Ja, mach' nur einen Plan

Ja, mach nur einen Plan
Sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch 'nen zweiten Plan
Geh' n tun sie beide nicht.

 

 

Mit einem Kater wach ich auf. An der Qualität der Produkte kann es nicht gelegen haben, Raki und Weißwein vertragen sich offensichtlich nicht. Kann ja heiter werden bei der Überfahrt nach Gavdos.

Das Wetter ist immer noch bestens, blauer Himmel, etwas Wind. Nach dem Frühstück fangen wir an, unsere Sachen zusammenzupacken. Das Tickethäuschen öffnet um 9.30 Uhr, wenig später bin ich unten obwohl wir noch Zeit haben, die Fähre soll nach Fahrplan erst um 11.30 Uhr ablegen.

„Dio ja Gavdo, parakalo!“

„No boat to Gavdos today.”

Waaas? Ich kann mich nur verhört haben, frage schwach nach „Are you sure“ (meine Griechischkenntnisse hab ich komplett vergessen – wegen Schock) - „Yes!“ – „Why?“ – „To much wind“. „But the weather ist fine, only less wind!“ Sie zuckt mit den Schultern – “No boat to Gavdos today.”

Ich breche zusammen. Ist denn überhaupt jemals eine Fähre von Chora Sfakion nach Gavdos gefahren?

Existiert Gavdos überhaupt? Oder haben böse Zungen recht, die die Existenz der Insel leugnen? Ist es eine Scheininsel, nur von der Ferne sichtbar?

Alle Erzählungen von dort Märchen? Alle Leute, die behaupten, dort gewesen zu sein, Lügner?

 

Ich schleppe mich zum Hotel, bremse die packende Mutter. „Kein Fähre heute.“ Ratlose Blicke - sie hat nicht meine Besessenheit, würde aber den südlichen Inselzwerg auch gerne besuchen. 

 

Der Blick aus dem Fenster zeigt die „Daskalogiannis“ am Anleger von Sfakia. Und von Loutro kommend eine zweite Fähre – die „Samaria“! Was will die denn so früh hier, wenn sie nicht nach Gavdos fährt?

Wir sehen uns an, Hoffnung keimt auf. Beide eilen wir zum Anleger hinunter. Fragen erneut am Ticketschalter. Die arme Frau, genervt von meiner Hartnäckigkeit, verneint erneut. Die „Samaria“ ginge nicht nach Gavdos, sondern zurück nach Agia Roumeli. Ganz bestimmt!

Die  Fähre legt nur ganz kurz an, niemand geht auf das Schiff. Der Wind ist etwas stärker geworden. Dann fährt die „Samaria“ weg. Ohne uns. Wir warten, ob sie nach Süden dreht. Sie dreht nicht. Sie nimmt Kurs auf Loutro.

So sieht das auf Website www.wkistler.de aus
So sieht das auf Website www.wkistler.de aus

Gavdos entschwindet in weite Ferne. Für uns. Die Länge unserer Gesichter reicht bis auf den Boden.

Keine Ahnung was wir jetzt machen sollen. Ein neuer Versuch am Sonntag? Rückfahrt dann nach Paleochora am Montag oder Dienstag? Unser Flieger ab Iraklion geht schon am Freitag, in einer Woche. Wenn man eine Woche braucht um nach Gavdos zu kommen, wie lange braucht man dann zurück?

Zunächst sagen wir Giorgos, unserem Wirt, Bescheid. Wir könnten noch bis Sonntag bleiben, dann müssten wir das Zimmer wechseln. In Ordnung, am Sonntag ist Abreise. Wohin auch immer.

 

Den Rest des Tages hängen wir durch. Faulenzen auf dem Bett, denn am Vrissi-Strand ist es inzwischen etwas ungemütlich geworden, Wind und Wellen machen ihn noch schmaler als sonst. Die Fähre konnte aus gutem Grund nicht fahren, hat aber wohl erst im letzten Augenblick, als sie schon unterwegs war, das Verbot von der Küstenpolizei bekommen.

Am späten Nachmittag sind wir wieder imstande, für den morgigen Tag zu planen. Vielleicht mit dem Mietauto nach Frangokastello (die Busverbindung in die Richtung ist mäßig) oder bis Agios Ioannis? Der einzige Autoverleiher am Ort möchte aber 45 Euro für ein Mietauto am Tag. Es ist ein Mittelklassewagen, den wollen und brauchen wir nicht, kleine Autos sind gerade ausgebucht. Das überlegen wir uns noch mal.

 

Wir treffen uns am späten Nachmittag nochmals auf dem schönsten Balkon, in etwas kleinerer Runde als gestern. Später gehen wir zu den „Three Brothers“ essen. Die Speisekarte ist so umfangreich wie unleserlich, kleine Schnörkelschrift, braun auf bunt. Dazu wirken Musterfotos der Speisen bei mir eher appetitbremsend. Oder hab ich vorher zu viel von den leckeren süßen Paximadia gegessen, die an die toskanischen Cantuccini erinnern? Besonders zart ist das bestellte Hähnchenfilet auch nicht, schade. W. kämpft mit den Knochen seines Zickleins (eine Spezialität der Gegend, der Name ist mir schon wieder entfallen). Hmm, wir hätten doch die Smirniotika bestellen sollen, die werden als sehr lecker gelobt.

Ausreichend Raki hilft zumindest beim Verdauen.

Mässiger Schlaf in der Nacht, wilde Träume von verpassten Fähren und Flugzeugen...

Die Sonne hohnlacht am Samstag am Himmel – unser letzter Tag hier in Sfakia. Kaum ein Windhauch erfrischt die Luft. Wir werden mit der Fähre um 10.30 Uhr nach Agia Roumeli fahren und dort etwas wandern. Wohl nicht die berühmte Samaria-Schlucht hinauf, die dort mündet, sondern die Küste entlang nach Agios Pavlos. Die Fahrt nach Agia Roumeli mit der „Daskalogiannis“ kostet pro Person 8 Euro. Die Fahrt führt erst nach Loutro, danach sieht man Finix und die Marmara-Bucht mit dem beeindruckenden Riss der Aradena-Schlucht dahinter. Das Schiff ist gut belegt, dominant eine sehr große französische Gruppe mit All-Inclusive-Armbändern, sie kommen aus Bali an der kretischen Nordküste. Einer hält sich für einen rechten Witzbold, oder ist es der Animateur der Truppe? Egal, uns nervt er mit seinen Herum-Gehopse und –Gealber. Aber vielleicht ist das einfach immer so wenn Touristen einer Nation in größeren Mengen auftreten.

 

Das Auto der Müllabfuhr haben wir auch wieder dabei, es verlässt das Schiff aber heute nicht in Loutro, sondern in Agia Roumeli – klar, auch dorthin gibt es keine Straße, nur das Boot. Ab der Marmara-Bucht sind wir weiter weg von der Küste, können uns Wanderziel, die Kirche Agios Pavlos, kaum ausmachen. Nach etwa eineinhalb Stunden Ankunft in Agia Roumeli, das noch recht ruhig daliegt. Die Mengen stürmen in Gruppen durch den Ort, dem Schluchteingang – oder ist es der Ausgang? – zu. „The lazy way“ – der faule Weg, nun ja, lockt uns nicht. Wir bleiben an der Küste, bewundern die Leute von der Müllabfuhr bei der Arbeit, betrachten einen sinnlosen, wohl aber alten Brückenrest im trockenen Bachbett und finden beim „Campingplatz“ den E4, den Fernwanderweg, dem wir jetzt ein Stück folgen werden.

Schon nach wenigen Schritten haben wir einen Sandkasten in den Schuhen, denn der Weg verläuft am sandigen Gestade entlang. Dann wieder über grobe Kiesel und Schotter, durchaus mühsam. Kein kühlendes Lüftchen. Das Meer lockt zum Bade – später vielleicht, erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Felsenblöcke sperren nach etwa einer Dreiviertelstunde bei der Eligas-Schlucht den Strand,  aber ein Weg findet sich immer, etwas oberhalb, kein Problem. Einige Wanderer begegnen uns vereinzelt, aber kein Vergleich zum Menschen(auf)lauf in der Samaria-Schlucht. Der Weg verläuft nun 20, 30 Meter oberhalb des Ufers, einige Kiefern beleben das Küstenbild mit frischem Grün, es ist wunderschön hier!

 

Unser Ziel, die Kirche Agios Pavlos, zeichnet sich allmählich ab. Genauer: die weiße Taverne daneben, hoffentlich geöffnet! Die Kirche dagegen, ungetüncht, naturfarben steingraubraun und nicht so groß, hebt sich kaum vom Hintergrund – dem steil emporwachsenden Hang – ab. Schließlich liegt sie vor und unter uns, noch ein Weg, eigentlich nur Fußspuren im Sandhang. Ein breiter und langer grauer Sandstrand, einsam. Die Kirche am Rand, die Taverne, ein Boot davor.

Zuerst zur Kirche (oder ist es eine Kapelle), die netterweise geöffnet ist. Angenehm kühl ist es drin. Höher als breit, der kleine Grundriss in der Form eines griechischen Kreuzes, darüber die Kuppel, einst über und über mit Fresken verziert, einige Reste haben sich erhalten. Aus dem 11. Jahrhundert soll sie sein, dem Apostel Paulus geweiht, der bei Finix an Land gegangen sein soll (Allerdings hatte er dort vor allem ein Sturmproblem, aber davon später). Einer der magischen Orte, an die man sich erinnert, wo die Zeit stillsteht. Das Rauschen des Meeres dazu.

 

Der Körper verlangt nun aber auch etwas, und die Taverne „Saint Paul“ hat offen. Cola und griechischer Salat, dazu Psarantonis als Hintergrundmusik, er klingt fast schon indisch, passend dazu eine Reihe Gebetsfahnenfetzen – alles so entspannt hier, auch der Wirt, ein junger Typ, der mit wenig hier auszukommen scheint! Geht es uns gut!

Ein junger Hund schleicht herum, ein Pitbullwelpe, er will ja nur spielen (wovon meine Mutter nicht ganz überzeugt ist). Er sei das lebende Beispiel dafür, dass Pitbulls echte Killer seien, warnt uns der Wirt spaßend. Noch eine Karafaki Raki, unsere Lethargie wächst. Wir wollen aber noch baden, das Meer ist herrlich warm, 25°C, aber mit starken Strömungen und Wellen, die Mutter beutelt es ordentlich hinein, zu zögerlich hat sie den Weg ins Wasser gesucht.

Die Fähre zieht draußen auf ihrem Weg nach Loutro und erinnert uns daran, nach Agia Roumeli zurückzukehren.

Der Rückweg wird beschwerlicher, vor allem für die Begleiterin. Die Sonne hat Sand und Felsen aufgeheizt, diese strahlen die Hitze nun ab. Vielleicht ist es auch der Raki, der müde macht. Unvermeidliche Ziegen argwöhnen am Weg.

Dann schließlich Roumeli in Sicht, das nun seinen Spitznamen „Rummeli“ alle Ehren macht – Hunderte von Wanderern in den überdimensionierten Tavernen, Schnellrestaurants, an den Stränden, auf den Felsen, Straßen, wartend. Wir haben nicht so viele Kilometer hinter uns, freuen uns aber auch auf ein kühles Radler. Die „Samaria“ liegt am Anleger, fährt um 17.30 Uhr nach Paleochora, um 18 Uhr dann die „Daskalogiannis“ nach Chora Sfakion. Danach ist Agia Roumeli vermutlich ausgestorben, man sollte hier übernachten, antizyklisch, und frühmorgens in die Schlucht hinauf....

Die Fähre ist nun natürlich viel voller als am Vormittag, die Franzosen aber leiser. Der Geruch von Käsefüßen zieht appetithemmend vorbei, qualmende Socken dampfen aus. Nein, Käse essen wir heute nicht.

Wir sind nun näher an der Küste, an Agios Pavlos, der Eligas-Schlucht. Wolken hängen östlich über den blauen Bergen der Küste, blaue Stunde. Westlich der letzte goldenen Schimmer der untergehenden Sonne im Meer. Es ist dunkel als wir in Sfakia ankommen.

 

Abendessen im „Xenia“ – Biftekia und Fava – lecker. Die freundliche Wirtin bedient uns, wenig später krümmt sie sich vor Schmerzen, zieht sich in ein Seitenzimmer zurück. Hexenschuss, Blinddarm oder Kolik? Ihr Mann holt die Ärztin mit dem Auto, eine junge Frau im chicen Outfit. Helfen kann sie wohl nicht viel – die Wirtin muss nach Chania ins Krankenhaus. Krankenwagen Fehlanzeige, natürlich, ihr Mann wird sie fahren mit dem PKW, knapp 2 Stunden Fahrt im Dunkeln auf der Kurvenstraße. Echte Notfälle dürfen hier nicht passieren!

Wir werden aus dem Lokal komplimentiert, wünschen gute Besserung.

 

Und morgen, was machen wir da?