Mit Nikos auf Tour

Kurz vor halb elf Uhr am nächsten Tag sind wir unten am Anleger. Die Nacht war etwas kurz gewesen, trotz (oder wegen?) des Alkohols hatte ich nicht schlafen können. Dafür schon morgens um 7 Uhr Lärm von unten, vom Frühstücksraum. Die Gruppe wohl wieder. Nikos hatte noch früher raus müssen (4 oder 5 Uhr), seine Frau zur Fähre nach Kreta bringen. Ungastliche Fährzeiten, das!

 

Heute sind keine Ausflugsschiffe von Pigadia da. Das lohnt sich noch nicht jeden Tag, aber die Saison schreitet fort, das wird dann noch.
So bleibt es ruhig und ungestört an der Uferpromenade. Eine Frau in Tracht putzt am Ufer einige Fische, gierig beäugt von hungrigen Katzen. Einige Fahrgäste warten, außer uns noch der blonde Bärtige mit dem freundlichen Grinsen und ein Paar. Dafür soll sich der Trip lohnen? Nikos kommt, und los geht es, gen Süden.

 

Schön, so eine Fahrt die Küste entlang. Schöne Aus- und Einblicke. Das Meer ist so ruhig heute. Bis zum Papa-Minas-Strand könnte man auch wandern, aber mit dem Boot ist es netter und bequemer, natürlich. An besagtem Strand, der übrigens nichts mit dem Papas von Diafani zu tun haben soll, hält das Kaiki und das Paar steigt aus. Nun sind wir nur noch 4 Passagiere. Nach einer knappen halben Stunde Fahrt sehen wir rechts vor uns einen breiten grauen Strand, das muss Forokli sein. Nikos nimmt Kurs darauf, setzt uns kurz darauf an Land. In einer Stunde würde es am linken Rand des Strandes, im Schatten der Felsen, dann das BBQ geben.

Flache, graue Kiesel bilden den Strand, es klirrt fast wie Glas und Scherben wenn man darauf geht. Eine große Tamariske in der Strandmitte ist unser Ziel, Schatten muss sein, denn von den Kieseln steigt eine Hitze auf – barfuss gehen empfiehlt sich nicht.

 

Wahnsinn, wir haben den bestimmt 250 Meter breiten Strand für uns alleine! Haben wir uns gedacht, aber wie wir zu der Tamariske streben, kommt eine Wandrerin die Schotterpiste aus den Bergen hinunter. Ihr Gesicht ist bei unserem Anblick ziemlich lange, was ich verstehen kann: Wer wandert schon meilenweit zu einem einsamen Strand, um den dann mit dahergefahrenen Spaziergänger-Badeausflügler-Touristen zu teilen? Und sie ist nicht die Einzige, weitere, reisigtragende Wanderer folgen. Es ist – natürlich – die Gruppe, die in der Frühe mit dem Bus nach Olymbos gefahren und von dort heruntergewandert ist. Das BBQ gibt es auch für sie, klar, wegen uns paar hätte sich für Nikos die Fahrt nach Forokli nicht gelohnt. Kein Problem, es hat Platz genug für alle!

 

Den Reisig haben sie zum Grillen gesammelt, Auftrag von Nikos oder der Reiseleiterin, wobei unter unserer Tamariske so viele dürre Äste liegen, dass man mehrere Feuer damit anheizen könnte. Wir stürzen uns aber erst mal in die Fluten, das Meer ist so schön, so weich, so klar, hat immerhin schon 21°C und man bekommt glatt Lust, bis nach Rhodos zu schwimmen! Über die brüllend-heißen Steine bis zum Wasser muss man allerdings schnell hopsen, wenn man kein Fakir und es gewohnt ist, über glühende Kohlen zu gehen. Anschließend ein wenig Abliegen im Schatten. Oder Kieselsteine sammeln: nur flache, graue, aber wunderschön weiß geädert.

Dann gehe ich rüber zum Grill, nachsehen ob die Biftekia schon fertig sind. Im MM-Führer werden sie „legendär“ genannt, und das sind sie auch. Dazu gibt es geröstetes Brot mit Olivenöl beträufelt, und griechischen Salat. Die Gruppe zeigt leider starkes Revierverhalten, einigen scheinen zu glauben, wir würden uns auf ihre Kosten durchfuttern wollen. Es sind zu wenig Becher, Teller und Besteck vorhanden, ich trinke den Rotwein (10-Liter-Kanister, von Kreta) aus einem der leeren Ouzo-Fläschchen der Gruppe, das wird uns gnädigst zugestanden. Als Mutter und Tante drohen, von einem Teller zu essen, holt Nikos doch noch Teller vom Kaiki.

Eines der weniger unfreundlich guckenden Gruppenmitglieder frage ich aus: wo die Gruppe herkommt, was sie unternommen haben. Sie gehören alle zu einem Schweizer Reiseveranstalter, der mit „Im“ anfängt und mit „bach“ aufhört, 14 Tage auf Karpathos ist und ziemlich anspruchvolle Wandertouren durchführt (Ich hab mir die Internetseite angesehen – heftig! Sogar der Kali Limni steht auf dem Programm. Kein billiger Spaß allerdings). Es wird weiter heftig gefremdelt, von „geschlossener Gruppe“ gesprochen (das sind wir dann auch), wir wollen uns nicht die Stimmung und den Tag verderben lassen. Eine Frau aus der Gruppe bürstet dann ihre Mitreisenden ab, erzählt etwas von Weltoffenheit und „offenen“ Gruppen, gerade in Griechenland, und praktizierter Gastfreundschaft. Recht hat sie, und Nikos schustert mir schnell noch ein drittes Bifteki zu, teilt die Öl-Brühe des griechischen Salates mit dem Löffel aus (wieso erinnert das an ein Abendmahl?), und wir sind wieder halbwegs versöhnt.

 

Noch eine Baderunde, bevor es – nach einem längeren Gruppenritual an Lande, wir warten derweil auf dem Schiff – wieder Richtung Diafani geht. Auf dem Rückweg sammeln wir am Papa-Minas-Strand wieder das Paar ein, es sind sogar noch mehr dazugekommen, Wanderer wohl. So ein Wasser-Taxi ist schon sehr praktisch. Ich wollte gerne nach Tristomo wandern und dann mit dem Boot zurück, ob das klappt? Ich frage Nikos noch einmal. Ja, er hätte morgen eine Gruppe (wir reagieren schon leicht allergisch auf „Gruppe“!) aus Lefkos, die wollten nach Tristomo und Vrougounda. Aber das Wetter würde stürmisch werden, dann würde er nach Saría fahren, denn die Westküste ist den Winden zu sehr ausgesetzt. Mal sehen.

 

In Diafani angekommen, gönnen wir uns ein erfrischendes Radler im „To Rahati“. Die Uferpromenade vor dem Lokal wurde ausgebessert, frisch betoniert. Tapps, eine Katze ist durch den noch weichen Zement gelaufen und hat ihre Pfotenabdrücke hinterlassen. Der Besitzer jagt sie davon, besieht sich den Schaden, versucht auszubessern. Holt dann eine Kelle, um dies fachmännisch zu tun. Wirklich besser sieht das Ergebnis auch nicht aus. Nun muss er sein Werk hüten, und gleichzeitig im Lokal bedienen. Wir helfen ihm, indem wir einen Jungen im letzten Moment mit einem lauten „Stopp“ vom Betonierten abhalten.

In alle Tavernen Diafanis werden wir in den paar Tagen nicht gehen können. Ins „Coral“ wollen wir morgen, heute dafür ins „Anixis“, das in zweiter Reihe hinter der Uferpromenade liegt. Nur wenige Gäste sind da, die Leute wollen lieber an der Uferpromenade essen. Hausmannskost gibt es, ausgesucht in der Küche. Und wieder Loukoumades als Dessert aufs Haus, ganz frisch, ein großer Teller voll.

 

Wenn Nikos am nächsten Tag nach Tristomo fährt, könnte ich mit dem frühen Bus nach Avlona fahren, nach Tristomo wandern, dort zusteigen und mit dem Boot wieder zurück. Aber wenn das Wetter zu stürmisch ist, sitze ich in Tristomo und muss wieder zurück – da hab ich keine Lust drauf. Und es ist ganz schön stürmisch am nächsten Tag. Wir fahren dann doch mit Nikos nachdem er uns versichert hat, dass es dieses Mal nur Kleingruppen sind. Acht oder neun Leute sind von Lefkos nach Diafani gekommen, mit dem PKW und Motorrad, es ist also möglich (wobei ich nicht weiss, was für ein Auto sie hatten). Außerdem ist noch ein nettes Paar dabei, Wanderer, die auch im Hotel wohnen.

 

Pünktlich geht es los, wir sitzen vorne auf dem Kaiki, neben mir einer der Männer auf Lefkos (nein, natürlich aus Deutschland, Hessen genauer), etwa älter, altphilologisch gebildet und sehr nett, wir verstehen uns gut. Der Mann von dem Paar hat Segler- und Bootserfahrung, das wird uns noch zugute kommen. Nahe der Küste geht es entlang, dieses Mal nach Norden, Saria ist das Ziel. Am Bug des Bootes werden wir von den gelegentlichen Wellen klatschnass, es hat ganz gut Seegang heute.

 

Nikos fährt noch, soweit es der Segelmast des Kaikis zulässt, in eine Höhle hinein. Wenig später muss er alle Register seines Könnens ziehen: wir überqueren die schmale, etwa 150 Meter breite Meerenge, Steno genannt, die Saria von Karpathos trennt. Die Leute von Karpathos haben hier das Vieh, das auf Saria geweidet hat, einfach ins Wasser getrieben, so mussten die Viecher hinüberschwimmen, von der Strömung unterstützt. Wenn ein Tier zu krank war – ja, dann war es wohl natürliche Auslese. Auf einer der Tafeln auf dem Neptunbrunnen in Diafani ist die Szene abgebildet.

Wir sitzen immerhin im Boot, denn nun, ungeschützt von den Felswänden der Küste, wird es richtig wild und nass. Das Kaiki schaukelt heftig, Brecher schlagen über den Bug - und uns. Kein Wunder mussten wir uns Tristomo und Vrougounda abschminken – die Westküste entlang, ungeschützt – nein danke! Trotzdem muss Nikos aber den Kanal nicht einfach überqueren, sondern an einem kleinen Anleger an der Südseite von Saria halten, denn einige Passagiere wollen dort, am Strand von Japlo, aussteigen und über die Insel nach Norden wandern. Ich bin heute nicht so fit und habe auch zu wenig Proviant und vor allem Getränke dabei, sonst wäre ich mit. Noch einmal wird es heftig als wir wieder vom Anleger weg nach Osten fahren, dann sind wir im Schutz der Küste von Saria und es wird deutlich ruhiger. Die Steilküste ist übersät mit flammend-rotblühenden Euphorbien, Wolfsmilchgewächsen. Schön. Immer wieder Höhlen im Fels. Es soll hier ja auch noch Mönchsrobben geben, ich gucke mir fast die Augen aus, sehe aber keine.

 

Und dann kommt eine Bucht, eine richtige Piratenbucht, da legen wir an. Das ist Palátia, wo sich in der Antike die von Strabo erwähnte Stadt Nissyros befunden  haben soll (Mein Nachbar, der nette ältere Herr vertritt aber die Ansicht, diese Stadt wäre tatsächlich bei Lefkos gewesen. Er hat sich in die Materie eingearbeitet und sogar einen Artikel darüber veröffentlicht.). Die Reste einer Stadt kann man am Hang über der Bucht erkennen. Und oben auf einem Berg thront eine Kapelle, Agios Zacharias. Da Nikos mit seinem BBQ auf die Wanderer warten wird, haben wir 3 Stunden Zeit, die Gegend zu erkundigen. Zuerst zeigt er uns die Reste einer frühchristlichen Basilika aus dem 6. Jahrhundert, teilweise überbaut von der neueren Kirche Agia Sofia. In den Felsen ein Stück hinter der Kirche sollen 62 Glocken gehängt haben; wenn sie alle geläutet haben und der Wind – wie meistens – von Westen kam, soll man sich auf der Nachbarinsel Chalki noch die Ohren zugehalten haben wegen des Lärms!

Wir wollen durch die Schlucht zu dem verlassenen Ort Argos ins Inselinnere wandern, und weiter zur Zacharias-Kapelle.

Ein schöner Weg, schattig in der Schlucht, problemlos zu finden. Eine gute halbe Stunde bis Argos, nur noch leere Häuser, eine Sommersiedlung ähnlich Avlona auf dem südlichen Nachbarn. Zwei Frauen – wo kommen die denn her, noch dazu Griechinnen und Wandrerinnen – haben Wasser aus einer Zisterne geholt und bieten mir auch an – schmeckt kühl und gut und gar nicht abgestanden oder gruftig. Ich warte bis die Begleiterinnen nachgekommen sind, ein Paar der Gruppe von Lefkos ist auch noch heraufgekommen.

Der Weg nach Westen, zur Kapelle ist mit einem roten Punkt bezeichnet, aber wir haben auch eine Beschreibung im Führer. Erst in einem Bogen aus dem verlassenen Dorf heraus, dann über Gestein und Schotter in auf ein großes Kreuz (Ein Gipfelkreuz?) zu. Dann sieht man die Kapelle schon. Natürlich zünde ich darin eine Kerze an, und auch die erloschenen, bereits stehenden Kerzen entzünde ich neu. Schön, der Blick auf die Bucht von Palátia hinunter! Und Nikos mit seinem Kaiki, die Biftekia sind sicher bald fertig. Nikos meinte, es gäbe eine Direttissima hinunter, ich kann aber keinen Einstieg finden und das Ganze wäre auch recht halsbrecherisch. Also auf dem gleichen Weg zurück, die Wanderer haben inzwischen die Insel durchquert und sind auch schon da – ganz schön fix! Sie berichten von gefährlichen, halb verwilderten Eseln gleich zu Beginn der Tour, die nahe am Weg waren und dann unversehens ausschlugen – Abstand halten wird empfohlen!

Als wir wieder unten sind, ist alles für das Essen bereitet. Und heute wirklich in sehr netter Gesellschaft! Die Deutschen und Belgier aus Lefkos, noch ein französisches Paar, das nette Paar aus Nikos' Hotel – erfahrende Karpathos-Wanderer, die jede Menge Tipps auf Lager haben. Da fühle ich mich eher als Spaziergängerin. Nikos hat den griechischen Salat noch mit Kartoffeln erweitert – eine ausgesprochen leckere Variante! Der Rotwein steigt uns aber schnell zu Kopf, nach der Wanderung, den müssen wir mit Wasser ein wenig strecken. Nikos zerdeppert versehentlich zwei Teller – Scherben bringen Glück!

 

Eigentlich wollte ich gerne noch ein wenig durch die Ruinen von Palátia/Nissyros streifen, ziehe aber ein Bad in der Piratenbucht vor – man kann nicht alles haben und ich muss sowieso wiederkommen. Die glitschigen Kieselsteine erschweren den Einstieg ins Wasser – Badeschuhe wären kein Luxus und gehören in Zukunft wohl zum Reisegepäck (auch wegen Erfahrungen später auf Chalki), aber wenn man mal drin ist, dann ist es wunderschön!! Dazu die wunderbar zum Umziehen geeigneten Plätze unter den Tamarisken – der Ausflugsplatz!

 

Es wird Zeit zur Rückfahrt. Als wir alle auf dem Kaiki sind, gibt es ein Problem: eine Schnur des Anlegers hat sich in der Schiffschraube des Kaikis verfangen! Nikos muss die Badehose anziehen und hinunter tauchen um die Schraube freizukriegen, mit der Taucherbrille auf und einem Messer zwischen den Zähnen (na, fast ;-)  ).  Trotzdem macht er noch eine Abstecher zur etwas weiter nördlich liegenden Bucht von Alimounta, wäre auch nett zum Baden hier, aber ohne Schatten.

Auf dem Rückweg unterhalte ich mich wieder mit dem älteren Herren, der sich als Pfarrer im Ruhestand herausstellt. Mit Söhnen und Enkel im Urlaub in Lefkos, nicht zum ersten Mal, aber die Bootsfahrt ist noch nichts für die Enkel. Jemand gibt Raki aus, die Stimmung steigt.

Plötzlich wird es hinten auf dem Boot laut: Nikos hat mehrere Leinen zum Fischen ausgelegt und doch tatsächlich einen armlangen Thunfisch herausgezogen! Während alle noch tief beeindruckt sind, kümmert sich Nikos um seine weitere Leinen. Und er zieht noch einen Thunfisch an Bord! Und dann noch einen! Weitere folgen, schließlich sind es sechs Stück! Große Begeisterung an Bord, bis wir merken dass die armen Viecher so auf den Schiffsplanken krepieren müssen, keiner erbarmt sich, auch ich nicht. Und überall spritzt Thunfischblut. Ich verkrümele mich lieber wieder nach vorne, nehme aber Spritzer auf meiner Hose als Souvenir mit heim.

Wenig später beschließen zwei der Gäste, die Segelerfahrung haben, mit dem Kaiki zu segeln! Auf dem letzten Kilometer vor Diafani ist der Wind geeignet, das Segel vorne flugs gesetzt, die Passagiere ziehen die Köpfe ein ob der knatternden Leinen und Stoffe. So oft hat Nikos das wohl auch noch nicht gemacht, denn er muss ja normalerweise steuern.

 

Es ist schon 18 Uhr vorbei als wir in Diafani einlaufen. Ich muss die Tour noch in Nikos’ Büro bezahlen, 15 Euro pro Person für die Fahrt, 10 für das Essen. Da kommt ganz schön was zusammen bei der Gruppe aus Lefkos, und Nikos steckt das Geld zu einem dicken Bündel in seiner Hosentasche – Geldbeutel unbekannt! Die sechs Thunfische landen auf dem Boden vor dem Reisebüro. Drei davon bekommen die Leute aus Lefkos mit, dann fragt mich Nikos, wann wir denn gerne zu Abend essen würden. Sein Bruder wird die Fische in seiner Taverne zubereiten.

Wir müssen uns dann doch sputen um um 20 Uhr wie bestellt in der Taverne zu sein. Sind neun Leute: das französische Paar, das deutsche Paar, der blonde, bärtige Einzelreisende, Nikos und wir. Nach griechischem Salat und Tsatziki bekommen wir den Thunfisch serviert – vom Grill, einfach nur lecker! Dazu Pommes und Retsina – ein unvergessliches Mahl!

Und ein unvergesslicher Tag, wieder.

 

Rauf nach Olymbos