Unten in Kamares

Von meinem Ausguck in Kamares gucke ich über die Bucht, und das ist einfach überwältigend.

Drei Tage (oder besser Nächte) habe ich mich hier, in den "Simeon Rooms", einquartiert, weil mein Stammquartier bei Flora in Ano Petali nicht die ganze Zeit frei ist.

 

Nach der späten Ankunft mit Aegean Airlines in Athen und der obligatorischen Übernachtung im Hotel Anita-Argo in Piräus habe ich die neue Fährverbindung der Aegean Sea Lines ausprobiert (früher Speed statt Sea), mit der "Anemos" (43 Euro). Das Baujahr 1980 merkt man dem Schiff nicht an, pünktlich wird abgelegt, zum Leidwesen einer verspäteten Familie mit Fahrrädern. Und die Klappe ist nach dem Vorfall mit der "Blue Horizon" Anfang September auch fast geschlossen ehe es losgeht. Selten habe ich eine fünfstündige Überfahrt komplett auf Deck verbracht, aber das Wetter ist lau und der Fahrtwind stört nicht. Im Gegenteil, er sorgt für angenehme Erfrischung. Und der humorvolle Barmann erteilt gerne etwas Griechischunterricht. Vorbei an Agios Georgios und mit Zwischenstopp in Serifos kommt die "Anemos" pünktlich um zwanzig nach eins in Sifnos an. Wo ich vergeblich nach meinem Vermieter Ausschau halte, und auf der Hauptstraße inseleinwärts ziehe. Ich solle vor der Töpferei (von Antonis, den gibt es natürlich immer noch, auch wenn er graue geworden ist) die Treppe hinauf gehen, schreibt Simeon dann. Immerhin kommt er dann doch und trägt meinen Trolley hoch, als ich um Hilfe mit dem Gepäck bitte. Ich schwitze auch so schon. Der Hauszugang erfolgt von der Rückseite, wo auch eine Zufahrtsstraße ist. Geht also auch (fast) stufenfrei.

Und nun genieße ich die Zeit in Kamares am Meer, was auch wegen der für Ende September recht warmen Temperaturen um die 30 Grad eine gute Wahl ist.

 

Morgens hüpfe ich noch vor dem Frühstück - frische Pitten von einem der Bäcker an der Paralia, dazu Kaffee und Joghurt auf meinem Balkon - ins 25 Grad warme Meer, schwimme raus zur Boje und zurück. Noch sind die Sonnenliegen leer, die man entweder gegen Verzehr in angegliederten Lokalen oder mit Schirm für zivile zehn Euro am Tag mieten kann. Das Wasser ist ganz flach und klar, ich wate hinaus und sehe etwas auf dem Boden liegen. Müll? Als ich mich nähere, bewegt es sich: Es ist ein Oktopus, und gar kein kleiner. In alle den vielen Griechenland-Jahren bin ich nie einem lebendigen Achtfüßler im Meer begegnet. Er schwebt langsam durch das Wasser, und ich folge ihm. Das missfällt ihm, und er schwimmt nun seinerseits auf mich zu. Ich weiche zurück, aber nun ist er im Angriffsmodus, und packt mich am Bein. Oder will er nur spielen? Ich erschrecke, schüttle ihn ab. Gemächlich entschwindet der Krake ins tiefere Wasser.

Pass nur auf, dass du vor keine Harpune kommst! Und ich schwöre, dass ich keinen Oktopus mehr essen werden. Was immerhin fast zwei Wochen lange auch durchhalten werde.

 

*

 

Mein Balkon bietet die Sicht auf die steile Bergwand jenseits der Bucht, deren zwei Gipfel von weißen Klosteranlagen bekrönt sind: Profitis Ilias Troulakiou und Agios Symeón, je etwa 450 Meter hoch. Angestrahlt schweben sie nachts wie Ufos über der Bucht. Ich habe beide schon auf einer Wanderung verknüpft besucht, möchte aber dem Hausheiligen von Kamares, Symeón, nochmals einen Besuch abstatten. Einen direkten Weg gibt es nicht, aber eine endlose Serpentinenstraße. "Acht Kilometer" behauptet der Wegweiser auf der anderen Buchtseite an der Kreuzung in Agia Marina. Bissle viel für aufwärts und 30 Grad, noch dazu am ersten Urlaubstag.

Aber von der Rückseite hätte ich schon die halbe Miete, und bergab wäre das dann nicht so wild, denke ich.

 

So sitze ich im halb elf im Bus nach Artemonas und von dort direkt weiter Richtung Cheronissos. An der Kreuzung nach Choni will ich aussteigen, erkläre ich der jugendlichen Fahrkartenverkäuferin, die für die Strecke zwei Euro 50 kassiert. Etwas zu spät hält der Bus, oberhalb der blaubekuppelten Kapelle Agios Ioannis Prodromos. Ein Schwarzgewandeter ist dort zugange, ein Pappás offenbar.

Ich gehe auf der Straße zurück bis zur Abzweigung am Zementwerk, wo auch am Sonntag gearbeitet wird. Baukrise? Nicht auf Sifnos. Dann auf einem Feldweg im Talboden wenige Schritte zur Kapelle, die unverschlossen und sehr gepflegt ist. Es ist aber niemand da.

 

Noch ein paar Schritte weiter, und dann beginnt links der Fußweg auf den Berg. Ich passiere ein Grundstück, auf dem ein älterer Mann zugange ist. Er trägt eine Unterhemd zur dunklen Hose, und fragt mich nach dem Weg. Nach Agios Symeón? Das wäre aber schwierig, der Weg sei in schlechtem Zustand. Dann bietet er mir einen Kaffee an. Ja, warum nicht, vielen Dank! Er bittet mich in sein schmales Einraumhaus hinter einer weinlaubgrünen Pergola mit Nebengebäuden. Hinten ein Bett, links ein beladener Tisch und zwei Hocker, auf denen wir Platz nehmen. Rechts eine Bank. Alles sehr sauber und gepflegt, aber umschwärmt von Fliegen. Ein kurzbeiniger Hund beschnüffelt mich freundlich. Malo heißt die Hundedame, die heute noch einem Bade entgegensieht, wie der Mann leutselig erzählt. Ob ich einen Raki wolle? In Hinblick auf meine bevorstehende Wanderung und die Wärme lehne ich ab, bekomme dafür prompt eine kleine Glasflasche der Spirituose abgefüllt. Für heute Abend. Dann der Kaffee, Wasser, Gebäck. Inzwischen habe ich auf den Fotos an der Wand meinen Gastgeber erkannt, im kirchlichen Gewand. Er ist also Pappás? Ja, er sei Pappagiannis, der Pappás von Taxiarchis in Artemonas. Und genießt den Sonntagmittag auf seinem "Stückle" bei Choni. Vielleicht hat er auch frei, er war am Morgen schon auf seinem Boot in Platys Gialos. In welchem Alter gehen orthodoxe Pappades eigentlich in Ruhestand? Er ist sehr sympathisch, neugierig ohne aufdringlich zu sein, und spricht ein gut verständliches Griechisch.

 

Er kommt auf den Fußweg nach Agios Symeon zurück: Wenn ich wolle, würde er mich hinauf fahren. Eigentlich wollte ich ja wandern, aber andererseits sollte man göttliche Boten nicht ausschlagen. Und es ist ja so warm, warum soll ich es mir nicht auch mal bequem machen - ich hab ja Urlaub. Ich nehme also sein Angebot an, und bekomme noch ein Glas eingemachte Aprikosen geschenkt. Und dann doch etwas Raki eingeschenkt. Mhh, der ist gut! Die Zeit wird dicker, ruhiger, schwerer ...

Der Pappas wirft sich seinen Talar über, der am Nagel in der Zimmerecke hing, und wenig später nehmen wir die Straße über Troulaki - ob ich lieber auf den Profitis dort wolle? - unter die Räder. Nein, ich bleibe bei Agios Symeon. Die Hündin sitzt im Schoß von Pappagiannis, so dass sie die Schnauze aus dem Fenster in der Fahrtwind stecken kann. Aus dem CD-Gerät des Autoradios kommen nun Nissiotika, dazu eine starke Stimme. Das sei er, sagt Pappagiannis. Wir lauschen beide dem durch tausende Gottesdienste geschulten Organ während wir die Serpentinen aufwärts klettern.

 

Schnell ist der Gipfel erreicht. Während ich zunächst die geniale Aussicht genieße, zündet Pappagiannis in der Kirche Weihrauch und Kerzen an. Ich werde die Straße hinabgehen, er muss nicht auf mich warten. Nach einem längeren Telefonat - immer in Dienst, natürlich - verabschiedet er sich, ruft Malo, und fährt talwärts. Und ich sinne über diese einmalige Begegnung während mein Blick über die Bucht von Kamares schweift.

Als ich später in brennender Mittagshitze auf der heißen Kurvenstraße abwärts gehe (sechs Kilometer sagt die App, an der Müllkippe der Insel und einem großen Ziegenhof vorbei), und selbst das sehr anstrengend und mühsam finde, wird mir klar, welch großen Dienst der Pappas mir da erwiesen hat. Vermutlich hätte ich die Wanderung abgebrochen, wäre erschöpft und schwitzend umgekehrt. Keine Ahnung wohin. Bei solchen Temperaturen sollte man nicht wandern.

Efcharisto poly, Kyrie Pappagianni! Ke doxa to Theo!

 

Ein Frappucino in dem Strandcafé "Isalos" in Agia Marina und ein Bad im Meer geben mir die Lebensgeister wieder. Zum Glück soll es morgen etwas abkühlen, sonst kann ich mir meine Wandertage auf Sifnos abschminken.

 

*

 

Als ich mein Quartier in Kamares gebucht hatte, freute ich mich auch auf die örtliche Gastronomie. Leider habe ich dann aber nur wenige Lokale ausprobieren können, und es zum Beispiel nicht zu "Simos" geschafft.
Bei "Meropi" schmeckten nachmittags der Kapernsalat und die Tirosalata zum fairen Preis. Offener Wein kein Problem, das Lokal war gut gefüllt. Das die Cola vom Nachbartisch auf meiner Rechnung landete, war ein Versehen und wurde umgehend behoben.

 

Auch im "Argyris" in Agia Marina bekommt man einen Viertelliter offenen Wein. Die inseltypische Revithada war ausgezeichnet dort, am Abend war das Lokal fast voll.

 

Eine Überraschung und vielleicht das beste Restaurant meines Urlaubes war das "Kafenés", das sich im Innenhof der Hotels "Boulis" befindet. Es ist nur am Abend geöffnet und hat einen gehobenen Anspruch, den es spielend einhalten kann. Reservierung empfohlen, aber auch ohne Reservierung wurde mir noch ein Tisch am Rande hingestellt als ich recht spät dort erscheine. Das geschmorte Kaninchen ist hervorragend, das begleitende Gemüsepüree raffiniert gewürzt. Dazu gibt es Quellwasser gratis und einen süffigen offenen Rotwein. Hätte ich gerne wiederholt, hat aber nicht gereicht. Nächstes Mal.

 

Für den schnellen Hunger ist die Psistaria an der Hauptgasse neben Pipi's Café gegenüber des Strandes gut geeignet. Vier Euro für die Pitta mit Soufalki oder Gyros. Natürlich kann man sich dort auch zum Essen hinsetzen, was tagsüber vor allem von griechischen Familien angenommen wird.

 

*

 

Inzwischen bin ich die meisten Sifnos Trails schon gewandert, auch mehrfach. Es fehlte aber noch 6a, und am Montag nehme ich diesen bergwärts, da knieschonend, in Angriff. Ein sehr steiler Anstieg, der kurz vor dem Ortsausgang rechts beginnt und an der Pumpstation vorbei führt. Bis zur Mavri Spilia gibt der Wegweiser 50 Minuten und 1,4 Kilometer an. Oben möchte ich dann ostwärts nach Apollonia wandern.

 

Der Hang liegt Ende September ganztägig im Schatten (wie auch mein Zimmer bei "Simeon", was ich angesichts der Wärme als angenehm empfinde). Trotzdem rinnt der Schweiß schnell in Strömen. Belohnt wird man mit einer wachsend tollen Aussicht über die Bucht, dieses Mal von der anderen Seite. Die Mavri Spilia, die schwarze Höhle verpasse ich dann glatt, weil ich schneller als angegeben dort bin, und sie nicht ausgeschildert ist. Gesehen hab ich sie dann schon, aber ich wollte nicht zurück. Eine Wiederholung des Geschehens an der Zas-Höhle im Mai auf Naxos. Aber ich bin ja nicht der Höhlenfreund..

 

Das Wandern ist im Herbst weniger schön als im Frühjahr. An blühenden Pflanzen kann die Natur im Herbst nur mir den filigranen Stengeln der Meerzwiebeln aufwarten, die sich tanzend im Wind wiegen. Ein paar Tage später kommen dann noch vereinzelt die bodennahen violetten Herbstlilien (Colchicum macrophyllum) dazu, die Krokussen ähneln. Ich bin froh, als ich den Querweg Nr. 6 von Apollonia zur Panagia toso Nero erreiche, denn nun geht es auf der Höhe weiter. "Kapsalos" heißt die Gegend, in der Steinhaufen und verfallende Gebäude auf die früherer Minentätigkeit hinweisen. Auch zwei Höhlen kann ich in einer Mulde unter mir sehen.

Der Wegweiser an der Wegkreuzung erschreckt mich: eine Stunde 40 noch bis Apollonia, für vier Kilometer. Diese Entfernung hatte ich ganz verdrängt. Mit Panorama wandere ich weiter, von oben winkt der Profitis Ilias.

Nach einer halben Stunde ist Agios Eleftherios/Lefteris erreicht, ein guter Platz für eine Rast mit Blick nach Osten und schon die zentralen Dörfer um Apollonia. Kirche und Küche sind unverschlossen, aber mir ist nicht nach Kaffee.

 

Nun geht es bergab, und eine Dreiviertelstunde später ist Apollonia schon in Reichweite und ich biege zur Kirche Theologos tou Mongou ab. Ein ehemaliges Nonnenkloster, schon im 13. Jahrhundert gegründet und 1456 wieder erbaut. Pforte und Türe sind mit Palmwedeln geschmückt, aber die Kirche ist leider verschlossen. In Gesellschaft einer Katze ruhe ich mich im Schatten einer laubüberrankten Pergola aus, trinke mein letzte Wasser aus der Flasche. Auch heute ist es noch recht warm. Da nähert sich ein Mann mit zwei dicke Plastiktüten, der mich ignoriert, kaum grüßt. Er schließt die Küche auf und deponiert Plastikbecher, Servietten und einige Sixpacks Wasserflaschen. Erst am Abend, bei einem Panigyri in Ano Petali zu Ehren von Agios Ioannis Theologos wird mir klar, dass auch Theologos tou Mongou heute feiert. Vielleicht im kleinerem Rahmen, aber doch.

 

Durch das Tal mit hübschen Taubenhäusern erreiche ich in einer halben Stunde Apollonia und das Kafenio von Lakis. Ich bin erledigt. Ein Bier und eine Limo, und der Kafetzis weiß, dass ich da nur ein Glas brauche. Es ist halb zwei, also war ich über dreieinhalb Stunden unterwegs. Etwas über sieben Kilometer in zweieinhalb Stunden reiner Gehzeit, 447 Meter auf- und 287 abwärts.

 

Mit dem Bus geht es wieder hinab nach Kamares, nach der innerlichen Erfrischung nun die äußerliche im 25 Grad warmen Meer. Abends mit dem Bus wieder hinauf, aber das kommt dann im nächsten Kapitel.

 

*

 

Bevor mich am Dienstagmittag das Taxi hinauf nach Ano Petali zu Flora bringt, unternehme ich noch einen Spaziergang nach Agia Marina und zur Agia Ekaterini. Es ist ein schwül-warmer Tag, und ich bin nass wie nach einer langen Tour als ich die Kirche meiner Namenspatronin erreiche. Das Meer in der Bucht leuchtet in Smaragdgrün, dahinter die weißen Häuser von Kamares und Wand der Profitis-Ilias-Massives. Schon schön.

 

Überrascht konstatiere ich, dass das Nebengebäude der Kirche offenbar an Urlauber vermietet wird. Oder gönnen sich die Kirchenzuständigen gelegentlich eine Pause auf einer der vier polsterbelegten Sonnenliegen? Nachdem sie vorher mit der Schubkarre tätig waren, die den Namen der Heiligen trägt? Diese Terrasse am Rande der Bucht hat schon etwas, auch oder gerade weil er nur zu Fuß zu erreichen ist. Hier liegen und den Schiffsverkehr beobachten. Wobei: von meinem Zimmerbalkon geht das auch ganz gut. Ich werde diese Aussicht in Ano Petali vermissen.

Für 14 Euro bringt Nikeforos, der Taxifahrer, mich hinauf. Teil zwei des Sifnosurlaubes.