Erste Begegnung mit Stromboli

Es dämmert als ich auf das Deck der „Laurana“ gehe um zu sehen ob unser Ziel Stromboli schon in Sicht ist. Es ist: vor uns ragt der fast perfekte Kegel der Vulkaninsel aus dem noch dämmerungsblauen Meer empor. Zur Begrüßung stößt der von den Einheimischen „Iddu“ (= Er) genannte Strombolivulkan ein Magmafünkchen aus. Yeah! Mit zunehmendem Tageslicht nähern wir uns, die Funken weichen Rauchwolken. Delfine rechts von uns.

Kann es einen besseren Urlaubsbeginn geben?

 

Gestern sind wir mit AirBerlin nach Neapel geflogen (pünktlichst, ohne irgendwelche Verschiebungen), haben ein Taxi zum Hafen genommen (der Taxifahrer hat prompt versucht, uns zu übervorteilen: aus den vorher vereinbarten 25 Euro wurden 35 Euro – vermutlich der Ferrari-Rennfahrer-Zuschlag. Wir einigten uns schließlich auf 30 Euro – immer noch zu viel.) und unsere Doppelkabine auf der Siremar-Fähre „Laurana“ bezogen. Kurz nach 20 Uhr war sie ausgelaufen, schnell wurde es dunkel und kühl, wir zogen uns nach drinnen zurück und schliefen gut an Bord. Gegen halb sieben sollten wir auf Stromboli sein.

Obwohl die Insel schon so nahe scheint, dauert es dennoch bis wir dort tatsächlich anlegen – der Hafen liegt auf der östlichen Inselseite, wir umfahren in weitem Abstand den vorgelagerten leuchtturmgekrönten Felsen Strombolicchio, einen Überrest einer früheren Vulkan-Schlotfüllung. Auch andere äolischen Inseln können wir sehen, das doppelgipflige Salina vor allem, unsere zweite geplante äolische Station.

Der Vulkan stößt wieder eine Rauchwolke aus.

Die Heckklappe öffnet sich endlich, erstaunlich viele Menschen gehen von Bord. Der Anleger ist übersät mit dreirädrigen Fahrzeugen und einigen wenige Elektrofahrzeugen Typ „Golfkarre“. Passagiere und Gepäck verteilen sich darauf, wir werden gefragt ob wir ein Zimmer suchen. Nein, wir haben bereits eines reserviert: im Hotel „Ossidiana“, nur einen Steinwurf vom Hafen entfernt weshalb wir nicht abgeholt zu werden brauchen.

Es ist vor sieben Uhr am wolkenlosen Morgen, wir haben alle Zeit der Welt, denn unser Zimmer können wir nicht vor Mittag beziehen. Schnell haben sich die Inselfahrzeuge wieder verteilt, es wird ruhiger und wir ziehen zu unserem Hotel hinüber. Können das Gepäck dort lassen, bekommen zum Empfang einen Saft, den wir vor dem Haus sitzend genießen. Blick auf den lavaschwarzen Bootsstrand und einen Ape-Parkplatz davor.

Angekommen.

 

Ein zotteliger Fischer verkauft seinen frischen Fang vom Dreirad herab. Weitere Fischer gleichen Typus‘ (warum muss ich an die Jünger Jesu denken?) sind möwenumflogen mit einem Holzboot beschäftigt. Wir schlendern entlang des Strandes samt Heliport und gehen dann hinter unserem Hotel eine der beiden „Hauptstraßen“ von Stromboli hinauf in den langgezogenen, locker bebauten Ort hinein. Die andere Straße führt unten am Strand entlang zum nördlichen Ortsende und als Piste weiter zum „Osservatorio“, einem gut gelegenen Ristorante. Aber davon später.

Vor neun Uhr liegt der Ort noch weitgehend verlassen da, nur das gelegentliche Geknatter einer Ape durchdringt die Stille. Und ein dumpfes Donnern, das uns zunächst erschreckt an den blauen Himmel blicken lässt: keine Wolke zu sehen. Außer einer dunklen Aschewolke über dem Vulkan: er hat gerade wieder Feuer gespuckt! Nicht sicht-, aber unüberhörbar hier im Ort. Und beeindruckend!

Die Bäckerei ist schon geöffnet, und das wunderschöne gelegene Café „Ritrovo Ingrid“ (Bergman, wegen des Filmes „Stromboli“ von 1950) oben an der schönen Piazza San Vincenzo, gegenüber von der gelben Hauptkirche des Ortes. Die italienische Großfamilie, die wir schon auf dem Schiff beobachtet haben, frühstückt gerade lautstark unter Einnahme fast der ganzen Terrasse, wir finden noch ein randliches Plätzchen und tun es ihr nach. Cappuccino und gefülltes Cornetto. Die Sonne steigt am Himmel, eincremen ist angesagt, die Haut noch sonnenentwöhnt nach dem langen deutschen Winter.

 

Um zehn Uhr öffnen dann die Läden, wir sehen uns im Laden des Trekking-Ausstatters „Totem“ um. Wanderschuhe kann man hier leihen – brauchen wir nicht, wir haben unsere natürlich dabei. Und eine neu erworbene Stirnlampe für die Vulkanbesteigung. Originelle T-Shirts mit dem Vulkan drauf gibt es auch, ich verzichte: zuhause trag ich das doch nicht. Außerdem sind wir noch fünf Tage hier.

 

Auf der oberen Straße weiter Richtung dem zweiten, weiter westlich gelegenen Ortsteil San Bartolo. Zwei Vulkanführeragenturen (Stromboli Adventure und Magmatrek) haben hier ihre Büros, ich frage im ersten wie es aussieht mit der Besteigung an einem der nächsten Tage. Kein Problem: vormittags vorbeikommen und anmelden, der Vulkan wird täglich erklommen. 25 Euro kostet die Tour, plus drei Euro Vulkansteuer (von manchen als „Mafiasteuer“ geschmäht da das Geld nicht auf der Insel ankomme). Seit den Ausbrüchen 2002 und der anschließenden Sperrung des Gipfels darf man sich auf Stromboli über 400 Meter über dem Meer nur mit einem Bergführer bewegen, und die Anzahl der Gipfelstürmer, die sich gleichzeitig oben befinden dürfen, ist auf 80 beschränkt, maximal zwanzig pro Gruppe.

Da die Wetterprognosen für Montag und Dienstag nicht so toll sind beschließe ich, schon morgen auf den Vulkan zu wollen. Scheint ja völlig unkompliziert zu sein mit der Buchung, und auch nicht so schnell ausgebucht. Klar, eine einzelne Person kann man immer noch irgendwo unterbringen, mit Gruppen sieht es dann anders aus. Die Mutter will sich die Strapaze sowieso nicht antun.

Bis San Bartolo ist es ein Kilometer, vorbei an blühenden Gärten, Palmen, unter ihrer Fruchtlast fast zusammenbrechenden Zitronenbäumen, Souvenirläden mit geschmackvollen Sachen. Gelegentliches Rumsen des Vulkans.

Gefällt uns hier! Aber dass ich Dreiräder mal fast als Landplage empfinden würde…. Zweitaktergeknatter wohin man hört. Die Straße ist schmal, breitere Fahrzeuge hätten spätestens dann keine Chance durchzukommen wenn noch ein „tre ruote“ am Straßenrand parkt. Was sie gerne tun.

Von der Kirche San Bartolo gehen wir eine schmale Gasse hinab. Ein wenig Kykladenflair kommt auf, hier im Ortsteil Piscità. Zahlreiche Unterkünfte hat es hier, sieht aber noch recht unbewohnt aus. Der Mai zählt auf den äolischen Inseln fahrplantechnisch noch zur Wintersaison!

Auf der unteren „Straße“ gehen wir zurück Richtung Hotel. Die Edelunterkünfte „La Sirenetta“, „Miramare“ und „Villagio Stromboli“ samt den dazugehörigen Restaurants in Ficogrande sehen auch noch so leer aus. Weiter der Uferstraße entlang wird es dann unaufgeräumt und verwildert, der Kamin einer alten Mühle ragt backsteinern in den Himmel, es stinkt mal nach Müll, mal nach Öl.

Im Hotel ist inzwischen unser Zimmer fertig. Ich hatte es schon im Januar gebucht (über booking.com): die Standardkategorie, mit Vulkanblick statt Meerblick (hätte 20 Euro mehr pro Nacht gekostet). Meerblick hatte ich schließlich schon oft, aber Vulkanblick? 49 Euro hat das Zimmer damals gekostet, hätte ich zwei Monate später gebucht wäre schon fast das Doppelte fällig geworden!

Wir bekommen ein großes Zimmer im Erdgeschoss mit einer sehr großen Gemeinschaftsterrasse für zwei weitere Zimmer auf die Rückseite hinaus. Leider ist die Mauer, die die Terrasse von der Straße abgrenzt, so hoch, dass man den Vulkan nur sieht wenn man sich in den vorderen Bereich der Terrasse begibt, wo aber die Sitzplätze der anderen Zimmer sind. Na, stört uns nicht wirklich.

 

Eine längere Siesta ist jetzt angesagt, unterbrochen nur durch eine Mahlzeit von zwei Arancini, reisgefüllten frittierten Kugeln, geholt in der „New Beach Bar“.

Das Hotel „Ossidiana“ hat vorne am Anleger einen Thermalpool, den man (als Hotelgast kostenlos) täglich von 15 bis 17 Uhr benutzen kann. Mir steht der Sinn nach etwas heißem Wasser, und so hole ich mir an der Rezeption ein Voucher für die Therme und marschiere rüber zum Anleger, wo ich der einzige Kurgast bin. Einer der bärtig-zotteligen Einheimischen vom Typ „Poseidons Bruder“ empfängt mich und lässt mich in die vor neugierigen Blicken durch einen hohe Mauer abgeschirmte Anlage: ein leeres, rundes abgestuftes Becken mit vielleicht drei Metern im Durchmesser. Poseidons Bruder lässt mir jetzt das Badewasser ein, in einem kräftigen Schwall ergießt es sich aus einem steinernen Brunnen. Knapp 40°C heiß und trübe, leicht salzig und ein bisschen schwefelig. Muss ordentlich gesund sein! Als das Becken gut ein Drittel voll ist wird das Wasser abgestellt, ich aale mich darin. Achtung, kein Trinkwasser!

Poseidons Bruder (in Wirklichkeit eher der des Hotelwirtes) empfiehlt mir nun zur Abkühlung ein Bad im nahen Meer. Was tut man nicht alles, Badeschuhe hab ich auch dabei, und so stürze ich mich am Lavastrand ins 19° kalte Meer. Bewundert von den Passagieren des gerade haltenden Tragflügelbootes. Puh, kalt! Schnell wieder zurück in die Thermalsoße, die nun durch weiteren Zufluss auf gut zwei Drittel gefüllt wird. Ich solle auch mit dem Kopf unter den Wasserschwall, das sei sehr gut für die Haare, sagt der Bademeister. Er muss es wissen, er hat reichlich davon.

Es kommen zwei weitere Badegäste, ein älteres italienisches Paar. Sie sind auch heute mit unserer Fähre gekommen und wir werden uns die nächsten Tage öfters über den Weg laufen. Ich döse noch ein wenig auf den Sonnenliegen neben dem Pool ehe ich ins Hotel zurückgehe.

 

Ein älteres Ehepaar aus dem Schwäbischen hat das Nachbarzimmer, wir kommen in Kontakt (wozu die „Stuttgarter Zeitung“ nicht alles gut ist). Sie waren gestern auf dem Vulkan und erzählen begeistert. Empfehlen den Aufstieg mit "Magmatrek" (einer andere Gruppe ist wohl sehr schnell aufgestiegen und hat sie überholt - muss nicht sein) obwohl der (deutschsprechende) Guide beim Abstieg einen Teil der Gruppe verloren hat. Sie wussten dann an einer Abzweigung nicht mehr wohin, zum Glück kam jemand aus dem vorderen Gruppenteil zurück. Man solle sich vorne in der Gruppe halten, dann müsse man auch weniger Staub schlucken. Ein Tipp, den ich beherzigen werde.

 

Den langen Tag beschließen wir am Abend im Ristorante-Pizzeria „Luciano“ bei leckeren Antipasti und einem Berg Spaghetti eoliana (mit Kapern - lecker!). Und bei einem riesigen Vollmond, der direkt vor uns aufgeht während hinter uns der Vulkan hustet. Hoffentlich tut er das morgen Abend auch!

 

In der Nacht war es gelegentlich laut, das Hotel ist sehr hellhörig. Es sind wohl spät noch Gäste angekommen. Und die Stimmen von der benachbarten „New Beach Bar“ schallten herüber. Klingt nach Massenandrang, dabei sind dort nur drei, vier Leute gewesen. Lärmmäßig können es die Italiener locker mit den Griechen aufnehmen. Una faccia, una razza.

 

Das Frühstücksbuffet des Hotels lässt kaum Wünsche offen. Offensichtlich hat man inzwischen dem Wunsch vieler mitteleuropäischen Gäste entsprochen und bietet auch Schinken, Salami und Käse an. Neben verschiedenen gefüllten Cornetti, kleinen Brötchen, Marmelade, Honig, Cornflakes, Kuchen, eingemachtem Obst, Joghurt und, und, und. Und echt leckerem Orangensaft (zwar nicht frischgepresst, aber auch nicht aus der chemischen Industrie). Cappuccino, Caffè und Tee natürlich auch, nach Wunsch. Es geht zu wie im Bienenstock, das Hotel scheint zum Wochenende ausgebucht zu sein. Vor allem mit vulkanbesteigenden Wandergruppen deutscher und Individualwanderern französischer Herkunft. Das Wetter ist wunderbar, allerdings hört man den Vulkan nicht mehr donnern. Er wird doch nicht gerade jetzt Pause machen? Das wäre ja echt garstig….

 

Ein Blick vor das Hotel: jedes Mal wenn wir an der „Hafenpromenade“ vor unserem Hotel vorbeikommen werden wir von einem der drei Anbieter von Bootsausflügen (oder von allen dreien) angesprochen, die dort ihre Stände haben. Angeboten werden vor allem Inselumrundungen (inklusive Aufenthalt in Ginostra, für 25 Euro, zwei Mal täglich zu jeweils verschiedenen Zeiten je nach Anbieter), abendliche Fahrten zur „Feuerrutsche“ Sciara del Fuoco (20 Euro), und zum Dinner nach Ginostra (ohne Essen), dem nur per Boot zu erreichenden Dorf auf der anderen Inselseite. Ein Boot fährt auch zur Nachbarinsel Panarea, kostet aber 50 Euro pro Person. Da müsste sich doch auch mit dem Fährboot einrichten lassen. Etwas davon haben wir auch noch vor (nach Ginostra wollen wir unbedingt), aber erst Mal ist heute „Iddu“ dran.

 

Auf meine Kontaktlinsen verzichte ich deshalb, Brille ist angesagt. Die Linsen sind dem Vulkanabstieg nicht gewachsen, der feine Sandstaub ruiniert sie (samt Augen). Muss nicht sein. Nach dem Frühstück rauf zur Platia, ähm Piazza. Zu Magmatrek, den Gipfelsturm buchen. Es ist ganz gut was los dort: ein deutsches Paar fragt ob man da auch rauf kann wenn man nicht schwindelfrei ist (ja, das geht wohl, ist nicht so steil). Das Paar wird uns in den nächsten zwei Wochen noch öfters über den Weg laufen (auf Salina, auf Vulcano, im Aliscafo, in Catania auf dem Flughafen, im Flieger. Zuletzt auf dem Flughafen in Stuttgart), aber keine Zeichen des Wiedererkennens von sich geben, trotz freundlichem Gruß unsererseits. Stoffel gibt’s…. Die italienische Großfamilie von gestern plant ebenfalls in Teilen die Vulkanbesteigung. Das Vulkangeschäft boomt.

 

Ich werde nach einer Frage nach meinen Italienischkenntnissen (passiv ja, aktiv nein) und ob ich fit genug wäre (muss ich unterschreiben, auch dass ich das Risiko kenne) in die internationale, sprich: englisch geführte Gruppe eingeteilt, zahlen 25 Euro plus drei Euro Vulkansteuer, bekomme eine „Eintrittskarte“ für den Vulkan und soll mich gestiefelt und gespornt, das heißt mit Bergschuhen, Stirnlampe und Ersatzbatterien, Windjacke, T-Shirt zum Wechseln, etwas Proviant (schnell noch im Supermarkt um die Ecke kaufen), ausreichend zu Trinken (mindestens ein Liter, ich packe 1,5 Liter Wasser und eine Flasche Cola ein. Und bringe die Hälfte des Wassers wieder mit runter), alles im Rucksack um halb fünf am Nachmittag auf der Piazza einfinden.

Stromboli, ich komme!

 

Aber es ist noch etwas Zeit bis dahin. Zeit für ein erfrischendes Bad am Lava-Strand südlich des Anlegers. Sonntagnachmittägliche Ruhe, beschaulich bequalmt vom Vulkan.

Die Carabinieri-Golfkarre kommt zum Anleger, darin zwei vorschriftsgemäß uniformierte Carabinieri. Sie parken am Anleger, steigen aus, einer telefoniert mit dem Telefonino. Ich muss an den Spielfilm „Kleine Verbrechen“ denken. Viel zu tun für die Gendarmen gibt es auf Stromboli sicher nicht. Oder ob die Mafia auch auf der von Sizilien am weitesten entferntesten Äole gibt? Irgendwie gehören die Inseln ja gar nicht mehr zu Sizilien.

Dann nähert sich rasant ein Motorboot beachtlicher Größe. Noch mehr Carabinieri – ein Polizeiboot. Vielleicht ein Sonntagnachmittagsbesuch des Bezirkskommandanten (Unterabteilung „Organisiertes Verbrechen“)? Sieht ganz so aus. Während das Boot von der Besatzung vertäut wird, springt der Chef an Land, wird von den einheimischen Truppen begrüßt und „aufgeladen“ – Abfahrt zur Zentrale in der oberen Hauptgasse (mit dem hübschen Keramikschild, gestern fotografiert).

Es geht auf 16 Uhr zu, und meine Nervosität steigt. Oder eher die Spannung auf den Vulkangipfel und dessen Erklimmung.

Ob ich dem gewachsen bin? Es geht auf über 900 Meter hinauf, von quasi Null. Hatte ich lange nicht mehr…. Und dann noch in der Gruppe. Wäre übel, bei 400 Meter zurückgeschickt zu werden!

Auf Iddu!