Vóila - Xerokambos - Kapsa

Auch am Donnerstag sind wir vor zehn Uhr unterwegs. Noch scheint die Sonne, am Nachmittag soll es sich eintrüben und möglicherweise sogar regnen.

Es geht wieder nach Süden, in die Berge, aber dieses Mal über Zou, Katsidoni und Sitanos.

Unterwegs hat man einen guten Blick auf den Windpark am Mesovouni. Zwei Dutzend Windradspargel ragen wie filigrane Zahnstocher in die Höhe. Zumindest sieht es von hier aus so nett aus. Die alternative Energieerzeugung sehen wir bei Sitanos, wo große Solarpaneele die Kapelle überragen. Wir biegen nach rechts ab und durchfahren die Hochebene von Chandras. Grüne Weinberge, die Höhenzüge mit weiteren Windrädern besetzt.

Vóila (Voïla ) ist unser erstes Ziel (die Betonung auf dem o ist wichtig damit man den Ort richtig Vo-i-la ausspricht, und nicht Vila. Auch wenn Herr Fohrer anderer Meinung ist).

 

Vóila ist ein verlassenes Dorf, es stehen neben der intakten Kapelle Agios Georgios nur noch einige Mauern, von denen die eines mächtigen Wohnturmes am Beeindruckendsten ist. Er wurde von der venezianischen Adelsfamilie Salomon gebaut, und später von den Osmanen als Wachturm genutzt. Das Dorf ist schon lange verlassen, aber es macht Spaß, in der Wintersonne durch die Ruinen zu gehen. Von denen manche aber sehr einsturzgefährdet aussehen. Interessant auch das eingebaute Ornament in einer besonders fragilen Mauer.

Überraschenderweise ist die etwas abseits an einem Felsen gelegene Kirche Agios Georgios geöffnet, und ich kann endlich mal die obligatorischen Kerzen anzünden. Um den dafür fälligen Obolus zu entrichten, muss ich zum Auto zurück, wo ich den Geldbeutel gelassen habe. Theo, soll ich für dich auch eine Kerze anzünden? Nein, Theo glaubt nach seinem Frühjahrssturz und zwei stornierten Reisen nicht mehr an die magische Wirkung dieses Ritus, die ihn nach Griechenland zurückbringen sollte. Aber jetzt bist du doch da, Theo, es hat also gewirkt? Auf Kreta entzündete Kerzen gelten vermutlich nur für Kreta, Fremdgehen auf anderen griechischen Inselzielen unerwünscht.

 

Na, schaden kann es doch nicht, und so wandert eine dritte Kerze für Theo in den Sand des Kerzenständers. Pscht, nicht Theo sagen! Oder hätte ich hier ein Tama mit einem Knie vor die Georgsikone hängen sollen? Oder besser mit zwei Knien? Das Unterlassen wird sich noch an diesem Abend rächen.

Nach Chandras ist es nur noch ein Katzensprung. Der kurze Ortsbummel ergibt, dass das kleine volkskundliche Museum geschlossen ist, das Pantopolio offen (und es hat Brot), und sonst nicht viel geboten ist. Aber die Weihnachtskrippe auf der Platia ist besonders schön. Inzwischen hab ich schon eine ganze Sammlung kretischer Krippen zusammen.

 

Über Ziros geht es weiter Richtung Xerókambos. Hinter Ziros verkünden Schilder, die das Fotografieren verbieten, eine Kaserne nebst Militärsperrgebiet an. Das am Kaserneneingang aufgestellt Jagdflugzeug muss ich natürlich trotzdem knipsen. Eine Spionfalle? Es kommt niemand, der Posten macht Winterschlaf.

 

Die Fahrt auf der Straße Richtung Ostküste ist wieder beeindruckend. Zunächst liegt da links am Rand einer grün-steinigen Ebene noch das malerische Dörfchen Chametoulo - rein äußerlich und aus der Entfernung das hübscheste Dorf, das ich auf Kreta bisher gesehen habe. Sechs Einwohner hat der Weiler (Dorf wäre somit eine Übertreibung) laut Census 2011.

Ab hier schwingt sich die Straße in weiten Serpentinen zum Meer. Auch wenn die Straße breit ist, und gut befestigt: schon wegen der Ziegen und Schafe, die sich gelegentlich darauf befinden, sollte man vorsichtig fahren. Die Schlucht, deren Einschnitt man links von uns sieht, muss die Ziros-Schlucht sein. Und unten an der Küste sich man helle Standstrände leuchten, dahinter verlieren sich einzelne Häuser. Sieht gut aus, und ganz schön abgelegen.

 

Weiter unten können wir eine Blick in den Eingang der Ziros-Schlucht werfen, dann passieren wir ein "Hunde-Tor": zwei aufmerksame Kläffer sind rechts und links der Straße angebunden und verhindern so, dass eigenwillige Schafe oder Ziegen hier passieren. Gegen Touristen in Autos haben sie nichts, der eine Hund wedelt sogar ganz freundlich beim Foto.

Xerókambos ist eine touristische Streusiedlung ohne Ortskern und mit 54 Bewohner (Census 2011) - in den gefährlichen früheren Zeiten wohnte man nicht am Meer, außer in halbwegs befestigten Orten. Das hat sich mit meersuchenden Touristen längst geändert, aber Xerokambos ist so weit abseits auf Kreta, dass es so aussieht, als würde man hier auch in der Hochsaison noch ein ruhiges Plätzchen finden können.

 

Wir biegen noch vor Ortsbeginn nach rechts ab, zur Ambelos-Bucht und dem Mazida-Ammos-Strand.

 

Ein Traumstrand erwartet uns dort, von ockerfarbenen Steinplatten eingerahmt, und ein paar vorgelagerte Felseninseln vervollkommnen die Optik. Die Brandung ist immer noch stark, die Luft kühl, so dass ich meine letzte Bademöglichkeit verwerfe. Gut, ich hatte es auch nicht soo ernsthaft vorgehabt. :-)

Wir genießen einfach den Wind und das Meer, und spazieren am Ufer etwas herum. Es ist niemand zu sehen. Ob es hier im abgelegenen Xerokambos eine im Winter geöffnete Taverne gibt? Ich fürchte fast, nein.

 

Weiter östlich, wo sich die touristische Infrastruktur entlang der Straße tatsächlich zu etwas verdichtet, was man mit gutem Willen als Ort bezeichnen könnte, könnte die Taverne "Creta Sun" tatsächlich offen sein. Wenn man das Schild "Come in, we're open" nicht im Herbst vergessen hat abzuhängen. Kurz danach verliert sich der Ort Richtung Zakros, da ist nichts mehr. Also drehen wir, und fahren nach links hinein, wo wir eine Lagune gesehen haben. Die Straße mutiert aber blitzfix zum Erdweg, auf dem auch noch fett Wasser steht. Dreckpiste also, da bleiben wir lieber davor.

 

Ist auch nicht so spannend, die Lagune. Aber absolut traumhaft ist eine Wiese voller entzückender blauer Anemonen, die ich natürlich in allen Varianten abzulichten versuche. Und auch der angrenzende Olivenhain mit dem gelben Klee darunter ist fotogen.

Also Xerokambos gefällt mir. Wenn jetzt noch die Taverne "Creta Sun" offen ist.

Sie ist.

Es gibt Pastitzio und Spanakorizo als Tagesessen, klingt lecker, und ist es auch. Der unvermeidliche Maroulisalat vorab kommt noch mit Frühlingszwiebeln daher und ist ebenfalls ausgezeichnet. Noch zwei Kaffee dazu, satt des Mittagsschlafes. Einundzwanzig Euro bezahlen wir insgesamt.

 

Das Lokal dient als Treffpunkt nicht nur der Wirtsfamilie, sondern auch der wenigen Menschen, die in Xerokambos gerade zu arbeiten haben und eine Pause machen. Immer mit einem Blick auf den Fernseher, wo gerade über ein Lawinenunglück am Gran Sasso berichtet wird. Was dann lang und breit von den Gästen erörtert wird.

Theo und ich diskutieren dagegen den weiteren Tourenverlauf. Ich würde gerne einen Blick auf Kloster Kapsa werfen, auch wenn es vermutlich geschlossen sein wird. Dann noch ein Schlenker über Presos und Etia. Theo als Klosterverächter findet den Kapsa-Abstecher entbehrlich, äußert das aber nicht deutlich genug, und da ich am Steuer sitze, biege ich zurück oben bei Ziros entsprechend nach Süden zur Küste ab. Wie, da wolltest du nicht hin? Schon zu spät. :-)

Die Südküste ist von Atherinolakos, wo es ein großes Dieselkraftwerk mit zwei hohen weiß-roten Schornsteinen gibt, bis Goudouras und über Kapsa hinaus extrem karg, grau und felsig, die Ufergegend wirkt gottverlassen. Da ist da kleine Kloster Kapsa, das am tiefen Einschnitt der Perivolakia (auch Kapsa)-Schlucht und einem Felsen über der Küste liegt, schon eine wohltuende Abwechslung.

 

Ich gehe die Stufen hinauf zur Türe und stelle erfreut fest, dass das Kloster laut Öffnungszeitenschild schon in zehn Minuten, um 15.30 Uhr, wieder öffnet. Falls die Zeiten auch im Winter gelten.

Sie tun es: schon wenige Minuten später öffnet jemand das Tor zum Kloster, vermutlich der Mönch, der hier lebt.

 

Die obligatorischen Klosterkatzen sind da, aber sonst niemand. Sie verschwinden aber schnell als ihre erste Neugierde gestillt ist. Die Klosterkirche ist abgeschlossen. So schlendere ich über die Terrasse, und öffne das schwergängige Tor am oberen Ende der Treppe, die von der Terrasse Richtung Schlucht geht.

Ein Weg führt zu einer Höhle in der Felsenwand. Hier soll der Eremit Jerontojannis (Γεροντογιάννης ) gewohnt haben, der das Kloster ab 1843 wiederaufgebaut hat (ursprünglich stammt es aus dem 15. Jahrhundert, wurde aber 1640 zerstört). Ioannis Vintsentzos soll 1841 in einen todesähnlichen Schlaf gefallen sein, in dem er Visionen hatte und der 43 Stunden dauerte. Danach vollbrachte er zahlreiche Wunderheilungen und zog sich schließlich hochge- und verehrt als Eremit in das Kloster Kapsa zurück, das er mit Hilfe seiner Anhänger wiederaufbaute.

Die niedrige Höhlennische ist nun mit einer Ikone und Kerzen geschmückt, Plastikblumen komplettieren das naive Stillleben. Von der Terrasse vor der Höhle kann man in die Schlucht hineinsehen. Nicht schlecht.

 

Zurück im Klosterhof. Der Mönch ist im unterhalb liegenden Garten zugange. Mich hat er gar nicht gesehen, dafür mit dem draußen wartenden Theo ein paar Worte gewechselt. Die im Fohrer erwähnte rustikale Nonne bekomme ich nicht zu Gesicht, sie scheint hier nicht mehr zu leben. Ist das überhaupt erlaubt, dass ein Mönch und eine Nonne sich ein Kloster teilen? Ich meine, offiziell und mit kirchlichem Segen?

 

Irgendwie sind Klöster im Winter sehr abweisend. Oder sind sie es im Sommer auch? Na gut, ich komme ja nicht aus religiösen Gründen. Aber können die Mönche das wissen, die ihre Kirchen so gut verschlossen halten?

Der Himmel hat sich inzwischen eingetrübt. Ob es regnen wird? Noch hält das Wetter.

Die Straße von Makrigialos bis Papagiannades kennen wir schon.

 

Von dort ist es nicht mehr weiter bis Etiá, noch einem verlassenen Dorf. Als Besonderheit hat es einen venezianischen Palazzo aus dem 16. Jahrhundert namens "Seragio-Serai", der allerdings im Laufe der Geschichte die oberen beiden Stockwerke eingebüßt hat und nur noch eingeschossig dasteht. Das breite Gebäude sieht frisch renoviert aus, es ist inzwischen zum Nationalmonument geworden (was es nicht alles gibt). "Villa di Mezzo" heißt es offiziell (oder Έπαυλη = Landhaus), und ist natürlich geschlossen, klar. Macht nichts.

 

Von dem Dorf sind sonst nur noch ein Haus und zwei Kirchen erhalten, der Rest sind Ruinenmauern. Die Doppelkirche ist der Panagia und meiner Namenspatronin geweiht, der heiligen Ekaterini. Sie ist sogar offen, ein kühles Gotteshaus.

Weitere Besichtigungen, etwa die Ausgrabungen des antiken Pressos (Πραίσος), sparen wir uns, und fahren zurück nach Sitia. Es gäbe so viel zu sehen, aber man kann das doch alles irgendwann nicht mehr aufnehmen.

 

Aufnahmefähig sind wir aber am Abend wieder was das Essen betrifft. Wobei Theo beim Herabsteigen der 71 Treppenstufen einen Fehltritt tut. Genauer versagt plötzlich das gesünderen seiner beiden Knie. Er kann sich an den Stöcken abstützen und einen Sturz vermeiden, ist aber verunsichert und hat Schmerzen. Trotzdem, der Hunger treibt ihn hinab. Hoffentlich kommt er nachher wieder hinauf, sonst muss er im Erdgeschoss nächtigen....

 

Wir verdrängen die Gedanken an später und widmen uns der Taverne "Kritiko Spiti", die ganz passable Kritiken hat. Der riesige Gastraum an der Paralia wird trotz seiner Größe von einem offenen Feuer derart erwärmt, dass man schon ein paar Meter Abstand zwischen sich und die Flammen legen muss um nicht gegart zu werden. Auf der umfangreichen Speisekarte stehen hausgemachte Nudeln, die mich locken während Theo sich mal wieder an die Sardelles wagt. Noch eine Melitsanosalata vorab. Die Nudeln sind eine Art Käsespätzle, wie die Makkarounes auf Karpathos, und schmecken gut. Die Sardelles scheinen bei Theo dagegen keinen höheren Erinnerungswert zu haben, aber das kann auch ein gutes Zeichen sind. 25 Euro beträgt unsere Zeche, der Spaziergang entlang der Paralia ist kein Problem.

 

Richtig heftig wird es aber, als Theo zu unserem Domizil hinaufklettern muss. Mit Ach, Krach, Zähne zusammenbeißen und Flüchen, mit Ziehen und Zerren - irgendwie hat es er schließlich doch geschafft.

Aber wie das morgen wird? Keine Ahnung.