Sulla montagna - am Berg

Wer bisher beim Lesen nun gedacht hat "Was faselt die immer von Stufenzahlen? Sie wird die Treppenstufen ja kaum mitgezählt haben? - Nein, das hab ich nicht.

Aber jemand anderes und der hat eine geniale Karte von Alicudi erstellt: Die Karte der "Metro Gradini", der "Stufenmetro" von Alicudi.

Häh, Metro? Eine Untergrundbahn auf Alicudi? Hat da ein fleißiger Buddler die Insel unterhöhlt?

Oder waren hier Gotthard- oder Stuttgart 21-Maulwürfe am Werk?

 

Nein, natürlich nicht.

 

Einer der 130 Arcudari (so nennen sich die Einwohner von Alicudi) ist Aldo Di Nora, und er hat einen Verlag, "Arbatus Editrice" gegründet (außerdem kann man sich bei ihm auch einmieten wenn man genügend Bargeld mitbringt), und zu jeder Äole einen Reiseführer herausgegeben (in Italienisch und teilweise in Englisch).

Außerdem hat Aldo Di Nora alle Wegabschnitte Alicudis vermessen beziehungsweise die Treppenstufen gezählt, und seine Ergebnisse in eine Art Linienplan eingetragen, mit Ortsschaften als Metrostationen. Und das Ganze dann "Metro Gradini" genannt.

 

Es gibt zehn "Linien", also Wege, in verschiedenen Farben verzeichnet, die bergauf (bzw. bergab) führen, und fünf (graue) Linien, die diese Linien an den "Stationen" auf verschiedenen Ebenen eher horizontal verbinden. Außerdem vermerkt er in dem Plan, wie lange man (er) für die jeweilige Passage hinauf und hinab braucht.

Vor Ort sind die Wege mit dreieckigen Markierungen in der Farbe der Metrolinie markiert.

Zusätzlich sind drei Schwierigkeitsgrade verzeichnet, die sich auf die Beschaffenheit der uralten Stufenwege beziehen.

 

Eine ziemlich geniale Karte. Ob man das auf die griechischen Inseln übertragen kann? Hätte mich interessiert, wie viele Stufen es zum Eros auf Hydra sind....

Sämtliche Stufenzahlen Alicudis addiert ergibt 7.321 (ich habe keinen Grund, an der Richtigkeit der Zahlen zu zweifeln). 7.231 Stufen - das (derzeitig) höchste Gebäude der Welt, das Burj Khalifa (828 Meter hoch) hat 2.909 Stufen bis zum 160. Stockwerk auf 620 Metern (und anscheinend 11.300 bis zur Spitze).

Gibt es auf Alicudi eigentlich einen Treppenlauf? Thomas Dold, übernehmen Sie! Ich zitiere mal von seiner Website: "Treppenlaufen ist etwas für Menschen, die den Aufstieg lieben. Es ist der direkte Weg zum Himmel".

Da muss der Himmel voller Arcudari sein...

 

Was auf der Metrokarte - es gibt inzwischen auch welche von Salina und Panarea - übrigens nicht eingezeichnet ist, ist die jeweilige Meereshöhe der einzelnen "Metrostationen". Da muss als Anhaltspunkt genügen, dass Pianicello auf knapp 400 Metern liegt, Montagna auf 500 und die Kirche San Bartolo auf 345 Metern. Und der Hafen logischerweise auf null.

 

Mit diesem Wissen und der Metro-Karte kann man auf Alicudi nun loswandern. Ein Ticket braucht man nicht, ein Wanderstock ist zu empfehlen (oder auch zwei), und robuste Gehwerkzeuge. Proviant und Wasser kann auch nicht schaden - es gibt über 50 Metern über Meer nichts zu kaufen.

 

Am ersten Tag begnügten wir uns mit der Wanderung nach Bazzina (siehe hier). Die Vegetation ist für September eigentlich wenig verbrannt, was daran liegt, dass es nicht so viel davon gibt. :-)

Dominierend sind Kakteen - überall liegen die stacheligen Früchte auf dem Weg, der Geruch von gärendem Obst liegt in der Luft. Vor der Berührung der Kaktusfeigen kann ich nur warnen: die haarfeinen Stacheln sind von unangenehmster Sorte und aus der Haut (oder gar den Lippen beim Verzehrversuch) wegen der Widerhaken schwer zu entfernen (ich empfehle Klebeband oder Klebstoff. Nein, nicht auf den Lippen...).

Normale Feigen wären uns lieber, aber die gibt es auf Alicudi nicht so oft (im Gegensatz zu Filicudi).

 

Die Qualität der Stufen reicht von kleinen gemauerten Stufen zu hohen, ausgespülten Naturstufen, je nach der Häufigkeit der Nutzung. Dazwischen hat es mal lockeres Steinpflaster, mal Naturwege, und alle Zwischenstufen.

Übrigens: wer denkt, das Erklimmen der Stufen wäre das Schlimmste, der irrt!

Man muss auch wieder hinab, und das geht so gepflegt in die Beine und Knie, dass man schon beim Aufstieg an den Abstieg denken soll. Es gibt nämlich kein Taxi, das einen bei Knieversagen abholen könnte. Wahrscheinlich gibt es deshalb keinen Treppenlauf auf Alicudi: die rennen nämlich nur hinauf, nie hinab. Es gibt aber weder Aufzug noch Seilbahn auf Alicudi (leider, ist man geneigt zu sagen).

 

Die Wanderung nach Bazzina war ein Spaziergang (ca. 770 Stufen hin und zurück), auch wenn die deutsch-französischen Ehepaare uns unterwegs entgegenkamen und nicht am Strand waren: zu steil sei der Abstieg zum Meer, zu warm die Temperatur am späten Mittag, man käme später am Nachmittag wieder (Häh? Da hatten sie schon Dreiviertel der Strecke und wollten später wiederkommen? *kopfschüttel*).

Richtig zur Sache ging es am nächsten Tag. Da war ich wohlweislich alleine unterwegs (man kann als Seniorin auf Alicudi eine veritable Stufenallergie entwickeln), und ohne Plan. Also ohne Plan wo ich hinwollte, außer hinauf.Der Stufenmetroplan hatte ich natürlich dabei.

 

Es hatte geregnet und tat es gelegentlich noch (endlich konnte ich das vor zwei Jahren für den ägäischen Winter gekaufte Regencape einweihen), und ich strebte nach höheren Sphären, ähm Alicudi-Etagen. Vom Hafen nach Perciato (der Felsen mit dem Loch) und von dort die westliche Treppe nach Tonna hinauf (380 Stufen, 31 Minuten) ging es wohlgemut. Tonna besteht aus einem guten Dutzend gepflegter und trotzdem unbewohnt wirkender Häuser in schönster Äolenarchitektur, und ein paar renovierten typischen Rundhütten aus Trockenmauern, "pagliara/pagghjara" genannt. Hübsch.

Die nächste Etage (ich nehme die westliche Schleife) hat nur 251 recht bequeme Stufen, damit bin ich auf der zweite Ebene an der Abzweigung zum Casa del Tramonto.

Keine Problem so weit, da geht doch noch mehr: nach Pianicello auf 380 Metern.

 

Nun kommt das heftigste Stück des Aufstieges - 620 Stufen, 45 Minuten. Und diese Stufen sind wild, richtig wild. Naturstufen, weilweise abgerutscht, dafür richtig steil. Von Kakteen eingerahmt, die mich streifen (prima, die feinen Dörnchen am Oberarm). Ich bin froh an meinem Wanderstock, der mit zusätzliche Halt verleiht (zur Erinnerung: es gibt keine Geländer hier). Auch wenn es keiner der alicuditypischen Stöcke aus getrocknetem Riesenfenchel ist, wie sie schon der antike Gott Dionsyios als Stütze benutzt haben soll (genannt "Thyrsos") wenn er dem Wein zu sehr zugesprochen hatte.

 

Die steilen Hänge sind mit (nur noch selten bewirtschafteten) Terrassen befestigt, und das untere Alicudi mit vielen Häuserdächern liegt mir zu Füßen. Unglaublich, wie steil es hinabgeht!

 

Nach 95 Minuten habe ich Pianicello erreicht, das ist ziemlich genau die Zeit, die Aldo Di Nora angibt. Pianicello ist die deutsche Aussteigerkolonie (ich höre auch deutsche Klänge aus einem der Häuser), auch hier kann man Ferienhäuser mieten. Diese Häuser sind hier nicht alle weiß, es gibt welche in ocker, altrosa oder gelb. Aber alle haben die wunderschönen Terrassen mit runden Säulen, die geflieste Steinbänke mit halbrunden Mauerbögen einrahmen.

Ein heftiger Regenschauer lässt mich Unterstand in einem der Trulli-Gebäude suchen. Gelegenheit für ein Telefonat hinab und eine kleine Vesperpause. Es ist kurz vor ein Uhr. Soll ich noch höher? Bis zum Filo dell’Arpa ist es mir zu weit (ich muss ja auch wieder hinab), aber ein Stück geht noch. Also nehme ich die Linie 2 bis zur Station 18, das sind nur 110 Stufen, 35 Minuten. Von dort dann hinüber nach Montagnola, und dann wieder abwärts, an der Kirche San Bartolo vorbei.

 

Oberhalb von Pianicello hat es keine Häuser mehr, die Stufen sind sehr steil und bestehen aus großen Steinbrocken. Ich erreiche ein kleines Plateau, man sieht aber weder den Gipfel und nun auch nicht mehr hinab. Aber die Umgebung wird immer grüner (schon vom Regen?) - niedrige Büsche (Erdbeerbäume?) und Brombeerranken. Nicht soo spannend.

 

Dem nächsten querenden Weg folge ich nach rechts, und wenig später dann dem Weg mit der braunen Markierung abwärts nach Montagna. Später werde ich mich ärgern, dass ich nicht noch bis zum Calderaboden bei Direttusu/Pianure gegangen bin - die Höhe der Hochebene hatte ich schon fast (wären aber laut Metrokarte hin und rück zusätzliche 80 Minuten gewesen). Aber ich war ja heute ohne konkrete Planung unterwegs (die Wanderung ist im Rother-Wanderführer "Sizilien und Liparische Inseln" beschrieben, Tour 56, 4 Stunden, "leicht"!!!) , und das rächt sich eben.

Nochmals werde ich während dieses Alicudi-Aufenthalts nicht auf diese Höhe kommen, das weiß ich. Und ob nochmals nach Alicudi?

 

Montagna ist die höchstgelegene Siedlung auf Alicudi, früher lebten die Einwohner hier geschützt vor Angriffen vom Meer (Piraten mögen keine Stufen). Ein Haus sieht gepflegt aus, der Rest verlassen. Weinberge überziehen die Terrassen, blaue Trauben dazwischen.

Direkt unter mir liegt nun die isabellfarbene Kirche San Bartolo mit ihren spitzen Glockenturm. Luftlinie ein Steinwurf, aber auf 462 gemauerten Stufen in Serpentinen abwärts eine Herausforderung für die Beine.

Ja, hinab ist heftiger als hinauf.

Mit zitterenden Knien stehe ich zwanzig Minuten später auf der Terrasse vor San Bartolo. Die Kirche ist geschlossen, natürlich. Überhaupt habe ich seit Pianicello keinen Menschen mehr gesehen. Nein, keine Gelände für einen Spaziergang. Und kein Abstecher zu den Häusern von Sgurbio, dem Weiler, der über Bazzina liegt und von hier gut zu sehen ist.

 

Aber weiter hinab, 570 Stufen liegen noch vor mir. Vorbei an Zisternen, Kakteen und Häusern, die wieder mehr Farbe haben je tiefer ich komme. Zurück im Leben in Vallone: hier ein Hund, dort hängt ein Strang getrocknete Zwiebeln, Keramikschilder weisen auf Ferienwohnungen hin. Hübsch hier, aber kein Laden. Es gibt das B&B von Rosina "alla mimosa", die wohl auch kocht. Ich komme dort vorbei, es sieht geschlossen aus. Oder sind die Gäste alle ausgegangen?

 

Dann die untere Kirche del carmine, fast geschafft. Meine Beine wollen nicht mehr, gut, dass ich nicht höher hinauf bin. Ein älterer Mann kommt von einem Seitenweg und wir ins Gespräch. Renato ist eigentlich aus Neapel, war in den Staaten, und jetzt wohnt er auf Alicudi, das er liebt weil es so ruhig ist. Seine Begeisterung springt ihm aus den Augen. Er hat Kräuter gesammelt, die wären gut für die Küche. Dann lassen wir den vierzehnbeinigen Heutransport passieren.

 

Alter auf Alicudi? Seniorengerecht ist die Insel nicht, aber man kann beistimmt eine Lebensmittel-und -Wasser-Abo im Lebensmittelladen unten abschließen, samt vierbeiniger Lieferung. Es gibt eine Ärztin auf der Insel, und den Notfallarzt (mit Ambulanz-Muli?). Und übrigens auch eine Schule, die aktuell drei Kinder hat: ein italienisches, ein französisches und ein rumänisches. Und zwei Lehrer.

Kurz nach drei Uhr bin ich wieder im "Eucalipto", strecke mich dort auf den Sonnenliege aus.

Die Bilanz: vier Stunden unterwegs, 2.660 Stufen bewältigt, und völlig erledigt.

Heute mag ich keine Stufe mehr sehen.

 

Muss aber natürlich, denn das Essen kommt ja nicht zu mir. Schade, dass es hier keinen Pizza-Service gibt.... Die Granita später im "L'Airone" hab ich mir echt verdient!

Den Regenbogen, der Filicudi überspannt, gibt es als Zugabe.

 

Und morgen lege ich die Füße hoch!