Der Sonntag macht seinem Namen alle Ehre. Unsere Fähre wird um 16 Uhr zwanzig abfahren, Nektarios wird unser Gepäck vorher hinab tragen. Wir geben Gina Bescheid, dass es um halb vier perfekt wäre. So haben wir noch fast den ganzen Tag Zeit.
Nachdem der Großteil der Vorräte verputzt ist, packen wir unsere Sachen zusammen. Und sind um zehn Uhr unterwegs entlang der Paralia nach Westen. Passieren das Pavlos-Koundouriotis-Denkmal, und werfen einen Blick in die Hauptkirche. Dort ist ein Mnimosyno im Gange, da wollen wir natürlich nicht stören. Das kirchliche Museum ist geschlossen, obwohl es sonntags gemäß Beschilderung eigentlich offen haben müsste. Winter.
Wieder vorbei an der Leonard-Cohen-Bank nach Kamini. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Die schneebedeckten Gipfel auf der Peloponnes scheinen heute noch näher, davor sind die Häuser von Spetses gut auszumachen.
Aber im Schatten ist es noch frisch, und ab Kamini verläuft der Fußweg - der war 2013 noch nicht so schön gepflastert, oder? - im Schatten hoher Felsen. Gleich zwei kapellengeschmückte Felseninselchen liegen vor der Küste: Agios Nikolaos im Osten, das höhere Agios Ioannis weiter westlich vor Vlychos.
Nach einer halben Stunde haben wir einen schönen Blick auf Vlychos. Auf einem Felsensporn hinter dem Strand liegt ein Kirchlein mit umgebenden weißen, ziegelgedeckten Häusern. Sehr hübsch!
Das kleegrüne Tal vor Vlychos wird von einer schmalen Steinbogenbrücke überspannt. Wer will, kann links auf einem Weg weiter im Inselinnerne nach Hydra-Stadt zurückgehen. Nicht unsere Richtung, aber 2015 sind wir hier zurück. Es kommt mir vor wie gestern und ist doch schon lange her. Was ist nicht seither alles passiert.
Nach den obligatorischen Brückenfotos überqueren wir das Tal und erreichen Vlychos. Ich erinnere mich, dass Theo vor zehn Jahren hier bei der Rückkehr von der Wanderung von Episkopi auf eine geöffnete Taverne gehofft hatte und enttäuscht wurde. Da war die Stimmung schnell schlecht, obwohl die Schaukel, die er einem Belastungstest unterzogen hatte, den bestanden hat.
Die Schaukel gibt es nicht mehr, und Taverne brauchen wir keine. Wir bleiben am Weg, staunen über einen Stapel weißer Säcke, die an einem Haus lehnen und die Piste gerade so zur Durchfahrt freilassen. Baumaterial oder zu entsorgendes? Sowohl letzteres als auch die Beschaffung sind auf Hydra mühsam und teuer.
Außer ein paar Katzen sieht Vlychos unbelebt aus. Schnell sind wir wieder draußen, gehen nun in der Sonne weiter. Nach Plakes sind es nur ein paar Minuten. Aus viel mehr als dem Edelhotel "Four Seasons Hydra" mit zahlreichen Häusern und Häuschen scheint die Siedlung nicht zu bestehen, die einwohnertechnisch zu Vlychos gehört. Unter 500 Euro die Nacht bekommt man hier im Resort kein Zimmer, im Sommer bezahlt man leicht das doppelte. Im Winter hat es trotz der vier Jahreszeiten natürlich geschlossen, los geht der Betrieb erst Mitte April.
Am Kiesstrand stehen wie in Mandraki die Sonnenschirme, aber ohne Liegen. Lustig, dass man sie im Winter nicht wegräumt - offenbar werden sie von Wind und Wetter nicht so strapaziert, dass man sich diese Mühe machen muss. Die Schirme brauchen wir nicht - wir freuen uns über die Sonne, und in Ermangelung von Liegen setzen wir uns auf die Steinkante einer Terrasse. Es ist schon schön hier, auch wenn Hydra als Badeinsel keinenfalls erste oder auch zweite Wahl ist. Wer kommt hierher und bezahlt so viel Geld? Es ist ja nicht wirklich exklusiv hier - den Strand muss man mit anderen teilen (gut so!), denn absperren ist nicht. Für die Mietenliege im Sommer bekommt man anderswo bestimmt schon ein Zimmer ...
Inzwischen ist es elf Uhr. vorbei. Ich möchte noch bis Palamidas weitergehen. Nicht weil das ein spektakuläres Ziel wäre. Eher aus nostalgischen Gründe, und weil ich noch etwas mehr Bewegung brauchen könnte. Kein Problem für Barbara. Der Klee am Wegrand wächst in einer dicken weichen Decke. Angenehm, so dahin zu gehen.
Nach zwanzig Minuten können wir die Bucht von Palamidas sehen, in die ein fruchtbares Tal mündet. Ein paar größere Häuser stehen oberhalb. In Palamidas endet der Küstenweg, die Piste führt weiter nach Episkopi ins Inselinnere. Nach Molos, dem nächsten "Ort" an der Küste geht ein Fußweg durch Hinterland, der nicht der beste ist. Spinnennetzübersät habe ich ihn in Erinnerung. Nein, heute ist hier Ende.
Palamidas selbst besteht vor allem aus einer Ansammlung von Booten in einer Werft. Im Winter sind Ausflugsschiffe und Co. ja an Land, und das ist hier der Ort dafür. Entsprechend gibt es dann auch Bootsanleger und eine Rampe, um die Boote herauszuziehen oder zu Wasser zu lassen. Auch Baumaterial kann angeliefert werden und liegt am östlich Anleger.
Ein schmale Kiesstreifen weiter westlich lädt nicht zum Baden ein.
In der Werft sind ein paar Männer an Booten zugange, aber es ist sehr geruhsam.
Zeit, zurückzugehen. Ein Wandererpaar hat uns überholt, möchte weiter nach Episkopi. Eine griechische Familie kommt uns entgegen, vielleicht versorgen sie den Vater, der an seinem Boot arbeitet, mit Mittagsessen. Ist ja auch wirklich Spazierwetter heute!
In Plakes nehmen wir nun den Weg oberhalb der Küste und treffen ein kleines Ikonostasi, das dem heiligen Andreas und der heiligen Varvara geweiht. Das schreit natürlich nach einem Doppelporträt.
In Vlychos geht wir dafür jetzt unterhalb, entlang der Küste. Die Taverne hat sicher auch abends nicht geöffnet, die Stühle stehen gestapelt. Vor April bleibt man sicher hungrig. Hinter dem Ort ist ein Mann mit drei Jagdhunden unterwegs, die brauen Tiere, Typ Vorstehhund, rasen durch das Gelände, stöbern erfolglos. Nicht mal eine Wachtel fliegt auf, aber wir sind auch zu nahe am Ort. Die Zahl der Wildvögel scheint abgenommen zu haben - vor zehn Jahren hatte ich unterwegs einige Perdikes - Steinhühner - gesehen oder gehört, gestern nur einmal. Und heute gar nichts.
Um halb ein sind wir wieder in Kamini, wo nun zwei Fischer auf einem Bötchen ihre Netze sortieren. Und kurz vor ein Uhr erreichen wir den Uhrturm in Hydra-Stadt. Das Drei-Insel-Schiff legt gerade ab, und die Sonnenplätze im Café "O Roloi" - früher "Katsikas" und in den Sechzigern Treff der intellektuellen Aussteiger - sind gut frequentiert.
Waren doch auch über zehn Kilometer, die wir heute gegangen sind.
Wir halten es wie gestern und nehmen unser Mittagsessen aus der Bäckerei mit auf unsere Sonnenterrasse, wo wir unsere letzten Hydra-Stunden genießen.
Es war wirklich schön hier! Schade, dass man die Sonne nicht einpacken kann, aber wir versuchen, wenigstens noch etwas Farbe im Gesicht nachzulegen.
Pünktlich um halb vier kommt Nektarios. Er wird das Gepäck am Anleger abstellen. Danke, es war wirklich schön hier!
Der Zustrom Richtung Anleger nimmt zu, wir haben aber noch etwas Zeit, sind dann schnell unten. Vor der Bäckerei sitzen die Wartenden, und Barbara geht schnell noch eine textile Kette kaufen in dem Laden daneben.
Kurz nach vier Uhr biegt die Flying Cat von Spetses und Ermioni kommend um die Ecke. Die Feuerwehr bringt noch jemand im oder mit Rollstuhl - Hydra ist alles andere als barrierefrei, und Krankentransporte sind kompliziert. Die halbe Insel scheint abzureisen, ein Pappas ist auch dabei.
Pünktlich um zwanzig nach vier legt die Katamaranfähre ab. Durch die verspritzten Scheiben werfen wir letzte Blick auf "unser" Haus und Hydra. Zwischenstopp in Poros.
Auf der Höhe von Aegina entdeckt Barbara durch das Fenster einen Delphin. Wie schön! Diese Begegnungen sind selten geworden.
Um Viertel vor acht sind wir in Piräus. Da Barbaras Rückflug schon um halb neun am Morgen geht, habe wir uns ein Hotel nahe Syntagma-Platz gesucht und das Hotel "Pan" gefunden. Günstige 78 Euro bezahlen wir dort für das Doppelzimmer inklusive Frühstück. Winterpreise.
Dass man mit der Metro Linie 3 jetzt vom Hafen bis Syntagma-Platz durchfahren kann, hat sich in meinem Großhirn noch nicht verfestigt, und wir wählen den umständlicheren Weg mit der Linie 1 und umsteigen in Monastiraki. Aber kein Problem.
Der Rezeptionist des "Pan" ist begeistert von Barbaras Schweizer Pass. Er kommt ins Schwärmen über die Schweiz, wo er eine Freundin besucht hat. Zurich, Interlaken, Grindelwold - es wäre so schön gewesen. Und so sauber. Ich teile seine Begeisterung durchaus - schließlich wurde ich urlaubstechnisch auf einer Sonnenterrasse im Berner Oberland sozialisiert und bekomme beim Anblick von Eiger, Mönch und Jungfrau immer noch Herzklopfen. Aber Athen ist ja auch nicht schlecht. Barbara meint, er solle sich doch in Hotels in der Schweiz bewerben - Hotelpersonal würde dort immer gesucht. Und die Sprachbarriere - hey, die Schweiz ist international.
Unser Zimmer liegt im sechsten Stock hoch über dem Straßenlärm und hat einen kleinen Balkon. Wir sind hungrig und machen uns auf den Weg in die Plaka zum "To Kafenio". Das Lokal ist voll, wir können uns aber noch an ein kleines Ecktischchen quetschen. Wo wir mit Tellern, Gläsern und Essen schnell ein Platzproblem haben. Wir bestellen Marouli-Salata - hat es nicht mehr, dafür gibt es Endivie. Außerdem Fava und Keftedes mit THE Sauce. Dazu eine halber Liter Wein, Brot und Wasser. Das Essen ist gut, aber die Beengtheit führt dazu, dass mir die Gabel samt THE Sauce herunterfällt, natürlich auf die Hose. Sauerei. Dass die Athener Preise selbst in der Touristenhochburg Plaka günstiger sind als auf den Kykladen (und Hydra sowieso) habe ich schon letztes Jahr überrascht festgestellt. 35 Euro bezahlen wir, und sind sehr zufrieden. Nehme uns auf dem Rückweg in der Plaka noch ein Fläschchen Tsip mit, das wir auf dem Balkon auf diesen Urlaub trinken. Schön war's, trotz der Regentage!
*
Barbaras Handy klingelt kurz nach fünf, und meines gleich mit, damit sie auch garantiert nicht verschläft. Aufs Frühstück oder wenigstens Kaffee verzichtet sie, wir verabschieden uns. Es war wieder sehr schön, mit dir zu reisen, Barbara!
Dann eilt sie zur Metro. Wir haben gestern extra nochmal in der Metrostation nachgeguckt und auch das Ticket zu 9 Euro schon gekauft: die erste Metro zum Flughafen fährt ab Syntagma um 5 Uhr 53. Natürlich ist sie zu früh dort. Und warum Aegean Airlines ihren gebuchten Sitzplatz am Fenster in einen in der Reihenmittel geändert hat? Sie reserviert einen anderen Platz am Fenster, und wird beim Einchecken feststellen, dass auch dieser wieder geändert wurde. Kein guter Stil von Aegean. Erst als sie beim Boarding mit Nachdruck auf einen Fensterplatz besteht, bekommt sie einen in der letzten Reihe zugewiesen. Geht doch!
Ich drehe mich nochmal auf die andere Seite um noch etwas zu schlafen, aber so richtig klappt das nicht mehr. Ab acht Uhr gibt es Frühstück, und ich bin pünktlich und als Erste unten. Das Buffet ist in Ordnung, und nach drei Kaffee bin ich halbwegs wach, und tatendurstig.
Was nun unternehmen? Mein Flug geht um 16 Uhr, da müsste ich um 13 Uhr mit der Metro am Syntagma-Platz abfahren. Auf einen Museumbesuch habe ich keine rechte Lust, und die zum Benaki-Museum gehörende Ghika Gallery, die mich interessieren würde, hat montags zu. Der Maler Nikos Hadjikyriakos G(h)ikas, 1906 –1994, hatte ein Haus auf Hydra, in dem Patrick Leigh Fermor viele Seiten geschrieben hat, und war mit Lawrence Durrell und Henry Miller befreundet. Da hätte sich mancher Kreis geschlossen. Ein anderes Mal.
Ich werde zuerst der Markthalle einen Besuch abstatten und noch etwas einkaufen. Danach wird es nekrophil. Ich deponiere meinen Trolley an der Rezeption und mache mich an der Kapnikarea-Kirche (Foto für Klaus) vorbei auf den Weg. Athen ist noch ruhig, die Straßenreinigung ist im Gange, und Obdachlose schlafen eingemummelt in Nischen und Winkeln.
Für einen Gang durch die Fleisch- und Fischhallen ist es meinem Magen noch zu früh. Ich bin wegen Sesamnüssen und Trockenfrüchten gekommen, und mehrere Tütchen damit wechseln den Besitzer.
Halb zehn. Vorbei an Monastiraki und dem Turm der Winde schneide ich durch die Plaka.
Mein Ziel ist der Erste Athener Friedhof, der südlich von Zappeio und Stadion liegt. Ich muss ein paar vielspurige Straßen überqueren und durch den Stadtteil Mets geht es schließlich bergauf.
Dann liegt der breite Eingangsbereich des Ersten Athener Friedhofes vor mir. Er ist seit 1834 in Gebrauch und damit der älteste "aktive" Friedhof der Stadt. Und hat sowohl kunsthistorische als auch historische Bedeutung: Zu betrachten gibt es viele sehenswerte Grabmälern und Mausoleen aus fast zweihundert Jahren.
Und außerdem wurden viele wichtige Persönlichkeiten Griechenlands wurden hier beigesetzt. Die Liste liest sich wie ein Who-is-Who der Geschichte Griechenlands: von Heinrich Schliemann, Ernst Ziller über Konstantinos Kanaris, Kolokotronis und Adamantios Korais zu Stelios Kazantsidis, Nikos Xylouris, Vassilis Tsitsanis, Melina Mercouri, Andreas Papandreou, Alekos Panagoulis, Theo Angelopoulos, Giorgos Seferis, Odysseas Elytis und Manolis Glezos. In den letzten Tagen auch Kostas Simitis, griechischer Ministerpräsident für die PASOK von 1996 bis 2004, der Anfang 2025 verstarb.
Ein paar dieser Gräber möchte ich mir gerne ansehen. Und das Grabmal von Sofia Afendaki, das der tiniotische Bildhauer Giannoulis Chalepas - auch er liegt hier - erschaffen hat.
Naiv hatte ich gehofft, es gäbe vielleicht einen Plan, eine Karte, in der der die Liegestätten der wichtigsten Persönlichkeiten eingezeichnet sind. Oder Hinweise. Ist der Friedhof doch fast etwas wie ein nationales Museum. Aber ich hätte es wissen müssen: nichts desgleichen. Zudem findet gleich in einer dem beiden Kapellen eine Beerdigung statt, und Trauernden strömen herbei. Ich werde also erst mal nur entlang der Grabreihen gehen und das Ganze auf mich wirken lassen. Gleich vorne liegt Andreas Papandreou, und in dem blumengeschmückten frischen Grab daneben vermute ich Kostas Simitis. Am großen Grab von Melina Mercouri komme ich unweigerlich vorbei, und ihr Mann Jules Dassin wird auch dort bestattet sein. Dann wird es schwieriger, denn der Friedhof ist nicht nur sehr, sehr groß, sondern auch sehr verzweigt. Ein schattiger Park voller Bäume, geeignet, heiße Tage zu verbringen. Zufällig findet man hier kaum jemand. Oder doch: ich stoße auf Kolokotronis und Adamantios Korais, und auch das Grabmal von Sofia Afendaki finde ich.
Und nun ist mein Ehrgeiz geweckt: ich möchte die Gräber von Manolis Glezos finden, das von Vassilis Tsitsanis, Giorgos Seferis und vor allem das von Odysseas Elytis. Ich gehe durch die Reihen, google ohne verwertbares Ergebnis - irgendwo hier liegt Theo Angelopoulos, aber ich werde nicht fündig. Frage dann Friedhofsarbeiter, aber die haben keine Ahnung. Sind wohl keinen Griechen. Schon wieder am Ausgang wende ich mich an einen jungen Mann, der hier zu arbeiten scheint. Elytis? Mhh. Tsitsanis? Nein, es gäbe keine Karte oder Übersicht. Er rät mir, zur Friedhofsverwaltung zu gehen und dort zu fragen. Die sei im zweiten Stock des Gebäudes außerhalb, gegenüber dem Eingang, und weil ich sonst nichts zu tun, aber noch genug Zeit habe, gehe ich dorthin. Der Mann dort an einer Theke verweist mich an eine Frau in ihrem Büro. Nein, einen Plan gäbe es nicht. Aber welche Gräber ich den suchen würde? Das bräuchte etwas Zeit. Ich beschränke mich auf Tsitsanis, Glezos und Elytis, und der Mann an der Theke guckt in einem Ordner nach - es gibt da schon eine Seite mit den VIPs - und sagt mir dann die Felder- und Grabnummern. Ich bedanke mich, und fotografiere mir eine Karte mit der Feldnummern dazu ab, damit ich überhaupt weiß, wohin ich mich wenden muss. Wundere mich etwas, dass mein Wunsch offenbar so ausgefallen ist.
Das wird ein hartes Stück Arbeit, und es ist schon Viertel vor zwölf. Mehr als ein Grab werde ich wohl nicht mehr schaffen. Das von Manolis Glezos hat die Nummer 365 auf Feld 1, das ist recht weit vorne und damit nahe, das werde ich nehmen. Auch mit der Nummer suche ich zehn Minuten, denn nicht alle Gräber tragen Nummern, und die Grabreihenfolge ist auch nicht immer numerisch.
Vielleicht hätte ich eine rote Nelke mitbringen sollen für den naxiotischen Wiederstandskämpfer, geboren 1922 in Apiranthos, der am 30. Mai 1941 gemeinsam mit Apostolos Sandas auf der Akropolis
die Hakenkreuzfahne herunterriss und die griechische Flagge hisste - eine symbolträchtige Aktion. In der Folge überstand er mehrere Verhaftungen und Folter durch deutsche und italienische
Besatzer (1942) sowie griechische Kollaborateure (1944), wurde 1948 während des Bürgerkrieges erneut inhaftiert (als Kommunist und Leiter der kommunistischen Zeitung "Rizospastis") und zum Tode
verurteilt, 1950 begnadigt. Verhaftungen von 1958 (während des Kalten Krieges) folgen und er wurde wegen Spionage verurteilt. Und natürlich wurde er auch während der Junta wieder verhaftet.
Insgesamt erlitt Manolis Glezos aufgrund politischer Verfolgung elf Jahre und vier Monate Gefangenschaft und vier Jahre und sechs Monate Exil, steht bei wikipedia. Ein wahrhaft kämpferisches
Leben! Auch als Politiker und Parlamentarier setzte er sich für linke Ideale ein, von 2014 bis 7. Juli 2015 war er das älteste Mitglied des Europaparlaments (für SYRIZA). Und forderte über
Jahrzehnte Entschädigungs- und Wiedergutmachungszahlungen der Bundesrepublik Deutschland an Griechenland und an griechische Opfer der Besatzung. Bundespräsident Joachim Gauck hatte seinem offenen Brief anlässlich seiner Griechenlandbesuches im März 2014 wohl wenig entgegenzusetzen ....
Im März 2020 starb Glezos hochbetagt in Athen, und hätten nicht strenge Corona-Beschränkungen gegolten, wären wohl Tausende bei seiner Beerdigung gewesen. Eine Tafel liegt auf seinem Grab:
"Στον Μανωλη τις καρδιας μας". Möge dir die Erde
leicht sei, unbeugsamer naxiotischer Kämpfer!
Immerhin dich habe ich gefunden.
Mein Rückflug ruft, aber ich werde wiederkommen. Wenn Aegean weiterhin seine Rückflüge nach Stuttgart erst am Abend ansetzt, werde ich noch viele halbe oder dreiviertel Tage in Athen verbringen. Der Anfang ist gemacht und ich werde dann besser präpariert sein.
Als ich den Friedhof verlasse, fragt mich der junge Mann von vorhin, ob ich das Elytis-Grab gefunden hätte. Leider nein - keine Zeit mehr. Er empfiehlt mir, das letzten November eröffnete Elytis-Museum in der Plaka zu besuchen. Ich hatte davon gelesen, aber es wieder vergessen. Odysseas Elytis, der griechische Lyriker und Literaturnobelpreisträger, dessen Gedichte mir vor allem durch die gewaltigen und gänsehauterzeugenden Vertonungen von Mikis Theodorakis vertraut sind. Sicher ist das Haus einen Besuch wert auch wenn man der griechischen Sprache nur mäßig mächtig ist.
Beschwingt mache ich mich auf den sonnigen Rückweg zum Hotel, die Fahrt zum Flughafen, die Rückreise nach Stuttgart in die Kälte. Barbara hat aus Zürich Nebel gemeldet.
Aber der nächste Griechenland-Urlaub ist schon gebucht. Wenn Arbeit und Gesundheit mitmachen. Ich freue mich darauf!