Von Rafina nach Agii Apostoli

Es ist wieder wie so oft in Griechenland: man plant etwas, und dann macht einem die griechische Realität einen Strich durch die Rechnung. In diesem Falle der Wind, der die Fährschifffahrt der Ägäis zum Erliegen bringt. Man (bzw. frau) könnte es nach so vielen Jahren ja besser wissen, aber irgendwie verdrängt man  das bei der Planung allzu gerne.

Dabei hatte es sich auf dem Papier so schön gelesen: Flug nach Athen, Ankunft um Viertel vor zehn abends, letzter Bus nach Rafina um 22.20 Uhr, Quartier dort bei Joanna, am nächsten Vormittag die Fähre nach Marmari Evias, und dann dort den Mietwagen übernehmen und das Quartier bei Agii Apostoli Evias ansteuern.

Teil eins klappt auch wunderbar, wenn man davon absieht, dass Rafina an einem Freitagabend kurz vor Mitternacht erstaunlich leer ist und man mir in den Tavernen am Hafen unten bedeutet, man würde jetzt schließen. Ich krieg dann aber noch einen Schlummertrunk im " La Sera", und den brauch ich auch dringend. Denn das einzige Lokal am Platz, das noch überlaut geöffnet ist, liegt direkt unter meinem Schlafzimmer. Die Bässe wummern, die Musik brüllt bis lange nach Mitternacht, und der Wind in Stärke sechs bis acht ist auch noch beteiligt. Aber Joanna ist eine weitsichtige Gastgeberin (und weiß natürlich um die lautstarke Lage ihrer Ferienwohnung): auf dem Nachttisch liegt ein Paar Ohrstöpsel bereit, und so schlafe ich dann doch ganz gut.

Bin aber zeitig auf, um zu gucken, ob die Fähre trotz des Windes von Marmari nach Rafina übergesetzt hat. Sie hat nicht, und auch sonst sind bei marinetraffic nur kleine blaue Quadrate zu sehen, und keine Pfeile. Alle Fähren in den Häfen, nichts unterwegs. Windstärke 7, 8 und 9.

Zeit also für Plan B. Wenn es den gäbe.

 

Noch eine Nacht in Rafina bleiben und den Tag hier oder in Athen (mit Leidensgenossen) verbringen? Will ich nicht, und ich müsste auch ein neues Quartier suchen. Puh.

Warten ob der Wind nachlässt und später eine Fähre fährt? Könnte klappen. Aber wenn nicht?

Ich nehme also Plan D, weil ich heute Nacht mit dem Bus nämlich an einer Niederlassung meines zukünftigen Autoverleihers vorbeigefahren bin und eine Idee hatte. Und es ja auch einen Landweg nach Evia gibt, über die Brücken von Chalkida.

 

Evia, also deutsch Euböa, ist nämlich meine Reiseziel für die nächsten neun Urlaubstage. Die Idee kam mir, als ich im Mai zwei Stunden in Rafina war, und wurde verfestigt durch den Artikel über den Cavo d'Oro (Cavo Doro, Κάβο Ντόρο) im diesjährigen Griechenland-Journal. Euböa, Griechenlands zweitgrößte Insel, passte bisher überhaupt nicht in mein Insel-Beuteschema. Zu groß, zu grün, und überhaupt eine Autoinsel. Also fast schon Festland.

Aber der Süden, der eher kykladenähnlich scheint, der könnte passen. Und er scheint auch sowas wie ein Geheimtipp zu sein.

Aber ohne Auto geht dort trotzdem nix.

 

Ich schicke eine Mail an Joyride Rental, und kurz darauf bekomme ich einen Anruf. Ich kann ein Auto nach Rafina haben, kostet 50 Euro mehr (290 Euro insgesamt, nicht gerade preiswert) weil ein Nissan Micra statt des nach Marmari bestellten Fiat Panda. Rückgabe wieder in Rafina. Ich sage zu, und um elf Uhr bekomme ich den blaugrünen, später staubgrünen Micra an den verlassenen Hafen von Rafina gebracht, wo drei große Fähren im wilden Meer an ihren Leinen zerren, der Parkplatz davor aber ausgestorben scheint. Der Wind hat noch nicht nachgelassen (und es wird auch am Nachmittag keine Fähre ab Rafina fahren).

Kurze Rücksprache mit der Verleiherin: ich darf mit dem Auto auf die Fähre. Gut zu wissen.

 

Und dann wühle ich mich durch den Verkehr von Rafina nordwärts. Und bin froh, dass auf meiner Terrain-Karte "Evia", Maßstab 1:110.000, auch Teile der Küste Attikas eingezeichnet sind. Sonst hätte ich nämlich gar keinen Plan. So immerhin etwas.

Nach Rafina fahre ich durch Mati, den Ort der Feuerkatastrophe mit 100 Todesopfern vom 23. Juli 2018. Die verbrannten Bäume links der Straße hat man alle gefällt, weiter oben scheint man schon im Aufbau zu sein. Aber es hat reichlich Ruinen, und ich bin froh, dass ich mich auf den Verkehr konzentrieren muss. Eine leichte Gänsehaut habe ich trotzdem, und trotz der Wärme.

 

Als nächstes kommt Marathon, und als ein Wegweiser links zu einem archäologischen Museum zeigt, biege ich von der Hauptstraße ab und folge ihm. Ein schneller Blick ins Internet: ja, scheint lohnenswert zu sein. Das Museum liegt am Rand einer weiten und fruchtbaren Ebene, fast schon idyllisch. Auf dem weitläufigen Gelände gibt es einen niedrigen Grabhügel (Tumulus) und antike Säulen stapeln sich wie anderswo gefällte Baumstämme. Die sechs Euro Eintritt überraschen mich aber doch.

Das Museum ist klein und zeigt vor allem Funde der Villa des Herodes Atticus und aus einem Heiligtum für ägyptische Götter - sehr gut erhalten und wunderschön. Neben dem Museum, vor dem entspannt ein schlafender Hund liegt, befindet sich in einer Halle ein Gräberfeld. Oder ist es ein aufgeschnittener Tumulus? Ich schlendere noch etwas über das Gelände, und fahre dann zurück Richtung Hauptstraße.

Links der Straße liegt noch eine archäologische Sehenswürdigkeit: ein frühhellenistischer Friedhof, überdacht in einer Halle. Ich habe Glück: ein junger Mann ist da und bittet mich herein. Auf einer Galerie kann man das gut erhaltene Gräberfeld umrunden. Auch interessant.

Inzwischen ist es ein Uhr mittags - Zeit für mich, weiterzufahren. Der Wind hat etwas nachgelassen und ich gucke bei marinetraffic, ob inzwischen eine Fähre von Marmari nach Rafina gefahren ist. Ist nicht, ich hab also gut getan, nicht darauf zu warten. Überhaupt sind bei marinetraffic nur Schiffe im Hafen zu sehen. Aber halt, da ist doch ein blauer Pfeil! Und hier ganz in der Nähe! Tatsächlich scheinen die Fähren zwischen Skala Oropou und Eretria trotz des Windes zu verkehren. Und Skala Oropou liegt noch südlich von Chalkida, und nach Eretria wollte ich sowieso. Das wäre doch die Möglichkeit, die Insel Euböa standesgemäß mit der Fähre statt über ein Brücke zu erreichen.

 

Ich ändere also meine Pläne dahingehend, dass ich nicht zur westlich liegende Autobahn Athen - Chalkida fahre, sondern geruhsam durch die hübsche Hügellandschaft von Attika, über Grammatiko, Varnavas, Kapandriti und Kalamos Attikis (hier hatte Giannis Ritsos ein Haus). Dort halte ich für eine kurze Pause - Hunger! Tiropitta, Tsoureki und Wasser bekomme ich beim Bäcker und das Notwendigste für die nächsten Tage im lokalen Mini-Markt. 

Dann hinab nach Skala Oropou, wo ich erst zweimal an der Abzweigung zum Hafen vorbeifahre. Das türkis-milchige Meer hat immer noch Wellen, aber vom gegenüberliegenden Evia kämpft sich eine rote Fähre heran, die "Protoporos XIII". Am Tickethäuschen kaufe ich für zehn Euro Fahrkarten für meine Auto und mich und reiche mich neben den Wartenden ein.

Die Fähre hat vorne und hinten jeweils eine Ladeklappe, und so schnell wie sie entladen ist, sind wir auf dem Schiff und das Schiff fährt los. Gerade mal dreißig Minuten dauert die Überfahrt ins kaum acht Kilometer entfernte Eretria, und es schaukelt eigentlich kaum. Dieser Teil des südeuböischen Golfes liegt nämlich windgeschützt durch den 1700 Meter hohen Berg Dirfys und den 1100 Meter hohen Olympos.

Fröhlich fahre ich in Eretria vom Schiff, und "sammle" meine 76. griechische Insel. Halb vier ist es inzwischen. Ich könnte jetzt einen Frappé brauchen, aber in der Taverne am Hafen gibt es keinen. So was. Die anderen Lokale dort gefallen mir nicht. Überhaupt ist Eretria kleiner und verschlafener als ich gedacht hatte. Ich setze mich ins Auto um einen Blick auf die Ausgrabungen nördlich des Ortes zu werfen, parke vor dem archäologischen Museum. Das hat tatsächlich noch geöffnet: bis 16 Uhr, und damit noch 15 Minuten. Nein, das wir mir jetzt zu hektisch, und es guckt auch schon jemand unwirsch aus der Türe, der seinen pünktlichen Feierabend gefährdet sieht. Ich kann ja am Montag auf der Weiterfahrt noch herkommen, denn auch dieses Museum hat - wie so viele - seit neuestem dienstags und nicht mehr montags geschlossen.

 

Ein weitläufiges Ausgrabungsfeld erstreckt sich nördlich des Museums, teilweise abgezäunt. Sieht anstrengend aus, ich bin zu müde dafür. Ich bin schon zur bequemen Autofahrerin mutiert und setze mich wieder in den Wagen um bis zum geöffneten Eingang des antiken Theaters (4. Jahrhundert v. Chr.) zu fahren. Das ist weniger abstrakt als die anderen Ausgrabungen. Ein paar Männer sind zugange mit Stühlen und Tontechnik: heute Abend findet hier eine Theateraufführung statt, erklärt der eine, ich solle doch kommen. Hmm, eher nicht. Keine Ahnung wie weit es noch bis zu meinem Quartier ist.

Ein paar halbherzige herumhängende Absperrungen ignoriere ich ungestört und gehe hinab zur Bühnenfläche. Von den Zuschauerrängen - das Theater fasste einst 6.400 Zuschauer - ist nicht mehr so viel übrig, die Römer bauten das griechische Theater vermutlich zur Arena um.

Mich zieht es weiter. Ich fahre auf der breiten Küstenstraße nach Osten, halte in Amarynthos für einen Frappé. Das Meer liegt hier ganz ruhig, kaum zu glauben, dass der Fährbetrieb in der Ägäis heute eingestellt war. Ruhig ist auch die Atmosphäre des Ortes, heiter-entspannt. Das wird auch die nächsten Tage überall so sein, wo ich hinkomme. Gefällt mir.

Hinter dem Linienbus von Athen nach Kymi reihe ich mich wieder in den Verkehr ein. Galazia Nera, Glyka Nera, bei Aliveri verlasse ich die Küste. In Lepoura nach Süden und in Krieza dann nach Osten.

 

Ich habe mich für zwei Nächte in Klimaki bei Agii Apostoli einquartiert, in der "Villa Von Sophia". Die liegt im Hügelland oberhalb der Küste. Die Beschreibung, die ich zugeschickt bekommen habe, ist ziemlich genau, die plötzlich kommende Auffahrt zum Haus extrem steil, und so fahre ich erst mal vorbei. Im zweiten Anlauf bezwinge ich den "Berg" und stelle meinen Micra, den ich schon liebgewonnen haben, neben einen weißen Kleinwagen unterhalb des Hauses zwischen Weinbergen und grünen Hängen. Nett hier.

Mein Zimmer ist eines von zweien im Erdgeschoss. Nebenan sitzt eine Griechin und telefoniert. Das wird sie eigentlich immer tun, wenn sie auf der Terrasse sitzt. Ihr kleiner weißer Hund kläfft mich durch die Terrassenabtrennung an, er wird zur Ruhe gerufen.

Einem Kästchen mit Zahlenschloss entnehme ich den Schlüssel - das ist jetzt schon das zweite Mal, dass ich keinen direkten Kontakt zur Gastgeberin habe, AirBnb läßt grüßen - und finde ein geräumiges Zimmer mit einem Boden aus glasierten Ziegeln, Ikea-Möbeln, Mini-Küche und einem hübschen Bad.

Von der Terrasse - die Ikea-Möbel sind nicht wirklich outdoorgeeignet und wackeln bedenklich - hat man einen tollen Blick übers Grüne auf das Meer und links den Fischerort Agii Apostoli. Der ist weit weg als gedacht, auch wenn es vielleicht einen kürzeren Weg als die Straße gibt, auf der ich gekommen bin. Besser, ich fahre dorthin bevor es dunkel wird. So richte ich mich nur auf die Schnelle ein, und fahren dann die Straße wieder vor zur Hauptstraße und dann hinab zum Ort. Drei, vier Kilometer sind das schon.

Agii Apostoli (Evias) entpuppt sich dann als sehr lebendiges Fischerdorf, und die Fischer sind hier nicht nur Werbeprosa, sondern es gibt sie tatsächlich. Neben dem Hafen mit einem größeren Parkplatz gibt es vor der Häuserreihe einen schmalen möblierten Sandstrand unter Tamarisken, der am späten Samstagnachmittag noch gut belegt ist. Ein gutes halbes Dutzend Tavernen verteilt sich entlang der Paralia. Ich spaziere bis zum Ende der Mole, vorbei an netzflickenden Fischern und entspannten Katzen. Am Horizont ist Land zu sehen. Kann eigentlich nur die Insel Skyros sein, und ist es natürlich auch. Das Ganze hat urgriechisches Flair und ich fühle mich angekommen.

 

Noch entlang des Strandes, auch hier hat es Tavernen. Die Wahl fällt mir schwer, ich lande schließlich an der Hafenparalia in der freundlich außenmöblierten "Souvlaki Bar" und bestelle gegrillte Auberginenscheiben mit Feta und Tomaten. Ein Viertel Wein riskiere ich trotz der Rückfahrt mit dem Auto. Vom Nachbartisch dringen schwäbische Laute, zwei Paare sitzen dort. Wir kommen ins Gespräch: Sie sind aus Esslingen und Göppingen und urlauben schon seit vielen Jahren hier. Persönliche Beziehungen haben sie in diese unbekannte Urlaubsgegend geführt. Es gibt doch keine griechische Ecke ohne Stammgäste. Witzigerweise kennen sie auch Erich Hänßler.

Das Essen ist ordentlich und unglaublich preiswert: gerade mal sieben Euro werden für Auberginen, Wasser, Brot und Wein fällig.

Ich bin müde und mache mich zeitig auf die Rückfahrt. Verpasse auch beim zweiten Mal die steile Auffahrt zum Haus. Der Vollmond steht über dem Meer, dazu die herrliche Ruhe. Nach der Nacht in Rafina ist das genau das was ich brauche. Ich ziehe die Moskitojalousie vor der Türe hinab und schlafe wie ein Stein.

*

 

Die aufgehende Sonne weckt mich kurz nach sieben Uhr. Ich habe hier - und auch in meinen beiden nächsten Quartieren, aber das weiß ich da noch nicht - direkten Blick nach Osten. Wunderbare Sonnenaufgänge inklusive. Sieben Uhr ist auch eine gute Zeit sich von der Sonne wecken zu lassen.

Ich improvisiere aus dem gestern gekauften Tsoureki und Nescafé ein einfaches Frühstück und bin schon um kurz nach neun wieder auf der Straße. Ich möchte heute auf diversen Umwegen nach Kymi. Nicht um etwas spezielles zu besichtigen, sondern nur, um Eindrücke der Gegend zu bekommen. Und um eine Spezialität zu kaufen. Vielleicht noch einen Blick auf den Fährhafen werfen - schließlich geht dort die Fähre nach Skyros.

 

Agii Apostoli liegt noch im Sonntagvormittagsschlaf. Das deutsche Wohnmobil mit TIR-Kennzeichen - ich werde es Tage später in Karystos wiedersehen - parkt unverändert unter den Tamarisken zwischen Hafen und Strand.

Auf einem ausreichend befestigten Sträßchen kurve ich gen Norden, zweige jeweils zu den nordwindgeschüttelten Sandstränden Stomio und Cheromylos ab und unterziehe meinen Nissan Micra einem ersten Härtetest durch Schlaglöcher.

Schöne Strände, aber wer hier heute baden möchte, der hat den Kopf mehr unter als über Wasser. Nichts für mich. Ein einsames Zelt am einen und ein Campingbus am anderen Strand zeugen aber von der Bewohnbarkeit der Strände.

Autos sind noch keine unterwegs, nur eine einsame Wandererin überhole ich mehrfach.

Von Windrädern gekrönte baumlose Hügel, noch nicht ganz von der Sonne verbrannt, bilden die Küstenlandschaft. Eine kurvige Straße hinauf, dann habe ich Aussicht auf den Lochfelsen von Kalamos (Evias), der den Strand des Örtchens in zwei Teile teilt.

Der südliche Strand ist unbewirtschaftet und liegenfrei, ein paar Kuppelzelte stehen am Rand. Der nördliche Strand ist mit Liegen und Sonnenschirmen bedeckt und endet in einer kleinen Bucht mit Bötchen. Cafés und Tavernen liegen dahin. Aber alles ganz klein und niedlich, es herrscht schon Badeleben.

Der optimale Platz für ein zweites Frühstück. Ich wähle "Tota Marinou" und ein Omelette mit Käse und Schinken, begleitet von einem frischgepressten Orangensaft. Genieße und entspanne.

So gestärkt steuere ich ins Inselinnere. Und verliere in dem schlecht bis gar nicht beschilderten Gewirr aus Straßen und Pisten ganz schnell die Orientierung. Ortschilder sind Mangelware und weil ich ohne Navi unterwegs bin und auch das Meer außer Sicht ist, weiß ich irgendwann nicht mehr wo ich überhaupt bin.

Ich nehme dann eine Straße nach Norden, das kann nicht falsch sein. Und als ich einen an einen Hügel gelehnten Ort mit einem überragenden Turm sehe, weiß ich: das muss Avlonari sein. Ich navigiere durch die engen Gassen und parke an einer Platia mit Aussicht über eine grüne Ebene zum noch ferne Gebirgsmassiv des Kotilea (1190 Meter hoch). Hübsch. Durch gepflegte Gassen wandere ich bergwärts und lande bei einer großen Kirche, vor der sich gerade eine Taufgesellschaft versammelt. Da will ich nicht stören.

Der venezianische Turm liegt hinter der Agios-Nikolaos-Kirche, er ist imposant, aber verschlossen.

Bevor der Pappas die Taufgäste zum Gottesdienst in die Kirchen bittet, kann ich einen schnellen Blick in das Gotteshaus werfen, das aber nicht alt ist. Im Gegensatz zur frühchristlichen Kirche Agios Dimitrios aus dem 7. Jahrhundert, die beim nahen Chania (gibt es hier auch eines) liegt. Und die ich leider verpasse, weil ich von dort auf die Hauptstraße nach Norden abbiege und die Beschilderung unübersichtlich ist.

 

Wenig später teilt sich die Straße, ich wähle die Route links durch die Bergdörfer nach Kymi und hebe mir die schnellere Küstenstraße für die Rückfahrt auf.

 

Prinaki, Monodri, Direvmata - die kleinen Dörfer reihen sich fast übergangslos aneinander. Es ist eine grüne Gegend - Obstbäume, Nüsse, Zypressen, Platanen. Und Feigen. Ein bißchen erinnert es mich an Südfrankreich oder Kreta. Aber nur ein bißchen.

In Direvmata verläuft ein kleiner Markt entlang der Durchgangsstraße, angeboten werden Kartoffeln, Paprika, Auberginen, Karotten. Und süße kernlose Trauben, die mein Interesse wecken. Gerade noch kann ich den Händler davon abhalten, mir drei dicke Rispen einzupacken. Eine tut es auch, ein Kilo schwer und ein Euro fünfzig billig.

Nach Kymi ist es nun nicht mehr weit. Die eigentliche Stadt liegt auf einer Höhe von 250 Metern über dem Meer, der als Kymi bekannte Hafen ist eigentlich Paralia Kymis und der einzige Hafen an der Ostküste Euböas. Mein Ziel ist zunächst die Oberstadt. Dafür gibt es nur einen Grund, und der heißt Feigen. Euböa ist bekannt für seine guten Feigen. Die Krönung sind aber die Feigen von Kymi. Diese besonders reifen, süßen und weichen Feigen werden vor dem Trockenen halbiert, umgestülpt und besonders sorgsam getrocknet, sie sind nicht hart, zäh und dickhäutig wie Trockenfeigen anderer Provenienzen. Ich habe Pfundpäckchen für fünf Euro auf Kreta oder in Athen kaufen können, aber zuletzt hatte ich Pech: nur gewöhnliche Evia-Feigen oder welche von der Peloponnes waren im Angebot. Kein Vergleich zu den kymiotischen.

 

Ich parke nahe dem Ortszentrum und erklimme eine Steigung mit der Hauptkirche. Der Gottesdienst scheint gerade vorbei, der Pappas steigt in sein Auto und entschwindet. Die Gemeinde füllt die Cafés neben der Kirche - kein Platz ist dort frei. Ich fokussiere mich aber auf die Feigen und haben Glück: gegenüber der Kirche ist ein kleiner Laden mit lokalen Spezialitäten, und der hat auch offen. Es gibt helle und dunklere Feigen, die hellen seien die besseren, rät der Verkäufer. Ein Pfundpäckchen der hellen Sorte wandert in meine Tasche und noch ein paar offene dazu. Mit sechs Euro achtzig sind sie eher teurer, aber sie schmecken wirklich süß, wie ich gleich probiere. Allerdings müssen sie noch aus der letztjährigen Ernte stammen - die neue kommt erst im Oktober.

 

Dann umkreise ich die Kirche. Soll ich hier etwas essen? Ich sehen nur Cafés, keine Tavernen. Besser unten am Meer. Vorher erstehe ich in einem anderen Laden noch ein weiteres Päckchen Feigen - ein gutes Mitbringsel. Hier kosten sie nur fünf Euro. Ein dritter Laden ist hingegen ausverkauft - im Oktober wieder.

 

Eine kurvige Straße führt die vier Kilometer hinab nach Paralia Kymis, wo ich eine Weile nach einem freien Parkplatz suchen muss. Huch, was ist denn hier los? Eigentlich nichts, es ist ein ganz normaler Sonntagmittag. Aber die Restaurants sind voller Griechen: Paralia Kymis ist, wie viele der Küstendörfer, ein beliebtes Urlaubsziel bei den Griechen. Inzwischen habe ich etwas Hunger und lasse mich in der Taverne "Maistrali" nieder. Die laminierte Speisekarte mit den Fotos der Speisen ist eher abschreckend, ich bestelle gegrillte Sardinen, dazu eine Limo (muss ja fahren) und Wasser. Durst! Paralia Kymis liegt etwas windgeschützt, und es ist trotz des Windes warm heute. Die Klimaanlage meines Auto hab ich noch nicht so ganz im Griff.

Die gegrillten Sardinen sind absolut köstlich und die Atmosphäre am Hafen gefällt mir auch. Und wie bestellt kommt jetzt auch noch die "Achilleas" angetuckert, die Fähre, die Evia mit Skyros verbindet. Zwei Busse warten, die Passagiere unverzüglich nach Athen zu befördern. Die Fähren sind also heute am Sonntag wieder unterwegs, zumindest die größeren.

Ich bezahle günstige zehn Euro für das Essen, drehe noch eine Runde zum Anleger und hab jetzt Lust auf ein Bad im Meer. Ich fürchte nur, da bin ich heute auf der falschen Inselseite. Vielleicht hätte ich auch zu den nördlich gelegenen Stränden fahren sollen, ich nehme aber die Küstenstraße nach Süden. Hier ist das Ufer felsig und strandlos, einige badewillige Kymioten drängen sich mit Klappstühlen und Kühlbox auf einem Betonanleger etwas südlich des Hafenortes. Nein, das ist nicht was ich mir vorgestellt habe, und bis Paralia Oxylithou kommt auch nichts besseres. Dort biegt die Hauptstraße ins Inselinnere ab, und ich mit ihr. Ich werde es einfach nochmals in Kalamos probieren, der Wind müsste ja nachgelassen haben. Vorher tanke ich bei Kambos, der Liter unverbleit kostet 1,518, und es gibt unverlangt einen Beleg. Wie überhaupt immer auf Evia (und im Gegensatz zu Paros).

 

Ohne Um- und Irrwege finde ich dieses Mal Kalamos, parke wieder am Ortsrand und steuere den südlichen Strand an. Dort sind die Wellen aber eher noch stärker geworden. Ich setzte mich hin und beobachte ein paar junge Männer, die sich in die Wellen stürzen oder auf Surfbrettern treiben lassen. Sie gehören zu den Kuppelzelten am Strand. Offenbar Athener auf Wochendurlaub, denn ganze Familien gruppieren sich mit Sack und Pack um die Zelte. Um dann weniger später alles zusammenzupacken und zu verschwinden. Da ist es dann auch schon fünf Uhr, und auch ich trete ungebadet die Rückfahrt nach Klimaki an, verirre mich kurz vorher noch zwischen Pisten und Sträßchen um völlig unvermittelt in Agii Apostoli am Ufer zu laden.

Fürs Abendessen bin ich dann eineinhalb Stunden später wieder dort. Dieses Mal in der Grilltaverne "Molos", wo mich der Umfang der Portion gegrillter Würstchen nächst Pommes fast überfordert. Für das sättigende Mahl werden lächerliche sechs Euro fünfzig fällig. Gut, den Wein habe ich heute Abend weggelassen, als Autofahrerin. Besser, wenn ich abends zur Taverne zu Fuß gehen kann - ich hoffe, das ist ab morgen in Karystos der Fall.