Nach Vrougounda

 

Als dann am Montag früh um Viertel nach sechs der Wecker klingelt, finde ich die Idee mit der Wanderung nach Vrougounda (oder Vourgounda, Wurgunda oder Vrykounda) doch nicht mehr so gut. Unterstützt wird diese Meinung noch von der Mutter, die es gefährlich findet, dass ich alleine wandern möchte. Ich ringe 20 Minuten mit mir, und überzeuge mich, doch aufzustehen. Für Frühstück ist keine Zeit, schnell ein Vesper eingepackt, eine Flasche Wasser abgefüllt (leider nicht kaltgestellt), die Bergschuhe an und ab zum Bus. Pünktlich um 7 Uhr fährt er nach Diafani runter, mit einem Abstecher über die Sommersiedlung Avlona.

Die Endstation in Avlona ist ein paar hundert Meter vor dem Ort – hier endet die asphaltierte Straße. Auf einem Feld unterhalb arbeiten drei Frauen in Tracht und ein Mann – Getreideernte, mit der Handsichel. Ein alter Herr steigt noch aus, wir kommen ins Gespräch. Er hat in den 1960er- und 70er-Jahren in München gearbeitet – wie einige hier im Norden. Wir gehen gemeinsam hinunter bis zur Sommersiedlung, er lädt mich auf einen Kaffee ein wenn ich von Vrougounda zurückkomme.

 

Rechts sehe ich die Taverne „Avlona“, die hoffentlich geöffnet haben wird wenn ich zurückkomme, jetzt ist sie noch zu, so wird das nichts mit Frühstück dort. War auch nur eine Option.

Avlona liegt noch im Schatten der benachbarten Bergrückens, das Laufen ist angenehm. Zunächst am Ortsrand entlang, dann durch ein schattiges Tor (Mit Wegweiser nach Vrougounda) um die Felder herum. Stacheliger Untergrund und die Stengel von Meereszwiebeln erschweren die ersten Meter. Ziegen lassen sich von mit erschrecken, ansonsten bis ich alleine auf weiter Flur. Es geht über die Hochebene Richtung Meer, der Weg ist problemlos zu finden, die Umgebung wird trockener, der Weg steiniger, unbequemer. Stufen und loses Geröll lassen auf jeden Schritt achten. Allmählich wird der Blick auf die Bucht von Vrougounda frei – Zeit für Frühstück, Landjäger, Brot und Wasser – ein frugales Mahl. Gestärkt fällt der Weg leichter, der nun deutlich bergab geht. Kein zu großen Schritte machen, sonst rutscht der Fuß auf den losen Steinern weg und man setzt sich auf den Hintern. Auch ein verknackster Fuß wäre hier in der Pampa und so alleine kein Vergnügen.

Links zieht sich ein hoher Felsenrücken in das Meer, darauf lag die antike Dorerstadt Vrougounda. Vorne sieht man einige Grabhöhlen. Ganz am Ende der Felsennase blitzt schon die Johanneskapelle auf. Das heißt, nicht die Kapelle selbst, denn diese befindet sich unterirdisch in einer Höhle. Aber die für das mehrtägige Panigiri, das Ende August hier stattfindet, notwendigen Gebäude. Da wäre ich gerne einmal dabei, aber es ist wie auf Kasos: Nicht meine Reisezeit.

Auf dem Felsenplateau befinden sich sehr viele Mauerreste, die Stadt muss riesig gewesen sein! Schon 1000 v.Chr. haben die Dorer hier gesiedelt, sind dann später vor zunehmenden Überfällen der Sarazenen und Piraten ins Landesinnere nach Olymbos geflohen und schließlich ganz umgesiedelt (ab dem 7. Jhd n.Chr.). Durch die abgeschiedenen Lage haben sich die Einwohner von Olymbos ihre Traditionen erhalten und sollen bis heute noch Wörter und Redewendungen der dorischen Sprache verwenden! Auch sollen die Menschen immer noch einem dorischen Typus entsprechen, anderes als im Inselsüden.

 

Zurück von diesem kleinen Exkurs nach Vroukounda: Am Ende des Felsenkaps befindet sich also in einer Höhle die Johanneskapelle, in die ich hinunterstiege. Angenehm kühl ist es hier, trotz des frühen Morgens hat die Sonne draußen schon mächtig eingeheizt. Wasser tropft, echtes Höhlenfeeling eben. Schön ist die Ikonostase aus Marmor, der Taufstein mit kreuzförmiger Ausbuchtung und ein Seitenalter  oder so. da muss ich einfach eine Kerze anzünden, was nicht so einfach ist, denn die Streichhölzer sind alle feucht, glücklicherweise hat es auch Feuerzeuge, korrodiert zwar, aber funktionstüchtig.

Ein schöner Ort, mit Ausstrahlung.

Wieder oben am Tageslicht nutze ich eine der beiden überdachten Holzbänke für ein Nickerchen. Unten tost das Meer, es ist recht wild heute, liegt weit unten, mit einem Bootsanleger – mir alleine zu gewagt, da hinunterzusteigen. Auf der anderen Seite der Bucht muss sich das antike Meerwasser-Schwimmbecken befinden – mir jetzt zu weit. Mein Trinkwasser geht schon zu Ende, und ich muss wieder hinauf nach Avlona. Zur Erfrischung gönne ich mir ein Bad im Meer, den Bikini brauche ich nicht, es ist niemand da weit und breit. Die Brandung ist aber ganz ordentlich, und die großen Kiesel sind rutschig. Inzwischen ist es 10 Uhr vorbei und nehme den Rückweg nach Avlona, sehe noch kurz an der Kapelle Agia Marina vorbei.

 

Der Rückweg setzt mir zu, obwohl er nicht sehr steil ist. Aber nun hat es keinen Schatten mehr, nur noch Felsen und Steine, die unregelmäßigen Stufen. Das wäre nichts für die Begleiterinnen gewesen. Ich möchte hier nicht am Nachmittag gehen, wenn es noch heißer ist. Bin klatschnass geschwitzt. Das Schweizer Paar hatte gewarnt, dass der Rückweg unfreundlich sei. Die Vision von einem Kaltgetränk treibt mich vorwärts, Tunnelblick. Hätte ich nur noch eine Wasserflasche dabei! Dann kommen mir zum ersten Mal heute Leute entgegen, bin doch nicht alleine so bescheuert, hier heumzurennen. (Wobei die Bewohner von Olymbos ein anderes Verhältnis zur Fortbewegung zu Fuß pflegen als die meisten anderen Griechen – hier gab es über die Jahrhunderte kaum Alternativen, und die Monopatia sind gepflegt).

 

Endlich kommen die Häuser von Avlona in Sicht, Gott sei Dank! Ich falle dort in die Taverne, die nun geöffnet hat – ich glaube, ich hätte sonst den Kühlschrank beraubt! Erst nach zwei Dosen Cola ist mein Wasserhaushalt wieder einigermaßen ausgeglichen. Ich habe für den Weg hinauf nicht länger gebraucht als hinunter, gut fünf Viertelstunden, eigentlich keine Zeit. Der Sohn des Wirtes spielt auf der Straße, später kommt noch der Opa dazu, sonst ist auch hier niemand da. Noch über 3 Stunden bis der Bus kommt...

Ich frage den netten Wirt, was er zu Essen hat. Omelette mit Artischocken – das klingt gut! Und schmeckt auch so! Kein Wunder, Fett ist Geschmacksträger, und das ist reichlich dabei. Mit reichlich Brot hab ich danach wieder Kräfte, und beschließe, nach Olymbos zurückzuwandern. Schnell noch eine Wasserflasche gekauft – nur 8 Euro für Omelette, Wasser und zwei Cola, mehr als fair. Bekommen einen griechischen Kaffee aufs Haus – sehr nett, denn den alten Mann aus München finde ich leider nicht mehr, komme um den avisierten Kaffee. An der Buswendestelle arbeiten immer noch die Frauen und der Mann auf dem Feld. Ich grüße und werde umgehend gefragt, wo ich herkomme.  Apo tin Germania – ja, auch sie hat in München gelebt, lang, lang ist es her, aber die Antwort kommt mit bayrischem Akzent. Die Liebe zur Heimat, obwohl mit so harter Arbeit verbunden, hat sie wieder zurück nach Karpathos getrieben – ich kann es verstehen, die Insel IST einzigartig.

Der Wanderführer empfiehlt eine Abkürzung der Straße, das ist mir wurscht, da muss man wieder bergab und herumsuchen – danke, nein. An einem Haus springt mir ein junger irischer Setter entgegen, so devot und verspielt, er bekommt ein paar Streicheleinheiten, will mich aber dann doch nicht begleiten.

Die Kapelle von Agios Konstantinos sieht man schon von weitem, auch von dieser Seite eine Landmarke, wie sie so malerisch auf dem Bergsattel liegt. Der Blick von hier auf Olymbos ist einfach traumhaft! Das Ziel ist gar nichts so weit, der Weg ab hier leicht bergab, durch grüne Landschaft, einer der schönsten Wege auf Karpathos. Es duftet nach heißen Kiefernadeln, nach Thymian, Glücksgefühle durchströmen mich. Wie schön, hier wandern zu dürfen!

Den unteren Teil des Weges kenne ich schon, er ist identisch mit dem Weg Diafani - Olymbos. An der neu gefassten Quelle etwas abkühlen, das Wasser ist erfrischend. Am härtesten wird es, wieder die zahlreichen Stufen hinauf zu unserer Unterkunft zu erklimmen – Olymbos liegt, wie es sich für einen Olymp gehört, auf dem Berg.

 

Nach einer Dusche geht es mir wieder besser. Mutter und Tante wollen hinüber zu der heute wieder einsam auf dem Feld arbeitenden Frau. Ich verzichte, mein Wanderbedarf ist gedeckt. Sitze auf dem Balkon und verfolge sie mit dem Fernglas. Da zieht von unten irgendwo Rauch herauf – ein Backofen wird eingeheizt. Da muss ich natürlich hin. Und bekomme so mit, wie zwei Frauen – Mutter und (Schwieger?)Tochter, die Mutter in Tracht - zunächst Paximadi backen, das zum Trocknen bestimmte Dauerbrot mit Anis, ich bekomme ein ofenfrisches Probestück.

Dann wird erneut eingeheizt, die großen Holzbrocken werden immer wieder verwendet und glühend aus dem Ofen geholt, zischend in einen Eimer Wasser gegeben. Mit Feigenbaumblättern wird der Ofen ausgeputzt, es richt süßlich-verbrannt. Acht bis zehn portioniere Ladungen Brotteig werden nun in Schüsseln gebracht, nacheinander in eine geflochtene Form gekippt, mit dem Messer kreuzförmig eingeschnitten und in den Ofen geschossen. Danach ist Zeit für Smalltalk. Am nächsten Tag treffe ich die beiden im Souvenirladen beim Kafenion „Tsambouna“ wieder – die ältere Frau ist die Gattin des Wirtes Antonis, und als ich frage, ob das Brot gelungen ist, bekomme ich glatt einen Viertellaib geschenkt – und es IST gelungen!

 

Mutter und Tante sind dann auch wieder zurück, erschüttert von den mühevollen Arbeit, die die Frau dort auf dem Feld vollbringt – für eine dürftige Ernte von ein wenig Linsen arbeitet sie tagelang! Da die einfache Frau natürlich kein Englisch kann, scheiterte die Unterhaltung an der Sprachbarriere. Ich soll am nächsten Tag noch mal mit hin zum Dolmetschen, was wir dann aber doch nicht machen.

Heute essen wir in der Taverne „Olymbos“. Ein Tisch ist für sechs oder sieben Leute reserviert und gedeckt, sie bekommen Fisch. Wir bekommen jede einen gemischten Gemüseteller angeboten, der gut ist, aber etwas umfangreicher sein dürfte und mit je 8 Euro preislich eher im oberen Preissegment liegt. Am Nachbartisch nehmen die Bauarbeiter Platz, sie sehen erschöpft aus, hätten vielleicht lieber einen deftigen Eintopf als Fisch. Alkohol ist Fehlanzeige – es sind wohl Moslems.

 

Die Tochter des Hauses schreibt sich am anderen Tisch einen Spickzettel, dabei ist die bestimmt über zwanzig Jahre alt! Wir fragen sie: sie ist fünfundzwanzig, geht hier im Ort auf das Lyzeum und hat morgen eine Prüfung. Viele der Schüler sind schon älter, man möchte eben allen eine gute Schulausbildung bieten, wobei die Tochter nicht weg oder studieren möchte, sie macht das nur für sich. Viele Schüler sind es auch nicht... Kein Wunder schickt Nikos aus Diafani seine Kinder lieber auf ein „richtiges“ Lyzeum auf Kreta!