Zwei Klöster, und Matala

Die ganze Nacht bläst es draußen in Sturmstärke. Kaum hören wir den allfrühmorgendlich schreienden Esel in der Nachbarschaft.

Dafür verwöhnt uns zum Frühstück ein Regenbogen, der ganz Zaros überspannt. Wunderschön!

Beim Frühstück rät Dimitris wegen des Windes dringend von Wanderungen ab, auch wenn heute die Sonne scheint. Gut, morgen ist auch noch ein Tag. Und dann merke ich: Wir haben es versemmelt. Gestern war Agios Antonios, und wir haben es vergessen. Dabei heißt nicht nur Irinas Mann so, sondern natürlich auch das Söhnchen von Dimitris, das wir aber nicht zu Gesicht bekommen. Ein herzliches chronia polla wäre das Mindeste gewesen, und andere Glückwünsche für die Zukunft.

Peinlich.

Zu allem Überfluss ist Antonis vom Baum gefallen und hat sich die Rippen geprellt oder gebrochen. Wir bedauern ihn ausgiebig.

Also nicht wandern heute. Was dann? Zuerst zum Kloster Vrondisi und dann hinab zur Messara-Ebene, nach Agia Triada, Kommos und Matala. Eigentlich hatte ich an einen ausgedehnten Strandspaziergang dort gedacht, aber bei Windstärke sechs bis acht? Tha doume.

 

Zum Kloster Vrondisi ist es nicht weit.

Vor dem Kloster stehen ein paar große Platanen, eine hat im Sturm heute Nacht einige große Äste verloren, die ein Mönch nun wegräumt. Links von Tor befindet sich ein alter Brunnen mit zwei kopflosen Figuren (sollen Adam und Eva sein) und verwitterten Wasserspeiern.

 

Kloster und Kirchen sind geöffnet, ein paar freundliche Mönche nehmen ein Sonnenbad im Klosterhof, zwei nicht weniger freundliche, sehr nette kleine Hunde freuen sich über Streicheleinheiten. Da überwindet sogar Theo sein Klosterallergie und kommt mit herein.

 

Das eher gedrungende Kloster wird 1474 erstmals erwähnt, ist aber älter und strahlt Ruhe aus. Die Kirche ist Agios Antonis geweiht, gestern wurde hier ein Gottesdienst gefeiert. Sie ist mit Fresken ausgemalt, die man wegen der ausgeschalteten Beleuchtung aber schlecht sehen kann. Ein junger Mann fotografiert sie, offenbar hat er den Auftrag dazu, denn eigentlich herrscht hier Fotoverbot. Es gab her auch sechs Ikonen von Michael Damaskinos, die nun allerdings in Ikonenmuseum in der Kirche Agia Ekaterini in Iraklio zu bewundern sind.

Es ist kühl in der Kirche, und so suchen wir schnell wieder die wärmende Sonne draußen. Noch ein Blick in die verschiedenen Seitenkapellen.

Ein angenehmer Ort.

Nun wäre noch ein Besuch im Kloster Valsamonero (auch Varsamonero) angesagt, zu dem im nahen Vorizia eine drei Kilometer lange Straße abbiegt. Das ist allerdings nicht mehr bewirtschaftet und daher geschlossen, so dass wir eh keinen Blick auf die außergewöhnlichen Fresken aus dem 15. Jahrhundert werfen könnten. Wir probieren es trotzdem, stehen dann aber am Ende der asphaltierten Straße vor einem eingezäunten und wohlverschlossenen Ensemble, von dem wir uns nicht mal sicher sind ob es das Kloster ist. Agios Fanourios steht dran. Mhh.

Na, man muss es ja auch nicht übertreiben mit den Klosterbesuchen.

 

Unterhalb der Straße fällt uns ein Geisterdorf auf. Es handelt es sich um Nea Vorizia. Hier sollten die Einwohner von Vorizia angesiedelt werden nachdem Voriza während der deutschen Besatzung völlig zerstört wurde (die Hauptstraße säumen zahlreiche Mahnmale). Aber die Einwohner bauten lieber das alte Dorf wieder auf, und hier blieb es bei steinernen Häuserhüllen. Auch ein UNESCO-Jugenddorf scheiterte.

Über Kamares und Magarikari erreichen wir Vori, wo sich ein sehenswertes Volkskundemuseum befindet. Das ist im Winter aber sicher geschlossen. Anders ist das natürlich bei Festos (auch Phaistos), wo sogar ein Bus von Schauinsland-Reisen steht. Ähm, wo wir jetzt schon mal da sind und offen ist, sollen wir uns Festos nicht anschauen? Mein letzter Besuch liegt über zwanzig Jahre zurück, und Barbara war noch nie hier. Theo mag aber nicht mit - Ausgrabungsgelände sind voller Stufen ohne Geländer und er war auch schon mal hier (anno 1980?). Gut, wir beeilen uns.

 

Es ist nicht viel los hier, die Reisegruppe ist schon fertig und verteilt sich jetzt über Café und Museumsshop. So haben wir das Gelände fast für uns. Während Barbara anhand des Reiseführers Details vorliest, die ich kurz darauf schon wieder vergessen habe, lasse ich das Ganze auf mich wirken.

 

Toll die erhöhte Lage mit Blick über die grüne Messara-Ebene, und die Weitläufigkeit. Der Wind pustet aber ganz ordentlich hier. Und ich muss an meine Besuch 1995 denken:

Von Pitsidia war ich mit dem Bus hergekommen und hatte mir Festos angesehen. Dem Aufseher - der nichts mit dem philhellenisch verklärten von Henry Miller gemein hatte - war aufgefallen, dass ich solo unterwegs war, und er hatte mich angebaggert. Er lockt mich damit, auch die Ausgrabungen von Agia Triada anzusehen. Das wollte ich natürlich, aber mangels Individualverkehrsmittel hatte ich keine Möglichkeit, dort hinzukommen. Kein Problem, er würde mich nachher mitnehmen, nach Feierabend, wenn Festos geschlossen wäre. Was er dann auch tat, auf seinem Moped. Allerdings war Agia Triada inzwischen auch zu, was ihn aber überhaupt nicht störte, denn er wollte das ja gar nicht sehen, sondern mich abseits, in den Büschen.... Zum Glück ließ er sich leicht abwehren, und er brachte mich auch zähneknirschend wieder hinauf nach Festos. Das breite Grinsen eines Souvenirverkäufers, mit dem dieser unsere rasche Rückkehr zum Eingang von Agia Triada kommentierte, ist mir immer noch vor Augen. Was war ich naiv damals....

Lang lange ist's her.

Zurück in den Januar 2018. Wir beeilen uns pflichtgemäß mit dem Besuch und fahren dann weiter nach Agia Triada. Es gibt wohl zwei Zufahrten, wir erwischen die obere, von der ein breiter, aber steiler Stufenweg hinab zum bedachten Ausgrabungsgelände führt. Wieder nix für Theo. Und ich hab von oben auch schon genug gesehen - mein Enthusiasmus für alte Mauern und Gräber war vor zwanzig Jahren noch größer, und die zwei Euro Eintritt spare ich mir lieber. Keine Lust. Barbara geht es ähnlich.

 

So, und nun nach Pitsidia und von dort zum Kommos-Strand. Mit einem Schlenker durch das winterleere Kamilari. Eigentlich wollte ich noch einen Blick auf Kalamaki werfen, aber wir verpassen die Abzweigung, und ich hab jetzt auch schon genug winterverlassenen Tourisiedlungen gesehen.

In Pitsidia dann rechts hinab zum Kommo. Der Wind schüttelt das Auto durch, und nach den ersten guten Metern hilft die Straße mit. Als die Schlaglöcher eine Größe erreichen, von der wir annehmen müssen, dass unser Auto darin steckenbleiben könnte, halten wir an. War die falschen Straße. Wir sind noch oberhalb der Küste, wenn man etwas vorgeht, kann man auf das Ufer und nach Kalamaki hinab gucken. Auf der Suche nach einem guten Fotostandort bin ich ohne Jacke aus dem Auto. Ein Fehler, denn der Wind ist kalt und heftig. Er treibt das Meer zu langen Wellen, die weiß ans sandige Ufer gischten. Sehr eindrucksvoll!

Und dann sind da wieder überall die Anemonen. Kommt ja auch von άνεμος = Wind/Windröschen.

Nun haben wir Hunger, und die Hoffnung, in Sivas eine geöffnete Taverne zu finden. Auf Matala setze ich nicht, weil ich es winterlich-verlassen einschätze - da wohnt ja kaum jemand. Welch ein Irrtum.

 

"Vafis" in Sivas ist geschlossen (er würde um drei Uhr öffnen, meint eine Vorübergehende), und auch sonst lädt da nichts ein. Dann eben doch Matala. Die breite Straße hinab zum ehemaligen Hippieort erinnert mich daran, dann schon 1990 beim Erstbesuch Matala vor allem ein Ziel von zahlreichen Bustouren war, deren Insassen auf der Suche nach Mythos (nein, nicht das Bier) und Blumenkindern waren. Und ich erinnere mich an den schlimmsten Sonnenbrand meines Lebens.

Der ist heute nicht zu befürchten, aber Busse sind auch da. Gleich drei Stück, darunter der Schauinsland-Bus. Und es werden noch mehr kommen. Hat die Aktion der Belebung des kretischen Wintertourismus' doch Früchte getragen (wenn auch dürre). Aber ob dieses Matala, das sich mit langen Tunnelwänden heruntergezogener Rolläden wie eine verlassenen Kirmesstadt präsentiert, Sehnsüchte und die Lust, wiederzukommen, erweckt? Ich hab da meine Zweifel.

Aber ich bin von etwas anderem fasziniert: Das Meer brandet in tobenden Wellen an den dunklen Sandstrand unterhalb der Gastronomie-Meile, so dass man dort kaum entlanglaufen kann ohne sich nasse Füße zu holen. Vorne an den Felsen brechen sich die Wogen in meterhohen Fontänen. Die Sonne scheint auf den höhlendurchlöcherten, ockergelben Felsen, der die Bucht nach Norden begrenzt und unterstreicht den Farbkontrast mit dem tosenden, weiß-dunkeln Meer. Unglaublich!

 

Ich bin so gebannt, dass ich vom Rest von Matala eigentlich wenig mitkriege. Macht nichts - die Höhlen sind geschlossen, und den Mythos sucht man im Winter vergebens (wohl auch im Sommer, wenn sich zig Busladungen für einen zweistündigen Aufenthalt hier drängen).

Natürlich sind angesichts des zu erwartenden Geschäftes mit den Bustouristen gleich mehrere Lokale geöffnet. Wir entscheiden uns für das "Petra & Votsalo", wo gerade eine Busladung abzieht, und wir vor der nächsten einen Fensterplatz mit Blick auf Meer und Wellen ergattern. Wir bestellen Kartoffelsalat, gebratene Zucchinischeiben und Sardinen. Die Qualität ist in Ordnung ohne überdurchschnittlich zu sein, die Preise (29 Euro) sind es auch. Und zack, ist das Lokal wieder fast voll besetzt, französischlastig. 90 Prozent Rentner. Ja, da lohnt sich die Winteröffnung.

 

Und unter uns brodelt das Meer.

Und nun? Es ist schon fast dreiviertel vier Uhr. Der Vorschlag, noch zum Kloster Panagia Odigitrias zu fahren, stößt überraschenderweise auf offene Ohren bei Theo. Theo, das ist ein Kloster!? So mit Mönchen und so. Kein Problem? Na, dann umso besser! Es macht mehr Spaß wenn alle an ein Ziel wollen.

Wieder nach Pitsidia und Sivas ("Vafis" sieht noch so geschlossen aus wie vorhin), dort dann via Listaros zum Kloster Panagia Odigitrias, das erhöht auf etwa 250 Metern über Meer auf einem Sattel liegt.

 

Es wurde im 14. Jahrhundert gegründet und war ein Wehrkloster. Was man heute noch an dem massiven Turm Xopateras erkennen kann, in den man sich früher bei Überfällen flüchtete, und an der Mauer, die das Kloster einfasst. Es ist eine hübsche Anlage mit einem gepflasterten Innenhof, vielen Pflanzen und Kübeln, und einer niedrigen blassgelben Doppelkapelle.

Und mit einem riesigen Museumsladen in einem der vielen Wirtschaftsgebäude, in dem Barbara umgehend verschwindet. Ich folge ihr nachdem ich die Kapelle, den Wehrturm und das kleine volkskundliche Museum samt Mühle in einem den Häuser gegenüber besichtigt habe. Einer der beiden Mönche, die hier noch leben, versorgt mich mit einem Gläschen Rakomelo und Gebäck dazu, dann kann ich mir das umfangreiche Sortiment ansehen. Natürlich gibt es Ikonen und Heiligenbildchen aller Art, auch als Schmuck, dazu Tamata, Bücher, Karten, Kräuter, Tees, alkoholische Getränke, Tinkturen und Salben. Alles sauber etikettiert wofür oder wogegen es hilft. Barbara hat schon eingekauft (sie braucht Mitbringsel für die Verwandtschaft), und auch ich kaufe ein paar der Salben - wohl im Kloster produziert und mit dem Segen der Muttergottes versehen. Muss ja wirken (und tut es tatsächlich - gerade hat Barbaras Schwiegermutter nach Nachschub verlangt weil die mitgebrachte Creme so gut hilft. Gibt es keinen Online-Shop?).

 

Der Mönch empfiehlt dies und erklärt das, und dann gibt uns gleich noch einen aus (vermutlich waren heute noch nicht so viele Besucher da und er langweilt sich), aber ich muss ja noch fahren und mich zurückhalten. Trotzdem ist das das zweite richtig nette Kloster an einem Tag, und das macht vorhergehende negative Erfahrungen aus den letzten Jahren wett.

Schön ist auch der Blick vom Kloster über die Messara-Ebene auf die wolkenverhüllte Bergkette.

Und wieder sind wir erst nach Sonnenuntergang zurück in Zaros.

 

Heute haben wir uns wieder bei Irina zum Abendessen angesagt. Sie verwöhnt uns mit einem dicken Kartoffelomelette und griechischem Salat, danach gibt es eine Monsterportion köstliches Pastizio für jeden von uns, bei dessen vollständigem Verzehr wir abwinken müssen. Und noch Kuchen als Dessert. Puh, wir hätten heute den ganzen Tag wandern müssen um diese Kalorienzufuhr halbwegs kompensieren zu können.

 

Die Stimmung ist heute wesentlich entspannter beim Abendessen. Dimitris erzählt vom Leben und den Sorgen in einem Dorf abseits der breiten Tourismusströme. Alles nicht so einfach hier.

Doch, es gefällt mir hier in Zaros bei Dimitris und Irina und Antonis, und überhaupt. Schön, dass wir noch drei Tage haben. Für morgen ist perfektes Wanderwetter vorhergesagt. Dann geht es in die Rouwas-Schlucht.