwann am Sonntagnachmittag eine Fähre ab Evdilos via Mykonos und Syros gen Piräus fahren wird. Das wird sie nun auch tun. Ich habe also noch vier Tage auf Ikaria.
Halb elf ist es inzwischen. Entlang der beiden Strände fahre ich nach Gialiskari, wo ich in der scharfen Kurve hinunter zum Hafen mit dem bekannten Kirchlein abbiege. Erstaunlicherweise ist es trotz seiner meernahen Lage nicht dem heiligen Nikolaos geweiht, sondern Christi Himmelfahrt. Blau-weiße Fischerbötchen liegen in dem kleinen Hafen, angepasst zum Kirchenanstrich und der griechischen Flagge, die im Wind flattert. Über die Bucht sehe ich nach Westen Armenistis liegen.
Sonst ist hier nichts los, und so setze ich die Fahrt fort.
Bis zum nächsten Stopp in Kambos, wo das antike Oinoi lag. Die Ausgrabung sind Richtung Meer, ich gehe nochmals in den Ort zur Kirche Agia Irini. Warum haben wir sie eigentlich beim Panigiri nicht besucht? Ich glaube, weil mir gar nicht klar war, dass sie oberhalb des Dorfplatzes liegt, wo sich auch das kleine archäologische Museum befindet. Die Kirche soll die älteste der Insel sein, ein hübscher Kreuzkuppelbau. Und natürlich ist sie jetzt verschlossen. In der kleinen Parkanlage liegen Säulenstümpfe dekorativ sortiert herum, ein Bodenmosaik ist auch zu bewundern. Ein Mann ist mit einer Motorsense zugange. Er schließt die Museumstüre auf, so dass ich hinein kann. Ein kleiner Raum mit einfachsten Vitrinen, kaum beschriftet, aber mit zahlreichen Fundstücken der Gegend, vor allem Grabreliefs. Es ist nicht leicht, Museum auf Ikaria zu sein. Vielleicht wird die kommunistisch regierte Insel von fernen Athen weniger unterstützt, oder man ist einfach zu stolz dazu um Hilfe zu bitten. Ich erinnere mich, dass während Corona Ministerpräsident Mitsotakis Agios Kirykos besuchte, und von den Leuten heftig ausgepfiffen wurde weil er dort der trotz strengen Kontaktbeschränkungen an einer großen privaten Feier eines lokalen ND-Abgeordneten teilgenommen hatte. "Quod licet Iovi, non licet bovi" - das ist Latein und nicht Griechisch, gilt aber trotzdem: Normalsterbliche hatten bei Verstößen gegen die Beschränkungen mit empfindlichen Geldbußen zu rechnen.
Etwa unterhalb des Kirchhügels verweist ein Schild zum antike Odeon. Ich folge ihm entlang blumengeschmückter Häuser und finden nach wenigen Metern einen quadratischen Bau mit hohen Mauern und Bogenfenstern, der für die Aufführungen von Gesangsvorführungen und -wettbewerben gebaut wurde. Innen sind noch die gemauerten runden Sitzreihen zu sehen. Interessant.
Nun wird es aber Zeit, weiterzukommen. Wieder fahre ich ohne Halt durch Evdilos. Am Ortsausgang steht eine Frau, möchte mitgenommen werden. Ich halte an. Sie möchte nach Karavostamos, dem nächsten größeren Dorf, das an meinem Weg liegt. Sie steigt ein. Sehr gesprächig ist sie nicht, wir tauschen nur dürre Worte über das Wetter aus, fahren dann schweigend und ohne Fotohalt. Östlich von Evdilos liegen noch ein paar breite Strände, die Straße zieht sich aber in Kurven hoch darüber durchs Grün. Ich hatte überlegt, noch einen Abstecher nach Arethousa zu machen, aber der entfällt jetzt. Nachdem ich die Frau in Karavostamo habe aussteigen lassen, fahre ich ohne Halt weiter. Überlege nur noch, wo die Ruinen der alten Kapelle sind, zu der uns vor 14 Jahren eine Frau durch das Gebüsch geführt hatte. Muss irgendwo hier sein.
Weiter durchs Grün. Miliopo, Ploumari, Monokambi. Das ist nicht meine Gegend hier, erdrückendes Grün. Perdiki lasse ich links liegen, fahre bei der Windrädern und der Kaserne über die knapp 600 Meter hohe Passhöhe. Nun geht es auf der steileren Südseite abwärts. Die Dörfer hängen hier hoch am Hang, verteilt über viele Höhenmeter.
Eines der Dörfer ist Mavrato, und das ist jetzt mein Ziel. Von hier aus möchte ich zu Fuß einen Abstecher zum Kastro Kapsalino machen. Ein schmale Straße zweigt in der Ortsmitte des Hnagdorfes rechts ab, ich folge ihr zwei steile Serpentinen Richtung Friedhof. Nein, das Auto stelle ich besser in der Kurve unterhalb ab, auch wenn ich dann gleich die Straße sehr steil hinauf muss. Ziehe die Wanderstiefel an.
Los geht es nun. Ein Wegweiser zeigt auf den "Trail of Atheras". Tatsächlich kann man ab hier auf der Bergkette des Atheras weit nach Westen wandern. Verlockend, aber auch anspruchsvoll und lange beziehungsweise mehrtägig. Nichts für Solistinnen. Abstiegsmöglichkeiten gibt es nach Norden und Süden, aber wie dann wieder zum Auto zurück kommen? Damit ich wenigstens einen kleinen Geschmack davon bekomme, habe ich dieses kurze Stück ausgewählt, bei dem ich auf dem gleichen Weg zurückgehen werde. Warm wird mir schon auf den ersten steilen Metern.
An der Kirche mit gegenüberliegendem Friedhof beginnt der Fußweg. Ein verwittertes Schild gibt die Entfernung zum Kastro mit 1,06 Kilometern und 28 Minuten Gehzeit an. Das kommt mir sehr sportlich vor, mal sehen wie lange ich brauche.
Der schmale Fußweg führt durch hellen Laubwald: Vor allem Eichen. Am Boden frisches Grün: Farn. Nach einigen Minuten wird der Wald dünner, nun habe ich eine tolle Aussicht auf die Südküste. Agios Kirykos liegt unter mir, weiter links die Inseln Fourni und Thymena, die ineinander übergehen. Weiter rechts in der Ferne verschwimmen Umrisse im Dunst. Patmos? Der Waldweg geht nun in einen Stufenweg aus Steinplatten über, ich steige höher. Schwitzend. Im Osten kommt der Gipfel des Kerkis aus dem Dunst, des höchsten Berges auf Samos, 1434 Meter hoch. Einfach schön, so ein Fernblick!
Im Hafen von Agios Kirykos hat sich ein Schifflein gelöst und fährt entlang der Küste nach Osten: Das muss das Postboot nach Manganitis und Karkinagri sein. Abfahrt montags, mittwochs und donnerstags um 14 Uhr, vormittags nach Agios Kirykos. Ich bin inzwischen ab dem Auto 50 Minuten unterwegs, natürlich mit Pausen zum Gucken, Fotografieren und Ausschnaufen. Und vom Auto zum Friedhof mit dem Halbstundeschild waren es ja auch noch zehn, 15 Minuten. Sage ich mir.
Rechts eine steile felsige Anhöhe mit Antennenmasten. Telekommunikation. Vielleicht auch Militär.
Der Weg ist mit roten Punkten und kleinen Steinmännchen markiert, er verläuft nun auf einer Kante aus Felsenplatten. Vor mir wird eine Art Felsenkamm sichtbar. Das muss der Felsen des Kastro Kapsalino sein, von dem nur noch sehr wenig zu sehen sein soll.
Bis zum Sattel folge ich dem Weg, kann nun einen Blick auf die Nordküste werfen. Grün in Grün. Nach Westen würde der Fußweg weitergehen, bis zum 1037 Meter hohen Efanos und weiteren Gipfeln. Oder hinab nach Arethousa. Ich folge dem näheren Verlauf mit den Augen. Soll ich noch ein Stück? Nein, aber gerne auf den Kastro-Felsen. Es ist kein Fußweg durch die Frygana zu erkenne, die schnell knie- bis hüfthoch wird und von Felsen durchsetzt ist. Ich versuche es hier und da, ziehe aber wieder zurück: zu wadenkratzend. Eine Stunde habe ich ab dem Friedhof gebraucht, für 345 Höhenmeter, sagt die App. Nicht so schlecht, finde ich. Der Sattel liegt auf 800 Metern über Meer.
Gut, mache ich meine Pause eben nicht oben. Schon etwas schade, aber ich scheue die Verletzungsgefahr.
Vor Fourni kann ich eine Fähre entdecken. Sie entschwindet dem Blick hinter Thymena. Müsste die "Blue Star Myconos" sein, die donnerstags auf dem Weg nach Piräus in Agios Kirykos hält, und nicht in Evdilos.
Abwärts geht es schneller. Die Fähre ist in Fourni schon fertig und nähert sich früher als gedacht Ikaria. Bevor ich wieder in den sichtversperrenden Wald eintauche, hat sie den Hafen fast erreicht. Ein elegantes Wendemanöver, dann legt sie an. Sie hat jetzt etwas Aufenthalt: erst um zwanzig vor vier geht es weiter, und es ist gerade drei Uhr vorbei.
Eine Agame sonnt sich auf einem Felsen vor mir. Ich bin weit genug weg, dass sie noch nicht die Flucht ergriffen hat, und so kann ich ein paar Fotos machen. Ich mag diese Minidrachen. Schlangen habe ich auf Ikaria noch keine getroffen. Muss auch nicht.
Um halb vier bin ich wieder an Kirche und Friedhof, und zehn Minuten später am von der Sonne gut vorgeheizten Auto. 4,3 Kilometer Strecke in einer Stunde 40 reiner Gehzeit mit 345 Höhenmetern auf und ab. Hat gepasst.
Mit aufgerissenen Fenstern kurve ich nach Agios Kirykos, kurz auch nur Ágios genannt, hinab, wo ich Quartier beziehen möchte. Immer wieder stehen Feuerwachen am Straßenrand. Und einmal ein nettes Minotavros-Dreirad.
Ich habe kein Quartier in Agios reserviert, möchte dort selbst gucken. Ins "Kastro" könnte ich wieder. Walli hat dort gewohnt und war angetan. Der Sohn hat das Hotel es inzwischen übernommen, aber der Vater sei auch noch oft da. Nur ist mir das Kastro etwas zu weit oben. Bei booking habe ich das "Akti" mit ganz guten Bewertungen gesehen, es liegt unten am Hafen. Da werde ich mal fragen. Ich stelle das Auto auf dem großen Parkplatz östlich der Hafenbucht ab, wo inzwischen eine betonleere Marina anschließt. Von Arministis bin ich 53 Kilometer gefahren. Das dauert hier einfach. Zu Fuß gehe ich hinauf zum Akti", zu dem auch ein Café mit Blick über den Hafen gehört. Sieht gut aus!
Eine junge Frau bedient im Café, ich frage nach einem Zimmer. Sie ruft eine ältere Frau, die mir zwei Zimmer zeigt: eines mit Balkon, Blick über den Parkplatz, die Küste und hinüber nach Fourni, und eines mit rückwärtigem Blick. Beide sind recht einfach eingerichtet. 47 Euro soll das mit dem Meerblick kosten, das andere ist etwas preiswerter. Frühstück ist nicht dabei, und es gibt auch keinen Heißwasserkocher oder Tassen um sich selbst etwas zuzubereiten. Es gäbe aber ein preiswertes Frühstück im Café, wenn ich das wollte, sagt meinen potentielle Gastgeberin. Ok, das ist jetzt schon einen andere Preisklasse als in Armenistis. Ich bin nicht restlos begeistert, habe aber auch keine Lust, weiterzusuchen. Also sage ich zu.
Das Auto könne ich da stehen lassen, und wenn ich Hilfe mit dem Gepäck brauchen würde, könne mir später jemand helfen. Später - ein dehnbarer Begriff, erst recht in Griechenland. Ich will aber gerne jetzt nach Therma zum Baden, und dazu brauche ich meine Badesachen, die im Trolley im Auto sind. Schleppe diese also selbst über die Stufen nach oben, mehr ziehend als tragend, der Bandscheiben wegen. Mit Getöse im Quartier, so dass meine Wirtin herbeieilt. Warum ich nicht gewartet hätte?
Thelo na kano bagnio, tora! Es ist aber auch warm heute!
Und so richte ich mich nur schnell im Zimmer ein, ziehe den Bikini an, schnappe das Handtuch und die Badeschuhe, springe ins Auto und fahre die drei Kilometer hinüber nach Therma.
Durch den Ort in der Einbahnstraße, eine freien Parkplatz finde ich kurz vor der Brücke. Schlappe dann vor zum Stand. Und merke, dass ich bei meinen frühen Besuch vor einen Tagen einem Trugschluss unterlegen bin: Therma ist nun am späteren Nachmittag ein durchaus lebendiger Ort mit einigen geöffneten Cafés und Tavernen, und auch einem ganz hübschen, wenn auch nicht sehr großen Strand. Das Thermalbad, das hinter dem Scheitel der Bucht steht, ist geschlossen, und ebenso das Hamam, aber Walli hat erzählt, dass man dort, am Westende der Bucht, unter einer überhängenden Felswand (fast schon eine Höhle) im Meer baden kann, das durch radioaktives Thermalwasser aus unterseeischen Quellen erhitzt wird. Und nun, wo ich das weiß, sehe ich auch den hölzernen Steg, der den Badebereich vom Meer abteilt, und die Treppe, die dahinter ins Meer führt.
Und überlege, wie ich das vor 14 Jahren übersehen konnte. Ok, wir sind auf dem Fußweg von Agios herübergekommen, und der Weg verläuft über der Felsenwand, man sieht dort nicht hinab. Oder sieht nur was man weiß? Leute hatte es damals in Therma kaum welche, weder in Cafés noch am Strand. Vielleicht ist das Örtchen erst inzwischen aus dem Dornröschenschlaf erwacht?
Mit Umkleidekabinen sieht es allerdings schlecht aus: da muss man etwas improvisieren. Es hat aber zwei Bänke vor dem Haman, und dort lege ich meine Klamotten ab und tausche Sandalen gegen Badeschuhe. Ein älteres griechische Paar steigt gerade an der Treppe ins Wasser, und ich tue es ihnen nach. Das Wasser ist nicht kalt, am Anfang noch sandig, dann wird es felsig. Die Badeschuhe machen sich nützlich. Unter der Felsenwand an ein paar Felsen tummeln sich drei, vier Leute. Hier kommt das bis zu 52 Grad heiße, radonhaltige Wasser heraus und mischt sich mit Meerwasser. Die heißeste Stelle hat nur zwei, drei Plätze und die sind belegt. Aber etwas weiter drüben sitzt es sich auch gut im Naturbad, das Wasser je nachdem bis zu Brust oder Hals. Manchmal kommen ganz heiße Strömungen von unten, manchmal schwappt das Meer kälter herein. Mein Thermometer misst 32, 33 Grad Celsius. Ich finde es herrlich!
Man soll die Badedauer von zwanzig Minuten aber nicht überschreiten - die Quellen auf Ikaria sollen weltweit mit die höchste Radonkonzentration haben. Erst neulich haben ich gehört, dass das natürlich vorkommende Edelgas Radon das Risiko für Lungenkrebs steigert, wenn es sich in der Atemluft, etwa in geschlossenen Räumen, befindet, und dass bis zu sechs Prozent der Todesfälle durch Lungenkrebs auf Radon zurückgehen. Hier im Wasser und Freien ist das zwar nicht der Fall, aber eine Überdosis Radioaktivität brauche ich ja auch nicht. Zumal die heilende Wirkung von Radon naturwissenschaftlich nicht nachgewiesen ist. Mein Rücken mag das warme Wasser aber definitiv!
Nach dem Bad geht es mit dem Auto die drei Kilometer zurück nach Agios. Es ist auch jetzt ein lebendiges Städtchen. Ich entdecke an der Uferfront eine kleine öffentliche Bibliothek. Eigentlich ist es noch etwas früh fürs Abendessen, aber Tisch und Stühle der "Klimataria" in den hinteren Gassen der Stadt sehen einladend aus. Ein Tisch ist belegt, mit englischsprechenden Touristen. Auf der Karte steht Soufiko, eine lokale Spezialität. Ich bestelle eine Portion, und vorab einen Käsesalat. Ein Viertel Rotwein und Brot dazu. Der Kellner hat mir gleich eine kleine Plastikflasche mit Wasser hingestellt. Ich frage, ob es kein offenes Wasser gibt. Wenn ich unbedingt wollte, würde er mir das bringen, aber sie würden das nicht trinken. Upps. Ich riskiere es, und werde dann morgen am Vormittag überlegen, ob nun das Wasser oder das Soufiko an meiner beschleunigten Verdauung schuld sind. Bei Soufiko handelt es sich um so etwas wie Ratatouille, recht dick, und mit grünen Bohnen und Kartoffeln. Schmeckt ganz gut, ist aber insgesamt eine ölige Angelegenheit. Das fällt dann wohl unter "Hausmannskost", aber ich stehe da eher nicht mehr so sehr drauf, habe es gerne etwas raffinierter. So wie in Armenistis. Die Portion ist reichlich, und ich lasse übrig. Das Essen kam schnell, die Leute am Nachbartisch sind gegangen, und auch ich bin schnell fertig. 16 Euro sind auch hier preisgünstig. Ich bummel noch etwas durch den Ort, dessen Lebendigkeit sich nun eher vorne an der Paralia zeigt als hier in den Hintergassen mit diversen Handwerksläden. Trotzdem nett.
Und bin heute früh im Bett.
*
Ich habe schlecht geschlafen. Das Kopfkissen ist zu dick, und Schnaken haben mich umschwirrt. Die Fliegengitter vor dem Fenster sind abgerissen. Zudem ist heute Südwindwetter, da kommt mein Kreislauf nicht so recht auf Trab. Der Bauch rumort.
Meine Wirtin verspricht, mir ein anderes Kopfkissen zu bringen. Was sie nicht tun wird. So wenig wie sie mein Bett macht (braucht sie auch nicht, das kann ich selbst), oder mal den Eimer im Bad leert. Ich bin nicht mehr sehr angetan, würde das Quartier nicht empfehlen, booking hin oder her. Ich hätte mich in Therma einquartieren sollen. Wobei im Agios schon mag.
Zum Frühstücken gehe ich hinüber ins Café. Für neun Euro gibt es Kaffee, Spiegeleier, zwei Scheiben Toastbrot, Marmelade, Honig, Butter und O-Saft. Und den Blick Richtung Hafen gratis. Warum die oft so sparsam mit dem Brot sind? Ich bestelle nach, kein Problem.
Von links näher sich die Katamaranfähre "Dodekanisos Pride". Sie kommt von Samos und fährt weiter nach Patmos. Tja, auf die Dodekanes müsste ich auch mal wieder. Aber außer Karpathos und Kassos lockt es mich gerade nicht so richtig dorthin. Na, Nisyros vielleicht noch. Eine große Gruppe Schüler mit Gepäck hat sich am Hafen eingefunden und geht nun an Bord. Klassenfahrt? Auswärtsspiel? Die "Pride" legt schnell wieder ab und fährt los. Um dann nach wenigen Metern wieder umzudrehen und zum Hafen zurückzufahren. Huch, was ist da los? Eine Person geht von Bord, und ich glaube, es ist eine amtliche Person, von der Hafenpolizei, die doch nicht nach Patmos wollte und nicht rechtzeitig von Bord war.
Apropos Fähre - ich habe die "Megalochari" noch gar nicht gesehen, die kleine, auf Fourni stationierte Lokalfähre, die Fourni mit Thymena, Ikaria und Karlovasi auf Samos verbindet. Sie steht aktuell nicht im Kalender. Keine Ahnung, wie die Einwohner von Thymena nun von der Insel wegkommen. Vermutlich mit einem kleinen Boot nach Fourni und dann mit Blue Star oder Dodekanisos Seaways weiter.
Auch nach dem Kaffee fühle ich mich flau und müde. Auswirkungen des gestrigen Kurbades, des getrunkenen Leitungswassers, oder des warmen Wetters? Gut, dann heute kein Programm. Zumindest vorläufig. Passt auch mal. Gemütlich drehe ich eine Runde durch Agios Kirykos und zum Bootsanleger, an dessen Ende eine abstrakte Plastik einer Gorgone steht. Kann ich meine Sammlung erweitern. Auf die lange Hafenmole mit Ikaros-Figur und Kalos-Ilthate-sto Nisi-tou-Ikarou-Schrift darf man nicht - abgesperrt. Schade.
An dem Denkmal an der Platia lehnt ein Transparent, dass an die Toten des Zugunglückes von Tempi erinnert: ΕΓΚΛΙΜΑ ΤΕΜΠΗ - Verbrechen Tempi. Am 28. Februar 2023 verloren dort 57 meist junge Menschen beim Zusammenstoß zweier Züge ihr Leben. Viele Fragen dazu sind immer noch ungeklärt, viele Griechen werfen der Regierung Mitsotakis Vertuschung vor. Es empörten sich nicht nur die Angehörige der Opfer - zum diesjährigen Jahrestag gab es überall in Griechenland und auch im Ausland Demonstrationen. In Stuttgart etwa waren tausende Griechen zu einer Kundgebung auf den Schlossplatz gekommen. Dann natürlich erst recht im traditionell oppositionellen Agios Kirykos.
Heute ist der 9. Mai. Ein Plakat der KKE am Bürgersaal erinnert an 80 Jahre antifaschistischen Widerstand des Volkes und des Sieg des Sozialismus zum heutigen Tag. Folklore oder ernst gemeint? Mit fällt da ein Zitat ein, das Winston Churchill zugeschrieben wird: „Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, keinen Verstand“. Gilt wohl nicht auf Ikaria.
Am Anleger hat inzwischen ein Benzinschiff festgemacht, bald werden die Tanklastwagen ausschwärmen um die Insel mit Sprit zu versorgen. Ich brauche auch etwas Antrieb und versuche daher, mit einem Frappé in einem der Cafés an der Platia mit den hart kupierten Bäumen meine Lebensgeister anzuregen. Drei Euro für den Frappé - sagte ich schon, dass Ikaria preiswerter ist als die Kykladen, wo man oft schon vier Euro für etwas Nescafépulver, Milch, Wasser, Zucker und Eiswürfel - Wareneinsatz maximal 10 Cent - hinlegen muss? Das Ganze scheint aber zu wirken, denn ich beschließe, aktiv zu werden und mit dem Auto eine kleine Runde zu drehen und irgendwo zu baden.
Und zwar am liebsten im Thermalwasser. Walli, die die Websiten über Ikaria viel sorgfältiger studiert hat als ich, hatte erzählt, dass es hinter der Flughafenpiste an der Nordküste bei Agia Kyriaki ebenfalls heiße Quellen im Meer gibt. Das möchte ich mir gerne ansehen.
Schnell bin ich mit dem Auto am Flughafen, wo ich über die hohe Zahl der am Straßenrand geparkten Fahrzeuge überrascht bin. Kommen heute so viele Flüge an? Ok, es ist Freitag, vielleicht fliegen viele übers Wochenende nach Athen. Menschen sehe ich keine, jetzt um ein Uhr mittags kommt nichts an. Hinter dem Flughafen geht die befestigte Straße in eine Schotterpiste über. An einer Kreuzung nehme ich erst den falschen Weg, lande bei der Kapelle der Agia Kyriaki. Hier habe ich nun den Blick auf einen gar nicht so kleinen Hafen samt Werft, der direkt neben der Startbahn liegt und zahlreiche Kaikia beherbergt. Aber zum Ufer geht es hier nicht weiter. Also wieder hoch, und oben die rechte Abzweigung. Geradeaus ginge es auch noch, da kommt man wohl direkt nach Perdiki. Auf einer Schotterstraße allerdings.
Meine Piste ist auch nicht toll, aber da habe ich schon deutlich schlechtere gehabt. In einem Bogen führt sie oberhalb einer Ansammlung primitiver Betonbaracken zur Küste hinab. Bin ich hier richtig? Ich stelle das Auto ab, gucke mich um. Weit und breit ist niemand zu sehen. Nehme die Badesachen und gehe die paar Schritte hinab zum Meer. Die Küste ist hier felsig, das Meer sehr flach. Alles nicht so richtig schön. Ein betonierte, vom Meer angenagte Plattform mit abgebrochener Laterne, ein kleines Becken, mehr ein Wanne. Das Meer hier zu flach zum Baden, und steinig. Ich probiere es trotzdem, mit Badeschuhen, aber gebe schnell auf. Mehr als bis zu den Knien wird man hier nicht nass. Und thermal scheint hier auch nichts zu sein. Vielleicht weiter drüben, wo ein, zwei bessere Häuser stehen? Ich suche einen Weg etwas weiter östlich, aber die Macchia ist zu hoch, da komme ich nicht schadlos durch. Wie so oft fühle mich in dieser Einsamkeit als würde ich etwas verbotenes machen, aber nur der Wind sorgt für Bewegung und Geräusche, sonst ist hier niemand.
Ok, dann bade ich eben in Fanari. Ich fahre zurück, halte oberhalb der Bucht und werfe einen Blick hinab. Das hätte ich mal vorher machen sollen, denn nun sehe ich einen Treppenzugang in ein vom Meer abgetrenntes kleines Becken samt Umkleidehäuschen in der kleineren Nachbarbucht. Wirkt etwas absurd angesichts der Abgelegenheit und Stille des Ortes. Soll ich nochmals hinab? Nein, der Weg war ja so zugewachsen, wahrscheinlich komme ich trotzdem nicht hin.
Schnell bin ich in Fanari. Faszinierend, wie nahe es am südlichen Ende der Startbahn liegt!
Ich parke das Auto am Ufer, und sehe gleich: auch hier wird das nichts mit dem Badespaß. Der Südwind, der hier in beträchtlicher Stärke weht, sorgt für ordentlich Brandung und Wellen an der flachen, mit Felsenplatten durchsetzten Küste. Offenbar ist Fanari ein Windloch. Aber eine oder zwei Tavernen hinter dem Strand - oder sind es Cafés? - haben geöffnet. Ich wähle eine aus, ich glaube sie heißt "Grigoris". Draußen sitzen kann ich nicht, aber drinnen hinter den windversperrenden Planen ist es ok. Etwas schattig allerdings. Noch ein Tisch ist besetzt. Ich bestelle eine Zitronenlimo und einen Kartoffelsalat. Beides kommt sehr kalt daher, was sich bei längeren Sitzen als ungünstig erweist: ich fange an zu frieren. Meine mitgebrachte Weste ist zu dünn um hier viel zu helfen. Der Salat ist mächtig, mit großen Kartoffelstücken. Kein kulinarisches Highlight. Irgendwie ein gebrauchter Tag heute.
Das ist aber auch ein wechselhaftes Wetter diesen Mai!
Bevor ich völlig durchgefroren bin, zahle ich die zehn Euro für Essen und Getränke, und fahrt weiter beziehungsweise zurück Richtung Agios. Bei Neália geht rechts eine Straße ins Inselinnere ab, dort geht es zur Akropolis des antiken Therma bei Katafigi. In Serpentinen windet sich die Straße nach oben. Irgendwann ist rechts eine größere Plattform, wo ich anhalte. Wo geht es nun zur Akropolis? Wegweiser sind nicht vorhanden, und der Wind bläst in heftiger Stärke. Passt zum Tag. Ich lasse also auch das, und fahre weiter bergwärts.
Von wo ich den Burgberg sehen kann. Egal. Wenigstens noch ein warmes Bad in Therma, damit ich endlich ins Wasser komme. In weiter Schleife über Katafigi und Mavrato - die Straße kenne ich schon - geht es wieder hinab zur Küste und nach Therma. Meine Sache lasse ich heute am Strand liegen, wo die Saisonvorbereitungen in vollem Gange sind, und gehe zum Einstieg am Hamam. Die Thermalhöhle ist auch heute wieder ganz gut besucht, ich habe keine Chance, an einen der raren Hot Seats zu kommen, aber die Warm Seats etwas weiter drüben tun ist auch. Ich komme mit einem älteren Deutschen ins Gespräch, der über die endlose Kurverei auf den ikariotischen Straßen klagt. Da wäre Samos doch besser. Er und sein Reisebegleiter erzählen auch vom berühmten Seychelles Strand bei Manganitis. Der Fußweg wäre so schlecht, und am Schluss müsse man an einem Seil hinab beziehungsweise hinauf. Sie hätten das dann gelassen, da sie nicht wussten ob sie es auch hinauf wieder schaffen würden. Da müsse man mit dem Badeboot hin, aber die würden noch nicht fahren. Ich hatte gedacht, am Sonntag beim Transfer nach Evdilos dort einen Halt einzulegen, da wir vor 14 Jahren auch nicht dort waren. Dann lasse ich das wohl.
Nach dem Kuren im warmen Wasser schwimme ich dann unter dem Steg durch zum Strand und sonne mich dort. So klingt der Nachmittag doch noch versöhnlich aus.
Von Agios aus spaziere ich später auf dem Fußweg oberhalb der Küste nochmals nach Therma, was in zwanzig Minuten gut zu bewältigen ist. Hübsch die Analipsi-Kapelle am Weg, und es gibt auch Wege zu den Stränden unterhalb. Weniger hübsch, dass das offenbar die Kack-Strecke eines Mannes mit seinem Hund ist, der überall auf dem Beton seine braunen Häufchen hinterlassen hat und gerade vor mir spaziert. Die Idee, die Hinterlassenschaft einzutüten und im Müll zu entsorgen, käme hier wohl völlig absurd an.
Am Abend steht mir der Sinn absolut nicht nach fettigem Essen, sondern merkwürdigerweise nach Pizza. Das "Filoti" wird empfohlen, wo ich ganze alleine im oberen Stock sitzen, der über einen steile Treppe zu erreichen ist. Warm ist es hier. War auch ne blöde Idee. Aber die Pizza mit Schinken und Pilzen ist gut, und mit elf Euro samt Viertel Wein auch preiswert. Was ich nicht schaffe, nehme ich mit und werde ich morgen zum Frühstück verzehren.
Morgen wird es hoffentlich ein gelungenerer Tag!