Zur Sciara del Fuoco

In der Nacht ist starker Wind aufgekommen und hat die Wäsche unserer Nachbarn vom Wäscheständer herunter und gleichmäßig auf der Terrasse verteilt. Ich hab meinen durchgeschwitzten Klamotten lieber hereingeholt weil ich Regen befürchte. Der kommt aber erst am Morgen, nicht heftig zum Glück. Der Himmel ist grau. Was unternehmen?

 

Wir entscheiden uns für die Wanderung zur Sciara del Fuoco (Wanderung 24 im Insel- und Wanderführer „Liparische Inseln“ von Peter Amann), die am Anfang auf der Gipfelroute bergwärts führt und dann auf einer Höhe von 250 Metern bis zur „Feuerrutsche“ führt. Wo man mit etwas Glück einen Blick auf die Feuerfontänen werfen kann. Dort kann man noch bis auf 400 Meter aufsteigen, oder hinab zum Pizzeria-Ristorante „Osservatorio“ am Semaforo Labronzo gehen, dort einkehren und auf der „Straße“ (na ja) zurück nach Stromboli-Ort. Sieben Kilometer, etwa drei Stunden. Geht auch bei Regen. Schirme einpacken.

 

Um halb zwölf Uhr marschieren wir los, zuerst in den Ort hinauf zur Piazza. Die Aktualisierungen sind im Amann-Führer extra und gut versteckt, und nicht in den ausführlichen Wandertext integriert (ein dicker Minuspunkt, vor allem bei der Tour 19 auf Salina). Aber von gestern weiß ich auch noch, dass wir nicht am neuen Friedhof mit dem Aufstieg beginnen (der Weg dort ist zugewachsen), sondern schon vor der Kirche San Vincenzo, auf der geraden Straße aufwärts und dann rechts weiter. Jetzt hab ich Zeit und Muße, mich umzusehen und zu fotografieren. Leider ist aber kein Fotowetter, die Sonne ziert sich. Dafür müssen wir nicht schwitzen. Wenig später fängt es wieder an zu tröpfeln, aber nicht so viel dass sich der Schirm lohnen würde.

Zistrosen wachsen als dichtes Gestrüpp schulterhoch, überall die rosa Knitterblüten. Der Ginster fängt erst an zu blühen, seine Explosion werden wir in den nächsten Tagen miterleben können. Hinab fällt der Blick auf den still daliegenden Ort Stromboli, den Friedhof davor, und den Felsen Strombolicchio. Alles etwas bleiern. Der Vulkan hinter uns? Wir sehen ihn nicht, wir hören ihn nicht. Er nimmt einen Ruhetag, hat sich gestern wohl verausgabt.

 

Wir begegnen niemand auf unserem Weg, der sich zu Anfang noch in der steilen Spur der Vulkanbesteiger befindet, dann aber endlich seniorenfreundlich nach rechts abzweigt und weitgehend eben verläuft. Irgendwann kreuzt man einen Lavastrom aus römischer Zeit – wenn es nicht bezeichnet wäre, es würde nicht auffallen. Auf dem Weg ringen zwei Hirschkäfer miteinander. Nie gesehene pilzähnliche Miniblüten verstecken sich am Buschrand. Und Kapern hat es. Ihnen werden wir auf Salina wiederbegegnen. Und wie!

Nach gut eineinhalb Stunden erreichen wir die Abzweigung zur Sciara, einen wunderbar gepflasterten Fußweg, der sich hinab zum Osservatorio schlängelt. Den Weg soll der Regisseur Roberto Rossellini 1949 angelegt haben, als er den Film „Stromboli, Terra di Dio“ hier drehte. Mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle. Die Affäre der beiden (nicht miteinander) Verheirateten war damals ein Skandal, für den Tourismus auf Stromboli war der Film ein willkommene Werbung. Rossellini und Bergman sind auf der Insel bis heute unvergessen, das rote Haus unweit der Kirche, in dem sie wohnten, trägt heute noch eine Tafel mit einer entsprechenden Inschrift.

Doch zurück zur Sciara: wir nehmen den Weg aufwärts. Allerdings nur bis zum 270 Meter-Punkt (man kann bis zum Quota 400). Denn auch von hier aus können wir erkennen, dass wir nichts erkennen können: die Spitze des Vulkans hüllt sich in dichte Wolken. Keine Ausbrüche, keine Funken, keine Rauchwolken. Nicht mal ein Donnern. Friedlich grau-trübe. Still.

 

Beeindruckend und frei ist aber der Blick auf die schwarze, unwirtliche und steile Sciara-Rampe, die sich über eine Breite von einem Kilometer unüberwindbar die Küste entlang zieht. Im Dezember 2002 rutschte hier ein großer Teil der Flanke ab ins Meer und löste auf Stromboli einen Tsunami aus (hier von Markus Benzer geschildert). Zum Glück gab es nur Verletzte, keine Toten.

Weil wir sehen, dass wir nichts sehen steigen wir auf dem gepflasterten Serpentinenweg hinab zum Osservatorio. Mitten durch ein unglaubliches Blütemeer. Am schönsten sind die blauen Blumen, die direkt an der Mauer, die den Weg säumt, wachsen.

Das „Osservatorio“ diente früher der Beobachtung des Vulkanes, inzwischen befindet sich dieses oberhalb von San Vincenzo, und hier dafür eine Bar-Pizzeria (Pizza gibt es aber nur abends!) Von den Plätzen auf der freien Terrasse hat man einen sehr guten Blick hinauf zum Kraterfeld und zu den Eruptionen – wenn da nicht gerade eine fette Wolke hängt. So wie jetzt. Schade!

 

Wir lassen uns die Stimmung aber nicht verderben – schließlich hab ich die Feuerfontänen gestern schon von viel näher gesehen, und die Mutter weiß noch nicht was einem da entgeht. Wir bestellen jeder eine Portion Spaghetti und einen Weißwein dazu und lassen es uns gutgehen. Ab und zu ein Blick hinauf zur Feuerrutsche – nein, da rutschen heute nur die Wolken. Der Iddu nimmt sich frei.

Kurz vor drei Uhr gehen wir dann auf der „Straße“ (genannt „Mulattiera“ – Saumpfad oder Maultierweg) zurück nach Stromboli. Die Straße ist nur eine bessere Piste, und wie man mit einem Ape-Taxi, also einem Dreirad-Taxi hier fahren können soll, ist mir schleierhaft. Noch dazu im Dunkeln. Meinem „Muckelchen“ hätte ich das nie zugemutet (Das gute Stück habe ich vor dem Urlaub verkauft). Abgesehen davon, dass man hier die ganze Piste blockiert falls man liegenbleibt. Und ein Abschleppfahrzeug habe ich noch nicht gesehen auf der Insel. Keine Ahnung was so eine Taxifahrt kostet – muss eigentlich teuer sein. Achsbruch inklusive.

Leider können wir uns nicht ansehen wie ein Dreirad die Strecke bewältigt – es kommt keines. Waren in der Pizzeria doch trotz des mäßigen Wetters einige Gäste, so sind wir nun auf dem Weg wieder alleine. Der führt etwas oberhalb der Küste entlang und ist wirklich schön. Der westliche Ortsteil von Stromboli, Piscità genannt, kommt nach einer halben Stunde in Sicht, und der schönste Inselstrand davor auch. Ein paar Kajaks liegen dort, anscheinend kann man welche mieten und die Insel umpaddeln (irgendwo habe ich was von drei Stunden dafür gelesen – das kommt mir dann aber sehr ambitioniert vor! Und schön Abstand halten an der Sciara! Stein- und Lavaschlag).

 

Piscità mit seinen schönen weißen Häusern ist ein wenig dazu geeignet, Kykladenfeeling aufkommen zu lassen. Andererseits ist die äolentypischen Bauweise mit einer Terrasse vor jedem Haus, deren Dach von zwei dicken Säulen gestützt wird, doch wieder ziemlich anders. Und sie gefällt uns.

Der schwarze Strand kontrastiert schön dazu.

Ab Piscità kann man die obere oder die untere Straße wählen um in den südöstlichen Ortsteil Scari zu gelangen, wo unser Hotel ist. Wir nehmen die obere, die im zweiten Teil ist einfach schöner. Ein blumengeschmücktes Dreirad überholt uns, bringt Gäste mit Gepäck zu einem Haus. Wir machen uns inzwischen einen Spaß draus zu tippen ob es ein Zwei- oder ein Dreirad ist, das von hinten kommt, wenn wir das Zweitakter-Geknatter hören. Mit Dreirädern liegt man eher richtig.

 

An der Piazza sammeln sich schon wieder die Vulkanbesteiger. Ich fürchte, die werden heute nicht das Glück haben wie wir gestern – zu viele Wolken oben. Der Anzahl der Gipfelstürmer tut das keinen Abbruch, es sind so viele wie gestern. Die wenigsten Stromboli-Besucher haben so viel Zeit wie wir mitgebracht, und gebuchte Wandergruppen gehen hinauf egal wie das Wetter ist. Morgen ist man dann schon auf Vulcano, Lipari oder am Ätna. Eine Gruppe hat heute einen französischsprachigen Führer, er hält eine halbstündige Einführung. In der Gruppe sind auch mehr Ältere dabei, im Gegensatz zu unserer gestern. Kurz vor 17 Uhr geht die erste Gruppe los, die anderen folgen, die Piazza leert sich.

In der Kirche schreien fünf Frauen ihr tägliches Ave-Maria. Stundenlang. Auch eine Ausdauer.

Wir gehen ins Hotel hinab. Später gehe ich noch vor zum Strand, Fotografieren. Ein beeindruckender Sonnenuntergang vermittelt den Eindruck, der Vulkan stünde in Flammen. Dabei hüllt der sich nach wie vor in Wolken und sorgt dadurch für diese dramatische Beleuchtung.

Weil wir vom Mittagessen noch recht satt sind, wollen wir heute auf der Terrasse essen. Vorräte haben wir genug: Oliven, Pecorino, Tomaten, Brot, Malvasia (allerdings von Sizilien – der liparische ist unbezahlbar). Nur Wein fehlt noch. Ich flitze hoch zum Supermarkt bei der Kirche. Aber Mist – der hat pünktlichst um 20 Uhr zugemacht. Tja, wir sind hier nicht in Griechenland…. Schließlich erstehe ich im Hotel an der Bar eine Flasche Nero d’Avola für schlappe 16 Euro. Standesgemäß gibt es riesige Burgundergläser dazu (hab ich eine Angst, sie kaputt zu machen). Der Wein ist sehr gut, und wir sitzen lange in der lauen Luft auf unserer Terrasse. Sehen später die Wandergruppen mit ihren Lampen wie Glühwürmchenreihen vom Berg herunterkommen.

 

Um dreiviertel zehn ertönt Schiffslärm, und eine Hupe. Die „Laurana“ legt an auf ihrem Weg nach Neapel. Nur zwei Mal pro Woche pendelt sie in der Wintersaison zwischen Neapel und Milazzo, via Vulcano, Lipari, Salina, Panarea und Stromboli. Andere Verbindungen zu italienischen Festland im Mai? Fehlanzeige.

Leider gibt es für die italienischen Inseln auch keinen praktischen Gesamtfahrplan im Internet wie gtp.gr oder openseas.gr. Man muss sich bei den einzelnen Fährgesellschaften durchsuchen. Und es gibt Siremar, Ustica Lines, N.G.I., SNAV, Alilauro. Wobei die beiden Letzteren jetzt hier nicht fahren.

Die meisten Fährverbindungen werden mit Aliscafi, Tragflügelbooten, gefahren. Keine echtes Fahrvergnügen, und wenn es etwas mehr Wind hat, fallen die schon auch mal aus. Schnell sind sie dafür. Und außerdem sind die Nave, also die Schiffsfähren, nicht im besten Zustand. Da könnten sich die Italiener gerne mal ein Beispiel an den griechischen Fähren nehmen – da wird der Rost wenigstens regelmäßig übermalt. Aus den Augen, aus dem Sinn. Griechisches System.

Vielleicht ist der Rost doch ehrlicher?

 

Morgen wollen wir die noble Nachbarinsel Panarea besuchen.