Um zehn Uhr am Mittwoch sind wir mit Izzet von Rhodos City Car Rental am Taxistand vor dem Athanasios-Tor verabredet. Er wird uns einen weißen Fiat Panda mit 30.000 Kilometern bringen, den wir für fünf Tage und 20 Euro am Tag mieten werden. Geht alles unkompliziert, er möchte nur unsere Führerscheine sehen. Barbara wird als zweite Fahrerin eingetragen, bezahlen werden wir bei der Rückgabe. Das Auto sollen wir nachts entlang der Ausfahrtstraße beim Periptero gegenüber abstellen, nicht in der Straße an der Kirche. Und wir sollen bitte ein Parkticket kaufen, wenn wir Lindos besuchen. Was unser Ziel heute ist.
Es hat am Morgen wieder geregnet, und die Wolken haben die Sonne verdrängt. Sollten die Prognosen stimmen, dann werden sie heute und morgen dominieren, aber dann wird es wieder schön.
Wir suchen unseren Weg durch die Neustadt zur Ostküste, gelangen auf die Schnellstraße und lassen Lidl und Co. sowie Kallithea und Faliraki schnell hinter uns. Es hat kaum Verkehr, Hindernis sind aber die zahlreichen Geschwindigkeitsbeschränkungen, die von den anderen Verkehrsteilnehmern stärker ignoriert werden als von uns. Die Fahrweise der Einheimischen ist oft gewöhnungsbedürftig, da schwankend. Am besten reichlich Abstand halten. Irgendwo betanken wir das Auto für 60 Euro. Sollte auch bei Benzinpreisen um zwei Euro pro Liter ein Stück weit reichen.
Bald ragt links von uns der Felsenkegel mit Kloster Tsambika in die Höhe. Das heben wir uns für den Nachmittag auf und steuern jetzt den großen, aber leeren Parkplatz des unteren Tsambika-Klosters an.
Meist wird nur das Kloster auf dem Berg erwähnt wenn es um Tsambika geht, aber offenbar sind die 300 Stufen bis hinauf den Wunschmüttern nicht mehr zuzumuten, und so hat man der Ikone der Panagia Tsambika (mit der üblichen Geschichte von Angeschwemmt am Strand und Beharren auf den Standort auf dem Berg) um 1886 unten ein weiteres Gotteshaus erbaut und die Ikone dorthin verlegt. Zumal oben auch Platzprobleme dazu kommen, wie wir später noch sehen werden. Beim Panigyri am 8. September strömen nämlich die Menschenmassen.
Diese Muttergottes ist für unerfüllte Kinderwünsche zuständig. Ob die Frauen früher auf Knien hinauf rutschten, wie ein Reiseführer schreibt, oder ob die Stufen an sich schon Mühe genug waren, sei dahingestellt. Oft übernachteten die Frauen auch im Kloster, und wurden dann schwanger. Wer auch immer da nachhalf.... Wurde oder wird dann innerhalb eines Jahres das gewünschte Kind geboren, so bekommt es traditionell den Namen Tsambika oder Tsambikos. Ein auf Rhodos (und nur dort) weiterverbreiteter Name, aber die Frauen mit Kinderwunsch kommen auch von weiter her. Den Pflichtname kann auch eine großzügige Spende ans Kloster ersetzen. Ob sich auch mal Männer für den ausbleibenden Nachwuchs zuständig sehen, und nach Pilgerschaft von der Panagia erhört werden, ist mir nicht bekannt.
Eine gepflegte Klosteranlage empfängt uns. Die Kirche ist geöffnet und prächtig ausgeschmückt. Wir bewundern Ikone und Tamata, während eine Frau kommt und Kerzen anzündet. Sonst sind wir alleine. Das benachbarte kirchliche Museum ist mittwochs und damit heute geschlossen, der Klosterladen ist aber geöffnet. Es gibt aber in ersten Linie religiöse Andenken, und kaum Eigenproduktionen. Ist das Kloster überhaupt noch bewohnt? Wir sehen weder Mönche noch Nonnen.
Weiter geht es vorbei an Archangelos nach Lindos, das wir schon von der Ferne unter der Akropolis liegen sehen. Weil unser Autoverleiher uns eingeschärft hat, unbedingt ein Parkticket zu ziehen, verlassen wir den ersten Parkplatz links vor dem Ort wieder, weil der Automat defekt ist, und es uns außerdem am passendem Kleingeld mangelt. Am südlichen Parkplatz haben wir mehr Glück: wir können keinen Parkautomat entdecken und stellen das Auto eben ohne ab. Wird jetzt im Januar hoffentlich niemand kontrollieren.
Es ist viele Jahre her, dass ich in Lindos war. Schon damals schoben sich die Menschenmassen durch die Gassen, war das marktschreierische Angebot zum Davonlaufen. Was sich nach allem, was frau so hört, noch verstärkt hat. Lindos ist einfach das Must-See auf Rhodos, und natürlich werden auch hier die Kreuzfahrttouristen busweise angekarrt.
Nichts davon jetzt.
Zu Fuß gehen wir durch die noch pfützenbedeckten Gassen des vielgepriesenen Lindos. Und es ist wie in der Altstadt von Rhodos: alles ist zu. Läden, Tavernen, Cafés, Kirchen - einfach alles. Wir hoffen, dass wenigstens die Akropolis wie auf offiziellen Internetseiten genannt, auch tatsächlich geöffnet hat, und streben dem Burgberg zu. Entdecken dann immerhin eine Crêperie, die offen hat. Mh, nicht was uns vorschwebt, aber noch sind wir ja auch nicht hungrig.
Hinweisschilder, die zum Wasserkauf einladen oder die Preise für das Eselstaxi hinauf auf den Burgberg verdeutlichen, wirken in der winterlichen Leere absurd. Wir genießen sie, und kommen schweißtropfenfrei die paar Stufen bis zum Eingang der Akropolis hinauf. Die Frau im Tickethäuschen freut sich über Abwechslung und Kundschaft und verkauft mir ein Ticket für sechs Euro, während die Cousine mit ihrem ICOM-Ausweis mal wieder gratis reinkommt.
Sieht so aus, als wären wir die einzigen Besucher.
An dem antiken Relief einer Triere vorbei erklimmen wir die lange Treppe zur Festung, die ab 650 nach Christus auf der Akropolis erbaut wurde. Und dann schlendern wir in aller Ruhe über die verschiedenen Ebenen der Oberstadt, haben tolle Blicke auf die Unterstadt, die südliche angrenzenden Agios-Pavlos-Bucht und die nördlich liegende Lindos-Bucht. Barbara liefert die Texte aus dem Reiseführer, und so verstehen wir peu à peu was wir sehen. Der Südwind bläst uns dabei ordentlich durch, sorgt aber auch für wunderbare Wolkenstimmungen. Und dann ist da tatsächlich noch ein Besucher, ein Asiate. Fast schon fühlen wir uns wie Verschwörer. Alles richtig gemacht.
Weit über eine Stunde lassen wir uns Zeit für den Besuch. Wieder zurück in der Unterstadt ist gerade Schulschluss in der nahe des Treppenabgangs gelegenen Grundschule. Eltern und Kinder sorgen für Belebung und demonstrieren, dass Lindos trotz des gegenteiligen Eindrucks durchaus bewohnt ist.
Und wir staunen über blühende Bougainvillea, Reihen von Blumenkübel , und die hübschen, oft alten Kapellen. Dass sie alle verschlossen sind, ist vielleicht der einzige Wermutstropfen des Winterbesuches.
Auch an der Platia Eleftherias nördlich der Altstadt werden wir auf der Suche nach einer geöffneten Taverne nicht fündig. Finden aber die auf den Regelbrettern dösenden, fetten Katzen originell, und die Weihnachtskrippe, hier im Standardmodell, das wir schon von Symi und Kreta kennen.
Zum Essen müssen wir aber außerhalb der Stadt suchen, denn auch die südlichen Gassen nahe des antiken Theaters zeigen sich kulinarisch verschlossen.
An der Kreuzung am Ortseingang hatte ich ein Lokal gesehen, das auch geöffnet und besucht ist. Aber zu Essen gäbe es hier nichts, nur Getränke. Wo wir denn eventuell fündig werden könnten? In Lardos oder Archangelos.
Wir entscheiden uns für ersteres, fahren nach einer Stippvisite an der Agios-Pavlos-Bucht auf der Küstenstraße gen Südwesten, durch die Geisterstädte des touristischen Pefki und Lardos. Es ist hier nicht so hässlich wie an den Ausläufern von Rhodos-Stadt, da weitläufiger, neuer und gediegener mit viel Glas und Metall. Aber wäre dennoch nicht der Ort, an dem ich urlauben wollte. Geöffnete Gastronomie natürlich Fehlanzeige, und so biegen wir ab ins Inselinnere, zum "echten" Ort Lardos. Mit 1.300 Einwohner ist es auch im Winter ein belebtes Städtchen, in dem wir das Restaurant "Savvas" entdecken. In einer Heißtheke werden hier ein Dutzend frisch zubereitete Speisen offeriert, von denen uns der Spanakorizo, die Chorta und die Lachanodolmades besonders ins Auge stechen. Solide Qualität zum guten Preis und ohne lange Warterei - muss man sich merken. Die Einheimischen wissen das natürlich längst, denn das Lokal füllt sich.
Es ist dann drei Uhr vorbei, als wir uns wieder an die Rückfahrt machen. Über Pylona erreichen wir wieder die Schnellstraße gen Norden, die wir zehn Kilometer nördlich für einen Abstecher nach Charaki verlassen. Ich hatte Fotos von dem hübschen Ort, der unterhalb einer Festung am Meer liegt, gesehen und will mir mal das Original ansehen. Die frühere Fischersiedlung wird nun gerne als "Fischerdorf" verkauft, aber natürlich werden auch hier inzwischen vor allem Touristen gefischt. Im Vergleich zu den überdimensionierten Hotels, die Rhodos überziehen, sind die dreigeschossigen, weißen Häuser hier überschaubar. Und es sind trotz der winterlichen Anmutung mit Wellen und Wolken sogar ein paar Leute am Strand unterwegs. Könnte mir gefallen.
Unser letztes Tagesziel ist dann das obere Kloster Tsambika. Wir müssen uns sputen, denn es ist schon vier Uhr vorbei, und die Sonne geht so weit im Osten Griechenlands im Januar schon kurz nach fünf Uhr unter.
Praktischerweise kann man sich dem Bergkegel ein gutes Stück im Auto nähern, die Straße endet an einer bretterbudenartigen Taverne (natürlich zu) gegenüber der Kapelle des heiligen Charalambos.
Hier beginnt der 300 Stufen lange Treppenweg (die Stufen sind nummeriert), den wir in einer Viertelstunde bewältigen. Auch wenn er im Schatten von Bäumen liegt, wird einem im Sommer bei der "Besteigung" sicherlich ordentlich warm. Aber was tut man nicht alles für Nachwuchs.
Auf dem Gipfel empfängt uns eine Plattform, die in einer halboffenen Kapelle mündet. Der Zugangsbereich mit standesgemäßem Hochlaki-Fußboden ist mit einem hohen Schutzdach überbaut. Dahinter geht es rechts türlos unter einem Bogen in die eigentliche Kapelle. Die Hauptikone, eine Kopie der echten im unteren Kloster, ist mit einer Kette von Tamata behängt, darunter sitzt eine Reihe von Votivgaben: nackte Babypuppen aus Wachs. Das hat eine durchaus gruslige Anmutung.
Weder die Cousine noch ich haben einen unerfüllten Kinderwunsch, und weil man nie weiß wann und wo Wunder geschehen, zünden wir lieber keine Kerzen an. Anders als zwei Frauen, die hinter uns der Berg erklommen haben.
An einem Baum neben dem Gebäude entdecke ich eine Sammlung von Haargummis. Das Gleiche haben ich auf Limnos an der Kapelle der Panagia Kakaviotissa gesehen. Offenbar auch eine Art Votivgabe?
Die Aussicht nach Süden über den immerhin unverbauten Tsambika-Strand lässt allenfalls erahnen, was hier im Sommer los sein wird. Anders auf der Nordseite, wo der Strandort Kolymbia bis ans Ufer herangerückt ist. Die tiefstehende Sonne und die Wolken sorgen für eine beeindruckende, ja wilde Stimmung, die griechische Flagge knattert im Wind. Nicht schlecht, dieses Rhodos im Winter.
Es ist schon dunkel, als wir den Wagen am Athanasios-Tor abstellen. 118 Kilometer sind wir gefahren.
Am Abend nehmen wir einen neuen Anlauf aufs "Drosoulites", und haben heute Glück. Das Lokal überrascht mit einer Speisekarte nur auf Griechisch, und kretischen Spezialitäten. Wir wählen Dakos, Tirosalata, Keftedakia und Chaniotikos, Huhn mit Pilzen in einer Senf-Käsecreme. Dazu eine Flasche kretischen Retsinas. Aus den Lautsprechern klingt kretische Musik. Gefällt mir. Als Zugabe vom Haus gibt es Diples, mit Nüssen und Honig bestreute frische Waffeln. Das Essen überzeugt uns, und auch das Ambiente unter einer riesigen Destille. Wir werden wiederkommen, am besten am Freitag, wenn es auch Live-Musik gibt. Kretische oder Nissiotika, erzählt der Kellner. Das würde mir gefallen.
Morgen geht es aber erst mal an die Westküste.