Chania - Zwei Tage in der Stadt

Die Abreise fällt uns ein bisschen schwer, so ist das oft, auch wenn wir auf den Inseln unterwegs sind. Aber die verschärfte Reiselust, der Wunsch, noch etwas neues zu sehen, der ist stärker. Und wir wollen Chania sehen, das ich noch gar nicht kenne, im Gegensatz zur Begleiterin (die hat mir auch eine 14-tägigen Aufenthalt in Georgioupoli voraus). Der Bus wird um11 Uhr fahren, nach dem Frühstück bei Stavris bezahle ich das Zimmer und bekomme eine Dreiviertelliterplastikflasche mit einer klaren Flüssigkeit geschenkt. Es wird wohl kein Wasser sein....

Die Hauptkapelle von Sfakia, direkt um die Ecke unserer Unterkunft, wollte ich mir auch noch ansehen, von dort kommen Schleif- und Sägegeräusche – Handwerker richten das Dach.

Wir sehen hinüber auf das westliche Meer und können keine Fähre auf der Fahrt  von Agia Roumeli nach Gavdos erkennen. Obwohl das Wetter prima ist (zumindest an Land, das kann ja täuschen wie wir inzwischen wissen).  Erfüllt uns mit Genugtuung – war doch richtig, gestern zurückzukehren. Und hätte uns im Gavdos-Bleibe-Fall einen kleinen Schock versetzt wenn die Fähre nicht gekommen wäre (auf marinetraffic.com sieht man aber, dass sie dann – völlig unplanmäßig – am Mittwoch rübergefahren ist. Pläne sind schön in D und auch auf manchen griechischen Inseln, aber nix für hier. Alles im Internet vermitteln einem nur Scheinsicherheit – und nachher kann man nicht mal ein Reisebüro verklagen.)

 

Der Bus kurvt die nun schon bekannte Straße hinauf, an der Baustelle wird gebaggert was der Fels hergibt, obligatorisch die Wartezeit beim letzten Tunnel. Und wieder ist das Wetter hier oben bei Imbros und in der Askifou-Ebene nicht so schön wie unten an der Küste, der Himmel wird grau (nein, das liegt nicht allein an der getönten Fensterscheibe des Busses). Ab Vrisses ist die Strecke neu für uns, die Drapanos-Halbinsel rechts, dann die Soudabucht mit Tankern, Kriegsschiffen, dahinter die Akrotiri-Halbinsel. Könnte man sich ansehen mit einem Mietauto, vielleicht, mal sehen.

Chania selbst ist größer als gedacht und soll laut Reiseführer eine sehr hohe PKW-Zahl pro Einwohner haben – doch, es ist ganz gut was los auf den Straßen, langsam macht sich der Bus den Weg frei, wir erreichen den Busbahnhof. Bei Aussteigen habe ich ein heftiges Stechen im rechten Knie, was ist das denn? Äußerst unfreundlich, aber es hilft ja nix, wir müssen zu Fuß gen Norden, wollen uns in der Theotokopoulou Straße ein Quartier suchen, der Fohrer-Reiseführer empfiehlt einige. Je näher wir dem venezianischen Hafen kommen, um so voller werden die Straßen. Kein Spur von Nachsaison.

 

Ein paar Ecken und Stufen später sind wir in der gewünschten Straße, beziehen ein Quartier im „Casa de l'Amore“, von dem der Fohrer-Reiseführer schreibt: „Kleine Pension mit sechs Zimmern in einem 600-jährigen venezianischen Palazzo. Die beiden netten Besitzer Elleni und George Alexandrakis haben viel Zeit, Geld und Liebe in die Instandsetzung des Hauses investiert – ein echtes Schmuckstück mit viel altem Charme. Zimmer gepflegt und geräumig, alle besitzen TV, Kühlschrank und Klimaanlage, z. T. Balkon. Dachterrasse mit fantastischem Blick“.

Geräumig ist unser Zimmer im ersten Stock allerdings nicht, es ist so klein, dass man vom Doppelbett aus bequem alles erreichen kann und nur einen schmalen Gang zum Bad hat, das auch schon bessere Zeiten gesehen hat. Das vorhandene Geschirr ist aus Platzgründen im Kühlschrank (hält länger frisch), brauchen wir eh nicht. Günstig ist das Zimmer, 35 Euro pro Nacht, und der Balkon ist einer der meistfotografierten von Chania weil die Gasse so malerisch und der Pensionsnamen so nett ist (einige Fotografierende werde mich zuhause auf ihren Fotos breitgrinsend oder Zunge-herausstreckend auf ihren Bildern finden ;-) )

Gegenüber befindet sich ein Mezedopolio, das gefällt uns schon wegen des Namens „Kalderimi“, da essen wir Tirosalata und Dakos, lecker und günstig, Trauben und Raki aufs Haus hinterher. Dann bummeln wir durch die Stadt, zuerst hinunter zum venezianischen Hafen. Das heißt, ich hinke, kann schlecht auftreten mit dem rechten Fuß weil das Knie wehtut, keine Ahnung was das ist. Ein Aspirin hilft ein wenig, außerdem Zähne zusammenbeißen und die große Tube Voltaren, die wir in einer Apotheke besorgen.

Den Hafen entlang, die schöne Kulisse, die aufdringlichen Kellner, die fliegenden Händler mit blinkenden Ramschspielzeug (alle das gleiche), Glasbodenboote bieten Ausflüge an, zwei Droschken warten auf Gäste, die Aquarellausstellung in der Hassan-Pascha-Moschee, unzählige Touristen auf der Platia Venizelou – wie es hier in der Hochsaison abgeht? Wir verziehen uns in eine Seitengasse hinter dem Arsenale, und befinden uns plötzlich, als wären wir in einer anderen Welt, unter lauter jungen Einheimischen, Studenten vermutlich, die zwei oder drei Cafés lautstark bevölkern. Kaffee können wir auch brauchen, Herumschlendern macht müde. Der Elliniko kommt hier auch, wie gewünscht, nur einfach daher, mit einem Glas Wasser natürlich.

Weiter geht es ohne Plan in die Hintergassen und  -höfe, verwinkelt, zum Teil vergammelt. Wir landen an einer Kirche, die innen renoviert wird, in einer Gasse, in der Kupferblechwaren und mit Kreta und Sprüchen verzierte Messer angeboten werden, an einem imponierenden Stadtmauerrest, schließlich an der Markthalle mit dem kreuzförmigen Grundriss. Das Warensortiment zielt verstärkt auf Touristen ab: Jeder zweite Stand bietet Souvenirs und kulinarische Mitbringsel wie Olivenöl, Kräuter, Raki, Wein. Dazwischen Stände mit Obst, Gemüse, ein zwei Metzger, ein Fischstand. Die Preise sind nicht wirklich niedrig, wir kaufen ein paar teure Feigen, haben dieses Mal unterwegs leider keine bekommen können.

 

Zum Einkaufen ist Chania wirklich toll, es gibt viele geschmackvolle Sachen in den Läden, Keramik, Schmuck, Glas, nicht billig, aber authentisch. Ich kaufe mir in verschiedenen Läden einige Musik-CDs, kann da einfach nicht widerstehen, erliege der Auswahl. Und der Buchladen Exantas an der Ecke Zambeliou-Moschon-Straße hat so tolle Bildbände und historische Fotografien, man könnte sein Geld loswerden - erst beim Einkauf, dann beim Übergepäck beim Rückflug.

Reichlich spät essen wir zu Abend, in der Odos Theotokopoulou im „Paradosiako“, empfohlen im Fohrer. Der extrem devote Kellner, der sich ständig für nichts bedankt, nervt allerdings. Das Bureki, ein Auflauf mit Käse und Gemüse, ist aber lecker. Noch eine kleine Runde zum nächtlichen Hafen, so ein schönes Ambiente. Gerne würde ich noch eines der Lokal aufsuchen wo Live-Musik und Tanz geboten wird, aber das Knie tobt nach dem Sitzen in der Taverne, macht jeden Schritt zur Tortur. So sinken wir wenig später ins Bett, können aber nicht schlafen weil gegenüber im „Kalderimi“ noch einige lautstarke Zecher sitzen - wir wünschen ihnen (vergeblich) einen gepflegten Regenguss!

Die Nacht war mäßig. Wir werden morgen nach Iraklion abreisen, denn wenn wir erst am Freitag fahren würden, müssten wir schon um 6 Uhr mit dem Bus fahren um rechtzeitig zum Rückflug in Iraklion zu sein. Muss nicht sein, so toll ist unsere Bude nicht. Heute haben wir noch den ganze Tag in Chania. Verwerfen den Gedanken, ein Mietauto zu nehmen und den Tag auf der Akrotiri-Halbinsel zu verbringen. Es gibt hier in der Stadt genug zu sehen.

Wir frühstücken im Café Manos, von der Pension keine 50 Meter, beim Byzantinischen Museum. So la la. Umwimmelt von Hunden, einer, ein netter Pudel-Mix, gehört zum Café, gehorcht ab und an seinem Herrchen. Ein niederläufiger Mischling ist der Chef vom Platz, ausgerechnet bei uns gefällt es ihm, trotz des Missfallens der Begleiterin. Zwei große Mischlinge dazu, lassen sich nicht nachhaltig vertreiben, knurren sich gelegentlich an, Revierkämpfe. Sind ja harmlos, friedlich, aber trotzdem, mag ja nicht jedeR Hunde beim Frühstück. Wir fliehen ins Byzantinische Museum, ein Mini-Museum mit ein paar sehr schönen Exponaten wenn man ein Faible für Ikonen und frühchristliche Arbeiten hat – wie wir.

Nach der Rückbestätigung unseres Fluges setzen wir die Museumstour fort und gehen ins Volkskunstmuseum in der Odos Chalidon, zu erreichen vom Hof der katholischen Kirche. Drei oder vier mit leicht angestaubten Exponaten angefüllte Räume, Alltagsgegenstände vergangener Zeiten, Puppen mit Kostümen. In einem Raum befindet sich eine kleine Nähwerkstatt und eine ältere Frau arbeitet in freier Maschinenstickerei an einem Wandbehang mit kretischen Alltagsszenen. Wir sind hin und weg von der liebe- und phantasievollen Gestaltung der Szenen und von der Fertigkeit der Künstlerin (ob sie sich als solche sieht?). Wie ein Wimmel-Bilderbuch gibt es unheimlich viel zu gucken auf dem beinahe fertiggestellten Textil. Die Frau, die da arbeitet, heißt Aspasia Bikaki, ist Jahrgang 1937 und stammt von Westkreta. Sie lässt sich von unserem Staunen nicht ablenken, möchte sich auch zunächst nicht fotografieren lassen, bis zwei weitere Besucherinnen (eine der Frauen ist Kostümbildnerin) erscheinen, die aus Istanbul kommen und wie wir auch hin und weg sind – nur lautstärker. Nun taut Kyria Bikaki etwas auf (wenn man schon apo tin poli kommt...), lässt Fotos zu (weitere Touristen fragen später nicht einmal), auf Englisch und Griechisch wird geradebrecht. Dann taucht sie wieder in ihre Stickereiwelt ab.

 

Wir kaufen uns später ein Buch über sie und ihre Arbeiten, „ΑσπασίαΜπικάκη/Aspasia Bikaki. Naive Kunst. Gestickte Bilder aus vergessenen Welten.“, zweisprachig in Griechisch und Deutsch, und Bildern fertiggestellter Arbeiten, die in Museen und Privatsammlungen hängen (der Wandbehang, an dem sie arbeitet, ist schon verkauft, so erzählt die nette Aufseherin des Museums). Ein paar abfotografierte Wandbilder daraus sind unten zu sehen. Jedes Bild widmet sich einem Thema, zum Beispiel „Die Vielfalt der Milchbearbeitung“, „Das Landleben“ oder „Das Korbflechten“. Auch „Die Schlacht um Kreta“ ist vertreten. (Um Missverständnissen vorzubeugen: Im Museum in Chania hängt keines der Bilder, sie sind nur in dem Buch abgebildet!) Einfach toll!

Wir reißen uns schließlich los, bummeln nochmals durch das Museum, würdigen Kücheneinrichtung, Aussteuer und Handwerkszeug. Stürzen uns danach ins ungebremste Einkaufsvergnügen, essen mäßig im „Avgo tou Kokkora“, dann rauf auf die vermüllte Schiavo-Bastion – Blick auf Chania. Der Himmel ist heute recht grau und zugezogen, es hat auch mal 5 Tropfen geregnet, das suboptimale Wetter bleibt uns treu. Mein Knie habe ich mit einer entzündungshemmenden Schmerztablette beruhigt, die wirkt besser als Aspirin.

 

Nach einem Päuschen in der Pension wollen wir noch zum westlich gelegenen Strand. Vorbei an einem Laden mit schönen Teppichen (das wäre doch mal ein Souvenir!) und dem Denkmal für die Opfer des Fährenunglücks vom 8. Dezember 1966 kommen wir zum Freibad. Ja, es ist das Freibad, ordentlich was los ist dort, Eltern holen ihre in Bademäntel gewandeten Kinder ab – freibadtypischer Lärm, unterbrochen von Pfiffen aus einer Trillerpfeife. Witzig, so ein Freibad direkt am Meer, ein potthässlicher Kasten übrigens, mit hohen Mauern und Tribünen, eine Betonschüssel quasi. Wahrscheinlich ist das Meer hier nicht (immer) so geeignet zum Schwimmenlernen.

 

An der nächsten Ecke eine außergewöhnlich Ikonostasi, ein Triptychon in hellblau und weiß. Dahinter der richtige Fischerhafen, hier liegen die kleine Kaikis der Fischer. Nicht so aufgeräumt wie am Yachthafen, aber dafür authentischer. Angler stehen an den Felsen, Enten und Gänse treiben sich dazwischen herum (Ich weiß immer noch nicht warum es an griechischen Hafenstränden so oft Gänse oder Enten gibt – gegessen werden sie wohl kaum, und Eier wollte ich aus dem Uferschmutz auch keine). Eine Taverne an der anderen säumt die Uferstraße, nicht so schnicke wie auf der Vorzeigeseite der Altstadt, dafür wir man aber nicht von Türstehern belästigt. Wir haben eh noch keinen Hunger, schlappen am dem großen Gänsegehege vorbei, da ist der Strand: Schöner Sand, gepflegt, mit blauer Flagge für Sauberkeit und Infrastruktur ausgezeichnet. Ein oder zwei Menschen sind im Wasser, aber es ist nicht so warm, das Wasser lockt uns nicht. Draußen liegt das Inselchen Lazaretta, man könnte fast hinüberschwimmen. Glasbodenboot kurven darum herum, es gibt Fahrten ab dem venezianischen Hafen (die Begleiterin hat nach der Gavdos-Fahrt noch keine rechte Lust auf eine Bootsfahrt). Noch weiter westlich zeichnen sich dunkel die Insel Agii Theodori und die Rodopou-Halbinsel ab. Wir schauen dem Strandleben ein wenig zu, bevor wir in die Pension zurückkehren, zum Sonnenuntergangs-Ouzo, nein: Raki, den wir auf der Dachterrasse einnehmen.

Der Weg zur abendlichen Taverne ist nicht weit, wir gehen ins „Kalderimi“ direkt gegenüber. Und wie wir da so sitzen, kommt eine Bekannte, S., aus dem benachbarten Hotel „El Greco“, frisch importiert aus D und den ganze Urlaub noch vor sich, die Glückliche. Kein Zufall, ich wusste dass sie heute ankommt, hab ihr auch eine Nachricht im Hotel hinterlassen, aber die hat sie noch gar nicht gesehen. Wir sitzen, essen und trinken noch ein wenig, dann machen wir eine Volta zum venezianische Hafen hinunter.

 

Da kommen wir gerade recht, vor dem Hassan Pascha Moschee ist nämlich die Aufzeichnung einer Fernsehsendung zugange: Kretische Gesänge und kretische Tänze! Ältere Herren in schwarzer Tracht, beige Hose. Tische aufgebaut mit Essen. Alles vor der malerische Kulisse des Hafens mit dem Leuchtturm im Hintergrund. Nur das gut beleuchtete Parkverbotsschild stört die traditionelle Optik etwas. Die Männer singen, einer ist der Vorsänger, die anderen der Chor. Alles ziemlich ernst, keine improvisierte Mantinade oder so. Hab ich noch nie gehört. Dann eine Tanzgruppe, junge Männer in blauer Tracht und weißen Stiefeln, junge Frauen in langen roten Röcken, schwarzem Bolero und hellem Kopftuch. Zuerst ein Chaniotikos (Klar, wenn nicht hier, wo dann?), dann ein schneller Malevisiotis. Der erste Tänzer in der Reihe improvisiert mit großen Sprüngen. Mich zuckt es in den Beinen, würde gerne mitmachen. Genieße aber wenigstens die Darbietung.

Ein schöner Ausklang unseres Kreta-Aufenthaltes!

 

Morgen fahren wir mit dem Bus nach Iraklion (Dauer dieses Mal fast 3 Stunden, über alle Käffer – auch Vrisses), mit einem Fahrkartenverkäufer, der das Essverbot im Bus in scharfem Ton einfordern wird als wir ein paar Gummibärchen essen. Wir werden uns während des Halts in Rethymnon heimlich ein paar Chips in den Mund schieben.

In Iraklion werden wir Quartier im Hotel „Kris“ beziehen, bei einer ausgesprochen freundliche Besitzerin und zum guten Preis von 50 Euro fürs Doppelzimmer. Dafür mit nahezu unendlichen Erweiterungsmöglichkeiten was die Sauberkeit betrifft. Wir werden im „H Aυλη του Δευκαλιωνα“ gewohnt lecker zu Abend essen. Und am Freitag nach dem Bougatza-Frühstück beim Morosini-Brunnen werden wir mit dem Taxi zum Flughafen fahren, uns dem gewohnten Chaos des Nikos-Katzantzakis-Airport stellen, Glück haben und schnell einchecken können.

Und wir werden wieder in die Heimat zurückfliegen.

Kreta werden wir in Zukunft mit anderen Augen sehen.

Und gerne wiederkommen – wenn die anderen, die kleineren Sehnsuchtsinseln es zulassen...

 

September/Oktober 2008