Mani - die Ostküste

Gegen Mittag verlassen wir Gythio. Der vormals blaue Himmel ist einem grauen gewichen, aber immerhin soll es nicht regnen. Vorbei an Mavrovouni, später passieren wir eine größere Brandfläche. 2021 hat es hier gebrannt, und früher auch schon öfters.

 

Bei Chosiari biegen wir nach Süden ab, passieren Skoutari. Dahinter wird es einsamer. Der Himmel hat sich weiter verdunkelt, eigentlich war kein Regen vorhergesagt. Den ersten Fotostopp legen wir in Kótronas ein, einem Dorf mit traurigem kleinem Hafen und der Bronzestatue eines Manioten mit Gewehr über der Schulter. Ioannis Demestichas heißt er, und unter seinem Kriegsnamen "Kapetan Nikiforos" war er als Marineoffizier mal nicht im griechischen Unabhängigkeitskampf tätig, sondern später in den Balkankriegen und im 2. Weltkrieg, wo er kurzzeitig Minister einer Exilregierung war. 1882 in Athen geboren und 1960 in Marousi gestorben, stammte seine Familie aus Kotronas. Sonst kann ich hier nur eine Gorgone für meine Sammlung ablichten, und einen Mani-Turm am Ende der Straße.

 

Hinter Kotronas macht die Straße einen Knick ins Landesinnere. Vor uns verstreute Dörfer, auf einer silbergrünen Terrasse vor den südlichen Ausläufern der Berge liegend. Graue Felsen und graue Häuser und Türme - über uns verfließen die Grenzen zwischen Natur und Gebautem. Vertikale Akzente setzen die nun häufiger und höher werdenden Wohntürme. Zeichen eines absurden und menschenvernichtenden Kampfes verfeindeter Familien im 18. und 19.Jahrhundert. Nicht Menschen zählten, sondern "Gewehre". Das waren die männlichen Nachkommen, die in die maniotischen Familien geboren wurden. Die Manioten empfanden sich ja als legitime Nachkommen der antiken Spartaner, die auch eher durch Kampf als durch Grips überzeugen. Männer, Macht und Ehre - bis heute oft eine unheilbringende Mischung.

Wir haben Hunger und halten in Flomochóri, das ein Stück zurückgesetzt vom Meer liegt. Steingrau gepflastert die Straßen, steingrau die Wände, manchmal stockwerkhoch in Türmen, die sich vom wolkenschweren Himmel abheben. Eine düstere Gegend.

 

Aber an der Platia finden wir ein geöffnetes Lokal, "I Plateia tis Manis". Ein Psistaria-Kafenio. Ein paar alte Männer sitzen draußen hinter windabweisenden Folien, nicken zum Gruß. Wir sitzen lieber hinein in die Gaststube, auch wenn wir da alleine sind. Der Wirt offeriert Souvlakia, Schwein oder Huhn. Drei solche. zwei andere. Dazu einen Tzatziki. Bergtee gibt es nicht, also muss Wasser reichen. Dann muss der Wirt erst mal eine Küchenkraft - die Tochter? die Frau? - herbeitelefonieren, was dauert. Aber wir sind ja nicht in Eile.

 

Wir bezahlen 14 Euro für das Mittagsessen und vertreten uns dann noch die Beine im Ort. Bekommen das Steinerne zementiert. Auch die kleine Bruchsteinkapelle, abweisend streckt sie uns die fensterlose Apsis entgegen. Aber die Türme sind gut erhalten, wurden offenbar als Sommersitze umgenutzt. Ein Urlaubsaufenthalt im Wohnturm lässt sich bestimmt gut verkaufen, mit Zuschlag pro Stockwerk. Nicht barrierefrei allerdings.

Sonne wäre schön, aber die hat ihre heutigen Sonnenstunden schon verbraucht.

 

Die Straße führt nun ein Stück oberhalb der Küste fast schnurgerade weiter nach Süden. Wir passieren Kokala = Knochen. Auf Hügeln thronen Festungsdörfer wie Spira. Oder oberhalb von uns. Wir halten nicht an - oft sehen sie von der Ferne besser aus als von Nahem.

Draußen auf dem Lakonischen Golf liegen zwei, drei Dutzend Frachter auf Reede. Worauf warten sie?

 

Da wir heute die Mesa Mani, die Innere Mani, nicht umrunden wollen - dazu ist es zu spät - beenden wir unseren Nachmittagsausflug in Lágia, wo wir das Auto an der Platia - auf der Mani auch Rouga genannt - erneut abstellen. Auch Lagia ist ein steinernes Dorf, das unbewohnt wirkt. Die Taverne "Koinotikon" wäre für einen Elliniko gut gewesen, aber sie ist geschlossen. Eine Meute Hunde bellt uns von einem Dach aus wild an, als wir an dem Grundstück vorbei aufwärts steigen. Rosmarin blüht zwischen gepflegten Mauern. Kakteen hat es auch. "Tischtennisschläger" schrieb Patrick Leigh Fermor. Das gefällt mir. Und die nackten glatten Äste der Feigenbäume, die Enden vertikal emporragend. Vieles sieht renoviert aus. Bestimmt ist hier im Sommer einiges los. Wir verlaufen uns am oberen Ortsrand in den Gassen zwischen den Steinwänden, müssen mehrmals wieder umdrehen.

In der nahen Ferne grüßen baumlose Hügelkuppen.

Schließlich sind wir wieder unten an der Platia, wo auf der anderen Straßenseite eine Kirche mit dickem Uhr- und Glockenturm und niedrigem scheinendem Bau steht, Kimisi tis Theotokou, Entschlafung der Muttergottes. Der Schlüssel steckt in der Türe, und so betreten wir das Kirchengebäude. Wundern uns, dass wir nun oben auf der Empore und auf Augenhöhe mit dem komplett bemalten Tonnengewölbe sind: Die Kirche steht am steilen Hang, und das eigentliche Kirchenschiff ist zwei Stockwerke tiefer. Und die Kirche ist mit Fresken in einem interessanten Stil ausgemalt. Vielleicht nicht so alt, aber irgendwie besonders. Patrick Leigh Fermor inspiriert sie in seinem Buch "Mani" zu einem sehr langen Exkurs über Heilige, Geister und vieles mehr. Anhand dieses Buches kann ich nun gut nachvollziehen, warum er sich so schwer tat, seine Bücher fertigzustellen. Zu viel Abschweifung. Zu viel Wissen. Manchmal auch für die interessierte Leserin.

Auf dem gleichen Weg fahren wir dann wieder nach Gythio zurück, 112 Kilometer lang war unser erste Mani-Besuch.

 

Und wo wir gerade bei Wiederholungen sind: am Abend sind wir wieder im "90 Moires" ("90 Grad", geografisch) zum Essen. Die Politiki Salata ist wieder gut, und auch meine Fischsuppe. Barbaras scharfe Peperoni sind zwar scharf, aber sonst etwas langweilig. Vorab hatten wir einen gegrillten Talgani-Κäse, eine lokale Käsesorte, die dem zypriotischen Halloumi ähnelt. Der Weißwein ist heute leider auch nicht spezial, sondern normal. 35 Euro bezahlen wir, und sind gut satt. Das nächste Mal aber eine andere Taverne, es hat ja genug davon.

Übermorgen fahren wir wieder auf die Mani. Morgen auf die Insel.