Ausklang mit Nachgeschmack

Am Mittwochmorgen fahre ich nach dem Frühstück - Theo bleibt noch beim Tee, aber seinem Magen geht es besser - erst mal zum Autoverleiher und verlängere um einen Tag. Das kostet uns 30 Euro. Weil ich ein ehrlicher Mensch bin, erzähle ich ihm auch von der Beule. Er zögert etwas, sie zu begutachten. Vielleicht wäre das jetzt der Moment gewesen, um nicht weiter darauf zu dringen. Aber da bin ich vielleicht zu ehrlich oder naiv dazu. Er guckt sich die Beule an. Der Lack wäre nicht beschädigt, da hätte ich Glück: das würde nur 70 Euro kosten. Mit Lackschaden wären es 150. Meine Freude über dieses Glück hält sich in Grenzen.

 

Oder ich solle zur Polizei gehen und Anzeige erstatten. Wenn der Täter gefunden würde, müsste der bezahlen. Ja klar, nichts leichter als das. Soll ich meinen Tag bei der Polizei verschwenden? Er fragt noch, wo das passiert sein könnte, und mutmaßt darüber, dass in der Chora schon, in Kamariotissa aber vielleicht auch nicht. Kurz und gut: ich bezahle hundert Euro für die Verlängerung der Miete und den Schaden, und gewinne die Erkenntnis, dass die Ehrliche mal wieder die Dumme ist. Denn dass der Schaden tatsächlich für 70 Euro ausgebeult, halte ich für unwahrscheinlich.

 

Der Start in den Tag ist mir vermiest. Aber das Wetter ist gut, sonnig mit Wolken. Kühl ist es aber. Theo und ich beschließen, heute etwas zu wandern, von Chora nach Osten. Zuerst werden wir aber nach Alonia fahren und das dort in der Nähe liegende Kloster Agios Athanasios besuchen. Falls es geöffnet ist. Von der Hauptstraße nach Südosten gehen links kurz nacheinander zwei Straßen ab. Die erste führt an einer Kaserne vorbei zum Kloster, die zweite in das Dorf Alonia, das ein vom Tourismus bisher kaum beeinflusster, landwirtschaftlich geprägter Ort sein soll. Wir lassen die erste Straße zunächst links liegen und steuern Alonia an. Ansteigend führt die Straße in den Ort hinein, Bauarbeiten verengen sie. Als wir das Auto schließlich an der Hauptkirche abstellen und uns umsehen, merken wir, dass es hier nichts besonderes zu sehen gibt. Ein hübsches Ikonostasi, und die Sicht nach Westen auf die Kaserne. Wir hatten uns schon gefragt, wo das Nest der vielen Soldaten ist, die samt ihren Fahrzeugen immer wieder in Kamariotissa zu sehen sind. Ich fotografiere eine Totale gen Westen, ehe wir wieder abwärts fahren und dann auf der anderen Straße an der Kaserne vorbei parallel bergwärts. Die Kaserne ist ganz schön groß, Mengen von Fahrzeugen sind dort abgestellt. Wehe den Türken, wenn sie kommen. Werden sie aber kaum auf dem Landweg tun. Und die armen Soldaten langweilen sich bestimmt zu Tode.

 

Hinter der Kaserne geht es aufwärts und nach einer Serpentine weist ein kleines verwittertes und kaum mehr lesbares Schild auf das Kloster hin. Wir parken das Auto auf einer Schotterbrache in der Kurve und steigen aus. Hier soll ein Kloster sein? Es ist nirgends etwas zu sehen, außer einem breiten, schwarzen Gittertor, verziert mit Doppeladlern. Es ist verschlossen, und außer Gebäuden der nahen Kaserne ist dahinter nichts zu sehen. Also folge ich einem Schotterweg geradeaus, der in einem Waldstück bei einer wilden Müllkippe samt Ziegenpferch endet. Von einem Kloster auch hier nichts zu sehen. Ich mache ein Foto, drehe mich nach rechts und erblicke drei einfache Zeltplanen in nato-oliv. Huch, da sind offenbar irgendwo Soldaten versteckt. Ich hab gar keine gesehen, kann das aber umgehend nachholen, als ich zum Auto zurückkehre und sich die erste Episode eines Dreiteilers abspielt, den ich hier schildere. Danach waren wir wieder unten in Kamariotissa und das Wandern östlich von Chora oberhalb der Kaserne war uns komplett vergangen. Offenbar ein gebrauchter Tag heute. Hätte ich die Polizei noch wegen des Blechschaden ansprechen sollen, damit sie etwas ausgelasteter ist? Nein, die Nerven habe ich nicht, und den Chefpolizisten mit seiner misstrauischen und barschen Art fand ich ausgesprochen unsympathisch. Auch potenzielle Spioninnen kann man ja freundlich behandeln.

Weil das kühle Wetter in Kombination mit der Aufregung im Polizeirevier von Kamariotissa bei mir zu einem Schock geführt hatte, brauchte ich dringend ein Heißgetränk, um wieder ins innere Gleichgewicht zu geraten. Also fahren wir nach Chora hinauf, wo ich Theo davon überzeugen kann, dass die Hauptgasse nur im untersten Teil etwas steiler ist, und er es sicher schafft, sie hochzugehen. Was auch der Fall ist. So können wir auf dem Balkon des Cafés "Trapeza" (war früher die Bank) auf einen heißen Bergtee einkehren, dem wir wenig später noch ein Sanwich folgen lassen. Dann geht es uns - oder vor allem mir - wieder besser.

Was nun mit dem angebrochenen Tag? Wir schließen einen Ortsbummel an, nun da Theo sich auch in die Altstadt traut. Es ist weniger los als gestern, aber der Bäcker hat offen und ich kann uns noch mit etwas Proviant eindecken - es gibt leckere Käsestängel.

Aber eigentlich stünde uns der Sinn nach einer richtigen Taverne. Ob wir in einem der beiden Karyotes im Hinterland der Nordküste fündig werden? Der Abstecher verläuft ergebnislos: zwei traurige Weiler mit bellenden Hunden und zuparkenden SUV, kaum ein Foto wert. Aber da war doch am Montag die Taverne an der Südküste am Platania-Strand. Wenn es sich um das "Akrogiali" handelt, wäre es gemäß MM-Reiseführer eine der besten Fischtavernen der Insel. Und der Strand dort ist auch nicht so schlecht.

 

Wir wechseln also an die Südküste und halten zu Beginn des langen Platania-Strandes, wo ein paar Boote aufgebockt stehen und oben auf dem Hügel noch die ersten Häuser des Samothraki Beach Apartments & Suites Hotel zu erkennen sind. Theo bleibt im Auto, ich gehe am Schotter-Strand von der Straße weg entlang etwas gen Westen und bade textilfrei - es ist weit und breit niemand zu sehen. Natürlich kommt dann prompt ein alter Mann vorbei, aber da bin ich noch im Wasser. Und kurz darauf richtet sich eine Frau zwischen den Booten strandtechnisch ein und geht ins Wasser.

Nichts zieht Leute zuverlässiger an als andere Leute.

Das Wasser ist kühl, die Luft ist es auch. Allzu lange halte ich mich da nicht nackig auf, schlüpfe wieder in die Klamotten.

 

Mit dem Auto geht es dann ans östliche Strandende, wo die oberhalb der Uferstraße liegende Taverne "Akrogiali" tatsächlich geöffnet hat. Eine gepflegte Anlage mit gemütlicher Terrasse unter einer üppig-grünen Pergola. Und erstaunlich gut besucht für einen Mittwoch.

Wir bestellen Taramosalata, Chtapodisalata mit Schwarzaugenbohnen und Rokasalata, nicht ahnend, dass die Portionen riesig sind. Theo nimmt ein Viertel Restina, das in einem Babyfläschchen daherkommt, ich eine Limo. Dann versuchen wir, uns durch die Portionen zu essen, was uns nicht ganz gelingt, obwohl die Salate ausgezeichnet sind. Und endlich, endlich ist auch Theo mal mit dem Dargebotenen zufrieden.
Mit 19 Euro fällt die Zeche erstaunlich günstig aus.

Über dem Essen und Sitzen vergeht die Zeit. Es ist schon vier Uhr vorbei, als wir uns aufraffen können und weiter nach Pachia Ammos fahren, wo Theo sich gleich in die Strandtaverne von Nikolas verfügt - sie ist noch nicht abgebaut, liegt aber in den letzten Züge. Ich wandere am Sandstrand nach Osten und erwäge ein Bad im Meer, finde es dann aber schon zu kühl und belasse es bei einem Sonnenbad.

 

Dann noch zum westlichen Strandende, das in einer kleinen, von Felsen geschützten Bucht ausläuft. Liegt alles schon im Schatten, ebenso wie die sich wacker gegen das Saisonende behauptenden Sonnenliegen samt -dach. Braucht aber jetzt niemand mehr. Nikolas wird später darüber klagen, dass die Saison hier so früh beendet würde - man könne doch bis in den Oktober verlängern.

Aber auch er hat ja schon begonnen, seine Strandbar damit Sonnenschirmen abzuräumen.

 

Traurige Nachsaisonstimmung stellt sich ein. Es wird Zeit, dass wir weiterziehen. Morgen geht es nach Limnos. Woraufhin die angesprochenen Samothraker konstatieren, dass Limnos ja schöne Strände hätte. Aber dafür keine Bäume. Klingt, als wäre es eine Insel für mich.

Vom späten Mittagessen noch satt, sind wir am späteren Abend in Kamariotissa in einem Kafenio an der Paralia und bekommen einen ordentlichen Meze-Teller zu unseren Tsipoura, später noch ergänzt um einen Toast. So klingt ein ziemlich durchwachsener Tag aus, der mir Samothraki irgendwie etwas vergällt hat.

 

*

 

Unsere Fähre nach Limnos, die "Adamantios Korais", fährt erst am Nachmittag nach 17 Uhr ab. Da haben wir noch fast den ganzen Tag zur Verfügung, und müssen netterweise auch unsere Zimmer noch nicht räumen. Unser Wirtin Maria klopft mit einem Stein Risse in grüne Oliven, um sie dann in Salzlake einzulegen. Pfiffig, mit dem Messer wäre das viel schwieriger.

 

Nach dem Frühstück bringe ich das Auto zurück. 247 Kilometer sind wir an den vier Tagen gefahren, ganz schön viel dafür, dass die Insel ja nicht groß ist und es auch nicht so viel befestigte Straße gibt. Danach packen wir unsere Sachen zusammen, aber weil das kein tagfüllendes Programm ist und ich noch Bewegungsbedarf habe, breche ich gegen halb zwölf auf zu einem Spaziergang.

 

Auf der Uferstraße gehe ich zügig Richtung Paleopolis, gleichwohl ziellos. Links zieht sich hinter Brombeerbüschen endlos der steinige Uferstreifen. Rechts vor dem Saos-Berg zunächst vereinzelte Häuser, dann mehr oder weniger dürre Wiesen, durchsetzt von Baumstreifen. Ein Schild weist auf einen Mountainbike-Weg hin, der vom Hinterland kommend, hier mündet. 3,4 Kilometer kurz, ob man damit diese Klientel anlocken kann? Schon bei Akrotiri hatte ich ein ähnliches, nur stärker ausgebleichtes Schild gesehen, fünf offizielle Mountainbike-Trails gibt es offenbar. Ich hab aber keine Mountainbiker gesehen.

Ich wandere weiter, die Bewegung in der Sonne tut gut und mir wird warm. Soll ich bis Paleopolis gehen? Sind aber fast sechs Kilometer, und der Bus fährt erst später zurück. Zu weit, finde ich, und biege nach drei, vier Kilometern rechts auf einen Feldweg ein Stück ins Inselinnere ab, wandere mehr oder weniger parallel zur Uferstraße zurück. Eine lange Tränke weist auf die landwirtschaftliche Nutzung mit Vieh hin, später eine Schafherde unter Bäumen in einem Pferch.

 

Zwei Hunde bewachen bellend eine Einfahrt. Danach ein grüner Weinberg, schwefelduftend. Und immer wieder Feigenbäume, Zucchini und kniehohes Kraut. Freilaufende Hühnern im distelgelben Brachland. Danach verteilt sich in Erdmulden eine wilde Mülldeponie, das Verbotsschild ignorierend. Müllsünder wollen nicht lesen. Oder können sie es nicht? Müll zieht Müll an, das ist eine internationales Gesetz.

 

Theo schicke eine SMS, unsere Wirtin hat einen Teller frische Kartoffelpuffer gebracht. Kann er essen, da stehe ich nicht so drauf. Er lässt mir welche übrig, antwortet er.

Nach knapp zwei Stunden und siebeneinhalb Kilometern erreiche ich wieder Kamariotissa, nun in zweiter Reihe. Da steht ein interessantes, leicht marodes Haus mit einem großen Mühlrad. Eine Mühle hier, ohne Wasser? Seltsam.

Zwei Kartoffelpuffer bekomme ich noch, sie schmecken besser als gedacht, auch kalt. Noch Zeit für eine Siesta, ehe wir um 16 Uhr zum Hafen ziehen und im unscheinbaren Ticketbüdchen dort unsere Fahrkarten (11 Euro pro Person) nach Limnos erstehen. Es ist noch Zeit für einen Frappé und eine Granita im Café.
Die Granita schmeckt etwas künstlich und ist saukalt. Sollte man vielleicht nur in Süditalien bestellen? Während ich sie langsam schlürfe, biegt überpünktlich die "Adamantios Korais" um die Ecke, schiebt ihr Schnauze direkt hinter die Palmen der Uferstraße.

Zeit um Abschied zu nehmen von Samothraki. Der Auftakt des nordostägäischen Inseltrios war in Ordnung, aber irgendwie habe ich nicht gefunden was ich an der Ägäis suche. Dafür paranoides Militär und dumme Polizei.
Mal sehen, wie es auf Limnos wird ...