In der Oberstadt und im Weißen Turm

Am Freitag geht es bergwärts. Ich werde einen weiteren Museumsbesuch später verschieben und mich heute Richtung Oberstadt aufmachen. Da ich unterwegs ein paar byzantinische Kirchen und Klöster "einsammeln " möchte, werde ich zu Fuß gehen.

 

Die erste Kirche liegt direkt eine Straße weiter von meinem Hotel. Sie ist dem Stadtheiligen Agios Dimitrios geweiht und ich habe sie mir beim letzten Thessaloniki-Aufenthalt nur flüchtig angesehen. Weil gerade aber ein Gottesdienst stattfindet, muss ich die ausgiebige Besichtigung verschieben.

 

Die Gassen aufwärts werden nun schmaler, auf der nächsten Terrasseneben erreiche ich die Kirche des Profitis Ilias, die auch zum UNESCO-Erbe gehört. Es ist ein kompakter großer Backsteinbau, dessen hochragender Kuppelturm im Vergleich zum Hauptbau schräg und nicht im Lot wirkt. Die Kirche ist geöffnet, aber drinnen sehr dunkel. So kann ich die Wandmalereien nur schlecht sehen. Weil außerdem ein Pappas und ein paar Frauen zugange sind, habe ich das Gefühl, dass ich störe und gehe schnell wieder.

Mein nächstes Etappenziel muss ich etwas suche. Es ist die Kapelle Osios David, auch Kloster Latomou genannt, und liegt etwas versteckt in den steilen und engen Gassen der hübschen Ano Poli, der oberen Stadt, einer reinen Wohngegend. Das unscheinbare Kirchlein mit niedrigem Ziegeldach birgt in seinem Inneren Mosaiken aus dem 6. Jahrhundert und so freue ich mich, dass es zur Besichtigung geöffnet ist.

 

Hinter der westlich wirkenden Ikonostase zieht das Mosaik in der Apsis den Blick auf sich: es zeigt einen eher unentrückten und jungen, da bartlosen Christus, der umrahmt von den Figuren den vier Evangelisten zur Himmelfahrt ansetzt. Ganz rechts und links stehen zwei Propheten, der linke mit einer lustigen Geste der Hände an den Ohren. Ob er lauscht oder veräfft?

Nur noch verwaschen sind die Wandmalereien im Bogen des seitlichen Tonnengewölbes zu erkennen, die aus dem 12. Jahrhundert stammen. Christi Geburt ist hier zu sehen.

 

Ich bin die einzige Besucherin und lege auf der Bank im Garten eine kleine Pause ein, den Blick auf der Suche nach dem nächsten Höhepunkt bergwärts gerichtet. Nicht die schlechteste Wohnlage, die Ano Poli.

Das hat man sich wohl auch im Kloster Vladoton gedacht. Von unten kommend fällt zunächst ein massives Gebäude mit bogenüberschwungenen Balkonen auf, das über einer Steilwand klebt. Gehört das zum Kloster? Die Frage bleibt unbeantwortet, denn hier gibt es keinen Zugang. Ich halte mich rechts, wo schmucke Häuschen graffitiversudelten Ruinen gegenüberstehen. Aufwärts, weiter aufwärts, bis kurz vor der Stadtmauer der Oberstadt.

Links befindet sich jetzt der Eingang zur weitläufigen zypressenbestandenen Klosteranlage, in deren Mitte die niedrige Kirche aus dem 14. Jahrhundert liegt. Unter einem barock angehauchten Portikus betrete ich das Katholikon, das Wandmalereien aus dem 14. Jahrhundert enthält. Von der Hauptkuppel schaut ein Pantokrator milde herab, die Seitenkapellen sind voll ausgemalt mit kaum zu bestimmenden Szenen und Heiligen, leider vor allem die Köpfe häufig zerstört.

Besonders schön finde ich auch die prächtige Ikonostase aus dem 17. Jahrhundert.

 

Nur zwei weitere Besucher eilen durch die Kirche, sind aber schnell wieder weg. Ich schlendere danach noch durch die Klosternanlage, bewundere das Glockengestell und zwei Volieren mit Tauben und Pfauen sowie ein paar Gebäude neueren Datums, die zum 1968 gegründeten Patriarchalischen Institut für Patristische Studien gehören müssen, das sich im Kloster befindet.

Einen größeren Buchladen mit Devotionalien und Produkten aus Athos-Klöstern gibt es auch noch.

Der Weg führt mich nun ostwärts entlang der imposanten byzantinischen Stadtmauer, die die Oberstadt (=Akropolis) nach Süden abschließt. Den historischen Ausdruck "Akropolis" kennen die Einheimischen gemäß Klaus Bötig in dessen Dumont-Reise-Taschenbuch "Chalkidiki, Thessaloniki" kaum mehr, sie zählen das Viertel zur Ano Poli oder zum Kastra-Viertel.

 

Den Durchgang durch das erste Tor lasse ich links liegen, ich steuere den Pyrgos Trigoniou an, einen runden Turm, der früher als Waffenlager genutzt wurde und heute nicht zu besichtigten ist. Eine kleine Plattform mit Bänken davor wird von einigen Rentner genutzt, der Panorama-Blick nach Süden über die Stadt verliert sich an der Küste im Dunst. Ich merke mir das Café Propylaion, das geöffnet ist.

Dann betrete ich die Akropolis durch ein kleineres Tor. Dahinter liegt ein nettes, dörflich wirkendes Stadtviertel mit einer lärmenden Straßenbaustelle, die ich auf dem Weg zum Eptapyrgio = sieben Türme durchqueren muss. Die Festung thront über der Oberstadt, ihre sieben Türme stammen aus dem 9. bis 12. Jahrhundert, die Anlage wurde über die Zeit byzantinischer und osmanischer Herrschaft mehrmals um- und ausgebaut. Von den 1890ern bis 1989 war hier ein Gefängnis untergebracht, das in vielen Rembetika besungene berüchtigte "Yedi Kule". Auch während der deutschen Besatzung, während des Bürgerkrieges und der Junta waren hier politische Gefangene inhaftiert.

 

Die äußere Ring der Festung ist zwar geöffnet, aber im Inneren versperren Türen und Tore den Zugang in den Burghof, zur Mauer und zu den Türmen. Dafür sieht man die Metalltüren und Gitter des Gefängnisses, in das ich nicht rein kann. Na, besser als nicht raus können.

 

Trotzdem schade. Ich kann ein paar Blicke auf die mächtigen Türme, eine kleine Kapelle und in einen artefakteübersäten Hof werfen, und die verbauten Spolien im Haupttor bewundern. Schließlich drehe ich noch eine Runde um die Festung in der vagen Hoffnung, irgendwo eine geöffneten Hintereingang zu finden. Dem ist nicht so. Klar, ist ja eine Festung.

Inzwischen ist es fast zwölf Uhr und ich habe Hunger, denn das Frühstück bestand ja nur aus ein Kaffee und Keksen. Leider finde ich in den Gassen kein geöffnetes Lokal, nur ein Bäckerei. Im Stehen mag ich aber nicht essen, also sitze ich ins Café Propylaion vor der Mauer, wo es aber nur kleine Tiro- und Spanakopittakia zu Essen gibt. Besser als nichts, und die Teilchen sind köstlich. Ich bestelle gleich nochmal zwei zum Bergtee, der mir trotz der inzwischen scheinenden Sonne gut tut. Und jetzt?

Hinab in die Stadt, und dann sieht man weiter. Weil mein Füße müde sind, möchte ich den Bus nehmen und warte an der Haltstelle am großen Tor, wo leider kein Fahrplan hängt. Nach ein paar Minuten kommt auch ein Bus, aber es ist kein Linienbus, sondern ein Bus der "Kulturroute" der städtischen Busfahrtgesellschaft OASTH. Für preiswerte zwei Euro kann man hier eine 50-minütige geführte Fahrt durch die Stadt machen (in Englisch und Griechisch), Startpunkt ist der Weiße Turm. Auch wenn diese Fahrt jetzt doppelt so teuer ist wie die reguläre Linienfahrt steige ich ein, kaufe ein Ticket und lausche den Ausführungen des mitfahrenden Guides bei der Fahrt entlang der Stadtmauer und dann auf einer Schleife vorbei an der Agios-Dimitrios-Kirche. Nach etwa zwanzig Minuten endet die Fahrt am Weißen Turm, es ist halb zwei.

 

Ich verschiebe den Besuch des Byzantinischen Museums endgültig auf morgen und besichtige jetzt lieber den Weißen Turm. Das 31 Meter hohe, im 15. Jahrhundert erbaute Wahrzeichen Thessalonikis war Teil der Stadtbefestigung, auch Gefängnis (mhh, hatten die viele Gefängnisse hier) und beherbergt heute ein Museum über die Stadtgeschichte. Weiß ist der Turm nicht mehr - dieser Namen stammt aus dem Jahr 1912, als Thessaloniki von griechischen Truppen erobert wurde und der Turm als Symbol weiß gestrichen wurde. Der Namen hält sich besser als die Farbe. Wobei der Turm nach einem Gemetzel an Gefangenen durch den osmanischen Sultan 1826 auch lange "Roter Turm" genannt wurde.

 

Der Turm ist im Winter bis 16 Uhr geöffnet, der Eintritt kostet drei Euro inklusive Audio-Guide, für den man den Ausweis als Pfand abgeben muss. Auf einer flachen Wendeltreppe schraube ich mich durch die auf sechs Stockwerke verteilte multimediale Ausstellung zur Stadtgeschichte Thessalonikis langsam nach oben bis zur Aussichtsplattform. Langsam, weil wirklich interessant ist was man da so alles über die Stadt erfährt, von der vorchristlichen Besiedlung über Mazedonen, Römer und Byzanz, der Aufstieg zur Stadt, die Wichtigkeit als Handelsplatz, die Zuwanderer (auch die Sepharden) und vor allem über den großen Stadtbrand am 18. und 19. August 1917, bei dem zwei Drittel der Altstadt zerstört wurden. Der französische Stadtplaner Ernest Hébrard wurde mit der Neuplanung der Stadt beauftragt, die ihr neue Plätze und Alleen verdankt.

Die meisten Besucher durchlaufen die Ausstellung nur flüchtig, sie wollen auf die Aussichtsplattform.

Da gelange ich schließlich auch an und erfreue mich an dem Blick auf die Stadt und die Küste. Viele Schiffe liegen im thermaischen Golf auf Reede, am Ufer drei Ausflugsschiffe (oder besser Bar-Schiffe). Nach Westen liegt das Häusermeer der Stadt, das sich zur Akropolis hochzieht während hinter mir die grünen Parkanlagen locken. Eine ganze Reihe von E-Rollern paradiert unter dem Turm während die Statue von Philipp dem Großen auf der anderen Seite mit mäßiger Begeisterung auf die Baustelle zu ihren Füßen guckt. Bissle unwürdig, diese Stelle, zumal der Sohn - auch noch zu Pferd - viel repräsentativer an der Paralia stehen darf.

Weil ich ja immer noch nicht wirklich zu Mittag gegessen habe, steuere ich das nahe Lokal "Pyrgos" an. Nicht ohne mir vorher ein optisch seltsames Denkmal anzusehen: Das für Pavlos Melas, der in Bronze und Fustanella mit Gewehr auf einem Rasenstück steht, mit einer Allee von Marmor-Büsten garniert. Melas war ein Offizier im mazedonischen Krieg und griechischen Freiheitskampf gegen die Osmanen und Bulgaren. Er wurde 1904 von osmanischen Truppen im Dorf Statista in Kastoria getötet (das Dorf heißt heute nach ihm Melas) und stieg posthum zum Freiheitshelden auf. Die Statue wurde von seiner Enkelin, der Bildhauerin Natalia Mela, erschaffen. Die sechs Marmorbüsten weiterer makedonischer Freiheitshelden sind erst im November 2019 dazugekommen, es handelt sich um Alexandros Petridis, Georgios Volanis, Dimitrios Kalapothakis, Efthymios Kaoudis, Ilias Deligiannakis und Pavlos Gyparis. Kann jetzt nicht sagen, dass ich einen davon kennen würde...

 

Im "Pyrgos" kann ich heute sogar draußen sitzen. Zum meinem Tsipouro bestelle ich mir Florini - gebackene Paprika mit Feta, Frühlingszwiebeln und Kapern. Das schmeckt , da bleibt kein Krümel übrig, und auch sonst tut es gut, einfach etwas zu sitzen und zu gucken. Zum Zeitungsleser am Nachbartisch, oder der Parea Jungmänner, die das Wochenende gemeinsam einläuten. Thessaloniki ist so eine schön lebendige Stadt.

Inzwischen ist es drei Uhr vorbei, was nun tun mit dem Rest des Tages? Ich bummelt entlang der Odos Tsimiski nach Westen. Die Tsimiski ist die kosmopolitische Einkaufsstraße von Thessaloniki, allerdings keine Fußgängerzone wie Athens Ermou, aber der Verkehr rauscht einbahnstraßengelenkt immerhin nur noch in einer Richtung - westwärts. Zurück fahren die Autos dann entlang der Paralia.

 

Jetzt ist hier ganz schön was los. Ich bin immer noch auf der Suche nach Feigen von Kymi und besuche jeden Laden, der so aussieht als könnte er das haben. Gibt es aber nicht. Nur ordinäre Feigen von Evia. Schade. Auch in Vlali-Markt jenseits der Aristotelous, den ich nun mit Zeit und Muße durchstöbere, werde ich nicht fündig. Mit Rakomelo sieht es auch nicht gut aus. Dabei hatte ich doch gestern irgendwo welchen gesehen, aber ich finde den Laden nicht mehr. Schade. Im östlich der Aristotelous gelegenen Vatikioti-Markt werde ich auch nicht fündig. Hier sind die Korbflechter zugange, und in einem Zacharoplastio erstehe ich ein stadttypisches süßes Dreieck aus knusprigem Blätterteig namens "Trigona", das frisch mit Creme gefüllt wird. Nicht ganz einfach, es to-go zu verzehren, und auch ziemlich sättigend. Macht Durst.

 

Auf der Suche nach einer dafür geeigneten Lokalität komme ich am Kloster Agia Theodora vorbei. Das verschachtelt in- und übereinander gebaute Gebäude hat schon beim letzten Besuch mein Interesse geweckt. Die heilige Theodora von Thessaloniki  hat hier im 9. Jahrhundert gewirkt. Die alte Klosterkirche - ursprünglich dem heiligen Stefanos geweiht - wurde beim großen Brand 1917 zerstört und 1935 wieder aufgebaut und ist prächtig ausgemalt. 1974 wurde Agia Theodora ein Mönchskloster, 1989 kam noch das Zentrum für Hagiographische Studien der Metropolis Thessaloniki dazu. Über mehrere Etagen zieht sich das nagelneu aussehende Ensemble, das im Reiseführer nicht erwähnt wird.

An der Odos Aristotelous und am gleichnamigen Platz ist nun am Freitagnachmittag viel Betrieb. Umrahmt vom Luxushotel Elektra Palace und dem Olympion, einem prachtvollen Theater mit zwei Kinosälen, Hauptschauplatz des Filmfestivals von Thessaloniki, sitzt der Pate des Platzes in Bronze gegossen auf einem Steinblock und guckt sinnend - klar, ist ja ein Philosoph - auf zwei abgestellte e-Roller und die Schar der Stadttauben. Von den Vorbeiflanierenden und -eilenden wird es kaum eines Blickes gewürdigt.

Die Cafés am Platz sind nicht in meiner Preisklasse, außerdem hätte ich gerne etwas Meer-Blick. Den finden ich unter dem Heiz-Pilz eines Cafés an der Odos Nikis an der Paralia. Der Roséwein im Glas passt zum Sonnenuntergang, den ich aber nicht lange genießen kann, denn ein schwarzer Van versperrt mir plötzlich trotz Parkverbot die Aussicht. Sauerei! Wo sind die Ordnungshüter wenn man sie mal braucht? Vorhin hat ein motorradfahrender Stadtsheriff einen Mann verwarnt, der gerade sein Auto am Rand der Platia Aristotelous abgestellt hatte: er solle gefälligst wegfahren. Der Verwarnte stieg ins Auto, der Verwarner aufs Motorrad und fuhr davon. Und der Mann aus dem Auto, das natürlich stehenblieb. Na, vielleicht ist der Motorrad-Mann in fünf Minuten wieder da und legt nach.

 

Der Van fährt nach zehn Minuten dann doch wieder weg und so kann ich die Impression Soleil levant doch noch genießen. Kaum ist die Sonne weg, wird es saukalt. Ich bezahle fünf Euro für mein Glas Wein - hätte eigentlich nur vier gekostet, aber der Kellner nimmt einen Euro ungefragt als Trinkgeld - und ziehe mich zum Aufwärmen ins Hotel zurück.

Später lande ich auf der Suche nach einem Restaurant wieder im Ladadika-Viertel. Dieses Mal bei "Zythos", wo Fava und ein Teller Fischsuppe, begleitet von einem Karafaki Tsipouro auf meinem Tisch landen. Solide Kost, preislich auch im Rahmen.

Mein letzter Urlaubsabend.

Morgen habe ich aber noch bis zum Nachmittag Zeit für Thessaloniki, mein Flugzeug geht erst am Abend.