Zwischenhalt auf Mykonos

Mykonos kommt näher. Als wir den Leuchtturm an dessen Nordwestkap umrunden, geht die Sonne in einem gelb-grauen Streifen eben noch links von den dunklen Umrisse von Tinos unter. Über dem Häusermeer von Mykonos zur Linken steht der Beinahe-Vollmond. Im Fähr-und Kreuzfahrthafen Tourlos liegt nur ein kleiner Frachter, kein Kreuzfahrtschiff. Es ist kurz vor halb neun am Sonntagabend.

 

Ich habe mich für eine Nacht im "Alexandra Mykonos Port" einquartiert. Die Studios liegen nicht weit vom Fährhafen, und in die Altstadt sind es vielleicht zwei Kilometer. Ich habe erst vor ein paar Tagen online direkt über die Website gebucht, da war das günstigste Doppelzimmer für 46 Euro schon weg, aber ein Vierbettzimmer für 54 Euro finde ich auch preiswert. Die Preise sind hier offenbar dynamisch, das heißt bevor ein Zimmer leer steht, wird der Preis gesenkt. Wer früher bucht, zahlt im Zweifelsfall mehr.

Zudem sind die Transfers vom und zum Hafen kostenlos inkludiert. Ich werde von einem Mann mit Schild "Alexandra Mykonos Port" empfangen, als ich von Bord gehe. Und bin sehr gespannt. Tatsächlich habe ich noch nie auf Mykonos übernachtet.

 

Auf der Hauptstraße fahren wir Richtung Stadt, biegen dann nach kurzem vor der Gabelung links in ein Gässchen ein, und wieder rechts. Und sind schon da. Die zweistöckige Anlage liegt in einer Mulde unterhalb der Hauptstraße und sieht gepflegt aus. Das ist auch das Zimmer im Erdgeschoss mit vier einzelnen Betten, offenem Schrank, Kühlschrank, Heißwasserkocher, großzügiger Dusche und Türe zu einem kleinen Patio, das mit anderen Zimmern geteilt wird. Dieser weiße, nüchtern-reduzierte Betonstil ist inzwischen weit auf den Kykladen verbreitet, aber da er mir gefällt, bin ich mit meiner Wahl sehr zufrieden. Lange halte ich mich aber jetzt nicht hier auf, denn ich möchte noch in die Stadt.

Als ich das Haus verlasse, stellt sich ein anderer Mann als mein Gastgeber Manolis vor und empfiehlt mir, in die Stadt die Küstenstraße zu nehmen, die weniger befahren sei als die Hauptstraße. Es ist ja schon dunkel, ich könnte die Taschenlampe einpacken, vertraue aber auf die Lampenfunktion meines Smartphones.

 

Der Zufall will es, dass ich nach jahrzehntelanger Pause - der erste und lange einzige Mykonos-Besuch war 1991 - nun innerhalb kürzeste Zeit zum zweiten Mal auf Mykonos bin. Letzten Oktober hatte ich von Naxos aus einen Tagesausflug mit dem Schiff "Alexander" nach Delos und Mykonos gemacht (berichtstechnisch fiel dieser Urlaub aus Zeitmangel aus). So kenne ich mich jetzt noch etwas aus. Eine halbe Stunde gehe ich zu Fuß in die Stadt, immer schön auf den Verkehr aufpassend, der manchmal recht nahe vorbeifährt.

 

Die Altstadt ist hell erleuchtet, und auch um halb zehn Uhr abends ist noch einiges los. Zwischen den Häusern verstecken sich kleine alte Kapellen, und die meisten sind noch geöffnet. Ich zünde hier eine Kerze an, genieße die Atmosphäre. Der Fast-Vollmond über den Dächern verstärkt die Romanik noch mehr. Mykonos-Stadt gefällt mir abends besser als tagsüber. Was auch daran liegt, dass die Kreuzfahrermassen längst auf ihren Schiffen sind, beim Dinner oder in der Koje. Und die Schiffe unterwegs zum nächsten Massenziel. Das wird morgen tagsüber anders sein.

 

Ich gehe vom Ende des alten Hafens hinüber zur Kirche Panagia Paraportiani, einem der Markenzeichen von Mykonos. Die verschachtelte, weißkuppelige Kirche besteht tatsächlich aus fünf zusammenbebauten Einzelkapellen, die älteste davon ist aus dem 15. Jahrhundert. Die runden Bögen und die von tausend Kalkschichten weichen Formen gebe ihr ein modernes Aussehen. Und sie soll Le Corbusier, der 1933 oder 1939 (hier widersprechen sich die Quellen, vielleicht war er auch zweimal da) hier war, zu diesem Satz verlasst haben soll: „Wenn Du nicht die Häuser von Mykonos gesehen hast, kannst Du nicht vorgeben, ein Architekt zu sein. Was die Architektur zu sagen hat, sagt sie hier.“ Vielleicht hat er es auch auf Französisch gesagt. Und vermutlich würde er seine Meinung heute revidieren nachdem er gesehen hätte, wie die Bauwut Mykonos zersiedelt hat. Aber hier in der Kernzelle der Altstadt, kann man das noch ausblenden. Kykladen aus dem (nächtlichen) Bilderbuch.

 

Weniger ausblenden lässt sich der dumpfe Krach, der aus den Clubs hinter Klein-Venedig dringt, und der wohl Musik darstellen soll. Natürlich, das Nachtleben von Mykonos. Eher light im Mai, aber doch schon vorhanden. Wobei ein Blick hinein ergibt, dass dort nicht viel los ist. Schnell weiter zu den Lokalen mit Tischen und Stühlen direkt am Meer bei Klein-Venedig. 1A-Lage, und entsprechend teuer. Und (noch?) leer.

Das nächste Markenzeichen im Blick, die Windmühlen, die samt davorliegendem Meer prächtig illuminiert sind. Mir gefällt es in den Gassen und auf den Plätzen aber besser, wo nur noch vereinzelt Menschen unterwegs sind. Soll ich noch etwas essen? Eine Kleinigkeit wäre schon noch drin. Ich streune herum, unschlüssig wo ich hin soll. Und finde schließlich das "Notorious", in dem ich letzten Oktober zu Mittag gegessen habe. Gute Fusion-Küche - ich muss ja nicht unbedingt auf Mykonos traditionell griechisch essen. Ein Glas Tsipouro und eine Portion Hühnchenkeftedes - das passt. Man sitzt schön hier in der belebten Gasse, kann die Flanierenden beobachten. Die Tischchen sind gut belegt, das Essen schmeckt, auch wenn die Portionen überschaubar sind. Mit 15 Euro ist der Preis angemessen. Letztes Jahr hatte ich hier ein sehr gutes Curry, von dem sich das Taschi's in meiner Heimatstadt in Sachen Portionsgröße und Preis eine Scheibe hätte abschneiden können. Erst nach halb elf mache ich mich auf den Rückweg in mein Quartier.

 

*

 

Für die Weiterfahrt habe ich mir die Fähre um Viertel nach ein Uhr am Nachmittag ausgesucht, ich habe also am Vormittag noch Zeit für einen erneuten Besuch von Mykonos-Stadt. Leider bietet mein Quartier noch kein Frühstück an, wie auf der Website steht. Ich könnte einen Kaffe bekommen, und mir im nahen Supermarkt etwas zu essen holen, sagt Manolis, aber da habe ich keine Lust drauf. Irgendwo Richtung Fährhafen werde ich schon ein belegtes Brötchen und einen Kaffee bekommen, und ziehe entlang der Hauptstraße los nach Norden. Vor mir im Hafen liegt ein acht Stockwerke hohes Kreuzfahrtschiff, die "Majestic Princess". Sie hat Platz für 3.650 Passagiere. Ein etwas kleineres, die "Celebrity Infinity", 1.950 Passagiere, ankert draußen hinter der Altstadt. Dagegen fällt die kleine "Wind Star" mit ihren 148 Luxus-Passagieren, die ebenfalls vor Anker liegt, zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Es könnte heute also voller werden in Mykonos-Stadt.

 

Unweit der Fährhafens entdecke ich einen Imbiss, der belegte Brötchen und Heißgetränke aller Art anbietet. Ich ordere ein üppig mit Omelette belegtes Baguette, dazu einen Kaffee. Bezahle sieben Euro und verspeise beides an einem der Außensitzplätze mit Blick über die Straße zum Hafen. Passt.

Zurück im Quartier packe ich meine Sachen zusammen, und deponiere sie an der Rezeption. Kurz nach neun geht es dann wieder zu Fuß in die Stadt. Es ist sonnig und warm, und der Verkehr an der Straße deutlich stärker als gestern Abend. Was da schon alles gen Stadt transportiert wird ....

 

Auf einen Schotterebene unter mir steht eine ganze Reihe kleiner und großer Fressnäpfe, gefüllt mit Trockenfutter und Wasser. Aber nur ein Spatz tut sich dort gütlich.

Kleine Schiffe pendeln zwischen altem und neuem Hafen.

 

Am Ortseingang hat es eine neu aussehende Anlegebucht für kleine Kaikia. Über den großen, kreisförmigen Parkplatz erreiche ich den alten Hafen, wo die Ausflugsboote nach Delos, die Vergnügungsschiffe und die Pendelboote zum Fährhafen Tourlos anlegen. Hier setzt nun allmählich der Zustrom in die Stadt ein. Als nächstes kommt der kleine Sandstrand, wo schon Badenden zugange sind. Das wäre mir ja jetzt echt zu exponiert, aber die meisten sind auch nur mit den Füßen im Wasser, für mehr ist das Meer zu kalt. Außer ein paar Kindern - die sind kälteresistenter.

 

Die "Celebrity Infinity" sieht jetzt aus, als würde sie direkt am Kai des alten Hafens anlegen. Von hier aus kann ich nicht sagen, ob sie das wirklich tut, oder doch auf Abstand ist und ausbootet. Vermutlich letzteres, weil sie zu groß für ersteres ist.

 

Vom alten Hafen biege ich in die Gassen der Altstadt ab. Noch sind sie nicht relativ leer. Es gibt unheimlich viele, meist rotkuppelige Kapellen hier, und ich verliere mich in den labyrinthischen Gassen. Erinnert mich an Naousa auf Paros. Edle Läden wechseln sich ab mit billigeren, aber die meisten bauen jetzt um zehn Uhr ist Auslagen erst auf. Auf den Stufen eines Ladens sind drei Hunde geparkt.

Etwas weiter stehe ich vor dem Aegean Maritime Museum. Eigentlich hätte es montags geschlossen (sonst von April bis November Dienstag bis Sonntag von 10 bis 13 und 18 bis 21 Uhr), aber die Türen sind offen. Man erwarte zwei Gruppen von einem Kreuzfahrtschiff und hätte deshalb geöffnet. Na, da gucke ich mir das doch an. Fünf Euro kostet der Eintritt in das private Museum, das in den 1980ern von dem Mykonioten George M. Drakopoulos gegründet und 1985 eröffnet wurde.

 

Die Räume des Museums sind nicht groß, sie enthalten Modelle von Schiffen der Ägäis aus der Antike bis zur Neuzeit, und zahlreiche maritime Gegenstände. Etwa Geschichtliches zu dem 1940 gebauten Handelsegelschiff Typ Perama namens "Evangelistria" - das Original liegt im "Naval Tradition Park 'Odysseus – The Greeks and the Sea'" in Paleo Faliro bei Athen, wo sich auch der Kabelleger "Thalis o Milissios" befindet, dem hier auch eine Vitrine gewidmet ist. Der Park wäre vielleicht auch mal einen Besuch wert. Falls er schon eröffnet ist.

 

Die Ausstellung ist gut gemacht und interessant. Eine Türe führt in einen grünen Garten mit marmornen Grabreliefs und links dem Leuchtfeuer des Leuchtturmes vom Kap Armenistis im Norden der Insel, wo ich gestern mit der Fähre vorbeigefahren bin. Von 1890 bis 1983 war dieses Leuchtfeuer in Betrieb bis es durch einen neueres ersetzt wurde. Der Mechanismus wurde 1887 sogar auf der Internationalen Ausstellung von Paris ausgezeichnet. Vom Garten zweigt auch der Museumsshop ab, der einige wirklich hübsche Dinge im Angebot hat. Ich komme mit der Verkäuferin in ein sehr nettes Gespräch über Mykonos, das Lernen von Fremdsprachen und noch einiges mehr. Danke! Eine perlengestickte Brosche wechselt schließlich noch in meinen Besitz über, ehe ich das Museum verlasse. Nicht groß, aber empfehlenswert.

Die Kapellen der Agia Varvara und des Agios Fanourios gegenüber sind geöffnet. Muss ich natürlich reingucken. Die Kapellendichte hier in der Altstadt ist schon enorm. Dann schlendere durch die Gassen, die sich nun zunehmend mit Besuchern füllen. Durften vorhin noch kleine Transporter die Läden und Tavernen beliefern, so ist jetzt kaum mehr Platz mehr für Fahrzeuge. Nur eine Ladung blauer Gasflaschen wird noch ausgeliefert. Überall strömen jetzt die Gruppen, hinter Klein-Venedig ist bei Gegenverkehr kaum mehr ein Durchkommen. Luftiger ist es bei den Windmühlen, wo eine alte Damen den Platz vor ihrem Haus genießt. Was sie wohl über die Touristenmengen denkt? Oder interpretiere ich das völlig falsch, und es ist eine Touristin, die sich eine Pause im Schatten gönnt? Es ist ja schon wieder warm heute.

Keine Chance, nicht ständig in irgendwelche Selfies oder Fotos hineinzulaufen. Fünfeinhalbtausend Kreuzfahrer - das macht sich nun vehement bemerkbar, und die "normalen" Touristen gibt es ja auch noch. Zeit, von hier wegzukommen. Ich hatte anfangs gedacht, hier einen Tag verbringen zu wollen und mit einem Mietwagen das mir noch völlig unbekannte Hinterland von Mykonos zu erkunden. Aber bei Tagespreisen ab fünfzig Euro aufwärts für ein Mietfahrzeug war die Lust schnell wieder geschwunden. Zumal die nächste Insel vehement lockt, und ich dieses Mal keinen Tag auf der vorherigen verlieren will.

 

Ich kämpfe mich wieder zum alten Hafen vor, esse dort noch ein Eis auf die Faust von "Trio Bambini" unweit der Statue für die Freiheitskämpferin Manto Mavrogenous. Vier Euro zwanzig sind auch nicht gerade ein Schnäppchen, aber die Portion ist groß.

Eisschleckend gehe ich langsam wieder zurück Richtung Quartier. Eine rote Fast-Ferry läuft vor mir in den Hafen ein, wie ein Zwerg sieht sie aus neben dem achtstöckigen Kreuzfahrtmonster. Könnte meine Fähre sein, aber es fahre jetzt mehrere Schiffe in kürzerer Zeit ab, ich weiß gar nicht genau, welche meine sein wird. In einer Stunde soll sie fahren.

 

Ich habe noch etwas Zeit für einen Frappé im schattigen Hof des "Alexandra Mykonos Port", bezahle dann mein Zimmer. Das geht bar trotz vorheriger Buchung mit Kreditkartenbestätigung.

Um halb eins bringt Manolis mich samt Gepäck zum Hafen. Der Kurzbesuch auf Mykonos hat mir durchaus gefallen, aber nun geht es weiter. Die "Fast Ferries Andros" wartet schon, zehn Euro kostet das Ticket zum nahen Tinos, das ich in einer der Ticketagenturen an Fährhafen kaufe.

 

Tinos, ich komme!