Museen im Winter - Teil 1

Kurz vor halb fünf erreicht der Bus den Busbahnhof KTEL Makedonia. Ich bin unschlüssig ob ich mir ein Taxi zum Hotel genehmigen soll, entscheide mich aber dagegen und nehme den Bus. Am Tickethäuschen bekomme ich die Fahrtkarte für einen Euro und die Auskunft, welche Buslinie zur Platia Aristotelous fährt. Von dort müsste ich das Hotel finden können.

Es dauert bis ein Bus kommt, und er wird ziemlich voll. Zum Glück war das vor distanzwahrenden Corona-Zeiten. Gut auch, dass im Bus die Stationen angesagt werden.

 

Für meinen Thessaloniki-Aufenthalt habe ich mir wieder das Hotel "Orestias Kastorias" ausgesucht. Es liegt zentral beim römischen Forum und ist familiär, preiswert und freundlich. Von der Haltestelle Platia Aristotelous muss ich nur bergwärts, dann über die Platia Dikastirion, wo verlassene Bretterbuden noch von einem Weihnachtsmarkt zeugen und man auf einer Eisbahn Kreis ziehen kann. Schließlich rechts am römischen Forum vorbei, und das Eckhaus ist schon das Hotel.

Ich bekomme ein gut vorgeheiztes kleines Zimmer im ersten Stock und richte mich auf die Schnelle ein.

 

Und jetzt? Es ist halb sechs Uhr und draußen schon fast dunkel.

Ich habe mir aber noch einen Museumsbesuch in die Agenda geschrieben, und zwar im Volkskundlichen Museum für Mazedonien und Thrakien, Λαογραφικό και Εθνολογικό Μουσείο Μακεδονίας-Θράκης. Das Museum hat mittwochs bis 22 Uhr geöffnet, zumindest finde ich auf der Website keine entgegenstehende Meldung für den Winter. Es liegt aber ein ganzes Stück südlich des Stadtzentrums, Richtung Megaro Mousikis. Kein Problem, ich bin ja gut zu Fuß.

Zunächst schlendere ich über die belebte Platia Aristotelous hinab zum Meer, gehe dann entlang der Paralia Odos Nikis vor zum Weißen Turm. Es hat ordentlich Betrieb überall, obwohl es kühl ist. Die Cafés entlang der Paralia sind voll, viele sitzen unter der Wärme der unvermeidlichen Heizstrahler. Wenn da nicht direkt die vielbefahrene Nikis-Straße vorbeiführen würde. Aber Griechen sind gegen solche Störungen der Idylle resistent.

 

Inzwischen stellt sich ein leichtes Hungergefühl ein, das Mittagessen auf der Fähre bestand ja nur aus einem Sandwich. Nahe dem Weißen Turm gibt es das Kafenio "Pyrgos" mit beachtlichem Meze-Teller zum Tsip. Das wäre genau was mir jetzt vorschwebt. Und auch wenn es zu kalt ist zum draußen zu sitzen und ich mich in der kühlen Atmosphäre des Gastraumes als Solo-Frau etwas deplatziert fühle, so werde ich natürlich freundlich bedient und ordere einen Tsipouro mit Meze. Fünf Euro kostet das zusammen, ergänzt durch Brot und Leitungswasser, und die Meze sind so ansehnlich, dass kein Wunsch offen bleibt. Ich bin mit meiner Wahl zufrieden, sollte hier aber auch mal etwas anderes essen. Morgen vielleicht, oder übermorgen.

 

So, und nun zum Museum! Es ist kalt, ich gehe zügig. Vorbei am Denkmal für Alexander den Großen und mit einen Foto-Stopp an der der originellen Schirm-Skulptur "The Umbrellas"/«Οι Ομπρέλες» des Künstlers George Zongolopoulos, seit 1995 hier installiert und zu einem der meistfotografierten Wahrzeichen Thessalonikis geworden. Cooles Teil, wirklich! Poetisch und bezaubernd.

Und draußen auf dem Meer schwebt noch ein Kunstwerk, eine abnehmende Mondsichel, gestaltet von Pavlos Vasiliadis, spiegelt sich im schwarzen Wasser.

Das Museum liegt weiter draußen als gedacht, und es ist kalt. Ich suche mich durch die mäßig beleuchteten Parkanlagen in die zurückliegende Straße durch, nicht sicher ob ich nicht vielleicht schon zu weit gegangen bin. Bin ich nicht: hinter dem Segel-Club finde ich das imposante Gebäude der Villa Modiano, die das Museum beherbergt. Aus ein paar Zimmern der interessanten Villa scheint Licht, es ist halb acht vorbei.

Der Eingang ist auf der rechten Seite, es geht durch einen kleinen Hof und dann die Treppe hinauf zu einem Vorbau, in dem sich das Tickethäuschen befindet. Die Frau darin erschrickt, als sie mich sieht, offenbar hat sie nicht mit Besuch gerechnet. Sie kassiert zwei Euro Eintritt, drückt mir ein Faltblatt mit Erläuterungen in die Hand und eilt dann ins Museum um die Beleuchtung anzuschalten.

 

Im Erdgeschoss gibt es eine Ausstellung über Wassermühlen in Makedonien, im ersten Stock werden 55 Trachten und Kostüme aus Nordgriechenland und Kleinasien aus der Zeit von 1860 bis 1960 gezeigt. Die interessieren mich vor allem.

Zunächst wende ich mich aber in aller Ruhe den Exponaten im Erdgeschoss zu, denn ich habe ja reichlich Zeit. Denke ich. Bis nach ein paar Minuten die Aufseherin kommt und mich darauf hinweist, dass das Museum um 20 Uhr schließen würde und ob ich mir nicht die Kostüme im ersten Stock angucken wolle. Moment, das Museum schließt um 20 Uhr? Das ist ja schon ihn zehn Minuten? Ähm, warum hat sie mir keinen Ton davon gesagt als ich das Ticket gekauft habe? Und was ist mit den offiziellen Öffnungszeiten? Nun, es gäbe einen Personalengpass und darum habe man die Öffnungszeiten verkürzt, erklärt sie. Am Wochenende sei schon gleich ganz geschlossen, schiebt sie eilig nach. Und vermutlich hat sie gedacht, ich wäre eine dieser eiligen Besucher, die sich ein Museum in einer Viertelstunde angucken und um 20 Uhr schon alles gesehen hätten. Das ist nicht der Fall, aber für die Mühlen bleibt nun keine Zeit, denn natürlich möchte ich mir nun die Trachten oben ansehen.

 

Da hab ich nun natürlich nicht mehr die Zeit, mir auch die Texte zu den Trachten durchzulesen, auch wenn ich für mich schon beschlossen habe, mich nicht drängen zulassen. Besonders interessant finde ich die Trachten der Sarakatsani, eines früher in Nordgriechenland und Bulgarien nomadisierenden Hirtenvolkes. In Patrick Leigh Fermors interessantem Buch "Rumeli" ist ein ausführliches Kapitel über sie enthalten, unter anderem wird auch eine Hochzeit geschildert (das war in den 1960erJahren). Inzwischen sind die Sarakatsanen weitgehend sesshaft geworden. Vor allem die Frauentrachten sind außergewöhnlich.

In einer Vitrine werden auch Karnevalstrachten gezeigt, etwa die mit den weißen Masken der Genitsari und Boules aus Naoussa/Nordmakedonien oder die Babougeri aus Kali Vrysi/Drama mit zwei schwanzähnlichen Hörnern auf dem Kopf. Da müsste man mal den Karneval miterleben ....

 

Um Viertel nach acht habe ich dann ein Einsehen mit der Aufseherin und lasse mich aus dem Museum scheuchen. Das Museum ist so ungeheizt wie das auf Thassos und mir ist kalt geworden.

Als ich das Museum verlasse sehe ich, dass direkt nebenan das Goethe-Institut ist. Und das deutsche Konsulat ist auch nicht weit, ein deutsch-griechischer Berliner Bär steht dort im Eingang.

Gut zu wissen, auch wenn ich es hoffentlich nie brauche.

Ich bin müde und mir ist kalt. Hunger habe ich aber keinen, also begebe ich mich auf den (langen) Rückweg zum Hotel. Die Temperaturen scheinen sich schon wieder dem Gefrierpunkt zu nähern. Im lauten und vollen Café unter dem Hotel gönnen ich mir eine heiße Schokolade und nehme noch einen Wein als Schlummertrunk ehe ich in die Federn sinke. Das Zimmer ist ruhiger als gedacht, das Fenster kann offen bleiben und nur selten schrecken mich ein vorbeiknatterndes Moped oder plaudernde Nachtschwärmer aus dem Schlaf.

Morgen mehr Thessaloniki.