Zu Fuß

Am Freitagmorgen haben wir dann tatsächlich auch blauen Himmel und Sonnenschein. Es ist nicht besonders warm, aber unsere Stimmung steigt. Wir werden heute eine erste Wanderung unternehmen, ganz gemütlich. Um Viertel vor zehn sind wir unterwegs, auf der Uferstraße nach Osten, nach Mandraki. Für eine autofreie Insel werden wir von überraschend vielen Autos passiert. Also keine Privatwagen - die gibt es hier wirklich kaum, aber zwei, drei Kleinlastwagen passieren uns, und die Müllabfuhr. Oberhalb von Mandraki ist ja die örtliche Müllkippe, was der Straße ihre Daseinsberechtigung gibt. Nach zwanzig Minuten sind wir in der erste kleinen Bucht mit der turmartig an der Hang gebauten Kapelle des heiligen Onoufrios. Das Meer schlägt darunter ans Ufer, es ist doch etwas windig, und der Wind ist kühl. Noch ein paar Schritte und wir erreichen Mandraki. Das ist kein Ort, sondern nur eine Bucht mit Hotel, Strand und Taverne und offiziellen acht Bewohnern. Von den 2.090 Einwohner Hydras, die 2021 gezählt wurden, lebten nur 82 nicht im Hauptort: die meisten (32) in Vlychós, und 13 in fünf Klöstern. Die Zahl der 15 Menschen auf der Insel Dokos ist mit Vorsicht zu betrachten: ganzjährig wohnt dort wohl niemand. Keine Insel zum Sammeln.

 

Am kleinen Kiesstrand vorne stehen gedrängt liegenlose Sonnenschirme. Einfach zu erreichende Strände sind auf Hydra rar, da muss man zusammenrücken. Besser haben es die Bewohner der Fünf-Sterne-Hotels "Mandraki Beach Resort" mit Suiten und Privatpools hinter einem Streifen Sandstrand. Sieht zwar aus der Ferne etwas barackenmäßig aus, aber das täuscht bestimmt. Die großen Pontontanks vor der Mauern sind aber auch nicht so schön. Bilden sie dann eine schwimmende Inseln für die Hotelgäste?

Wir bleiben auf der Straße, die sich nun bergauf schlängelt. Der Straßenrand ist aufgegraben, hier werden offenbar die schwarzen Rohre verlegt, die wir immer wieder herumliegen sehen. Zur Meerwasserentsalzungsanlage der Insel, die hinter dem Hotel liegt, führen sie aber nicht. Zwei Kurven später erkennen wir des Rätsels Lösung: wo früher die Müllkippe war, gibt es jetzt eine große Baustelle. Barbara erkennt in den Betonbauteilen den Zweck: eine Kläranlage. 14 Millionen Euro hat man für die notwendigen Arbeiten zur Verfügung gestellt, werde ich nachlesen. Sicher eine sinnvolle Investition, auch wenn Hydra keine reine Badeinsel ist. Die Baustelle hat die Müllkippe nach Norden gedrängt, und auch hier hat man offensichtlich investiert und verbuddelt jetzt besser, denn die vom Winde verwehten Plastikfetzen, die der umgebenden Landschaft vor zehn Jahren noch den Anschein einer Blütelandschaft verliehen, sind weniger geworden. Es gibt auch positive Entwicklungen in Griechenland, wenn genug Wille und Geld da sind.

 

Echte Blüten wachsen dagegen an einem Baum in der Kurve. Apfelblüten? Ich kann es nicht sagen, aber es ist ein hübsches Fotomotiv.

Im Nordosten nähert sich das Drei-Insel-Schiff "Platytera ton ouranon" langsam. Ist es nicht etwas spät dran? Bis wir wieder in Hydra sind, haben die Gäste ihren Kurzbesuch bestimmt schon beendet.

Wir durchqueren die durchaus betriebsame Baustelle, denn die Piste führt dahinter weiter bergwärts bis wir den Querweg von Kloster Zourvas nach Hydra-Stadt erreichen. Darauf kommt uns ein Reiter entgegen, der ein hübsches zweites Pferd am Zügel führt. Er passiert uns grüßend. Die Tiere müssen auch im Winter bewegt werden. Im Grün auf dem Boden blühen blassviolette Kronen-Anemonen.

Nach Zournas ist es uns natürlich zu weit (wir müssten ja auch wieder zurück), wir wollen rechts zurück in die Stadt. Aber die paar Meter zum Kloster Agios Nikolaos gehen wir schon noch.

 

Kloster Agios Nikolaos soll drei Bewohner haben. Oder Bewohnerinnen. Aber die Türe ist verschlossen, bestimmt sind sie im Winter lieber in der Stadt oder auf dem Festland. Denn hier zieht ordentlich der Wind, wie ein Flaggen-Trio vor dem Gotteshaus zeigt. Das goldgrundige Mosaik über der Pforte zeigt die Muttergottes vom Zeichen (=Platytera ton Ouranon), die Darstellung scheint auf den argosaronischen Inseln populär zu sein.

 

Kurz rasten wir auf der Treppe, aber der Boden ist kalt. Dafür ist der Blick schön: Gegenüber auf den Anhöhen der Peloponnes reiht sich Windrad an Windrad. Näher geht er hinauf zum Berg Maliés mit dem Kloster der Agia Matrona davor und etwas weiter unten zu dem von Agia Triada. Das ist auch unsere Richtung, und wir gehen nun auf einer Piste auf gleichbleibender Höhe dorthin. Werden unterwegs von einer Gruppe Wanderer mit Hund eingeholt. Griechen tatsächlich, und sie sind vom Kloster Zourvas gekommen. Respekt! Wir lassen sie ziehen, und scheitern wenig später beim Besichtigungsversuch von Agia Triada ebenfalls. Das weitläufig Gelände ist eingezäunt, frau käme vielleicht irgendwo über den Draht, neugierig wie sie ist. Aber ich lasse das. Auch wenn die vorgefallenen Bandscheiben sich wieder etwas beruhigt haben und die Wandertätigkeit mögen: Asymmetrische Bewegung steigender Art mögen sie nicht besonders. Und ich will nichts riskieren. Bin ja froh, dass der rechte Fuß den Fehltritt auf Aegina inzwischen verziehen hat.

Hydra war bis zum Unabhängigkeitskrieg im 19. Jahrhundert übrigens bewaldet. Weite Teile der Insel wurden dann zum Bau der Kriegsschiffflotte abgeholzt. Inzwischen hat man wieder etwas aufgeforstet, und wenn nicht irgendwelche kazachischen Oligar(s)chendeppen auf Superyachten wie im Juni 2024 Feuerwerke anzünden und Waldreste in Brand setzen, dann wird Hydra wieder grüner. Eine vollständige Aufforstung ist nicht zu erwarten (oder befürchten? Ich mag ja keine sichtverstellenden Wälder) - dazu ist die Verkarstung schon zu weit fortgeschritten.

 

Weil das Kloster der Agia Matrona bestimmt auch verschlossen ist (eh keine Bewohner laut Census 2021), sparen wir uns den Aufstiegabstecher und nehmen von Sattel den direkten Fußweg nach Hydra, und nicht den nördlichen über Agios Ioannis, den Theo damals ob der schlechten Wegbeschaffenheit so intensiv verflucht hat. Vor dem Windmühlenrest mit dem Parkverbot geht der Weg ab, wird kurz schlecht ehe er wieder zum guten Treppenweg wird. Die ersten Häuser von Hydra sind nun auch schon zu sehen, und bald liegt das ganze Becken unter uns.

 

Es gibt übriges auch auf Hydra inzwischen viereinhalb ausgeschilderte Wanderwege Hydra Trails, von denen einer auf Dokos liegt. Unsere heutige Wanderroute haben wir aber selbst daraus zusammengestellt: etwas Nr. 4, etwas Nr. 3, und lieber Pisten als schmale Wege. Morgen darf es dann schwieriger werden, wenn die heutige Runde gut verdaut wird und das Wetter mitmacht.

 

Sich der Stadt von oben zu nähern hat was. Der große Gebäudekomplex vorne ist das Kloster der Heiligen Fotini und Elisavet. Auf terrassierten Feldern links der Tales stehen Pferde, Mulis und Esel. Jetzt im Winter haben sie es ruhig wenn sie nicht gerade für Baustofftransporte eingesetzt werden. Mein Eindruck: die Tiere hier sind sehr gepflegt und geschätzt.

Das Drei-Insel-Schiff legt schon wieder ab.

Und dann sind wir schon wieder unten im Ort, können die vielen Details bewundern. Eine dachlose Kapelle mit abgestützten Wänden. Eine Reihe Citrusbäumchen. Auch im Winter blühen vereinzelt Bougainvillea. Ein Mann zieht seinen Trolley auf der breiten Pflasterstraße bergwärts, schließt dann ein Haus zu unserer Rechten auf. Es ist Freitag, da kommt der Wochenendbesuch.

 

Um ein Uhr sind wir wieder an der Paralia. Eine nette Runde mit doch knapp zehn leichten Kilometern haben wir absolviert. Wie gestern kaufen wir beim Bäcker ein, Pizza und Dessert. Unsere Wirte steuern aus dem Kühlschrank eine Flasche Weißwein bei und wir lassen es uns vor der wunderbaren Kulisse auf unserer Terrasse schmecken. In der dicken Jacke - wirklich warm ist es trotz Sonne nicht. Die Desserts sind süß und köstlich, vielleicht hätte eines für zwei gereicht. Noch einen Elleniko danach. Dann die Ankunft der Flying Cat beobachten. Sie und das Aero Highspeed, beide von Hellenic Seaways, teilen sich die beiden täglich Kurse: der Aero Highspeed beginnt den Kurs frühmorgens in Porto Heli und fährt über Spetses und Ermioni, Hydra und Poros nach Piräus am späten Nachmittag zurück. Die etwas langsamere Flying Cat fährt ab neun Uhr in der Gegenrichtung über Hydra, Ankunft 11.20 Uhr, bis Porto Heli und am Nachmittag mit nach Wochentag variierenden Zeiten nach Piräus. Man kann also durchaus ab Athen einen Tagesausflug nach Hydra machen.

Netter ist es aber schon, hier zu wohnen.

Später brechen wir zu einem Bummel in das unserem Quartier gegenüberliegenden Viertel auf, mit Stippvisite im arkadengeschmückten Innenhof der Hauptkirche Kimisi tis Theotokou mit einer Reihe von Männerbüsten. Freiheitshelden oder lokale Prominente? Das kleine Kirchenmuseum hat Mittagspause, wenn die Öffnungszeiten im Winter überhaupt gelten. Das gelbe Haus des Lazaros-Koundouriotis-Museums eine Reihe Treppen höher ist erwartungsgemäß ebenfalls geschlossen.

 

Wir suchen uns den Weg durch die Gassen hinauf auf den Avlaki-Hügel mit der griechischen Flagge, der in Mauerresten liegt. Festung oder Mühlen - Ahnung. Das Licht gen Westen ist wolkig-wunderbar, und erstaunlich die Zahl an großen Häusern, die sich hier am Hügel verteilen. Wenn wir am Sonntag erst am Nachmittag wegfahren, können wir am Vormittag auf dem Küstenweg noch bis Vlychos oder Palamidas gehen. Ja, die Urlaubstage sind schon gezählt. Schade.

Wir steigen auf der Westseite des Hügels nach Kamini hinab, verlieren uns in der Gassen, stoßen auf die Odos Leonard Cohen und dann wieder auf das Haus. Über Umwege am Vier-Sterne-Hotel Orloff vorbei wieder hinab zum Votsi-Platz und in unser Quartier Sunset View. Mit dem Sonnenuntergangsblick klappt es um diese Jahreszeit aber nicht wirklich: die Sonne geht hinter dem Flaggenhügel Avlaki unter, nicht im Meer. Mhh, sollten wir da mal eine Rückerstattung bei unseren Wirten verlangen? ;-) Nein, ist trotzdem schön. Und die abendliche Ankunft des Aero Highspeed hat auch was. Es bringt nochmals Wochenendgäste.

 

Im "Ostria" ist heute weniger los als gestern. Wir bestellen Salat der Saison, Oktopus in Essig und Kichererbsen mit Pasta, dazu Brot, Wein und Wasser. Insgesamt etwas zu viel, wir werden mehr als satt. Den Preis von 52 Euro reduziert die Wirtin, als wir Grüße von Gina und Nektarios ausrichten, auf 47 Euro.

Morgen dann wieder ein Sonnentag. Hoffentlich.

 

*

 

Der Samstag empfängt uns mit Sonne und Wolken. Mit dem Frühstück auf der Terrasse, das lassen wir - liegt noch im Schatten. Auf dem Weg zum Bäcker rutsche ich ab oder knicke um und stürze. Nichts passiert, zum Glück nur ein paar Schrammen. Mein rechter Fuß ist einfach noch nicht so belastbar und entwickelt manchmal ein Eigenleben. Unbedingt werde ich heute den Wanderstock mitnehmen. Ich hatte ihn auch gestern dabei, habe ihn aber wegen der guten Wegbeschaffenheit nur ein ganz kurzes Stück eingesetzt.

 

Wir wollen heute auf den Berg, zum Kloster des Profitis Ilias (474 Meter über Meer). Kurz nach zehn Uhr brechen wir auf, der Weg ist ab der mittleren Paralia ausgeschildert und wir gehen durch die Stadt, wie wir gestern gekommen sind. Esel werden links der Hauptgasse mit Baumaterial beladen, es gibt noch viel zu bauen bevor die Saison beginnt.

 

An der Gabelung am Ortsende geht es geradeaus zu den Klöstern Agia Matrona und Zourvas, und zum Leuchtturm/Faros: 11,7 Kilometer in 4 Stunden 40 Minuten. Zum Kloster des Profitis Ilias zweigt man rechts ab. Gemäß des Wegweisers dauert nur eine Stunde für die zweieinhalb Kilometer. Weiter zum höchsten Gipfel Eros (592 m) plus zwanzig Minuten für weitere 900 Meter Weglänge und 120 Höhemeter. Und nach Episkopi drei Stunden. Zu denen man dann nochmals zwei bis drei Stunden Rückweg addieren kann. Oder ein Taxiboot rufen, aber dazu muss man ja auch erst mal zu eine Anleger am Meer kommen (und strapaziert den Geldbeutel statt der Beine). Ja, Wandern auf Hydra ist nix für Spaziergänger. Die sollten an der Küste bleiben, im Flachen.

 

Für uns geht es nun gleich ordentlich aufwärts durch das Kiafa-Viertel. Auf Treppenstufen erreichen wir die Kirche des Inselheiligen Agios Konstantinos Ydreos. Sie bildet den oberen Ortsabschluss, ist von unserer Hausterrasse aus gut zu sehen und bietet entsprechende Aussicht. Zwei auf einem Dach sitzende Katzen mustern uns.

Am Hang entlang geht es nun auf einem Feldweg leicht aufwärts, am Wegrand wachsen gemeine Krummstäbe mit ihren gestreiften, schlangenartigen Blütenkelchen.

 

Dann tauchen wir in den Wald eine. In der ersten Kehre steht immer noch der gelbe Traktor, den wir schon 2013 bewundern konnten. Sein Zustand hat sich in den letzten 13 Jahren nicht verbessert, er ist tiefer in den Boden eingewachsen. Spätere Archäologen werden mal ihre Freude an den unseren zivilisatorischen Hinterlassenschaften haben .... Ab hier geht es auf einem breiten Pflasterweg in Serpentinen im Wald aufwärts, durchaus schweißtreibend, aber ohne Aussicht. Gemauerte Bänkchen laden gelegentlich zur Rast ein, und wir nehme eine der Einladungen an. Nicht zu lange, denn schnell wird es uns kalt. Bislang ist uns noch niemand begegnet, aber nun kommen uns zwei Männer entgegen. Sind offenbar früh aufgebrochen.

Ein kurzes, kahles Stück bietet einen Blick hinab auf die Stadt. Im Hafenbecken legt gerade die Flying Cat an. Es ist elf Uhr zwanzig. Kein Drei-Insel-Schiff heute.

 

Eine Viertelstunde später haben wir die Wahl zwischen der steilen Direttissima und dem schonenderen Zickzack-Weg rechts. Wir wählen ersteres und erreichen nach wenigen Minuten das geöffnete Tor des Klostergeländes. Am Ende der gemauerten Treppe sehen wir das geöffnete Portal des Klosters des Profitis Ilias mit dem prächtigen Marmorglockenturm darüber. Wir haben offenbar Glück, denn letztes Mal war das Kloster geschlossen.

 

Ein großer Hirtenhund und ein Esel wachen freundlich auf der grünen Plattform vor dem Kloster. Es ist Viertel vor zwölf, etwas über eineinhalb Stunden haben wir ab unserem Quartier gebraucht, 75 Minuten ab dem Wegweiser.

 

Bei Durchschreiten der Pforte lockt links der kleine Klosterladen. Da muss der Kirchenbesuch warten, denn erst müssen wir (und vor allem Barbara) das Angebot checken. Das ist gar nicht schlecht, und so gehen schließlich Gläser mit Honig, eine kleine Tasche (Made in India), eine magnetische Ikone des Profitis Ilias (für meinen feurigen Ilias-Fiesta) und diverser Kleinkruscht zum Aufrunden der Summe wegen unpassenderer Geldscheine - ein Mönch ist nicht zu sehen - in unseren Besitz über. Das Geld werfen wir in ein Kässchen. Schattig ist's im Laden, Zeit für die Sonne.

Die empfängt uns in dem großen gepflasterten, rechteckigen Innenhof mit einem vergleichsweise kleinen Kirchlein in Backsteinoptik. Sehr clean alles, und zunächst keine Spur von Leben. Aber die Türe der Kirche ist geöffnet, und so können wir das blaukuppelige Gotteshaus mit prächtiger goldenen Ikonostase betreten. Auch hier blitzt alles. Wir zünden im Vorraum Kerzen für Barbaras Mutter an, die in der Klinik ist - wieder mal die Hüfte ausgerenkt. Und dann singen wir einen Kanon für unsere Mütter. Alte Gewohnheiten. Lauschen den Tönen nach, und ob sich nun ein Mönch blicken lässt, angezogen von unserem Gesang. Laut Zensus 2021 gibt es drei hier. Aber als Sirenen taugen wir nicht - es lässt sich keiner  blicken. In Ruhe können wir uns umsehen.

 

Eine Bank in der Sonne lädt zur Pause ein. Sehr schön! Vorher haben wir noch eine Runde durch den Hof gedreht. Männerstimmen aus einem Raum in der Südostecke, und wir sehen kurz einen Handwerker. Vielleicht ist er mit dem draußen geparkten Esel gekommen. Aber kein Mönch. Na, macht nichts.

Als wir das Kloster verlassen lässt sich der große Hund zum Aufstehen und einem müden Schwanzwedeln hinreißen. Braves Tier. Hirtenhunde solo sind ja oft mit Vorsicht und Abstand zu genießen, aber er ist ganz lieb. Der Esel steht weiter regungslos. Wir gehen ans westliche Ende der vor dem Kloster liegenden, weiten Plattform und sind überwältigt von der Fernsicht, die über die Insel Dokos und Spetses bis zu den schneebedeckten Gipfel der Peloponnes reichen. Eine blaue Wand mit verteilten weißen Spitzen. Parnonas und Taygetos? Menalon , Kyllini oder Chelmos weiter rechts? Keine Ahnung. Davor das Silber der Olivenbäume. Das frische Grüne des Kleebodens und das Grau der Felseninsel Hydra. Wir sind begeistert und vergessen daher glatt, am anderen Ende der Terrasse einen Blick hinab nach Hydra-Stadt zu werfen. Schön blöd, aber so ist es nun mal.
Ein Heer von Katzen taucht auf. Auch die Klosterkatzen sind auf Hydra langhaarig und wohlgenährt. Nicht zu vergleichen mit den schlanken, großohrigen Klosterkatzen auf den Kykladen. Am westlichen Klosterende ist auch die öffentliche Toilette - die nutzen wir dann auch.

Noch nassgeschwitzt vom Aufstieg muss ich schnell ein anderes Shirt überziehen, sonst wird es mir kalt. Und nun?

 

Ich unterbreite Barbara drei Optionen: rauf zum Eros und dann auf dem gleichen Weg wieder hinab in die Stadt. Oder ohne Eros. Na ja, muss nicht, wäre zu schnell. Über Agios Mamas nach Episkopi und an der Küste zurück. Weit. Lang. Oder auf der Höhe Richtung Agios Mamas und vorher vom Sattel nach Hydra hinab. Barbara entscheidet sich für letzteres (gute Wahl!), und so wandern wir zunächst einen grasigen Weg zwischen zwei Mauern und durch ein Tor hinab zum Kloster der Heiligen Efpraxia. Die einzige Nonne ist aber nicht da, oder möchte nicht gestört werden: das weiße Gebäude mit angrenzender Steinmauer samt Tor zeigt sich von der verschlossenen Seite. Schade. Wir müssen wieder ein Stückchen den Weg hinauf, dann zweigt rechts unser Monopati ab. Ein Wegweiser steht an der Kreuzung.

Es wäre auch der Weg zum Eros, der zunächst durch einen Wald von Nadelbäumen führt. Es gibt schon noch Ecken, die die Abholzung der Schiffsbauer verschont hat. War vermutlich zu hoch, weit und beschwerlich. Westlich geht es um das Ilias-Kloster auf seiner Anhöhe herum. Nach einer Senke zweigt der Weg zum Eros nach Süden ab. Unser Weg geht nach Westen, zunächst durch im Wald. Blicke über den Weg zurück, wo sich "Efpraxia" zu Füßen von "Ilias" auf der Terrasse zeigt.

 

Unser Weg wird steiniger und schmaler, ist aber immer gut erkennbar. Er führt unterhalb des Eros entlang gen Westen, zunächst auf einer Höhe, dann leicht bergab. Ich habe längst meinen Wanderstock zum Einsatz gebracht, und auch Barbara hat an ihren gedacht. Dass sie nicht durch die Stockschlaufe greifen soll, muss ich ihr erst erklären, und auch die richtige Stocklänge noch einstellen. Dabei ist es doch schon drei Jahre her, dass wir die Stöcke damals in Interlaken gekauft haben, beim Ausverkauf eines Sportgeschäftes. Hat sie sie gar nicht benutzt seither?

 

Der Wald verschwindet allmählich, nur noch einzelne, niedriger werdende Koniferen stehen am Weg. Und ein Ikonostasi aus Steinplatten. Es geht nun stärker bergab. Dann wird der Pfad ganz frei, wir können nun auch das Meer auf der südlichen Inselseite sehen, das in der Sonne glitzert. Die Küste der Peloponnes verschwindet im Dunst. Nein, Monemvasia sieht man von hier aus nicht.

 

Plötzlich sind weiter vor uns Wanderer. Keine Ahnung wo die jetzt herkommen. Wir erreichen sie nicht, sie gehen schneller als wir, und wandern am Sattel mit der Wegkreuzung (Tetrastrato?) wohl weiter nach Episkopi während wir auf den schmaleren Pfad rechts, nach Norden abbiegen. Vor zehn Jahren bin ich hier heraufgewandert und weiter nach Episkopi, der Weg war gut zu finden. Ist er auch jetzt, er führt erst durch ein schattiges Anemonenfeld, dann wird er frei uns lässt uns alle paar Meter halten um den Blick schweifen zu lassen. Wunderbar! Fast parallel zu unserem vorherigen Weg, nur etwas tiefer geht es nun. Wir rasten auf einigen Steinen sitzend, aber nicht zu lange: ist nicht bequem und kalt von unten.

In einem waldigen Taleinschnitt müssen wir ein Tor öffnen und schließen.

Über uns guckt wieder das Kloster der Heiligen Efpraxia heraus. Unten sind kurz darauf die Häuser von Vlychos zu sehen, und das vorgelagerte Felseninselchen Agios Ioannis mit der gleichnamigen Kapelle darauf. Die Küste der Argolis hinter blauem Meer, nah und doch fern. Es zieht sich mehr als gedacht, aber dann, nachdem wir um eine Bergrücken gebogen sind, liegt unvermittelt Hydra-Stadt vor uns. Das weiße Häusermeer mit den roten Dächern. An einer Hügelkante sehen wir eine Reihe von Windmühlen hochsteigen.

 

Eselsmist auf dem Weg zeigt, dass wir uns der Zivilisation nähern. Ein Grautier steht rechts der Weges auf einer Wiese, und ein älterer Einheimischer kommt uns entgegen. Bestimmt holt er ihn ab.

 

Am Ortsrand liegt in einer schattigen Talmulde eine Ansammlung von Bretterbaracken mit Wellblechdächern. Nein, das sind nicht die Slums von Hydra, sondern die Eselsställe. Ein Mann bringt gerade einen braunen Esel und führt ihn in seinen Stall. Ein Apfelschimmel ist etwas weiter hinten angebunden und guckt uns neugierig an. Ein Eselleben auf Hydra ist wohl besser als auf Santorin.

Es ist halb vier, als wir die oberen Gassen von Ano Kamini erreichen. Oder ist es schon Kiafa? Keine Ahnung wo die Grenze ist. Kirchen und Kapellen gibt es hier reichlich, und Gassen um sich zu verlaufen. Aber die Richtung ist klar: abwärts. Kurz vor 16 Uhr schalte ich an der Paralia meine Tracking-App aus und betrachte das Fazit: 11,7 Kilometer, je 560 Höhenmeter auf und ab, knapp vier Stunden reine Gehzeit bei sechs Stunden insgesamt. Ein befriedigendes Fazit, und das Beste: kein Problem für Bandscheiben, Ischias und Fuß. Griechenland tut eben gut!

 

Wir wiederholen das Ritual von gestern, kaufen beim Bäcker zu essen und genießen auf unserer Sonnenterrasse. Was ein schöner Tag! Und was für ein Jammer, dass wir morgen abreisen müssen, jetzt wo das Wetter so schön ist! Zum Glück können wir morgen so lange im Haus bleiben wie wir wollen, und werden erst die Nachmittagsfähre nehmen.

Auch der Sonnenuntergang verwöhnt uns, heute in goldgelb.

 

Und zum Abschluss geht's nochmals in "I Orea Hydra" zum Dinner. Tirosalata, Salat der Saison und Lamm mit Gemüse, eine Flasche Wein, eine Wasser, Brot . Nicht preiswert mit 75 Euro, aber köstlich.

 

Vorher haben wir noch das Ticketbüro gesucht um unsere Fahrkarten für morgen zu kaufen. Es ist ziemlich unauffällig und schilderlos in einer Nebenstraße wo es zum anderen Bäcker geht, und sieht erst mal zu aus. Als wollte man gar keine Geschäfte machen. Die Türe ist aber unverschlossen, und dahinter warten auch zwei Frauen auf Kundschaft. 38 Euro kostet die Überfahrt mit der Flying Cat pro Person, zwei Euro weniger als mit dem Aero Highspeed. Ist ja auch etwas langsamer.

Dann wollen wir morgen noch den Tag genießen.