Finiki, Pyles und Othos, und noch etwas Pigadia

Heute ist unser letzter Tag im Süden der Insel. Da wollen wir uns die Bergdörfer Pylés, Óthos, und Voláda angucken. Es gäbe da auch Wandermöglichkeiten (oder Spaziergänge), aber die hab ich mir schon abgeschminkt mit unserem Jajades-Trupp. Wenn ich unsere Mütter (Großmutter ist nur die eine) so nenne, ist das keinenfalls abwertend gemeint – der Ausdruck hat sich bei uns vor Jahren eingebürgert seit auf Anafi ein nach einem Weg befragter Einheimischer antwortete „οchi ja tis jajades“ (όχι για τις γιαγιάδες), also: „(der Weg ist) nichts für die Großmütter“. Nein, es gibt wirklich Wege, die man nicht mehr gehen muss wenn man über 75 ist, Großmutter oder nicht. Und deshalb fahren wir heute.

 

Zuerst halten wir aber in Finiki. Das Fischerdörfchen (33 Einwohner laut Census 2011, Arkassa hat übrigens 531) ist immer noch so verschlafen wie vor Jahren, noch dazu in der Vorsaison. Am späten Vormittag sind natürlich auch noch keine Tavernen geöffnet die Besucher anziehen könnten. Ob wir ab Abend herfahren sollen zum Fischessen? Mhh, eher nicht – wir sind gar nicht so wild auf Fisch. Ausländische Touristen? Fehlanzeige. Dabei sollen sie heute doch kommen, die Flieger aus Jermanía und Avstría. Sehnsüchtig erwartet.

So ist das einzige, das sich in Finiki bewegt, der Kranwagen, der das frisch gestrichenes Kaiki „Kapetan Giannis“ zu Wasser lässt. Unter den kritischen Blicken von ein paar alten Männern werden erst große Stoffbänder um das Holzboot gelegt und oben an einen Querträger an den Kran gehängt. Der Kranführer steuert den Kran fern und schwingt das Boot langsam und sanft auf das Wasser. Kanéna próvlima – die Fischsaison kann beginnen! Und wenn der Kranwagen schon mal da ist, kann er auch gleich die kaputten Mini-Palmen an der Uferpromenade herausreißen.

 

Wir inspizieren noch das kleine Denkmal für die sieben tapferen Männer der „Immakolata“, die im Oktober 1944 ohne Funk und ohne Kompass in drei Tagen nach Alexandria in Ägypten navigiert waren um für die hungerleidende Bevölkerung von Karpathos Hilfe zu holen, was dann auch tatsächlich gelang.

Pylés ist unser nächstes Ziel, das Dorf liegt fernab der Küste auf einer Höhe von etwa dreihundert Metern. Ein beschaulicher und ruhiger Ort mit vielen Blumen und Gärten. Der wasserreiche Ort – auch hier befindet sich ein dekorativ gefasster und mit Mosaiken (nachempfunden dem im Grabmal der Galla Placidia in Ravenna, und gesponsert von der Pyles-Gemeinde in Piräus) verzierter Brunnen unterhalb der Stavros-Kirche – inmitten grüner Terrassen.

 

Die Hauptkirche (mal wieder Kimisi tis Theotokou) ist eher neu und besticht durch den witzigen Glocken- und Uhrturm – halb auf dem Kirchendach, halb auf zwei dünnen Säulen stehend und filigran verziert. Und dann hat es überall Rosen, Passionsblumen, mit Geranien bepflanzte Blumenkübel und Mülleimer, naiv bemalte Fensterabdeckungen – man merkt, dass die Einwohner ihr Dorf lieben und ausschmücken.

Nur wenig Menschen sind unterwegs, das Kafenio „Kátoma“ (mit Internet-Café!) ist geschlossen. Vielleicht sollte man mal abends kommen, zum Sonnenuntergang.

Am lautesten ist es in der Café-Bar „Panorama“ am Ortseingang, da sitzen wohl die Einwohner und verstecken sich vor neugierigen Touristen. Schade eigentlich, dass wir noch nicht hungrig sind.

Oberhalb der Straße gibt es ein Landwirtschaftsmuseum, das leider auch geschlossen ist. Aber die an einem Hang angelegte Außenanlage des Museums kann man trotzdem angucken, Esel, Ziegen und Windmühle inklusive. Ein Besuch würde sich sicher lohnen.

In Óthos hatten wir eigentlich darauf gehofft, in irgendeiner Form dem verstorbenen Maler, Friseur und Schuhmacher Jannis Chapsís zu begegnen. Nein, nicht seinem Geist (womöglich mit der Lyra). Vor über zwölf Jahren hatten wir ihn erlebt: er hatte uns „abgefangen“, in sein kleines privates volkskundliches Museum genötigt und auf der karpathiotischen Lyra vorgespielt. Dort gab es auch unzählige kleine Fliesen und Holzplatten, die von ihm mit naiv-ironischen Szenen aus dem Leben des bäuerlichen Karpathos bemalt worden waren. Drei davon hatten wir gekauft und in Ehren gehalten. 2010 ist Chapsís im hohen Alter von 95 Jahren gestorben. Fred Wyss von den Hellasfreunden Bern hat im Bulletin eine kleine Sammlung seiner Werke zusammengetragen und ihn geehrt (http://www.hellasfreunde.ch/42_Bulletin%2011-1_20110_02_23_red.pdf).

 

Jetzt haben wir aber kein Glück – die Frage nach dem Haus, in dem sich sein Museum befand, wird zwar beantwortet, aber es ist verschlossen. War wohl auch naiv zu glauben, dass man dort noch etwas von ihm käuflich erwerben könnte – wo es sogar schon Galerien gibt, die ihn vertreten: http://www.galerieunterlechner.at/wp/ioannis-chapsis/ Dafür gibt es einen andere Laden mit naiven Produkten – bemalte Kalebassen-Kürbisse, Holzschnitzereien, Lyres, Schmuck. So eine Lyra wäre ja nett, übersteigt aber mein Budget (falls ich mir in Olymbos noch ein Paar Stiefel machen lassen möchte). Nett ist auch noch die an die Straße gekuschelte himmelblaue Kirche - schon wieder Kimisi tis Theotokou, und schon wieder mit einer neuen gemauerten Brunnenanlage samt Garten. Was das eine Dorf hat, braucht hier auch das andere.

Nach Süden hat man einen tollen Blick auf das weiße Häusermeer Pigadia.

Weil die Mütter gestern nicht mit dabei waren, fahren wir nochmals auf die Lastos-Alm ins „Kali Kardia“ zu Mittagessen. Da ist heute richtig was los: eine holländische Yoga-Gruppe mit einem Dutzend Frauen hat von Lefkos aus einen Tagesausflug mit Mietwagen hierher gemacht, ein paar junge OsteuropäerInnen pellen Erbsen, und später trudelt noch ein größere deutsche Wanderergruppe ein, von Adia kommend (und ziemlich am Ende, vier von ihnen sind das letzte Stück per Anhalter auf einem Pick-Up gefahren). Thanassis ist erst mal im Stress, aber für uns bleibt auch noch Hase (lecker!), Artischocken (sowieso), Gigantes und Fava übrig (bei den Müttern stellen sich diesbezüglich erste Ermüdungserscheinungen ein. Der Hase – von Thanassis eigenhändig erlegt – schmeckt sehr gut und ist glücklicherweise bleifrei. Rakí gibt es natürlich auch wieder, aber heute fahre ich – nur ein Schlückchen für mich.

Dafür ist der Pool leer – Thanassis musste das Wasser austauschen.

 

Noch eine Runde zur den Kapellen auf der Hochebene: Taxiarchis (alt), Agios Fanourios (dazugebaut) und Agia Marina (neu und prominent auf einer Plattform mit überdimensioniertem glänzendem Kreuz).

Dann geht es durch Volada und Aperi nonstop (es ist jetzt eh Siesta) hinab nach Pigadia – wir brauchen dringend ein belebendes Kalt- bzw. Heißgetränk in Form von Frappé und Elleniko. Weil wir morgen noch Zeit in Pigadia haben werden, und auf der Rückreise nochmals, und die Geschäfte jetzt außerdem fast alle geschlossen sind, bleibt es da auch dabei, und nach der Erfrischung im „Diapori“ an der Paralía fahren wir über Menetes nach Arkassa zurück.

 

Wo die Cousine und ich noch schnell ins Meer springen – jetzt wunderschön! Und aufgeräumter als vor drei Tagen ist es inzwischen auch.

Vor dem Abendessen hab ich noch was vor. Ich will mich endlich mit Rena und Nikolas treffen, die seit zwei Jahren in Arkassa leben und die ich vom Karpathos-Forum (bisher nur virtuell) kenne. Um sieben Uhr erwarten sie mich auf einen Ouzo in ihrem Haus, am oberen Ortsrand von Arkassa gelegen. Sie haben sich sehr schön eingerichtet in ihrem gemieteten Haus, mit Panorama-Blick nach Westen, und gehören auf alle Fälle nicht zu der Sorte Auswanderer, mit der man haarsträubende Doku-Soaps bei Privatsendern befeuern kann. Leider habe ich nur eine Stunde Zeit zum Schwätzen – viel zu kurz um sich über alles Interessante und Wissenswerte auszutauschen. Trotzdem: es ist immer nett, wenn man virtuelle Bekannte im „echten“ Leben trifft, und merkt, dass man auf einer Wellenlänge ist.

 

Herzlichen Dank, Rena und Nikolas, und immer eine gute Zeit auf Karpathos! Ich hoffe, wir treffen uns mal wieder, mit mehr Zeit.
 

Unsere Frauen-Reisegruppe will samt Hahn im Korb Theo im „To Perasma“ zu Abend essen – bis zur Platía ist es der Tante zu weit (ich wäre lieber nochmals zur Zack-Zack-Mama). Die Grilltaverne liegt am Durchgangsweg über dem Flusstal unweit des Hotels „Popi“ und wir wurden bei der Passage dort immer sehr freundlich gegrüßt. Barbara holt Theo im Hotel „Popi“ ab und bekommt von der namensgebenden Wirtin schnell noch eine Handvoll frischgebackene Zwiebel-Kringel in die Hand gedrückt – zwei Tage später sind sie steinhartes Paximadi und nur eingeweicht ohne Zahngefährdung essbar. Aber lecker!

 

Der Wirt offeriert uns eine Zusammenstellung verschiedener griechischer Speisen inklusive gegrilltem Fleisch, das Theo noch durch Paidakia erweitert sehen möchte. Es kommen Tsatsiki, Pommes, Gemista und Stifado, dann der Grillteller mit Spieß, Wurst, Schweinebauch und Koteletts. Ein Liter Rot- und Weißwein dazu, je nach Gusto. Die Lammkoteletts sind allerdings ziemlich angebrannt (der Grund warum ich sie nie bestelle – was sollte da außer verkohlten Knochen groß dran sein? Und Knochen sind besser für Hunde), und Theo guckt unglücklich (seine Wunsch-Fava wurde von den Müttern gestrichen – „nicht schon wieder Fava!“). Es ist schwierig, allen gerecht zu werden, und umso mehr je länger wir zusammen sind.

 

Schade, dass die hochgelobte Taverne „To Steki tou Markou“ noch nicht geöffnet hat. Aber die Vorsaison hat definitiv zahlreiche Vorteile, da muss man ein paar Nachteile eben in Kauf nehmen.

 

*

 

Am Mittwoch gegen elf Uhr verlassen wir mit gepackten Koffern Arkassa und das „Glaros“. Es hat uns dort sehr gut gefallen, allenfalls die 45 Euro für das Doppelzimmer sind für die Vorsaison eigentlich zu teuer. Und in unserer Dusche gab es eine neue Variante des „nassen Bades“: das Duschwasser läuft unter der breiten und leider undichten Marmorumrandung durch und überschwemmt den Badezimmerboden. Egal wie dicht man den ausreichend langen Duschvorhang auch installiert hat. Griechische Bäder – wir schreiben in diesem Urlaub neue Kapitel.

 

Die „Prevelis“, unser Schiff nach Diafani, geht erst um 15.10 Uhr ab Pigadia. Pünktlich wird sie auch nicht sein wie wir der Marinetraffic-App entnehmen können (die Studios haben Wlan) – noch ist das Schiff vor Kassos. Die Rückgabe des Mietautos am Hafen haben wir auf drei Uhr verabredet. So bleibt uns noch genug Zeit für einen Stadtbummel samt Shopping. Das Mietauto parken wir bei den Taxi-Ständen (gegenüber dem Hotel „Karpathos“, in dem wir bei der Rückreise nächtigen wollen).

Dringend brauchen wir Postkarten samt Briefmarken – in Pigadia bekommen wir beides problemlos  auch ohne die Post aufzusuchen zu müssen in den Souvenirläden - aber nur so viele wie man auch Karten kauft. Ein schwarzes Kleid wandert als Souvenir über den Ladentisch (nein, keine Tracht. Aber wie es wohl zu olymbitischen Stiefeln passen würde?), dann gibt es noch Seife in dem Laden mit dem niedlichen Welpen (am Straßenrand ausgesetzt gefunden), und in der Apotheke etwas gegen den Husten der Tante (mein Husten wird erst später kommen – noch bleibt es bei Schnupfen).

 

Bei der Ticketagentur Possi-Travel erstehe ich die Tickets nach Diafani – vier Euro pro Person. Wenn das mal nicht preiswert ist! Und da steht auch plötzlich Theo hinter mir, der per Taxi nach Pigadia gekommen ist. Er braucht noch Geld aus dem Automaten bevor es abseits der Zivilisation in den hohen Norden geht. Ja, im Norden von Karpathos gibt es immer noch keinen Geldautomaten, und Jörg, den wir dort kennenlernen werden, wird deshalb ein kleines Problem haben.

Im „En plo“ (= an Bord) essen wir Omelettes in verschiedenen Varianten – gut und reichlich, sehr aufmerksamer Service - , dösen etwas und checken die Position der „Prevelis“ via marinetraffic. Es wird Zeit, das Auto abzugeben. Da wir gewarnt worden waren, dass es am Hafen Strafzettel geben würde, holen wir es erst kurz vor dem Abgabetermin und fahren auf Umwegen entlang der Paralia zum Hafen vor (die Direttissima ist Fußgängerzone). Das Gepäck ausladen und kurz warten - dann erscheint Maria. Alles ok, wir bekommen noch eine Tüte mit vier Karpathos-Tassen in die Hand gedrückt. Lefkos rent a car – gerne jederzeit wieder.

 

Die Wartenden versammeln sich im und um das Café „Limani“. Um sechzehn Uhr biegt die Fähre dann endlich um die Ecke, bis wir an Bord gehen können vergeht noch eine Viertelstunde. Da ist unsere Radfahrerin vom Kali Limni wieder (mit eigenem Rad), und ein Campingmobil mit der Aufschrift „Reisemobil statt Rollator“ – ein Frank Böttger gibt Bücher über seine mobilen Reisen heraus, die ihn nun wohl auch nach Karpathos geführt haben. Und ein österreichisches Paar wartet, sie sind auf dem Trip von Kreta via Karpathos nach Rhodos und wollen weiter nach Samos (und zum Pilion – haben über zwei Monate Zeit – Neid!!) Ich kann Fritz ein paar Fährtipps geben (von Rhodos nach Kos oder Kalymnos und von dort mit der „Nissos Kalymnos“ drei Mal die Woche nach Samos, wo sie nach Kokkari wollen) und die App von marinetraffic empfehlen (sie hatten vor zwei Wochen in Iraklio vergeblich und als einzige auf die verunfallte „Prevelis“ gewartet).

Mit der Gepäckabgabe auf dem Schiff, das verzögert sich, der Zuständige muss erst laut und scharf mit einer reisenden Griechin diskutieren. Wir stellen unsere Trolleys einfach auf die Paletten am Rand und gehen aufs Deck, wo das Verladen auch noch dauert.

Als wir aus dem Hafen von Pigadia auslaufen hat die Fähre eineinhalb Stunden Verspätung.

Aber wir wollen ja nicht weit – eine Stunde Fahrtzeit bis Diafani.

Juhu, wir kommen!