Über Agios Konstantinos nach Avlona

 

Am Mittwoch ist der Himmel bewölkt, der Profitis Ilias hängt in Wolken. Gut, dass wir gestern schon dort waren! Wir frühstücken im „Parthenon“, aber auf der Dachterrasse ist es zu windig, so bleiben wir eben unten im Gastraum. Nescafé und Brot mit Butter und Honig, und Omelette. Der Nescafé kommt leider nur in der kleinen Tasse daher, und wir beschließen, dass wir morgen lieber wieder in „Edem“ gehen. Aber die Petherá unseres Nikos ist immerhin zufrieden, dass wir bei ihr waren. Und uns spart es böse Blicke.

 

Weil heute der Namenstag von Konstantinos und Eleni ist, hoffe ich auf ein kleines Panigiri an der Kapelle auf dem Sattel nach Avlona. Sofia von „Mike’s“ gestern meinte, da könne es schon etwas geben, aber eher ohne Musik, nur Gottesdienst und Essen. Klar, hier im Norden heißt auch irgendwie keiner Konstantinos, und die Elenis scheinen mir ebenfalls dünn gesät. Wann feiert eigentlich Kalliopi Namenstag? Das ist ja einer der heidnisch-antiken Namen (Muse der epischen Dichtkunst), die haben Pech. Aber tatsächlich gibt es auch eine Agia Kalliopi, deren Namenstag am 6. Juni gefeiert. Bloß wo in Olymbos ohne gleichnamige Kapelle?

 

Die Cousine und ich werden also nach Avlona wandern, vorbei an der Konstantinos-Kapelle (eine gleichnamige Kapelle gibt es auch östlich von Olymbos bei Mélena, aber dieses Gotteshaus ist nicht in Betrieb und dient nur den Ziegen als Unterschlupf.). Ich wollte eh noch gerne eine Artischocken-Omelette in Avlona essen. Danach wieder zurück auf dem gleichen Weg.

 

Gegen halb elf wandern wir los – bei wolkigem Himmel sehen die Windmühlen gleich viel dramatischer beleuchtet aus. Das erste Wegstück ist identisch mit dem nach Diafani, und wir treffen das englische Paar vom Profitis Ilias wieder, die nach Diafani wollen. Bis zur Abzweigung wandern wir gemeinsam und tauschen Tipps aus. Sie wohnen im „Irene’s house“ an der Hauptgasse von Olymbos, eine Unterkunft, das ich auch in Erwägung gezogen hätte wäre sie nicht schon früh bei booking als ausgebucht markiert gewesen (und ob dort auch wirklich vier Erwachsenen nächtigen können war mir auch nicht klar).

 

Wir folgen weiter dem Tal leicht bergauf als der Fußweg nach Diafani rechts abzweigt, und sehen kurz darauf die Konstantins-Kapelle vor uns auf dem Sattel liegen. Den Weg habe ich von der Wanderung Avlona – Vourgounda – Avlona - Olymbos vor sechs Jahren als sehr schön in Erinnerung (bergab ist es aber schöner, weil man Olymbos so schön näherkommen sieht), und auch jetzt sind die grüne Umgebung, die Blumen, die Terrassen und der Weg schön. Breit angelegt und gepflegt – Verlaufen unmöglich. Natürlich geht es bergauf, aber ohne knallende Sonne und bei einem frischen Wind macht das auch Spaß.

Eine knappe Stunde nachdem wir in Olymbos weg sind, sehen wir, dass sich an der Kapelle über uns Menschen befinden. Das beflügelt uns, während sich hinter uns der Profitis Ilias tief in Wolken gehüllt hat. Das letzte Stück des Weges zur Straße ist etwas abgerutscht, da muss man nochmals aufpassen, aber dann sind wir auf der Straße nach Avlona, und gleich darauf an der Kapelle.

 

Wir nähern uns langsam, wollen uns ja nicht aufdrängen. Neben der Kapelle sind zwei Tische aufgebaut, vielleicht zwanzig Menschen sind dort und in der Kapelle. Teller mit Essen werden herausgebracht, und wir komplett ignoriert. Niemand nimmt Blickkontakt auf, niemand grüßt. Wir fühlen uns unsichtbar, und nachdem wir auch keinen Blick in die Kirche werfen können, da diese als Küche gebraucht wird, verkrümeln wir uns ganz schnell wieder. Papas ist auch keiner da. Nein, wir wollten auch nicht stören – ist wohl eher ein privates Fest.

Auf der Straße nach Avlona dröhnt Baustellenlärm von einem Steinbruch oberhalb. Es gibt ein Monopati, das die Straße abkürzt, der Einstieg ist bezeichnet, aber wenig später versperrt ein übel verrammeltes Tor die Passage. Das Öffnen des Tores ist unmöglich, wir schaffen es mit Mühe, darüber zu klettern. Und jetzt weiß ich auch wieder, warum ich vor Jahren lieber die Straße genommen habe…

 

Weil sich die Zahl der Torüberwinder in Grenzen hält ist das Monopati ziemlich zugewachsen, und es hängen immer wieder diese stabilen Spinnennetze im Weg, samt den unangenehmen Bewohnern. Die Cousine hat plötzlich eine Monsterspinne auf der Schulter sitzen, die sie samt Netz unfreiwillig abgeräumt hat. Brrr! Wir suchen uns ein Stöckchen zwecks weiterer Textilzerstörung und bahnen uns den Weg. Das letzte Stück geht dann wieder auf der Straße, wir passieren ein großes Feld mit Kichererbsen, und ein weiteres mit Lauch. Es ist ungefähr zehn nach zwölf als wir die Taverne der Lentakis‘ geöffnet finden und uns beim Lentakis-Sohn eines der legendären Omelettes bestellen und Wasser und Cola dazu.

 

Ein alter Mann sitzt als einziger Gast am Nachbartisch. Er fragt gleich nach dem Woher und Wohin um dann zu erzählen, dass der Weg Olymbos – Avlona früher so etwas wie die Hauptstraße im Norden gewesen wäre – wenn man hinübergeguckt hätte, wäre immer gerade jemand gegangen oder gekommen. Heute käme vielleicht einmal in der Stunde jemand, und das wäre dann ein Tourist. Dann möchte er wissen ob wir an der Kapelle vorbeigekommen wären. Ja. Und ob wir nicht eingeladen worden seien? Nein. Nun ist der Senior fassungslos: wo denn der Papa Minas gewesen sei? Den hätten wir nicht gesehen. Offensichtlich ist nicht nur unser Bild der gastfreundlichen Olymbiten ins Wanken geraten, sondern auch das netten Herren. Aber das leckere Artischockenomelette - wenig Ei auf viel Gemüse - tröstet uns drüber schnell hinweg.

So richtig Lust haben wir auf den Rückweg trotzdem nicht. Wir können die Straße gehen statt des spinnenlastigen Fußweges, und die Parea an der Kapelle hat sich bestimmt schon aufgelöst, ohne Musik. Trotzdem.

 

Wir könnten auch nach Diafani hinab wandern. Bloß wie kommen wir dann wieder hinauf nach Olymbos? Ach, irgendeine Möglichkeit wird sich schon ergeben. Und den Weg von Avlona nach Diafani bin ich schon lange nicht mehr gelaufen. Stimmt nicht: den bin ich noch nie gegangen, denn beim ersten Karpathos-Besuch sind wir über Vananda hinab, jetzt würden wir aber die Direttissima nehmen. Und hatte Theo nicht von dem Weg geschwärmt?

 

Also werden die Wanderpläne schnell entschlossen geändert, und wir verlassen Avlona Richtung Südosten. Der Weg ist beschildert, entlang von Steinmauern und einem trockenen Feld erreichen wir den gepflasterten Weg, der sich in einigen Windungen ins breite Tal hinabzieht. Links geht der Weg nach Vananda weiter, bei einer Kapelle vorbei (Agios Giorgios), wir zweigen nach rechts ab, wo das gepflasterte Monopati zu einer breiten Piste wird und sich durch den Kieferwald zieht. Wir marschieren flott – es ist schön, mal nicht auf jeden Schritt achten zu müssen, wobei ich reine Fußwege trotzdem schöner finde. Wir überholen zwei Wanderinnen und nach einer knappen Stunde sehen wir Diafani unter uns liegen, und vorbei an der Schule sind schnell in Diafani an der Küste. Es ist halb drei, und wir gucken gleich nach einer Mitfahrgelegenheit.

Ein Reisebus steht da, aber der darf uns nicht mitnehmen obwohl er wenig später die Kurven nach Olymbos hinauf fährt. Dann kommt der kleine lokale Bus für die Schüler. Nein, er fahre heute auch nicht mehr hinauf. Was ein Schulmädchen nicht davon abhält, in den Bus zu steigen. Aber der fährt wirklich nicht, zumindest jetzt noch nicht.

Minas vom „Dorana“ ist auch nicht da, und so lungern wir eben an der Uferpromenade herum und schauen ob sich ein Auto bergwärts bewegt. Der Pickup der Forstbehörde dreht nur eine Schleife, dann wird der Wagen wieder geparkt. Irgendwie sind wir heute unsichtbar.

 

Dann kommt ein Mann zu einem LKW mit einem aufgeladenen Betonmischer und steigt in das Fahrerhaus. Ich frag ihn ob er nach Olymbos fährt (wohin auch sonst), und uns mitnehmen kann. Er fährt, und er kann. Wir klettern auf den Beifahrersitz und kurven mit dem breiten LKW gemächlich die Strecke nach Olymbos hinauf, wo der Fahrer den LKW am Ortseingang abstellt. Viele Worte hat er nicht gemacht, aber das ist auch ok so.

 

Die Mütter haben sich auch nicht gelangweilt, sie waren wieder im Ort unterwegs und haben in der Taverne „Olymbos“ sehr gut gegessen: überbackene Auberginen – eine nahrhafte Sache, die bis zum Abend sättigt. Und bei der Gelegenheit hat das kleine Enkelbürschchen dann die Mutter gebissen und der Tante die Wanderstöcke entwendet.

Weil der Himmel schön blau ist, mache ich noch eine kleine Fotorunde zu den nördlichen Windmühlen, die von der Nachmittagssonne beleuchtet werden. Aber der Profitis Ilias ist immer noch in Wolken.

Am Abend gehen wir dann – endlich, endlich, wird sich die Wirtin sagen – ins „Parthenon“ zum Essen. Wir müssen uns in die Gaststube setzen weil es draußen schon wieder zu frisch ist, und die Mütter haben außerdem noch immer keinen Hunger. Es gibt nur Essen vom Grill, also bestellen wir Souflaki. Nikos, unsere Wirt, sitzt mit seiner Lyra am Tisch gegenüber – er spielt gar nicht schlecht! Er brauche das um den Frust über seine Schwiegermutter zu vergessen, sagt er, und ich finde ihn etwas zu selbstmitleidig. Aber die Frauen von Olymbos sind auch von der herben Sorte, da haben die Männer nicht immer etwas zu lachen.

 

Von der Dachterrasse gibt es noch einen glühendroten Sonnenuntergang zu bewundern ehe das Essen uns wieder herablockt. Die Souflakia sind gut, samt den Kartoffeln, der Wein schmeckt auch, und Nikos fiedelt. Draußen vor der Türe versammeln sich die Männer, sie werfen Blicke hinein, kommen aber nicht. Tja, wir sitzen auf ihren Plätzen. Sich zu den Touristinnen zu setzen wäre wohl nicht akzeptabel? Nikos winkt ab – nein, wir sollen ruhig bleiben. Aber uns wird es mit steigender Frequenz der Blicke und Männer vor der Türe ungemütlich, der Papas von Olymbos ist jetzt auch dabei, Papa Giannis. Da werden wir doch den Rückzug antreten. Wir bezahlen, und bekommen von der Wirtin und Schwiegermutter jede ein Stück selbstgemachte Olivenseife zugeschoben, heimlich. Das ist jetzt schon unser zweites – hat sie das erste vergessen, oder ist das der versteckte Hinweis darauf, dass wir das Hotelzimmer doch einfach selbst putzen sollen?

Als ich drei Minuten nach Verlassen des Lokals nochmals schell zurückgehen und hineingucke, sitzen die versammelten Männer drin am Tisch an ihren Plätzen. Unpraktisch, wenn ein Lokal abends zum Kafenio wird, man aber die Gäste nicht stören will.

Morgen ist unser letzter Tag auf Karpathos, was können wir da noch unternehmen?