Kafireas - Cavo d'Oro

Auch am Mittwoch sitze ich wieder im Auto. Es ist schon am Morgen warm, kaum ein Windhauch erfrischt die Luft. Und wenn, dann kommt er von Süden und ist warm. Nicht optimal zum Wandern. Aber Faulenzen ist auch nicht mein Ding. Und so liegt die Straße nach Osten schon um zehn Uhr wieder unter meinen Rädern. Ziel: Kap Kafireas, so weit die Straße es hergibt. Und auf dem Rückweg einen Traumstrand. Soll nicht so weit sein.

Bis zum Abzweig Richtung Ochi kenne ich die Straße schon, die sehr gut ausgebaut ist. Ab hier ändern sich die Aussichten, nun auf die Ostküste. Das Dorf Platanistos zieht sich entlang der Straße ohne erkennbare Ortsmitte, ohne Taverne, ohne Grund anzuhalten. 74 Einwohner laut Census 2011, und die Nachbarweiler sind noch kleiner. Der Cavo d'Oro stirbt aus, trotz der guten Straße. Mal sehen wie lang sie in diesem Zustand bleibt. Meine Karte von Terrain/Sky sagt, hinter Thymi ist Schluß. Aber das sind noch rund dreißig Kilometer. Ich werde noch eineinhalb Stunden dafür brauchen, mit Unterbrechungen.

 

Die erste Unterbrechung warte jäh in einem waldigen Tal. Im Schatten große Platanen fließt ein Bach durch ein hübsches Tal, und einen kleinen Wasserfall hat es auch. Vollbremsung, das Auto abstellen.

Ein Idyll, das mich an Kythira erinnert. Im Sommer ist hier wunderbar planschen, es gibt einen Brunnen und einen Picknickplatz. Die Griechen lieben solche Ort, die auch im heißen Sommer erfrischende Kühle abgeben. Mein MM-Reiseführer hält ihn nicht mal der Erwähnung wert, erwähnt nur die sehenswerte Fahrt zum Kabo Doro (noch eine Schreibvariante) und die mangelnden Verpflegungsmöglichkeiten. Und den Abstecher zum Strand von Archampoli (Archaboli/Αρχάμπολη). Aber dazu später.

 

Ich plantsche etwas im Bachbett und tatsächlich kommen noch zwei junge griechische Touristen auf einem Motorroller daher, machen einen schnelle Fotostopp und düsen wieder weiter. Es werden die einzigen Touristen sein, die ich heute unterwegs sehen werde.

Aus dem schattigen Tal hinaus geht es wieder entlang der flachen Ausläufer des Ochi. In Mastrogianni sieht tatsächlich etwas wie ein Kafenio aus, und die Straße, die wenig später nach Potami hinab abzweigt, macht einen neuen und damit mietwagengeeigneten Eindruck. Ich bleibe aber oben, wo die Landschaft kärger wird und überall Windräder wie gigantische Meerzwiebeln zu wachsen scheinen.

 

Der nächste Halt ist ein Zwangshalt in einer Rotorenplantage: ein großer Bagger wird auf einen Sattelschlepper verladen, der quer über die Straße steht. Vermutlich hat er die Piste für einen neuen Propeller bereitet. Wie man diese großen Teile hier wohl hertransportiert und errichtet? Ich schätze, der gute Straßenzustand liegt vor allem am Windpark, denn dass zum Windradbau Hubschrauber eingesetzt werden, kann ich mir nicht vorstellen: zu teuer, zu windig. Und zwei Tage später kommt mir auf der Straße nach Styra ein Rotorentransport entgegen: jeder Flügel (geschätzt 30 Meter lang) extra auf je einem endlosen LKW, die Generatorenteile auf einem weiteren Transport. Da wird es bei mancher Ortsdurchfahrt eng, wie kommen die denn durch Metochi oder Mastrogianni?

 

Geduldig nutzen die Wartenden - zwei, drei Pickups reihen sich hinter mir ein - die Gelegenheit für ein Schwätzchen. Eilig hat es hier niemand, und ich schon gar nicht. Nach fünf, sechs Minuten ist der Bagger verladen und die Straße wieder frei.

Die Straße fährt nun tiefe Täler aus, gelegentlich werden verlassen wirkende Drei-Häuser-Weiler passiert, was man vor allem daran merkt, dass dort die Straße schlechter ist. Für die Ortsdurchfahren sind die Gemeinden selbst zuständig, und so ergibt sich in Zeiten des Geldmangels automatisch eine innerörtliche Verkehrsberuhigung durch Schlaglöcher. Je weiter ich fahre, desto öfters sind die Straßenränder auch mal abgebrochen, für die Ewigkeit markiert mit zerfetzten Baustellenbändern und müden Absperrkegeln.

 

Ich genieße die Fahrt und die Landschaft. Nach dem Windpark wird es wieder lieblicher, Passagen mit Platanen und Olivenbäumen wechseln ab mit Macchia und Felsen. Oft durchfräst von Pisten und Straßen, dazwischen zerstreut Häuser und Kapellen. Die Hänge links der Straße werden etwas steiler, aber nicht wirklich hoch, das Meer rechts liegt in unbeteiligter kühler Bläue. Im fernen Dunst Andros.

Antia, Komito, Kapsouri, Drymonari - kaum nennt ein Ortschild die Dörfchen, die ich passiere. Mal bellt mich ein gelangweilter Hund an, mal huscht ein Schatten ins Haus an der Straße. Ich fühle die Einsamkeit der Gegend. Jahrzehnte entfernt.

Nicht mal ein Kafenio gibt es hier, nichts.

 

Hinter Thymi weist ein Schild rechts hinab nach Archampoli. Immerhin. Ich fahre aber zunächst weiter, die Gegend ist plötzlich karg und braun und felsig, das Grüne weg wie ausgeknipst. Die Straße führt durch einen Einschnitt im Felsen, rechts getupft von einer Kapelle, wieder zwei Windräder darüber. Und hier ist dann Schluss mit der glatten Straßenoberfläche. Bis Kap Kafireas sind es noch acht oder neun endlose Kilometer auf Holperpiste, und noch weiter wäre es, den Berg Ochi nördlich zu umrunden. Erst ab Agatho bezeichnet meine Landkarte die Straße wieder als befestigt. Mein Ehrgeiz geht nicht in diese Richtung, ich wollte nicht weiter. Ich steige aus und gucke hinunter. Kein verheißendes Ziel dort, nur weiter Hügel und Staub.

 

Es ist inzwischen fast Mittag. Und warm. Ein geparktes Pferd mit Hafersack guckt vor einer Betonwand herunter, Schafe liegen wie tot im Schatten einer Felsenwand.

Vielleicht keine gute Idee, in der Wärme heute zu wandern.

Ich wende das Auto und fahre zurück bis zur Abzweigung nach Archampoli. Ein gut erhaltenes Schild erklärt die archäologische und landschaftliche Wichtigkeit des Ortes, der eigentlich nur ein Strand ist, und verzeichnet den Wanderweg: 1.750 Meter lang, 143 Meter Höhenunterschied, einfach. Allerdings liegt die Straße auf einer Höhe von 260 Metern, bis zum Wanderwegbeginn führt eine Schotterpiste im Zickzack hinab. In kluger Voraussicht ahne ich, dass ich auf dem Rückweg für jeden Meter dankbar sein könnte, den ich nicht wieder hinauf muss, und quäle den Micra zwei Kurven auf dem Feldweg hinab, bis die Piste dann doch zu übel wird und ich ihn am Rand abstellen muss. Schatten gibt es keinen, der Wagen hat nun ausreichend Zeit, zum Backofen zu mutieren.

 

Zwei Kurven folge ich dem Weg hinab, vorbei an einer schmucken Kapelle und dem dazugehörenden Müll: einem verrosteten Geländer, ausrangierten Grabkreuzen. Die Piste endet zehn Minuten später an einem Hof, hier beginnt nun der Fußweg. Zwei braune Schafe liegen auf der Steintreppe am Eingang zu dem Haus, und wie ich gerade meinen Fotoapparat zücken möchte um dieses schöne Motiv zu verewigen, da tritt auf die Terrasse oberhalb der Treppe ein alter Mann und fragt, wohin ich wolle. Er höre nicht mehr gut, also schreie ich ihm zu, dass Archampoli mein Ziel wäre. Oh, das wäre aber makria, also weit. Kein Problem, entgegne ich ihm, zeige Rucksack und Wanderstock. Er erklärt mir dann den Weg, dessen Verlauf man von hier aus gut sieht. Wenn man weiß, wo der Weg verläuft. Ok, ich muss also vor wo eine Felsennase überhängt, und dort vorbei. Ich bedanke mich herzlich, und gehe weiter, nicht ohne aus einem weiter unten liegenden Grundstück einen Hund aufzuschrecken, der sich bemüßigt fühlt, die Mittagsruhe mit Gebell zu erfüllen. Da guckt dann auch noch ein Mann übern Zaun nach der einsamen Wandererin. Gut, falls ich in drei Stunden nicht zurück bin, ruft doch bitte die Bergwacht, denke ich, kämpfe mich durch ein drahtverhauenes Tor, und über einen kleinen, schattig-feuchten Taleinschnitt. Puh, ich schwitze ja jetzt schon, das ist heute nicht mein optimaler (Wander)Tag.

 

Der Weg ist gut erkennbar und gelegentlich mit einem roten Punkt markiert. Ich lasse mich kurz darauf von nach oben führenden Stufen verleiten, gerate im Gelände zu weit nach oben und habe plötzlich keinen Weg mehr. Suche herum. Der Mann fuchtelt unten auf der Terrasse wild: ich muss zurück.

Plötzlich habe ich keine Lust mehr auf den Traumstrand, fühle mich müde und verunsichert. Es ist einfach zu warm, und vielleicht sollte frau doch nicht alleine hier durch die Gegend stolpern. Also setzte ich mich erst mal auf einen Stein und esse mein Vesper, entschlossen, die Tour abzubrechen. Aber als ich dann durch Essen und Wasser gestärkt bin und den richtigen Weg sehe, der etwas weiter unten verläuft, sieht die Welt wieder ganz anders aus. Wäre doch gelacht!

Der Weg verläuft nur waagrecht entlang eines Hanges und unterhalb eines überhängenden Felsen durch. Ab hier habe ich eine tolle Aussicht aufs verlassene Meer, der Weg ist gelegentlich etwas ausgesetzt, aber verläuft solide über Steinplatten. Und schon nach wenigen Minuten entlang der Steilküste biegt er plötzlich nach Süden ab und gibt den Blick auf eine von vertikalen Felsen eingefasste türkisgrüne Bucht frei, die in einem hellen Sandstrand endet. Zwei Kaikia treiben möwenumschwirrt auf den glitzernden Wellen im Windschatten der gegenüberliegenden Felsenwand. Ein atemberaubendes und wunderschönes Bild! Wie eine Fata Morgana.

 

Ich fotografiere was die Kamera hergibt und gehe dann weiter auf dem Weg Richtung Buchtende. Bin aber immer noch oben auf dem Felsen. Es ist niemand am Strand, völlig verlassen liegt er da. Rechts davon duckt sich eine kleine steingraue Kapelle, Mauerfundamente zeichnen Rechtecke in den trockenen Boden. Das müssen die antiken Überreste sein, man weiß aber wenig darüber. Außer dass der Ort seit archaischer Zeit besiedelt war die Reste aus klassischer bis römischer Zeit sein können. Ok, also da hab ich schon Beeindruckenderes gesehen. Mal aus der Nähe angucken.

 

Von einem Felsenpfeiler mit wie feine Blätterteigpasteten geschichteten Steinplatten führt ein loser Weg durch eine Schutthalde die letzten zwanzig Höhenmeter hinunter zum Strand. Der Weg ist unbefestigt und ich rutsche trotz Stock im losen Sand. Und der Pfad wird immer abschüssiger und loser. Ich kann mich gerade noch halten, ziehe beinahe die Popo-Bremse. Und muss wenige Meter vor dem Ziel aufgeben - das ist mir hier solo zu halsbrecherisch. Nein, es muss ja nicht der Hals sein, aber ein verstauchter Knöchel wäre hier jetzt auch nicht das richtige. Was ein Jammer: kein Bad im Meer, keine Erfrischung. Ach, nicht so schlimm, baden kann ich auch beim Hotel, versuche ich mir einzureden. Und es klappt. Ich bin heute nicht so kämpferisch und risikobereit drauf.

Ich klettere also wieder hoch auf den Felsenpfeiler. Auch hier gibt es keinen Weg hinab, außer für Kletterer. Genieße ich eben die Aussicht. Beobachte mit dem Fernglas die beiden Fischerboote. Auf dem rechten sind zwei Männer bei der Arbeit, umkreist von den schreienden Möwen. Die Simse über den senkrecht hochsteigenden Felsen bieten gute Nistmöglichkeiten. Das links Boot scheint verlassen, ist es aber sicher nicht. Auch auf dem Seeweg ist man eine Weile hierher unterwegs, der nächste Hafen ist weit.

 

Schließlich reiße ich mich los: ich brauche noch eine ganze Weile für den Rückweg. Zu Fuß und mit dem Auto. Das Monopati bis zur kleinen Schlucht ist kein Problem, nach vierzig Minuten stehe ich wieder bei dem Hof mit dem alten Mann. Der macht gerade Siesta, aber seine beiden Schafe schätzen den Schatten der Treppe. Unter einem Baum drängen sich deren Genossen, die hängenden Köpfe zueinander gestreckt. Tuscheln sie über die komische Touristin, die den Weg hinaufschleicht?

 

Die Hitze staut sich in dem Tal und ich schleppe mich kraftlos den schattenlosen Feldweg hinauf. Was bin ich froh, dass das Auto nicht oben an der Straße steht, denn obwohl das alles weder Entfernungen noch Höhen sind, bin ich fix und alle als ich kurz vor drei Uhr das Auto erreiche. Verbrenne mir die Finger als ich versehentlich die Metallschnalle des Anschnallgurtes berühre. Das Wasser in der Flasche im Auto hat Badewassertemperatur (ich schütte es über meinen Kopf, das erfrischt trotzdem etwas), und im Innenraum könnte ich saunieren.

Ich reiße alle Fenster und Türen auf, ehe ich die Schuhe wechsle und dann den rollenden Ofen bergwärts bewege. Boah, bis zum nächsten (hoffentlich!) offenen Kafenio ist es eine Stunde Fahrt. Wenn ich Glück habe - bis Karystos kommt noch mindestens eine halbe Stunde dazu. Ich hab Visionen von einem eiskalten Cola, oder von einem Sprung in den Wasserfall bei Platanistos. Irgendetwas kaltes und nasses auf alle Fälle.

Ich treibe den Wagen fast wie in Trance die Kurven der Straße entlang, die Fenster offen bis zum Anschlag. Rattere mal hier in ein Schlagloch, kann mal dort noch rechtzeitig ausweichen. Es ist jetzt überhaupt kein Verkehr mehr, alles erstarrt in der Hitze des Nachmittags (die wohl nicht über 30 Grad beträgt, aber mir wie 40 vorkommt). Auch die Windräder recken kraftlos die Arme in die Luft, keine Lüftchen zu spüren.

 

Da war doch dieses vielleicht geöffnete Kafenio in Mastrogianni. Meine Hoffnung. Die Kurven wollen kein Ende nehmen, aber schließlich komme ich der Zivilisation näher. Fahre an dem Kafenio vorbei: ja, das sitzen Leute. Vollbremsung, parken am Straßenrand, nassgeschwitzt wühle ich mich aus dem Auto. Ein kurzbeiniger Hund umschwänzelt mich fröhlich, drei Frauen aus drei Generationen sitzen im Hausschatten, beschäftigt mit krümeligen Zeug, das auf einem langen Tisch ausgebreitet ist. Trachanas, wird mir erklärt, eine Mischung aus gemahlenem Getreide, Joghurt, Milch, die in der Sonne getrocknet wird.

 

Ob das ein Kafenio wäre, und wenn ja, ob ich ein kaltes Cola bekommen kann? Aber ja. Kurz darauf steht das ersehnte Gesöff vor mir. Das zischt! Ich spüren die Blicke der drei Frauen, die in meinem Rücken sitzen, aber nicht nach dem Woher und Wohin fragen. Der freundliche Hund legt sich zu meinen Füßen auf den Rücken und lässt sich kraulen. Wenn er eine Katze wäre, würde er schnurren, so schließt er nur genussvoll die Augen und lächelt. Ich hätte Lust, mich dazuzulegen, breche aber die Kruste meiner im Schweiß erstarrten Klamotten, bezahle das beste Cola ever, und fahre weit.

Lege mich dann doch nicht in den kleinen Bach, aber stelle die Füße hinein. Der Schatten der Bäume tut gut. Ich kippe mir das kühle Quellwasser in den Nacken, fülle meine Flasche wieder.

 

Und kann nun etwas langsamer die Dreiviertelstunde bis Karystos hinabkurven. Werfe mich gleich beim Hotel ins Meer, das täglich wärmer wird.

Es wird Zeit, mal etwas langsamer zu machen. Weniger herumfahren, mehr entspannen. Gerade wenn es so warm ist. Das soll es auch morgen noch bleiben.

 

Zu Sonnenuntergang bin ich vorne an der Paralia. Auch wenn die Sonne nicht im offenen Meer, sondern hinter der Kap Paximadi untergeht, ist die Stimmung am Hafen wunderschön. Angelnde Jungs schneiden Silhouetten ins Feuerrote.

Als Restaurant für den Abend suche ich mir heute das "Agoni" aus, empfohlen von Diana Farr Louis auf Matt Barretts umfassenden Griechenlandseiten. Es ist nicht viel los dort, im Gegensatz zu den Nachbarlokalen, und ich staune, wie viele ausländische Touristen doch hier abends in Karystos unterwegs sind. Wo stecken die bloß alle tagsüber?

 

Aber das Essen bei "Agoni" ist gut. Ich bestelle das Tagesessen, Leber in Weinsauce mit Pommes und bekomme eine solide Portion, die keine Wünsche offen lässt. Außer vielleicht einem Tsip hinterher.

 

Und morgen? Vielleicht zu den Säulen, dazu muss man nicht endlos durch die Gegend kurven, denn der Ausgangspunkt Myli ist nur drei Kilometer von Karystos entfernt.