Lipari

Nach einer halben Stunde Fahrt laufen wir in den Hafen von Lipari ein.

 

Direkt am Anleger, in dem Häuschen, in dem es auch die Aliscafi-Tickets gibt, hat es eine Gepäckaufbewahrung. Für ein paar Euro deponieren wir unsere Trolleys dort, und haben jetzt bis 18 Uhr Zeit, uns Lipari anzusehen – dann geht die letzte Fähre nach Vulcano.

 

Unser Weg führt hinauf zum Burgberg, zur Akropolis. Die Festung stammt aus dem 16. Jahrhundert, aber der steile Hügel ist schon seit der Jungsteinzeit ununterbrochen besiedelt - dank des auf der Insel in großer Zahl vorkommenden und als Werkzeug begehrten vulkanischen Glasgesteins Obsidian. Und natürlich haben auch die Griechen hier gewohnt und reichlich Spuren hinterlassen.

Heute befindet sich in den Gebäuden hier oben unter dem Namen „Museo Archeologico Luigi Bernabo Brea“ eine ganze Ansammlung von Museen – vor- und frühgeschichtlich, archäologisch (über die Inseln und klassisch), vulkanologisch, dazu noch einige Kirchen, und ein normannischer Kreuzgang. Die Museen machen Mittagspause von 13.30 bis 15 Uhr – die sehen wir uns deshalb später an. Aber die alles überragende Cattedrale, die Kirche San Bartolomeo (der als Schutzpatron der Äolischen Inseln überall besonders verehrt wird), ist geöffnet, und von ihr gelangt man auch in den normannischen Kreuzgang aus dem 12. Jahrhundert, der erst in den 1970ern wiederentdeckt und ausgegraben wurde.

Ein älterer Herr kassiert für den Eintritt in den Kreuzgang einen Euro. Außerdem verkauft er auch Obsidianstücke. Wir interessieren uns aber für den um 1131 erbauten Kreuzgang mit einigen archaisch anmutenden Kapitellen, die mit naiven Tierdarstellungen verziert sind. Die Kirche selbst ist nicht so unser Fall.

Wieder hinaus in den Garten, und zum Rand der Akropolis: schön ist der Blick von der Mauer hinab auf das türkisene Meer, in dem einige Wasserschiffe liegen und mit langen Schläuchen Trinkwasser auf die Insel pumpen.

Nach Süden befindet sich hier oben ein Theater, das allerdings nachgebaut und nicht mehr original ist. Darum herum erstreckt sich die archäologische Zone mit vielen Steinsarkophagen aus griechischer und römischer Zeit. Und von der Bastion sieht man auf die Marina Corta hinab – die schönste Ecke von Lipari-Stadt. Wir staunen über die hohen Häuser, die sich in der Unterstadt nach Westen erstrecken.

Direkt hinunter kommt man hier ab nicht, man muss die Via Concordato hinab, eine breite, flache Treppe, die direkt auf die Cattedrale zuführt bzw. von ihr weg, und die erst in friedlichen Zeiten angelegt wurde – denn dazu musste die Mauer der Bastion durchbrochen werden.

Unten geraten wir schnell in die touristischen Gassen der Altstadt mit Souvenirläden, Restaurants, Vinotheken. Bims, Obsidian, Schwefel – reichlich Gestein vulkanischer Herkunft wird hier zum Kauf angeboten, allerdings nicht unbedingt von hier. Dazu bunte Taschen, Tücher, Stirnbänder mit Gekkomustern: die haben wir auch auf Stromboli und Salina schon gesehen. Schönes Mitbringsel fürs Badezeug.

 

Wir haben inzwischen Hunger und ziehen zur Piazza Ugo San Onofrio an der „kurzen“ Marina weiter. Hübsch ist es hier, mit der kleinen Kirche auf der Insel am Quai, und einer weiteren Kirche, die die Piazza nach Süden abschließt. Und den vielen Booten am sich verzweigenden Anleger.

Die Schattenplätze unter den Markisen und Sonnenschirmen in den Bars und Caffès sind fast alle besetzt, man spricht Deutsch, gerne auch mit österreichischem Einschlag. So ein Touristenaufkommen sind wir nicht mehr gewöhnt, und deshalb froh, dass wir hier nicht länger bleiben müssen – ist uns zu rummelig. Wir haben es lieber ruhiger. Aber Ausflüge von Sizilien nach Lipari und Vulcano stehen auf dem Programm vieler Reiseveranstalter, 1990 bin ich so schon einmal hier gewesen. Und dachte, ich sollte wiederkommen – mit mehr Zeit.

Im Caffè La Vela bestellen wir zwei Pane Cunzatu - das je nach Gusto mit Tomaten, Käse, Oliven, Rucola und/oder Thunfisch üppig belegte und mit Öl und Tomatensaft durchtränkte Zwiebackbrot erinnert an kretisches Dakos. Und schmeckt gut und sättigt. Ein Glas Weißwein dazu sorgt für Frische.

So dass wir uns danach noch die Marina näher angucken. In einer Ecke treiben tote Quallen, nicht so viele wie auf Filicudi, aber die Äolen haben offensichtlich gerade ein Quallenproblem.

Das Kirchlein Anime del Purgatorio auf der Insel am Anleger ist geöffnet, darin befindet sich eine Weihnachtsszene im Stile neapolitanischer Krippen: Christi Geburt in einem Miniatur-Lipari, das die ganze Seite des Gebäudes einnimmt. Sehr hübsch, und mit einigen liebevollen Details ausgestattet.

Inzwischen geht es auf 15 Uhr zu, das Museum in der Burg müsste wieder öffnen, und wir gehen durch die nun verwaisten Gassen der Altstadt und die lange Treppe wieder hinauf. Sechs Euro kostet der Eintritt für alle Museen zusammen, EU-Senioren und Seniorinnen über 65 dürfen kostenlos rein – löbliche italienische Einrichtung, die der Mutter mal wieder Geld spart.

Wir zäumen das Pferd vom falschen Ende auf, und fangen mit der klassischen Abteilung an. Säle voller griechischer Vasen, mehr als man als interessierte Laie aufnehmen kann. Außerdem Theatermasken, Münzen, große Amphoren, und und und. Am beeindruckendsten finden wir die Abteilung Unterwasserarchäologie im Untergeschoss (passend) – mit ganzen Stapeln (ja, wirklich Stapeln!) von Amphoren, geborgen aus Schiffswracks bei Panarea und Filicudi. Dank der nach unten zulaufenden Spitzen der Amphoren konnte man Behältnissen auf dem Schiffe ineinander stapeln, und das hat wohl auch ganz gut gehalten.

Diese eine Abteilung, die auch ziemlich liebevoll gestaltet ist, könnte im Grunde völlig reichen um einen Nachmittag zu verbringen (es hilft wenn man Italienisch kann). Nur wenige Besucher verirren sich heute hierher. Aber natürlich will ich auch noch in die vorgeschichtliche Abteilung – schließlich hat die Besiedelung der Inseln schon im Neolithikum begonnen. Die Abteilung schwimmt in der Vielzahl ähnlicher Exponate – Vitrinen voll mit Obsidianwerkzeug, Tongefäßen, Schalen mit gehörnten Griffen. Kultur des „Capo Graziano“, Kultur des „Capo Milazzese“, Kultur „Ausonio I“ und „Ausonio II“ - im Schweinsgalopp durch die Zeiten. Sehr interessant.

Leichte Ermüdungserscheinungen stellen sich dennoch ein, auch wegen der stickigen Luft (spätes Atomzeitalter). Ein Espresso wäre jetzt gut, leider gibt es kein Caffè hier oben. Frische Luft muss reichen.

 

Die Abteilung für die kleineren Inseln ist geschlossen, aber die vulkanologische ist geöffnet. Die ist ziemlich angestaubt und dicht gedrängt mit Schautafeln und Fotos, und es gibt unglaublich viel zu lesen - in Italienisch. Wir konzentrieren uns auf die Skizzen und Erklärungen zu Stromboli und Vulcano, und müssen dann schnell der kompletten Überfütterung mit geistiger Nahrung Tribut zollen – es geht nix mehr rein.

 

Erschöpft schwanken wir ins Freie, sehen uns noch andere Seite der Fortezza an, mit der hohen, schmalen und irgendwie mexikanisch wirkenden Chiesa Immacolata, der griechisch anmutenden kleinen Chiesa Addolorata und der unscheinbareren kuppelgekrönten Kirche der Heiligen Caterina.

Noch eine Stunde bis unsere Fähre geht. Wir sehen sie schon kommen, aber kein Grund zur Hektik. Sie legt im Süden der Marina Lunga, dem Fährhafen nördlich der Burg, an.

Wir gehen langsam hinunter, inzwischen haben einige Läden wieder geöffnet. Eine Granita vor der Abfahrt wäre noch nett. Das Ticketbüro für die Nave befindet sich direkt am Anleger, da kann ich doch gleich die Tickets kaufen, für 9,40 Euro für zwei Personen. Der Mann im Büro meint, es könne sein dass die Fähre schon früher abfährt wegen des Windes, wir sollten doch schon um halb sechs da sein. Hoppla, da müssen wir doch noch unser Gepäck holen auf der anderen Seite des Hafens am Aliscafi-Quai. Nix wird es mit der Granita. Die Gepäckaufbewahrung ist nicht besetzt, ich warte und dann erbarmt sich irgendwann der junge Mann vom dortigen Ticketschalter und holt unser Gepäck aus dem Abstellraum. Schnell wieder rüber zur Fähre, es ist schon halb sechs, und die letzte Fähre nach Vulcano für heute. Die Tragflügelboote fahren nicht alle, wegen des Windes. Ich rufe in unserem Hotel auf Vulcano an, kündige unsere Ankunft mit der Fähre an. Wir sollten wieder anrufen wenn wir auf Vulcano sind, wird uns beschieden.

 

Als wir an Bord der uns schon bekannten „Pietro Novelli“ gehen werden wir von einem Mann der Besatzung angesprochen: es könne sein, dass die Fähre wegen des Windes nicht in Vulcano anlegen könne. Upps! Wohin sie dann fahre? Nach Milazzo auf Sizilien. Oh, da wollen wir aber heute eigentlich nicht hin – erst am Samstag. Und wir haben ein Quartier auf Vulcano. Das wäre ja ganz, ganz blöd! Noch dazu wo wir extra das Schiff für diese Überfahrt gewählt haben – dass es fährt schien uns sicherer als das Aliscafo. Ich frage den Mann ob es heute noch eine andere Verbindung nach Vulcano gäbe, aber da stößt sein Englisch an seine Grenzen, oder er ist nicht zuständig, oder er weiß es nicht – er winkt ab.

Haben wir eine Wahl? Nicht dass wir wüssten – so riskieren wir es und gehen an Deck. Ziemlich unruhig. Ein französisches Paar ist da, sie haben nur einen Tagesausflug von Vulcano nach Lipari gemacht – falls es sie nach Milazzo verschlägt hätten sie nichts dabei um dort zu übernachten, berichtet sie leicht aufgelöst. Immerhin haben wir es da besser. Aber geteiltes Leid ist halbes Leid. Und ich freue mich, mal wieder mein Französisch loszuwerden. Wir hoffen und bangen endlose Minuten bis die Fähre pünktlichst um 18 Uhr ablegt (von wegen vorher…) – ein paar Einheimische sind noch an Bord gekommen, mit Fahrzeugen. Es wird schon klappen.

Da legt doch drüben am Aliscafo-Anleger ein selbiges ab – von der gleichen Fährgesellschaft wie unser Schiff, Siremar. Es wird doch nicht nach Vulcano fahren? Schnell erhebt es sich aus dem Wasser und flitzt davon, Richtung Süden…. ungläubig beobachtet auch von den Franzosen. Wir folgen langsam mit unserer „Pietro Novelli“. Schön, die Fahrt entlang des Burgberges im Abendlicht, eine fette Yacht liegt davor. Nur dass wir das nicht so richtig genießen können.

 

Es ist nicht weit bis Vulcano, schnell sehen wir den Gran Cratere vor uns liegen. Und das Aliscafo ist doch tatsächlich in den Hafen von Vulcano hinter der vorgelagerten Halbinsel Vulcanello abgebogen nachdem es erst noch so aussah als würde es vorbeifahren. Wenn wir jetzt nach Milazzo fahren müssen krieg ich einen Schreikrampf! Aber das Meer zwischen den beiden Inseln sieht recht friedlich aus, wenn das bisschen Wind ein Problem wäre, dann gute Nacht äolische Seefahrt!

 

Einige steile Felsen ragen aus der Meerenge zwischen Vulcano und Lipari, das silbern glitzernde Meer zeichnet die Umrisse besonders scharf und schwarz. Dann drehen wir in die Hafenbucht Porto di Levante hinein, die vom 56 Meter hohen Vulkanfelsen Faraglione überragt wird. Das Schiff liegt ganz ruhig im Meer – völlig unnötig hat der Seemann uns beunruhigt. Vielleicht macht er sich auch gerne einen Spaß daraus, ahnungslose Touristen zu erschrecken?

Wie wir noch darüber nachsinnen steigt uns plötzlich eine übler Gestank in die Nase. Ein Höllengestank nach faulen Eiern. Bevor die Mutter mich irgendwelcher Flatulenzen beschuldigen kann habe ich den Übertäter enttarnt – es ist natürlich der Vulkan, der hier nicht lavaspeiend schwarz-rot wie auf Stromboli auftrifft, sondern schwefelstinkend gelb-schlammgrau.