Der Himmel ist heute grau und zugezogen. Trotzdem (oder gerade deshalb) ist es schwül-warm. Wir packen die Schirme ein und brechen um zehn Uhr auf, zunächst in den Ort um uns beim Bäcker noch Proviant zu holen. Im Garten des Haus neben dem Bäcker sind unsere Steinklopfer von gestern zugange: das Grünzeug wird entfernt, Steine werden in Scheiben gesägt und geklopft - offensichtlich sind hier größere Umgestaltungsarbeiten im Gange. Da werden wir wieder nachgucken wie es vorangeht.
Dann wandern wir nach Osten durch den langgestreckten Ort. Schmucke Häuser wechseln sich mit Ruinen ab. An manchen wird gearbeitet, an manchen hängen Maikränze. Man liebt Blumen. Und die Gänse haben sogar eine Toilette....
Als außerhalb des Ortes eine Straße nach links abbiegt, nehmen wir die, denn wir wollen ja hinauf auf den Sattel, und das muss hier irgendwo abgehen. Die Straße läuft aber parallel zum Ort zu weit zurück nach Westen und so müssen wir wieder ein Stück zurück und probieren einen passablen Feldweg, der nach oben abzweigt.
Nach einigen Metern erreichen wir eine hübsche Kirche mit Aussicht, Agios Giorgios. Hier macht die Piste einen Knick ins Inselinnere, und eigentlich müsste sie auf die Straße führen.
Tut sie aber nicht. Die Piste ist nämlich schon die Straße wie wir jetzt merken, und wenn hier ein normales Taxi fährt, dann fresse ich 'nen Besen. (Wir wissen ja immer noch nicht, dass die richtige Straße entlang der Küste führt.) In einer weiten Serpentine führt der Weg aus dem lichten Wald hinaus durch ein Tal und dann entlang des Hanges nach Osten. Dabei geht es allmählich ganz gut aufwärts. Weiter oben zieht sich die Straße nach einer Haarnadelkurve dann nach links. Sollen wir in der Falllinie abkürzen? Die Mutter ist dagegen, und die Straße ist auch so steil genug. Der Wald ist inzwischen Phrygana gewichen, Zistrosen wachsen am Wegrand.
Die Aussicht ist heute dunstig-grau beschränkt - schade. Nebelkrähen verstärken die unmediterrane Stimmung noch. Aber man sieht gut nach Kalamos-Ort hinunter, den Hafen und rechts davon den Hügel, wo unser Domizil steht. Und nach Kastos hinüber. Links neben uns ragt grün der Gipfel des Vouno empor. Ob es dort einen Weg hinauf gibt?
Keine Menschenseele ist unterwegs Ich dränge aufwärts, es kann nicht mehr weit sein bis zum Pass, spaßig "Col de Kalamos" genannt. Die Mutter bleibt zurück, ich warte bis sie aufschließt. Sie ist sauer, unkt von "ihrer letzten Wanderung in Griechenland" (da weiß sie noch nicht, dass sie im Herbst doch wieder mitkommen wird :-) ), aber ich hatte sie gewarnt: es gehe auf mehr als 300 Meter hinauf, und zwar knackig. Sie hatte die Piste doch gesehen....
Violette Blümchen wachsen aus der steinigen Piste, die Sonne sticht wenn sie gelegentlich herauskommt.
Nach knapp zwei Stunden Wanderzeit erreichen wir den Pass auf dem Sattel. Dort steht eine unscheinbare und hässliche kleine Betonkapelle (Agia Paraskevi) mit filigranem Glockentürmchen und einem Wassertank. Und die Piste endet.
Spätestens jetzt merken wir, dass das hier nicht die Straße nach Episkopi ist. Blitzmerker, die wir sind. Aber einen Fußweg hinab nach Episkopi gibt es doch?
Mhh, vielleicht. Aber der ist dann erstens völlig zugewachsen, und zweitens steil. Sehr steil. Und ein Einstieg ist auch nicht zu finden. Man sieht wegen der Vegetation nicht gut zur Nordküste hinab, ich muss über ein zugewachsenen und steiniges Plateau bis an dessen Rand, um nach Episkopi blicken zu können. Nein, da gehen wir nicht hinab. Denn wenn wir da den Weg suchen müssen, von dem wir nicht wissen, ob er überhaupt vorhanden ist, und das alles unter dem Zeitdruck, in nicht mal zwei Stunden die Fähre dort erreichen zu müssen, dann wird das sehr unentspannt. Das will ich mir und erst recht der Mutter nicht zumuten.
Lieber lassen wir uns Zeit, und gehen den gleichen Weg wieder zurück. Erst rasten aber mal gemütlich vor der Kapelle. Wobei: gemütlich ist nicht der richtige Ausdruck. Wenn man die Piste nur zur Errichtung und zum Unterhalt der Kapelle gebaut hat, warum hat man dann nicht wenigstens noch eine Bank oder so hingestellt? Wahrscheinlich, weil kein denkender Grieche per pedes zum Picknicken hierher kommen würde...
Die Kapelle Agia Paraskevi ist geöffnet, und eines der nüchternsten und kahlsten Gotteshäuser das ich in Griechenland je gesehen habe. Passt insofern zu dieser ernüchternden Wanderung. Die Ikone leuchtet aber golden. Immerhin. Und nun fängt es sogar noch an zu regen, zum Glück nur wenige Tropfen.
Kalamos ist eine blöde Insel, fluche ich.
Dann kreisen über uns zwei sehr große Greifvögel, attackiert von den Nebelkrähen. Gibt es hier Adler? Die Tiere entziehen sich leider meinem Fotoapparat (und den Krähen) durch schnelles Aufsteigen.
Bevor wir uns auf den Rückweg machen, schaue ich nochmal nach Episkopi und Mytikas hinab. Die Berge hinter der schmale Meerenge - das hat schon was. Schade, dass die Sicht Richtung Meganisi und Lefkada vom Vouno versperrt wird.
So mühsam wir die Höhe erklommen haben, so zügig verlieren wir sie auf dem Rückweg wieder. Das haben wir uns anderes vorgestellt, aber ich wäre auch auf den Col de Kalamos gestiegen wenn ich gewusst hätte, dass dort Endstation ist - ich mag einfach hohe Aussichtspunkte. Die Mutter sieht das eher anders, aber jetzt ist es nun mal so. Statt einen Gipfel-SMS gab es dann übrigens eine Pass-SMS Richtung Köln.
Bis zur Georgskapelle brauchen wir abwärts eine Dreiviertelstunde - die lose Oberfläche der Piste lässt einen leicht ins Rutschen kommen. Also sind kleine Schritte angemessen.
Vergebliche Schlüsselsuche an der Kapelle. Der schlanke Glockenturm aus Naturstein ist hübsch. Die Glocke hängt aber seitlich, und nicht oben im dafür vorgesehenen Fenster. Das haben wir hier schon öfters gesehen.
Müde wie wir sind, zieht sich der Weg durch das Dorf in die Länge. An einem Haus entdecken wir das Straßenschild "Odos Episkopis", und als ich später auf online bin und auf marinetraffic nach dem Schiffsverkehr gucken möchte, knallt mir auf der Luftbildkarte die Straße nach Episkopi entgegen - entlang der Ostküste.
Gut, der Weg ist das Ziel. Und wenn wir Lust haben, können wir ja morgen dorthin wandern.
Am Hafen im Il-Panino-Café mit den drei runden Frauen gönnen wir uns einen Joghurt mit Früchten und ein Eis zur Entschädigung.Mein Groll über die Insel ist verflogen - es ist nett hier. Auch bei grauem Himmel.
Und dann kommt die Fähre, die "Chania I", und wir haben einen Logenplatz beim Entladekino. Obst, Gemüse, Pappschachteln, Mehlsäcke - gemeinsam werden die Waren auf Pickups und Golfkarren verladen. Was beim ersten Mal nicht draufpasst, kann warten - hier kommt nichts weg.
Und ich nutze die Gelegenheit und frage den freundlichen jungen Kapitän der Fähre, ob es möglich wäre, morgen Mittag mit dem Schiff nach Mytikas zu fahren, und weiter nach Kastos. Er verneint - das wäre eine reine Überführungsfahrt, und da wären laut Hafenpolizei (in Mytikas, denn hier habe ich keine gesehen) keine Passagiere erlaubt. Krima.
Ich könnte morgens nach Mytikas fahren , und dann am Mittag nach Kastos, aber das weiß ich schon, und das war ja eben nicht das was ich wollte. Mhh, ich fürchte, ich muss Kastos abschreiben. Oder doch mit dem Seataxi? Was das wohl kostet?
Jetzt faulenzen wir lieber noch in der Hafenatmosphäre. Segler kommen und werden von George eingewiesen, die verbliebenen Warenpakte werden peu à peu abgeholt.
Und Wlan gibt es hier auch, was mir nun die Augen wegen der Straße nach Episkopi öffnet. Ob wir die nun morgen wandern sollen? Kilometerlang Asphalt, und im Wald ohne Ausblick? Klingt nicht sehr verlockend.
Kaum ist die Fähre wieder weg (mit Verspätung - da wird sie es kaum um 15 Uhr ab Mytikas nach Kastos schaffen), kommt ein andere Boot. Es ist ein Ausflugschiff von Lefkada namens "Nikolaos" auf Inseltour: Meganisi, Porto Katsiki (Lefkada), Skorpios, Kastos, Kalamos. Da schlurfen zahlreiche kurzbehoste Menschen von Bord, fallen in die erste Café-Bar, und interessieren sich nicht wirklich für die Insel. Aber die waren auf Kastos, was vorübergehend meinen Neid erregt. Mich aber andererseits darin bestätigen, dass diese Art des Inselhoppen per Ausflugsschiff wirklich nur dem Abhaken von Inseln dient (das Schiff ist schon nach einer halben Stunde wieder weg), nicht dem Erfahren. Und das ist nicht unsere Welt.
So verkrümeln wir uns lieber wieder und gehen zurück in unserer Unterkunft. Dort faulenzen wir weiter, und ich mache noch meinen obligatorischen Badeausflug zur Windmühle.
Ab Abend stellt sich das Essensproblem. Ich hab keine Lust auf Berge gegrillten Fleisches, und so müssen wir eben zu "George". Da ist heute viel los - der Hafen liegt voller Segelboote, eine englische Flottille ist auch dabei. Massentourismus auf Kalamos? Na, es ist alles relativ.
Wir bestellen Briam und Spaghetti, und beides ist nicht zu beanstanden (Verbrennungsgefahr besteht erneut nicht). Unsere Zimmernachbarn lassen ihr Baby begutachten und hätscheln - Kinder kommen immer gut in Griechenland.
Im Dunkeln machen wir uns auf den Weg Richtung Quartier. Es huscht überall auf und neben dem Weg. Mit dem iPhone sorge ich für Licht, und wir erkennen, dass es sich um kleine Frösche oder Kröten handelt, die hier überall herumhopsen. Amphibien - damit haben wir nicht gerechnet. Wo die nun hinwollen? Hier sind ja keine Feuchtgebiete, und das Meer ist sicher auch nicht das richtige. Wir müssen aufpassen, dass wir auf kein Krötlein treten.
Tierisch geht es in der Nacht weiter. Zunächst sind da die Schnaken, und irgendwann bringen die auch noch ihre Laternen mit.... sprich: wir haben ein Glühwürmchen auf dem Zimmer, das still vor sich hinmorst. Da es nicht beißt, darf es bleiben. Die Viecher sind eh so klein, dass man sie bei Tag kaum ausmachen kann.
Und unser Urlaub geht zügig dem Ende entgegen. Morgen ist der letzte Tag auf Kalamos. Ob ich noch nach Kastos komme?