Chora Sfakion und Umgebung

 

Der Blick nach draußen raubt uns die Illusionen – kein Schiff wird kommen! Zumindest, um uns nach Gavdos zu bringen. Es regnet zwar nur noch wenig, aber der Wind ist zu stark und auch noch von Westen. Wird nicht gehen. Wir spazieren dennoch runter zum Tickethäuschen, denn die Hoffnung stirbt zuletzt: „Ochi. No boat to Gavdos today“. Und der Zettel mit den Gavdos-Fährzeiten ist auch weg.

 

Da wäre noch Plan B. Plan B sieht vor, heute nach Paleochora zu fahren und es morgen von dort nach Gavdos zu probieren. Laut Fahrplan geht die Fähre nämlich montags und dienstags von Paleochora nach Gavdos (wer macht eigentlich so bescheuerte Fährpläne?). Dann müssten wir aber mit der Fähre die Küste entlang, nach Agia Roumeli, dort umsteigen und auf die Anschlussfähre warten.

 

Wollen wir das wirklich? Nein, wollen wir nicht, vor allem, nachdem wir von der Ticketverkäuferin die Auskunft bekommen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Fähre morgen ab Paleochora geht, „fifty-fifty“ ist. Dann also Plan C: Wir bleiben bis Freitag in Sfakia und nehmen dann die Fähre rüber. Wollten hier sowieso ein paar Tage verbringen, wandern, gucken. Schnell noch eine Auskunft (weil ja der Zettel fehlt): Ja, wenn das Wetter ok ist, fährt die Fähre am Freitag. 11.30 Uhr. Prächtig!

So sieht das an dem Tag auf der Webcam von Wolfgang Kistler aus.  www.wkistler.de
So sieht das an dem Tag auf der Webcam von Wolfgang Kistler aus. www.wkistler.de

Es ist 10 Uhr vorbei, und die andere Fähre, die „Daskalogiannis“ kommt gerade von Loutro. Das heißt, sie kommt nicht, sie muss, wie gestern, am Ilingas-Strand anlegen. Gut, dass wir gegen Plan B entschieden haben! Diese Fähren hier, mein Vertrauen in sie hält sich in Grenzen. Sehen mehr aus wie Landungsboote mit ihrer großen Klappe vorne. Haben kaum Tiefgang und keinen Kiel und können deshalb auch an Stränden anlegen. Sind dafür aber nicht so seetüchtig wie „richtige“ Fähren und müssen bei Wind schneller im Hafen bleiben. Heute verkehren auch weniger Verbindungen, die Samaria-Schlucht ist wegen des miesen Wetters geschlossen, das große Geschäft nicht zu machen.

 

Nach einem Bummel um den neuen Hafen frühstücken wir erst Mal auf dem Plätzchen vor dem Hotel Stavris. Frühstück à la carte zu fairen Preisen und mit ganz normalen, leckerem Brot. Gut! Es schüttet wieder. Praktischerweise haben wir einen überdachten Platz. Sagen Giorgos, dem Chef, dass wir bis Freitag bleiben würden und fragen gleich ob wir ein Zimmer weiter oben bekommen könnten, mit mehr Aussicht. Bekommen wir eine Stunde später. Während wir uns häuslich einrichten und neu orientieren, macht sich draußen das Wetter. Ja, da schau’ her – so haben wir uns das vorgestellt: blauer Himmel und Sonne. Was nun tun mit dem angebrochenen Tag?

 

Wir gehen zum Ilingas-Strand, schon weil wir wissen wollen wie da eine Fähre anlegen kann. Der Weg verläuft auf der Straße, knapp 20 Minuten brauchen wir bis eine Piste die hundert Meter zum Strand und einer Taverne hinabführt. Es hat nur wenige Badegäste, teilweise spärlich bis gar nicht bekleidet, an dem Kieselstrand. Wieso hab ich eigentlich die Badeschuhe nicht dabei (auch eine neue Errungenschaft, nach den Erfahrungen von Chalki)? Im Hotel liegen sie gut, nützen aber nichts. Hier könnte ich sie brauchen – sehr unbequem, der Strand! Und es hat immer noch reichlich Wellen, die einem die Entscheidung, ob man langsam oder schnell ins Wasser will, umgehend abnehmen - schwupps ist man drin!

 

Später probieren wir einen „Sfakian Pie“ (Σφακιανα πίτα) in der Taverne „Ilingas“. Die mit Mizithra-Käse gefüllten und mit Honig übergossenen Pfannkuchen sind nicht ganz nach unserem Geschmack – innen trocken, außen bäbbig. Schreit nicht nach Wiederholung.

Auf dem Rückweg fällt uns noch einmal die neue Ikonostasi/ Proskinitari kurz vor Chora Sfakion auf: Vor einem Jahr ist eine junge Frau hier mit ihrem Auto tödlich verunglückt, die Ärztin von Anopolis auf der Rückfahrt von ihrer Abschiedsparty. Eine schlecht abgesperrte Baustelle, keine Leitplanken, zu viel Raki oder Wein, eine links steil abfallende Küste... wir frieren, obwohl doch jetzt die Sonne scheint.

Auf unserem Balkon genießen wir später die letzten Sonnenstrahlen am Nachmittag. Schon um 19 Uhr verschwindet die Sonne hinter den westlichen Ausläufern der Berge. Die letzte Fähre kommt, nur eine Handvoll Menschen verlassen sie, keine Schluchtwanderer heute.

 

Bei den vielen Tavernen in Sfakia ist es nicht leicht, eine Auswahl zu treffen. Wir entscheiden uns für das „Delfini“ vorne am Platz. Der deutschsprechende und beanzugte Ober geht uns ein wenig auf die Nerven. Uns scheint, er wohnt auch dort, denn man trifft ihn schon am Vormittag im Lokal an, er grüßt uns nun immer auf Deutsch. Die benachbarte Taverne lockt mit einer großen Glastheke, darin viele große Fische auf Eis (auch tagsüber in der Sonne). Wo sollen denn so viele Kunden herkommen, diese Fische zu essen? Heute, am Sonntag, sind nur wenige Gäste da – am Schluss macht man vielleicht Fischsuppe daraus. Frischer Fisch?

Der nächste Morgen empfängt uns wieder mit grauem Wetter, regenschwere Wolken, aber wenig Wind, und kalt ist es auch nicht. Nach dem sonnigen Nachmittag gestern hatten wir gehofft, das wäre vorbei. Nix war’s. Am westliche Horizont sehen wir die Fähre nach Gavdos ziehen – sie ist doch gefahren! Sollen wir uns nun ärgern? Wir beschließen, es nicht zu tun, außerdem wundern wir uns warum wir die Fähre überhaupt sehen können, Paleochora ist doch ein ganzes Stück weiter westlich, da müsste sie hinter dem Horizont verschwinden. Einige Tage später erfahren wir, dass die „Samaria“ jeweils auf Hin- und Rückweg von und nach Paleochora über Agia Roumeli fährt – dorthin wäre es ja nicht so weit gewesen....

Chora Sfakion ist nun, ehrlich gesagt, kein Ort für schlechtes Wetter und Nichtstun. Wir wollen etwas unternehmen und beschließen, nach Loutro zu wandern. Packen Badesachen ein, Regenzeug und Schirm.

Wandern auf der Straße nach Anopolis bis zur ersten Kurve, dort verläuft der E4, der europäische Fernwanderweg 4, die kretische Südküste entlang. Dank der schwarz-gelben Markierungen ist er gut zu finden – ein Genuss. Kein Genuss ist aber der erste Regenguss, der uns nach den ersten hundert Meter auf dem Felsenweg erwischt. Wir können das Ärgste unter einem Felsenvorsprung abwarten, erreichen dann den Glyka-Nera-Strand, wo sich einige der Strandbewohner mit Mülltüten als Regenkleidung behelfen – wieso eigentlich, nackt ist doch auch wasserdicht? Ihre Klamotten trocknen auf einem Gestell – na, nicht wirklich, aber vermutlich gibt es inzwischen nichts Trockenes mehr. Den nächste Gruß von oben verbringen wir unter einer Tamariske am Strand. Man könnte ja baden, es ist nicht kalt, und nass sind wir eh, aber hinterher wieder in regennasse Klamotten? Wir verzichten leichten Herzens. Zum letzten Mal kübelt es nach der Agios Stavros-Kapelle – die Regentropfen auf den Kieselsteinen lassen diese wie Ostereier aussehen. Loutro haben vorne schon im Blick, und der Himmel reißt auch auf. So wird die Wanderung noch richtig schön. Vereinzelte knorrige Bäume, Steineichen vermutlich. Vor noch nicht so langer Zeit scheint es hier auch gebrannt zu haben.

Dann erreichen wir Loutro. Sehen oberhalb den steilen Zick-Zack-Weg, der von Anopolis herunterführt (Nein, beschließen wir: Das muss nicht sein. Heute sowieso nicht.) Loutro, ein ehemaliger Fischerort, nur mit dem Boot oder per pedes zu erreichen. Klein, weiß, geschleckt, kuschelt er sich an die steilen Felsen einer Bucht. Im Sattel darüber sieht man die Ruine einer venezianischen Burg. Es gibt nur eine Straße, nein: Weg entlang dem Ufer, gesäumt von Tavernen und Cafés. Große Vitrinen zeigen, was es Essbares gibt: Auflaufformen en masse – wer wird das denn alles essen? Nicht so appetitanregend, auch wenn die Mikrowelle die von Touristen gewünschte Temperatur spielend möglich macht. Und Kuchen, Torten, Süßigkeiten. Kalorienbomben. Wir essen eine Kleinigkeit und bestellen ein Bier und eine Limonade, um uns ein Radler zu machen. Das Bier wird gebracht, wir warten auf die Limo. Gerade wie ich sie erneut anmahne, kommt ein Boot von der anderen Seite der Bucht, der Wirt nimmt eine Tüte vom Fahrer entgegen. Der Inhalt: Getränkedosen. Sozusagen der schnelle Lieferservice über die Bucht – beeindruckend!

 

Für Nichtwanderer sind die Wege in Loutro kurz: aus dem Hotel hinaus (dominierend das „Porto Loutro“, aber es hat auch sonst reichlich Gästezimmer) an den Strand, ein schmaler Kiesstrand mit Liegen, dominiert von britische Gästen im fortgeschrittenen Alter. Oder in die Cafe-Bar, den Souvenirshop, die Taverne. Das war’s. Dolce far niente, Kreta-Diät (die machen wir auch, schon seit der Ankunft: Essen und trinken alles, was es auf Kreta gibt). Oder mit dem Badeboot wohin, wenn der Strand zu überfüllt ist (und dazu gehört nicht viel, ca 30 Sonnenliegen und dazugehörige Schirme (Sonnen-, nicht Regen-) decken den Strand gut ab). Tretboot- und Kanuverleih dazu, wenn man schon mangels Straßen keine nervtötenden Mopeds oder Quads verleihen kann – Loutro ist ruhig!

Für Wanderer ist Loutro ein optimaler Ausgangspunkt für reichlich Touren - da ist Chora Sfakion im Nachteil, weil man mit der Fähre meist schon zu spät am Tag ankommt und in die Mittagshitze wandern muss (ja, die Hitze, die soll es hier geben, und wir werden schon noch in den Genuss kommen.. ;-)  )

Früh verschwindet in Loutro die Sonne, liegt der Ort im Schatten des Kastro-Hügels. Bevor um 16.30 Uhr die Fähre zurück nach Chora Sfakion kommt, wollen wir noch schnell vor, um das Kap gucken. Wir kommen aber nur bis zu der merkwürdigen Ikonostasi auf den antiken Säulen und der Kapelle dahinter, dann müssen wir umkehren, die „Daskalogiannis“ kommt. Macht nichts, wir wollen sowieso nochmals wiederkommen.

4 Euro pro Person kostet die Fahrt die Küste entlang zurück, dauert etwa 20 Minuten. Die Zahl der Passagiere hält sich in Grenzen – kaum Schluchtwanderer, kein Wunder bei dem Wetter.

 

Den Abend verbringen wir in sehr netter Gesellschaft auf dem Balkon mit Chora Sfakions schönsten Aussicht.

Chora Sfakion mag nicht so malerisch sein wie Loutro, nicht so ruhig, aber es ist authentischer, griechischer, hat auch neben dem Tourismus eine Existenzberechtigung. Sympathisch!