Eisvogeltage auf Rhodos

Rhodos-Stadt

Mit einem Jahr Verspätung treffen meine Cousine Barbara und ich am Abend des 14. Januar in Rhodos ein. Nicht Corona hatte diese Verspätung erzwungen, sondern ein familiärer Todesfall. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben - die Aegean-Flüge via Athen waren noch in der Pipeline, wenn auch leider nicht billiger geworden. Aber im Januar 2022 hätten wir die meiste Zeit schlechtes Wetter gehabt, kalt und verregnet, auch auf der Sonneninsel. Diesen Januar hingegen werden die Eisvögel für uns Überstunden machen.

 

Das Taxi bringt uns für 29 Euro vom Flughafen zum Taxistand Saint Francisco am Rande der Altstadt, wo uns unser Wirt Ioannis empfängt. Er lädt unsere Trolleys auf seinen Motorroller, und zeigt uns den kurzen Fußweg durch das Agios-Athanasios-Tor zu unserem Quartier in der Altstadt, das auf den schönen Namen "Emerald Dream House" hört, auch wenn es so gar nichts smaragdgrün-träumendes hat. Wir haben das obere der beiden Apartments gemietet, mit zwei Schlafzimmern, und für preiswerte 300 Euro für zehn Nächte. Es ist alles vorhanden was wir so brauchen werden. Als Heizung dienen allerdings nur die Klimaanlagen in den beiden Schlafzimmern und im Bad. Uns wird das genügen, nachdem wir uns in Bedienung eingearbeitet haben und dann auch heiße Luft produzieren können.

Unser erster Weg führt uns noch am Abend auf der Suche nach einer geöffneten Taverne durch die leeren Gassen der Altstadt. Ich hatte gewusst, dass im Winter dort nicht viel los sein würde - mit ein Grund, warum wir jetzt hier waren, denn bei den letzten flüchtigen Besuchen hatten die omnipräsenten Koberer und die Massen der Kreuzfahrttouristen in einem Maß genervt, die uns nur an Flucht denken ließen. Aber dass nun so wenig los sein würde, damit hatte ich nicht gerechnet. Nur Katzen sorgen für Belebung des dämmerig daliegenden Kieselsteinpflasters, und gelegentlich die vorbeisausenden Motorroller der Essenslieferer. In der Hauptgeschäftsgasse, der Sokratous, sind bis auf einen alle Rollläden heruntergelassen. In dem geöffneten kleinen Lädchen werden Kaffee, Kräuter und lokale Produkte angeboten. Die Inhaberin kann unsere Frage nach einem geöffneten Lokal nur teilweise beantworten: die erste Adresse, die sie nennt, liegt im Dunkel der Nacht, die zweite würden wir auf dem Rückweg finden. So verlassen wir die Altstadt nördlich durch das Eleftheria-Tor, hoffend auf die Nea Agora. Aber auch dort riecht alles nach Winterschlaf, nur ein paar Jugendliche freuen sich an den von der Nacht versteckten Sitzplätzen.

Aber dahinter werden wir fündig, in einer Fußgängerzone. Im ersten Lokal namens "To Kentrikon" ist alles reserviert, im "Avli" daneben ergattern wir ein Tischchen, halb im Freien und unter einem wärmenden Heizstrahler. Fava, Tirosalata, Oktopus und Fenchelpitta schmecken gut, der halbe Liter Wein kommt etwas kühl und herb daher, und nach dem Essen brauchen wir noch zwei Tsipoura. Mit 38 Euro ist alles preislich im Rahmen. Das Lokal hat sich einstweilen bis auf den letzten Platz gefüllt mit jungen Leute. Es ist Samstagabend und Rhodos ist eine Studentenstadt .

Und es regnet leider wieder. Aber nur noch morgen, dann wird das Wetter besser. So versprechen die Prognosen, und so glauben wir es auch.

 

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Gewitter und Regen in der Nacht übertönen das Katzengeschrei. Das Nachbardach scheint ein bevorzugter Treffpunkt der Miezen zu sein, wir können in den nächsten Tagen Revierverhalten und Katerkämpfe aus der ersten Reihe beobachten. Es ist kühl in der Nacht, und ich brauche die bereitgelegte Decke um das dünne Leintuch wärmemäßig aufzurüsten.

In einem nur zwei Minuten entfernten kleinen Laden am Agios-Athanasios-Tor bekommen wir die wichtigsten Dinge fürs Frühstück, nur beim Brot müssen wir auf Toastbrot ausweichen.

So gestärkt machen wir uns an die Erkundigung der Altstadt. Die kieselsteingepflasterten Gassen sind noch nass, der Regen hat die Hinterlassenschaften der Katzen nur teilweise weggespült und so empfiehlt sich der Blick nach unten. Aber von oben scheint jetzt die Sonne aus blau-weißem Himmel.

 

Auch am Sonntagvormittag ist die Altstadt weitgehend verlassen, Läden, Cafés und Restaurants sind verrammelt. Der Uhrturm ist geschlossen, und auch die Stadtmauer kann man im Winter nicht betreten. Wir besuchen den Großmeisterpalast (4 Euro Wintereintritt), schlendern durch die pseudoalten Räume, mit den echten alten Mosaiken im Boden, zum Teil von Kos hierher verbracht. Der Großmeisterpalast wurde 1937 von den Italiener, die von 1912 bis 1947 (oder eigentlich 1941, als die deutschen Besatzer auch den Dodekanes okkupierten) die Herren der Insel waren, nach der Zerstörung durch eine Explosion 1856 wiederaufgebaut. Originalgetreue war dabei kein Thema, wichtiger war Repräsentation und Machtgebaren. Die Ausstellungsräume der archäologischen Sammlung im Untergeschoss sind geschlossen, ich habe sie als endlose Reihung schwarz- und rotfiguriger Vasen in Erinnerung und kann das verkraften.

Und zum Ausgleich gibt es die Behältnisse satt im archäologischen Museum im ehemaligen Hospital am unteren Ende der Ritterstraße. Und noch zahlreiche andere sehenswerte Exponate aus 2000 Jahren Geschichte. Besonders entzückend finde ich wieder die kleine Statue der Afrodite mit den Zöpfen. Aber auch der angrenzende Garten mit alten Bäumen, herumliegenden Zitrusfrüchten und schrägen Wandmosaiken gefällt uns. In den Räumen verliert sich gerade mal eine Handvoll Besucher.
Alleine sind wir im überschaubaren kirchlichen Museum gegenüber in der Panagia Kastrou mit zwei, drei schönen alten Ikonen (5 Euro Eintritt für beide Museen zusammen).

 

Inzwischen ist es halb zwei geworden, und wir hungrig. Weil außer dem Restaurant "Zebrano", das dort um die Ecke liegt und das wir uns für den Abend aufsparen, auch jetzt kein Lokal geöffnet ist, sind wir froh, dass wir in der Platonos, einer Seitengasse der Sokratous, einen geöffneten Bäcker mit Imbiss finden. Die Pittes mit Kartoffeln und Feta und Oliven schmecken ausgezeichnet, und außerdem können wir hier zukünftig morgens unser Brot kaufen. Wenn wir den Weg durch die labyrinthischen Gassen der Altstadt hierher finden.

Weiter geht es durch das Marine-Tor hinaus zum Kolona-Hafen. Hier werden wir morgen einen Tagesausflug nach Symi starten. Südlich bummeln wir durch das Panagia-Tor dann wieder in die Altstadt hinein. Fast erkenne ich die Plätze mit der Eule (Ippokratous) und den drei Seepferdchen (Martyron Evreon) nicht wieder, so leer sind sie. Schön, ohne zudringliche Kellner und lärmenden Touristen und Papageien die Gedenksteine für die ermordeten Juden von Rhodos studieren zu können.
Durch Nebengassen erreichen wir die obere Stadtmauer und landen entlang der Irinis und der Omirou schließlich wieder in unserem Quartier. Unsere Dachterrasse ist noch nass, aber der Rundumblick ist wunderbar, und wir mit unserer Quartierwahl sehr zufrieden. Vom nahen Stadion jenseits der Altstadtmauer ertönen Fangesänge, und die "Blue Star 2" macht sich auf den langen Weg nach Piräus.

 

Gehoben präsentiert sich das Ambiente im Café-Restaurant "Zebrano" hinter der Panagia tou Kastrou. Das Angebot an Speisen ist landestypisch mit modernen Einschlag, preislich noch im Rahmen. Den Wein gibt es folglich glas- oder flaschenweise, was die Cousine auf Rat des Kellners dazu bewegt, eine Flasche Cabernet Sauvignon zu 35 Euro zu bestellen. Die Cousine lebt in der Schweiz und ist mit einem Weinkenner verheiratet, da sind die preislichen Schmerzgrenzen völlig andere als bei einer Trollinger-mit-Lemberger-Schwäbin wie mir, die bei solchen Bestellungen an sich arbeiten muss. Aber der Wein (2019er 9 Muses Estate Cabernet Sauvignon aus Theben) ist wirklich ausgezeichnet, auch wenn er dann doch nicht von Rhodos ist, was wir eigentlich gewollt hatten.

Dazu entscheiden wir uns für eine Pikilia mit Humus, Auberginenmus und Tsatsiki, dann Oktopus mit Fava, und Moussaka. Alles ist ausgesprochen köstlich, die Portionen auch ausreichend, und das Ambiente im gut gefüllten Lokal auch schön. Die Rechnung beläuft sich schließlich auf 74 Euro. Das können wir locker mal verkraften, denn der Urlaub wird pro Kopf sehr preiswert werden, vom Flug mal abgesehen.

Die Suche nach einer Bar für einen Absacker verläuft in der Altstadt ergebnislos. Der kleine Mini-Markt bei uns um die Ecke ist aber noch geöffnet, und so erstehen wir dort einen Tsipouro und holen den Digestiv zuhause nach.

Müde geht es dann ins Bett, morgen (Montag) müssen wir zeitig raus, die Fähre nach Symi geht um acht Uhr. Das gibt aber einen Extra-Bericht.

 

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Den Dienstag werden wir nochmal in Rhodos-Stadt verbringen, ehe wir uns für mehrere Tage ein Auto leihen werden um unseren Aktionsradius zu vergrößern und uns die Insel bis in den tiefen Süden anzusehen. Dienstags sind die Museen in Griechenland geschlossen, wir werden uns also eher dem modernen Rhodos widmen.

In der Nacht hat es wieder stark geregnet und die Gassen sind noch nass als ich zum Bäcker aufbreche. Überall sitzen wohlgenährte Katzen, es ist wirklich erstaunlich, wie sie sich die winterliche Altstadt erobern. Aber auch die Frau, die die Gasse kehrt, werde ich bei jedem morgendlichen Bäckergang wiedertreffen. Im Bazaar-Supermarkt neben dem Bäcker haben wir gestern noch weitere Frühstücksutensilien eingekauft, und frühstücken dann in unserem "Emerald Dream House". Dass die Spüle sich baubedingt außerhalb auf dem Balkon befindet und nur kaltes Wasser hat, ist gewöhnungsbedürftig, aber dank angenehmer Lufttemperaturen um 14, 15 Grad unproblematisch.

 

Die Sonne hat die Regenwolken verdrängt als wir zum Einkaufsbummel aufbrechen. Weitgehend erfolglos in der Altstadt - in der Sokratous finden wir zwar an einem Laden die Türe geöffnet, aber der Besitzer wollte nur mal durchlüften. Dafür ist mal überall in den Bäumen zugange. Heute ist der 17. Januar, Agios Antonios. Vielleicht ist der Tag um Bäume zu schneiden?

In der Ippokratous finden wir schließlich einen offenen Laden mit Souvenirs und Co, der aber weniger den Geschmack der Cousine trifft. Mein Einkaufbedürfnis ist durch regelmäßige Griechenlandbesuche sowieso weniger ausgeprägt.

 

Durch das Eleftheria-Tor verlassen wir die Altstadt und gehen entlang der Paralía. Die Ausflugsboote am Mandraki-Hafen präsentieren sich so verlassen und verschlossen wie die Café-Zeile an der Nea Agora. Lebhaft wird es wieder hinter der Evangelismos-Kirche am nördlichen Mandraki-Hafen: ein Schwarm Tauben umflattert die Statue der Siegesgöttin auf dem Denkmal für die Gefallenen des Zweiten Weltkrieg, und zwar vor dem Hintergrund des neogotischen, von den Italienern errichteten und dem Dogenpalast nachempfundenen Gebäudes, das heute als Verwaltungssitz der Region Südägäis fungiert.

Der osmanische Friedhof dahinter mit den turbangekrönten Grabmälern unter schattenspendenden Bäumen ist auch immer einen Besuch wert. An der westlichen Ecke steht das gelbe Haus, in dem der englische Schriftsteller Lawrence Durrell von Mai 1945 bis April 1947 lebte. Sein Buch "Leuchtenden Orangen" über diese Rhodos-Zeit ist sehr lesenswert.

 

Nördlich erstreckt sich nun weitläufig der Elli-Strand, der Stadtstrand von Rhodos. Ein paar Badegäste verlieren sich dort oder im Imbissbüdchen nahe des Aquariums, und tatsächlich hat es auch Schwimmer im Meer. Gestern habe ich am Ufersaum des flachen Strand von Nimborio auf Symi eine erstaunliche Wassertemperatur von 18,5 Grad gemessen - am 16. Januar! Nun habe ich das Thermometer und die Badesachen vergessen, aber ich bin wild entschlossen, in diesem Urlaub noch im Meer zu baden.

Den Aquariumsbesuch verkneifen wir uns dann doch, und gehen durch die vom Tourismus geprägten und daher eher leeren Gassen um den Gavriil Charitou Park/100 Palms Square wieder gen Süden. Das Niochori-Viertel ist dann wieder eher kleinstädtisch. Hier hatten wir letzten Januar ein nettes Quartier reserviert, das inzwischen aber offenbar den Besitzer gewechselt hat, denn die Website zeigt sich eingeschrumpft und meine Anfrage blieb ohne Antwort. Aber wir sind auch zufrieden mit unserer Altstadtwohnung. Dafür halten wir die Augen nach einem winteraktiven Autoverleiher. Vergeblich, und so sind wir doppelt froh über die spätere Empfehlung unseres Gastgebers Ioannis.

 

Richtig lebendig wird es etwas weiter südlich, als wir die Einkaufsgegend erreichen. Jenseits touristischer Bedürfnisse nach Rhodos-Gold und Koloss-Kitsch gibt es hier, was die städtischen Bewohner so brauchen. Die Cousine wird auch fündig, klamottenmäßig. Zufrieden flanieren wir in einem weiten Bogen westlich der Altstadt, kaufen beim Fourno "Moka" in der Diagoridon Pizza, Bougatza und Süßes, die wir auf unsere Dachterrasse verspeisen. Die Terrasse ist ausreichend abgetrocknet, so dass wir dort die Sonne und das Panorama genießen können.

Bis sich irgendwann eine Regenwolke ins Bild schiebt. Zum Glück nur ein paar Tropfen, und so brechen wir gegen halb vier zum Mount Smith auf, den wir trotz Irrweg - die Direttissima ist plötzlich gesperrt - in wenige Minuten zu Fuß erreichen.

Auf dem und entlang des Hügels westlich der Altstadt befand sich die antike Akropolis. Zu sehen ist davon nur wenig: das Stadion, das rekonstruierte Odeon, die Fundament des Tempel der Athena Polias und des Zeus Polieus, und die dreieinhalb wiederaufgestellten Säulen des Apollon-Tempels.

Das weitläufige Gelände ist mit Zäunen umfasst, aber frei zugänglich. Das könnte sich in nächste Zeit ändern, wie unfertige Tickethäuschen am oberen und unteren Ende erahnen lassen. Wir gehen über die Terrassen aufwärts bis zu den Tempel-Säulen, von italienischen Architekten in den 1930er wieder aufgerichtet. Oben gibt es sogar eine Rampe für den behindertengerechten Zugang (weit wird man da aber nicht kommen).

Von der westlichen, steil abfallenden Hügelkante jenseits der Ausgrabung reicht der Blick über die nahe, grau-wolkenverhangene Westküste. Die lange Reihe neoklassizistischer Häuser zu unseren Füßen sieht geradezu idyllisch aus, aber es ist wohl keine chice Wohngegend, da zu verkehrsnah gelegen. Dahinter dann, umrahmt von dunkelgrünen Hügeln, die Groß- und Luxushotels von Ixia, entlang denen man zum Flughafen fährt, und die mein Bild von Rhodos mitgeprägt haben. Nie würde ich hier Urlaub machen wollen.

Ioannis hat uns mit der Empfehlung für den Autoverleiher auch Restauranttipps geschickt. Und so machen wir uns am Abend auf die Suche nach dem "Drosoulites", etwas nordwestlich der Altstadt. "Drosoulites" klingt kretisch (so bezeichnet man die Fata-Morgana-Erscheinungen am Strand von Frangokastello), und es ist auch ein kretisches Lokal. Aber leider hat es dienstags geschlossen. So gehen wir stattdessen ins Mezedopolio "To Kentrikon", das nördlich der Papagou neben unserem Lokal vom ersten Abend liegt, dem "Avli". Draußen ist es zu kühl, wir finden aber innen einen freien Tisch. Mit Skordalja, Spetsofai, Bougiourti und Fava sind wir halbwegs zufrieden, kulinarische Höhepunkte darf man aber nicht erwarten.

 

Und nun sind wir gespannt auf den Rest von Rhodos. Ab morgen. Hoffentlich macht das Wetter mit, denn es sind Südstürme prognostiziert.