So richtig toll ist das Wetter am Dienstag leider nicht – immer noch wolkig und sehr sehr windig. Der Fährbetrieb sei immer noch eingeschränkt, sagt Gianfranco, unser Gastgeber vom „Il Gelso Vacanze“. Aber davon bekommt man in Malfa ja nichts mit, hier fährt keine Fähre vorbei. Es ist unser letzter Tag auf Salina, morgen soll es nach Vulcano weitergehen. Letzte Gelegenheit also für die Wanderung nach Leni um den Bergkegel des Monte dei Porri, Route 19 in Ammans Wanderführer. Dort ist ein Aufstieg von gut 150 Metern im Höhenprofil eingetragen, das schafft auch die Mutter. Auf Seite V im gleichen Buch steht bei den Aktualisierungen (gut versteckt) allerdings, dass das nicht stimmt – man muss oberhalb des Pizzo di Corvo queren, und damit gut hundert Meter höher als angegeben. Das war schon immer so, fällt also nicht wirklich unter Aktualisierungen, sondern unter schlampige Recherche (was man Ammans Führer leider öfters mal vorwerfen muss – im Gegensatz zum Schröder/MM, der dafür insgesamt wesentlich sparsamer ausgestattet ist und sich bei Wanderungen gleich ganz zurückhält.) Wie weit es also hinaufgeht wissen wir nicht wirklich, aber da das Wetter nicht heiß ist, und der Weg über weite Strecken im schattigen Wald verläuft, werden wir das schon schaffen. Wir lassen uns einfach Zeit.
Um elf Uhr fährt der Bus nach Pollara, zehn Minuten später hält der Bus – auf lauten Zuruf, der Busfahrer wollte zuerst nicht halten – am Semaforo. Das ist ein ehemaliges Marineinstitut in einem burgähnlichen Gebäude, inzwischen unbewohnt und vernachlässigt, und liegt auf 280 Metern über dem Meer. Ja, wirklich über dem Meer an der Steilküste. Und auch über Pollara, am Calderarand, zu dem die am ersten Tag befahrene Serpentinenstraße hinab führt. Ein Wegweiser „Leni – Pizzo del Corvo – Vallespina“ zeigt wo es lang geht, aber der Weg ist sowieso gut sichtbar: vom Semaforo auf dem Grat aufwärts und dann weiter oben rechts in den Wald, entlang des Kessels von Pollara. Von hier kann man auch auf den Monte dei Porri, der Abstieg von dort nach Leni soll aber ziemlich steil und gefährlich sein – das hatte ich schon, und ein Gipfel pro Insel reicht auch.
Wir marschieren los, die Anoraks an gegen einzelne Regentropfen und den Wind. Warm wird uns aber schnell. Links des Weges liegen die vielgepriesenen Kapernfelder – in gleichmäßigem Abstand wachsen niedrige Büsche aus der nackten, sandigen Erde. Auf was für knorrigen Stümpfen die schmalen Zweige mit den typischen runden Blättern sitzen können wir hier gut sehen.
Als unser Wege nach rechts vom Gipfelweg abzweigt verabschieden wir uns von den Kapern und befinden uns dafür in den unvermeidlichen Zistrosen, garniert mit reichlich Geißblatt. Der Weg geht nun weiter bergauf, aber nicht mehr so steil, eher wellig und über äolische Stufen. Endlich sehen wir auch Erdbeerbäume. Allerdings sind die erdbeerähnlichen Früchte noch ganz grün, die Blätter erinnern an Lorbeer.
Wir befinden uns nun über dem Ort Pollara, der wie am Boden einer riesigen Schüssel unter uns liegt. Wir bleiben am Rande, die Büsche gehen in niedrige, zerzauste Bäume über, dann in höhere, sichtversperrenden. Die Stufen entwickeln sich zu äolischen Felsenstufen der übleren Sorte – immer schön auf den Boden gucken und festen Stand suchen. Im grauen Wetter fühlen wir uns isoliert und jenseits von Zeit und Raum. Draußen im Meer schwebt Filicudi, nur noch ein Schema dahinter Alicudi.
Weiter bergauf – ja sind wir denn nicht bald am Kulminationspunkt?
Plötzlich eine Wegbiegung, die neue Perspektiven eröffnet – der Kessel von Pollara ist weg, die baumlosen Hänge liegen in freundlicherer Sonne, die Küste fällt rechts steil ab. Und der Weg geht wieder abwärts. So, das war also der „Höhepunkt“ dieser Tour. Irgendwie enttäuschend unspektakulär, aber wir sind froh, dass es nun endlich abwärts geht. Nicht lange allerdings sind wir froh…. Schnell ein Schluck Wasser aus der Trinkflasche, für eine Rast ist es hier zu windig.
Eleonorenfalken soll es hier geben, die Insekten in der Luft fangen. Hat der Deutsche am Sonntag erzählt. Wir sehen keine. Das Meer hat Schaumkronen, keine Fähre unterwegs. Aiolos, der Gott der Winde, zeigt warum die Inseln nach ihm heißen. Es zieht mächtig, kein Platz für eine Rast. Später, unten, beim Olivenbaum.
Und dann kommt der Abstieg zum Piano del Vescovo, über den wir uns nur ganz kurz freuen können: denn schnell wird der Weg sandig, lose und steil. Heftige Rutschgefahr! Wieder mal muss man höllisch auf den Weg aufpassen. Irgendwo im Internet habe ich gelesen, der Weg wird als „leicht“ eingestuft. Und stelle mir vor, ich mache hier eine nette Wanderung mit der Familie, Kindern. Was würde ich für Ängste ausstehen, dass sie ausrutschen und ohne Halt den steilen Hang hinab rutschen. Hab ich eine zu lebhafte Phantasie? Ich stelle mir, ich rutsche ab und entschwinde in der Tiefe, die Mutter bleibt zurück – weia, an sowas sollte man nicht mal denken! Muss ich aber trotzdem, und der Mutter geht es ähnlich. Vielleicht wären Wanderstöcke hier nützlich, wenn man mit ihnen umgehen kann… ich würde vermutlich noch drüber fallen.
Der Abstieg in engem, ausgewaschenem Zickzack über sich auflösenden Terrassen zieht sich, da unten ist irgendwo eine kleine Hütte, die kommt einfach nicht näher. Eine Gruppe Wanderer ist weit vor uns, so sehen wir wo wir hin müssen. Hört das denn nie auf? Den nächsten Urlaub mache ich im Flachen, Holland oder so. ;-) (Nein, Lipsi…)
Und die Mutter fühlt sich zum ersten Mal zu alt für diesen Scheiß. Wanderfreude? Fehlanzeige, nur Verkrampfung.
Wie lange wir gebraucht haben? Schwer zu sagen, ein Stunde ab dem kulminierenden Knick wird es gewesen sein. Im Schneckentempo. Das letzte Stück führt durch einen Olivenhain mit wunderbar knorrigen Bäumen, sicher der genannte Rastplatz. Nur sind alle Plätze belegt von einer laut- und kopfstarken französischen Wandergruppe fortgeschrittenen Alters. Die sind wohl vor uns da runter, und machen nun die verdiente Rast. Da bleibt uns nur ein mäßiges Plätzchen etwas weiter vorne am Wegrand für unsere Pause, die wir dringend brauchen. Sind wir froh dass wir das geschafft haben!
Ab hier geht es auf einer Höhe recht bequem. Die Franzosen brechen auf, wir müssen die Füße einziehen damit sie nicht drüber steigen müssen. Muss eine organisierte Tour sein, zwanzig Leute oder mehr. Dann wird es wieder ruhig, nur wir, die Olivenbäume und der Wind.
Als wir weitergehen stoßen wir nach wenigen Metern auf einen wunderbaren alleinstehenden Olivenbaum mit Blick auf Vulcano und das Meer – erst hier wäre der empfohlene Rastplatz gewesen. Na, scho z’spät. Beim nächsten Mal – das es sicher nicht gibt.
Die Hänge sind nicht mehr ganz so steil, früher waren sie alle terrassiert und dienten dem Anbau von Früchten und Getreide. Die Terrassenmauern sind noch gut erhalten und gepflegt, angebaut werden aber fast nur noch Oliven. Endlich macht die Wanderung den Spaß den wir uns vorgestellt haben: wunderbare Aussichten, leuchtendes Meer, blühender Ginster, Kapernbüsche, Olivenbäume.
Über uns thront der Monte dei Porri.
Der schmale Weg geht in eine etwas überdimensionierte, von einer schönen neuen Lavasteinmauer gesäumte Straße über, benutzt von Ape-Dreirädern – eines in der Stretch-Version steht hier gleich geparkt.
Bis an den Ortsrand von Leni sind es noch fünf Minuten, weitere fünf bringen uns in den Ort hinein in die Bar Chiofalo, die zum Glück geöffnet ist. Ahh, jetzt schmeckt ein Radler! Am Nachbartisch eine größere Gruppe über mehrere Generationen vom Kind bis zum Senior, amerikanisch- und italienischsprechend. Sie haben alle Pasta bestellt, die Küche ist beschäftigt, da dauert es bis wir uns zum Bezahlen in Erinnerung bringen können.
Um halb fünf fährt unser Bus nach Malfa, er kommt mit reichlich Verspätung und hat für uns nur noch Stehplätze obwohl es ein etwas größerer Bus ist als sonst – die französische Wandergruppe sitzt und steht schon darin. Im Stehen nach Malfa über die Serpentinen – da ist gut Festhalten angesagt. Immerhin kann mir so nicht schlecht werden weil ich die volle Aufmerksamkeit brauche um nicht umzufallen.
In Malfa ist es noch kühler geworden, wir frieren in unserem Quartier. Ziehen uns zum Abendessen warm an, und sitzen dann im „A’Lumeredda“ doch lieber hinein in der Gastraum – die schöne Terrasse ist heute verwaist. Da sind auch unsere Zimmernachbarn, das nette Paar aus Italiener und Asiate.
Ich bestelle – nach dem obligatorischen Kapernsalat – gefüllten Tintenfisch, die Mutter Gnocchi. Der Tintenfisch ist butterzart und mit einer undefinierbaren, aber sehr guten Füllung gestopft. Die Gnocchi kommen auch gut an. So könnten wir das Lokal auch nach dem dritten Besuch uneingeschränkt empfehlen wenn, ja wenn nicht eine der freundlichen Bedienungen danach (ziemlich saure) Mispeln und kleine Gebäckteilchen offeriert hätte. Die Mutter nimmt eine Mispel, ich ein Gebäckteilchen. Was wir als Zugabe des Hauses interpretieren. Und dennoch beim zweiten Durchgang anlehnen – war eher so la la. Dass dann hinterher auf der Rechnung zwei Euro für Dessert auftauchen mag zwar preiswert sein, hinterlässt aber doch irgendwie einen schlechten Nachgeschmack. Ich glaube, es wird Zeit dass wir die Lokation wechseln.
Das tun wir am nächsten Tag. Das Wetter ist etwas freundlicher geworden, aber immer noch windig. Gianfranco bringt uns um 11 Uhr zum Hafen nach Santa Marina. Die größeren Tragflügelboote würden fahren, sicherer wäre es aber mit dem Schiff. Dass wir nach Lipari wollen passt ihm überhaupt nicht – die Bewohner der Inseln Salina sind nicht gut auf die Liparesen zu sprechen und pflegen ihre Aversion und Unabhängigkeit (daher auch die drei eigenen Rathäuser). Den Ausdruck „Liparische Inseln“ wird man auf Salina eher nicht hören – die heißen natürlich „Isole Eolie“. Besänftigt ist er erst als wir versichern, dass wir nur einen Stopp-Over auf Lipari machen würden und am Abend weiter nach Vulcano wollen. Das ist genehmigt – puh, Glück gehabt! ;-) Gianfranco verbringt die Winter – wie viele Einwohner der Eolie – auf Sizilien, bei Milazzo. Was uns wiederum an Griechenland erinnert, wo es sich auf vielen Ägäisinseln ähnlich verhält.
Am Anleger von Santa Marina steht wieder das schöne Dreirad vom Korbflechter. Stammplatz.
Wir sind so früh dran, dass wir noch ein früheres Aliscafo erwischen, von USTICA lines. Kostet nach Lipari für zwei Personen 17,50 Euro. Die RoRo-Fähre „Bridge“ von N.G.I. legt auch gerade ab, auch ihr Ziel ist Lipari – auf diese Strecke gibt es zahllose Verbindungen.
Wenig später überholt unser Tragflügelflitzer das langsamere Schiff. Wegen des befürchteten Wellengangs habe ich einen Kaugummi gegen Reisekrankheit genommen. Schlecht wir mir dann auch nicht, aber das taube Gefühl in der Mundhöhle, das der Kaugummi verursacht, ist auch nicht angenehm. Zum Glück ist der Wellengang eh nicht so schlimm, nur die Luft im Passagierraum ist muffig.
Nach einer halben Stunde Fahrt laufen wir im Hafen von Lipari ein.