Iraklia im Mai 2009

Die Überfahrt auf dem glatten Meer ist toll! Da vergesse ich doch ganz, den Steward nach einem Skopelitis-T-Shirt zu fragen. Schüler und Lehrer albern herum, fotografieren sich in allen Positionen mit den Handys. Schulausflug ist überall gleich...

Nach einer guten halben Stunde sind wir in Schinoussa – kaum Passagierbewegungen. Aber wieso wird hier Fisch abgeladen? Fischen die nicht selbst? Das würde erklären warum meine Mutter nach dem Genuss eines Fisches auf Schinoussa vor Jahren die folgenden Nacht über der Toilettenschüssel verbringen musste... Nein, Schinoussa steht nicht auf unserem Plan, danke für den Fisch....

 

Nach Irakliá ist es nun bloß noch ein Katzensprung. Der Propeller an der rechten Buchteinfahrt des Hafenortes Agios Georgios steht still – so Tage ohne Wind sind wir von diesem Urlaub gar nicht gewohnt.

Die Schüler und wir verlassen das Schiff – die französische Reisegruppe atmet auf und hat das Deck wieder für sich. Ein Traktor mit Anhänger und Schafen drauf ist das Empfangskomitee. Das obligatorische Be- und Entladen, aber keine Zimmervermieter. Schade, wir hatten auf Anna gehofft!

Wie wir gerade lange Gesichter machen wollen, spricht uns eine Frau an – ob wir ein Zimmer wollten? Ja, wir wollen. Allerdings hätten wir gerne eines unten in Hafennähe, sie deutet aber nach oben. Unten wäre noch nichts geöffnet. Ok, wir sehen es uns an. Das Gepäck kommt in den PKW, wir auch, und auf der Heckscheibe des PKW steht „Alexandra’s Rooms“. Durch das Dorf geht es aufwärts, und ich erinnere mich daran, wie wir das letzte Mal hier hochgebrettert sind. Auf der Ladefläche von Annas Pickup, ihr Mann am Steuer, der uns zunächst für die neuen Köchin der Taverne und ihre Tochter gehalten hatte.

Dieses Mal sitze ich vorne im PKW und hab ein kleines Mädchen im Schoß – die Tochter der Vermieterin, die sich als Marta vorstellt. Marta (oder Martha?) ist eine „Reingeschmeckte“, eine Albanierin. Ob ihr die Zimmer gehören oder ob sie sie für die in Frankreich weilende Besitzerin Alexandra vermietet (wie uns am nächsten Tag ein Gast erklärt) – egal. Die Bemerkung „seit einiger Zeit von albanischen Vermietern übernommen“, die in der Neuauflage des Michael-Müller-Führers steht, klingt nach „feindlicher Übernahme“ und obskuren Feindesbanden - negativ angehaucht und unnötig, finde ich (Sowas kann man durchaus auf einer persönlichen Website schreiben, aber doch nicht in einem gedruckten Reiseführer). Dabei ist es doch die nette und fleißige Marta... Der frühe Vogel fängt den Wurm, und ohne Albaner könnten die Griechen ihr Land schon lange zumachen. Auf alle Fälle war sie die Einzige am Hafen – haben es die anderen Vermieter noch nicht nötig, oder holen nur nach vorheriger Buchung ab?

 

Marta sorgt auch in den nächsten Tagen dafür, dass die Zimmer gut belegt sind, aber zunächst sind wir die einzigen Gäste. Weil es keine Dreierzimmer gibt, müssen wir zwei Zimmer mieten, à 25 Euro. Und haben dafür immer zwei Terrassen zur Auswahl, eine nach Osten fürs Frühstück, eine blumengeschmückte nach Westen für den Nachmittag. Marta bringt uns erst mal einen Kaffee, das ist sehr nett, den haben wir auf der Fähre glatt verpasst ob des schönen Wetters. Eine bettelnde und dauermiaunzende Katze hat es auch, und dicke schwarze glänzende Käfer, von denen ich später einen in den Untiefen meines Trolleys verschwinden sehe. :-(

 

Etwas später wird dann der Ort erkundet, wir müssen einkaufen und gucken ob sich viel verändert hat. Hat es nicht. Im Ortsinneren wird gebaut, über dem Tal, das den Ort teilt. Brot kaufen wir im „Melissa“, und ein paar Sachen in Annas Minimarkt. Sie ist aber nicht da, wir bekommen sie die ganze Zeit auf Iraklia nicht zu Gesicht. Schade eigentlich, sie ist ne Nette, auch wenn sie für uns keine engelhaften Züge hatte. Ihr Tochter (glaube ich zu verstehen) ist die gelangweilte Verkäuferin in dem kleinen Laden – hartes Inselleben...

Auf einer Bank entspannen wir ein wenig am Strand, blicken auf den Hafen und das Meer. Hinter uns klingt es aus einem Haus ein Zähllied – es ist das Gemeindehaus, und darin der Kindergarten. Schön, dass der Nachwuchs gesichert ist! Später sehen wir drei Kinder das Haus verlassen – irgendwie klang es nach mehr...

Die Taverne „To Perigiali“ gehört nicht mehr Anna, aber wir lassen uns für eine Kleinigkeit dort zum Essen nieder, an dem runden Tisch um den Baum. Die Muscheln und Fischteile im Inneren darauf, die der Dekoration dienen, verbreiten leider einen leicht modrigen Meergeruch. Aber der offenen Weißwein ist lecker (und bestimmt nicht von der Insel – 5-Liter-Tetrapack von Kreta, schätze ich)!

Plötzlich zerreißt Motorengebrumm die Mittagsstille. Ein Hubschrauber im Anflug auf den Heliport rechts über dem Hafen! Ein Notfall?

Ein halbherziger Landeversuch – so schnell kann doch nichts ein- oder ausgeladen werden? Auch die Wirtin des „Perigiali“ verfolgt den Hubschrauber, und telefoniert sogleich neugierig, man (vielmehr frau) muss ja wissen was los ist. Sie gibt Entwarnung: ein neuer Hubschrauberpilot hat sich den Landeplatz mal angesehen und den Anflug geübt, für alle Fälle.

Wir fragen noch gleich, was es zum Essen gibt heute Abend: Katsikaki antwortet sie, Zicklein. Mhh, gar nicht mein Geschmack, wohl aber der der Begleiterinnen. Mal sehen. Der Wein macht müde und wir machen Siesta.

Später will ich aber unbedingt noch zum Livadi-Strand, ist ja nicht weit wenn man eh schon oben auf dem Buckel wohnt. Den Strand hatte ich nicht so schön in Erinnerung, und das Wasser nicht so seicht. Es sind noch ein paar andere Badegäste da, auf Bikini oder Badehose wird weitgehend verzichtet. Im Flachen hat das Meer immerhin 21°C – Urlaubsrekord! Nur schwimmen geht kaum, einfach zu flach.

 

Die „Skopelitis“ tuckert am Horizont gen Schinoussa, Schüler und Lehrer mit ihr – wie sie den Tag verbracht haben? Wir haben sie auf dem Rückweg von „Perigiali“ im „Maistrali“, der anderen Taverne, sitzen sehen. Mist, war mal wieder nicht neugierig genug und zu schüchtern um zu fragen.

Gegen Sonnenuntergang, zur blauen Stunde, ist die Stimmung unten am Hafen besonders schön. Mit einem Ruderboot bringen zwei Menschen Netze in der Bucht aus. Wir essen doch beim „Perigiali“ – mein Zicklein (es gibt zwei Varianten: Kokkinisto = mit Tomatensauce, oder sto fouro = aus dem Ofen) ist gewohnt fettig und knochig – nie wieder Katsikaki! Außerdem sind wir die einzigen Gäste (haben uns nun extra weit genug entfernt vom Moddertisch platziert), oben im „Maïstrali“ ist es bestimmt netter! Morgen!

Auf der Ostterrasse frühstückt es sich wunderbar! In der Nacht muss ein Gast angekommen sein, aus dem Nebenzimmer dringen Schnarchtöne. Wir versuchen, nicht zu laut zu sein. Später sehen wir den Gast, ein Engländer, nicht zum ersten Mal hier, mit der „Blue Star“ mitten in der Nacht angekommen und von Marta abgeholt worden. Marta geht es nicht gut, sie hat Bauchschmerzen und kaum geschlafen, später sehe ich sie, oder vielmehr die kleine Tochter beim Arzt. Die Arme!

 

Ich will heute zur Höhle Agios Ioannis, Mutter und Tante werden den Tag am Strand verbringen und ich später dort zu ihnen stoßen. Bevor ich losziehe, kaufe ich mir im Minimarkt noch ein wenig Proviant, und sehe mir die Ankunft der Fähre an. Bienenstöcke werden abgeladen, aber keine Touristen.

Heute geht kaum ein Wind, ich werde schwitzen bei der Wanderung.

 

Nach Südwesten geht es aus dem Ort heraus, an der Taxiarchis-Kirche vorbei. Der Weg ist toll ausgeschildert, aber bis zum Sattel kenne ich die Tour sowieso, von der Papas-Besteigung 2000. Leicht bergan führt die Schotterpiste, wieder die blühenden Wiesen am Weg, nun schon kurz vor dem Verwelken. Ein Weinberg links. Schnell liegt der Hafenort Agios Georgios unter mir, Schinoussa dahinter. Der Weiler Agios Athanasis ist das Nahziel, vier Häuser. Einmal will mich der Wegweiser doch glatt nach Panagia schicken, ein Umweg, wie ich zum Glück weiß. Zur Sicherheit wird noch Dieter Graf zu Rate gezogen: Nein, hier muss man rechts bleiben, ja nicht nach links!

Die Sonne brennt mir auf den Buckel, ich schwitze, und schätze jetzt erst so richtig den frischen Wind bei den letzten Wanderungen. Aber ich gehe auch zügig. Hinter Agios Athanasis verliert sich den Weg kurz, wird von der Piste zum Monopati, dann steiler, führt zackelnd zur Papas-Flanke hinauf, die ich nach etwa einer Stunde erreiche. Den Inselhauptort Panagia mit der blauen Kuppel der Kirche sehe ich links herüberleuchten, dorthin geht es erst später. Zur Höhle führt ein schöner, mit Mäuerchen abgesetzter Weg auf der Westseite der Insel die Flanke hinab, manchmal Stufen, immer noch eine Kurve, und noch eine Kurve, und die mühsam errungen Höhenmeter bleiben zurück, das Meer kommt näher. Nachher muss ich hier wieder zurück, hoffentlich ist es nicht mehr so weit!

Etwa zwanzig Minuten später zweigt ein Weg nach oben ab, ein Pfeil zeigt die Höhle an. Recht versteckt am unteren Ende eines Felsens sehe ich gleich zwei Höhlen, ein großer Eingangsbogen links, ein kleiner, weißumrandeter rechts. Vor ihm hängt in einem Wacholderbaum eine Glocke, hier muss die Kapelle sein. Puh, sieht duster aus, und ein riesiges Spinnennetz quert den Eingang. Arachne als Wächterin – die neue Zerberusvariante? Die Taschenlampe sorgt für wenig Erleuchtung, auch habe ich keine Lust, auf allen Vieren hineinzukriechen, alleine wie ich hier bin. War noch nie eine Speläologin, und verzichte auf das Anzünden einer Kerze im Höheninneren, bleibe lieber draußen und läute die Glocke.

Schöner Rastplatz übrigens, besser als im Schatten der anderen, der großen Höhle, wo alles von Schafs- und Ziegenkötteln übersät ist und Reisig wiederborstig anhängt. Es riecht nach geräuchert. (Ich schreibe diesen Text am 29. August – an diesem Tag wird das Fest zu Ehren des Heiligen Johannes dort gefeiert – das müsste man mal dort erleben!)

Ich versuche dann noch, ein Stück in diese andere, die große Höhle hineinzugehen, aber dazu bräuchte man eine richtig gute Taschenlampe, ich hab nur so ein kleines LED-Glühwürmchen, das sich nutz- und wirkungslos verliert.

Es ist so ruhig hier!

Noch nicht einmal Ziegengemecker, nichts. Fast schon unheimlich, pan(i)sche Stille. Ich bin alleine auf der Welt. Ein beklemmendes Gefühl.

 

Ich mache mich auf den Rückweg. Pflücke eine Büschel duftenden Oregano, man sieht ihn gar nicht so oft auf den Kykladen. Schnell hinauf zum Bergrücken, wo ich mich der Menschheit wieder näher fühle, mit Blick auf Panagia, Schinoussa, Keros, und sogar den Umriss von Amorgos aus dem Dunst dahinter. Gleich vier Wegweiser helfen dem Wegesuchenden, ich nehme den rechten nach Panagia (Sind nicht alle Wege zur Panagía „recht“? Hmm, ich bin evangelisch...).

Es geht bergab und flott voran, schon erreiche ich den Ortseingang, als ein bellender Hund auf der Höhe meines linken Ohres mich zu Tode erschreckt. Ich räche mich indem ich so tue als ob ich einen Stein aufhebe – der Hund verstummt und wird unsichtbar, er ist entsprechend konditioniert. Aber auch vergesslich, denn schon zehn Sekunden später legt er wieder los und zwingt mich zur Wiederholung der Aktion. Wir spielen das Ganze dann nochmals bis ich das Grundstück passiert und seinen Wachbereich verlassen habe.

Ich habe eine Vision von einem schöne kalten Frappé und hoffe, dass die Taverne im Ort geöffnet ist. Ich habe Glück – sie ist! Im Tiefparterre ist es schön kühl, ich will mich setzen, werde aber an einen kleinen Nachbartisch komplimentiert – die anderen Tische werden für eine Gruppe gerichtet. Eine Gruppe, hier? Arbeiter vermutlich... Vorerst vergnügt sich nur eine Katze auf den leeren Stühlen.

Der Frappé erfrischt und gibt mir die Lebensgeister wieder. Ich will mir noch die Kirche ansehen, leider ist sie abgeschlossen. Eine Kapelle daneben, einen ganz typischen Kapellentyp gibt es hier, ich grüble was das besondere daran, die Unverwechselbarkeit ausmacht.

 

Auf der Straße wandere ich hinunter zum Livadi-Strand. Vorbei an einem geparkten Esel, einigen Kapellen des oben gemeinten Typs, und der Abzweigung zur „Villa Zografos“, anscheinend schönen Studios in der Mitte des Nichts – nicht, ohne in mich hineinzugrinsen ;-)  An ein paar Stellen lassen sich die Serpentinen abkürzen. Und man hat einen guten Blick auf die Reste des Kastro, dessen Existenz mir völlig entfallen war.

Ich treffe Mutter und Tante am Strand im Schatten einer Tamariske – sie hatten einen netten Tag, wurden allerdings von einem Pferd recht wegelagrermäßig bedrängt, da blieb mangels Pferdeflüstererin nur die Flucht :-) Und eine griechische Touristin hat Seeigel gefischt und ihnen zum Essen angeboten – muss gar nicht so schlecht schmecken. Gut, dass ich nicht da war, brrr! Ich stürze mich schnell in die Fluten zwecks Abkühlung, heute scheint das Meer noch wärmer. Lasse mich von der Sonne trockenstreicheln, ein Genuss!

 

Zurück in Agios Georgios kommt gerade die Fähre, und Marta bringt Gäste mit, alle Zimmer nun belegt. Ein wenig Small-Talk mit dem Engländer, der vorhin am Strand unweit von uns gegrillt hat. Auf Sikinos war er vorher, und Marta kennt er vom letzten Iraklia-Besuch, ihr Mann sei keiner von den ganz fleißigen, das müsse sie umso mehr ran...

Bevor wir am Abend im „Maïstrali“ essen gehen, sehen wir uns noch den Friedhof oberhalb des Strandes an. Im Beinhaus dominiert eine eher uneinheitliche Mischung aus Holzkisten und Metallkisten, in einer Holzschachtel ruhen die Gebeine von „stow away from engines and boilers“ – was würde da wohl in Deutschland die Friedhofsordnung dazu sagen? ;-)

Das „Maïstrali“ ist die um Längen bessere Wahl als das „Perigiali“. Es gibt eine größere Essensauswahl (fasolakia, skordalia, kotopoulo me patates, oktapodia, krassi aspro), besseres Essen, mehr Gäste und Leben (spielende Kinder aller Größen) und für die Tischunterhaltung sorgt eine männchenmachende rotgetigerte Katze, die mich an den gestiefelten Kater in „Shrek 2“ erinnert. Sie erobert vor allem die Herzen meiner sonst nicht so katzenbegeisterten Begleiterinnen im Sturm, und bekommt reichlich Hähnchen, Oktopus und Kartoffeln. Aufs Haus bekommen wir kandierte Orangen mit Honig, *schleck*, und bezahlen zusammen 26 Euro – ein lange nicht mehr erlebtes Preis-Leistungs-Verhältnis! Wie kann der Wirt da eigentlich überleben? Schade, dass wir morgen nach Naxos müssen, der Urlaub geht dem Ende entgegen.

Und hatte ich gestern noch gedacht, wir hätte doch besser auf Koufonissi bleiben sollen, so bin ich heute für den Iraklia-Abstecher dankbar.

 

Wir sitzen noch bei Kerzen- und Mondlicht auf der Terrasse, endlich ist das möglich weil es abends nicht mehr so frisch ist. Vor- und Nachteile der Vor-Vorsaison – trotzdem ein tolle Urlaubszeit!

Bevor uns Marta um 9 Uhr zur Fähre bringt, verputzen wir unsere restliche Frühstücksvorräte. Marta geht es nicht besser, sie hat einen Nierenstein und entsprechende Koliken, sie hofft, nicht nach Naxos zu müssen zwecks Entfernung desselben. Die „Skopelitis“ wird sie nicht nehmen, sondern im Notfall ein Kaiki – vielleicht zertrümmert oder verlagert die Schaukelfahrt damit den Stein von alleine.... Wir denken an Annas Mann, der vor Jahren während unseres Aufenthaltes auf Iraklia an Zahnschmerzen litt und nicht nach Naxos zum Arzt konnte wegen des Windes... krank sein auf einer kleinen Insel hier, nein danke!

Und dann sind wir wieder auf See, Kurs Naxos, letzte Fahrt mit der „Skopelitis“ für diesen Urlaub, und vielleicht für immer, falls die alte Skopelitis durch eine neue ersetzt werden sollte, was hartnäckige Gerüchte verbreiten...

 

Kurs Naxos, nach zwei Wochen Ostkykladen wieder zurück auf die „Drehscheibe“.

erlebt im Mai 2009